beyond the stars









nineteen.
beyond the stars

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„OH MEIN GOTT!"

Mel und Draco starrten mich aus großen Augen an.

„Verdammt, Malfoy, du hast doch gesagt, dass hier nie jemand lang kommt", zischte sie vorwurfsvoll und richtete hastig ihre Frisur.

Draco fummelte nervös am Kragen seines Hemdes herum. „Hab ich auch gedacht", murmelte er und fuhr sich durch die weißblonden Haare.

Angeekelt verzog ich das Gesicht. Ich drehte mich auf dem Absatz um, kniff die Augen zusammen und versuchte dieses furchtbare Bild aus meinem Gedächtnis zu verbannen. Leider gelang es mir nicht. Am liebsten würde ich auf der Stelle im Boden versinken. Oder einen ganzen Eimer Bleiche trinken. Ich schüttelte mich und beschleunigte meine Schritte.

Mel folgte mir. Ich konnte ihre dumpfen Schritte auf dem harten Steinboden widerhallen hören. „Kit, warte mal!", rief sie und holte mich schließlich keuchend ein.

Ich wirbelte zu ihr herum. „Was zum Teufel stimmt nicht mit dir?", rief ich mit erstaunlich hoher Stimme. Fassungslos sah ich sie an.

Gekonnt wich Mel meinem Blick aus.

Ich versetzte ihr einen Stoß und sie taumelte fluchend zur Seite. „Malfoy? Ernsthaft? Der Typ ist noch ein Kind!"

Mel verdrehte die Augen. „Wir sind doch auch noch Kinder", erwiderte sie gedämpft und vergrub die Hände tief in den Taschen ihrer Jeans.

„Ist es wegen Thomas?", fragte ich und kreuzte die Arme vor der Brust. „Oh, bitte sag mir nicht, dass es wegen Thomas ist."

Als Mel bedrückt schwieg, starrte ich sie an.

„Okay, ich versteh' ja, dass du dich ablenken willst, aber—"

„Ich weiß, du hältst nicht besonders viel von Malfoy", unterbrach sie mich jedoch und ihre blonden Haare leuchteten im Schein der untergehenden Sonne, die durch einen der steinernen Bögen im Verwandlungshof fiel.

Nachdenklich legte ich den Kopf schief. „Ich könnte dir tausend Gründe aufzählen, warum ich den Kerl nicht leiden kann", sagte ich. „Er hasst Menschen, wie mich. Muggelgeborene. Ich versteh' nicht, wie du mit so jemandem zusammensein kannst."

„Wir sind nicht zusammen", widersprach Mel. „Wir haben nur—"

„Rumgeknutscht?", fiel ich ihr mit hochgezogenen Augenbrauen ins Wort und eine unnahbare Röte stieg in Mels Gesicht. Hastig verkniff ich mir das Grinsen, das sich auf meine Lippen schlich. Dann drehte ich mich zu ihr um, packte sie an den Oberarmen und schüttelte sie einmal kräftig durch.

Sie brach daraufhin in Gelächter aus.

Ich ließ sie wieder los und jammerte theatralisch: „Dieses Bild hat sich für immer in mein Gedächtnis gebrannt! Warum tust du mir das an?"

Mel grinste breit. „Du bist echt 'ne Dramaqueen, weißt du das?", raunte sie und wieder schubste ich sie zur Seite.

„Ich hab auch jedes Recht dazu", stöhnte ich melodramatisch und tat so, als würde ich in Ohnmacht fallen.

Mel lachte nur.

Wir liefen eine Weile schweigend nebeneinander her, bevor die Blondine schließlich erneut das Wort ergriff: „Kannst du es bitte niemandem erzählen? Vor allem nicht Jo? Sie wird es nicht verstehen."

Mit gerunzelter Stirn sah ich sie an. „Ich versteh's ehrlich gesagt auch nicht—"

„Ich mein's ernst", unterbrach Mel mich jedoch und ein leicht verzweifeltes Lachen kroch aus ihrer Kehle.

Ich verdrehte die Augen.

„Bitte, Kit", sagte meine Freundin noch einmal mit Nachdruck und schlang besorgt die Arme um ihren Oberkörper.

Ich stieß ein angestrengtes Seufzen aus und hob dann ergeben die Hände. „Okay, okay, ich versprech's", sagte ich und Mel atmete erleichtert aus. „Ich hoffe nur, du weißt, was du tust." Ich warf ihr einen piercenden Blick zu.

Sie biss sich auf die Unterlippe und schien um jegliche Antwort verlegen.

Ich stapfte weiter, vergrub die Hände tief in den Taschen meiner Jacke und erinnerte mich jäh an das Foto, das nach wie vor in der rechten Seitentasche steckte. Meine Finger verkrampften sich um das Papier.

Als wir schließlich die Große Halle erreichten, herrschte dort bereits mächtiger Trubel.

Jo winkte uns gut gelaunt vom Hufflepuff-Tisch aus zu und ihre Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen, als wir uns zu ihr setzten. „Wo seid ihr denn die ganze Zeit über gewesen?", fragte sie, schien jedoch keine Antwort zu erwarten, denn sie beachtete uns kaum, als Mel und ich einen beschämten Blick wechselten.

„Hey, ernst gemeinte Frage", sagte Lucas dann plötzlich, der neben Jo hockte und sich nun an ihr vorbei zu uns hinüber beugte. „Warum wurde eigentlich bisher noch nie darüber nachgedacht, Aufzüge in Hogwarts einzubauen? Wäre das nicht viel einfacher, als ständig diese bescheuerten Treppen hochzusteigen?"

Verdattert sah ich ihn an. „Was weißt du denn schon über Aufzüge?", fragte ich ihn.

Lucas zuckte lässig mit den Schultern. „Muggelkunde", sagte er und rührte achtlos in seinem Gemüseeintopf herum. „Also? Was sagt ihr?"

„Die viel wichtigere Frage ist doch", warf Andrew ein, der just in diesem Moment gegenüber von uns auf der Bank Platz genommen hatte, „ist Filch in Wahrheit ein Halbtroll?"

„Was?", fragte Mel verstört. Aus dem Augenwinkel sah ich gerade noch so, wie sie hastig den Blick vom Tisch der Slytherins abwandte.

Draco lachte höhnisch über etwas, das einer seiner Freunde gerade eben gesagt hatte.

„Seht ihn euch nur an", raunte Andrew beinahe mitleidig und deutete auf den alten, schäbig wirkenden Hausmeister. Er lungerte am Eingang zur Großen Halle herum und keifte jeden Schüler garstig an, der es wagte mit schmutzigen Schuhen über die Schwelle zu treten. Seine eingesunkenen Wangen waren von roten und violetten Äderchen durchzogen. „Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er je einen vernünftigen Zauber gewirkt hat."

Nachdenklich betrachtete ich Filch. „Jetzt, wo du's sagst", murmelte ich und mir fiel ein, dass ich ihn noch nie mit einem Zauberstab in der Hand gesehen hatte.

„Was kümmert euch Filch?", fragte Jo mit einem angewiderten Ausdruck im Gesicht. „Ich mach immer einen großen Bogen um den Kerl. Der steht drauf, Schüler mit rostigen Fesseln an die Kerkerdecke zu hängen. Ich meine, wie abartig ist das bitte?"

Ich schnitt eine Grimasse. „Du hast vermutlich Recht", sagte ich und widmete mich anschließend dem Teller Spaghetti, der vor meiner Nase stand.

„Vermutlich?", fragte Jo, den Blick nach wie vor auf Filch gerichtet. „Ich habe immer Recht, Kitty Cat, das müsstest du doch inzwischen eigentlich wissen."

Als wir nach dem Abendessen die Große Halle wieder verließen, tauchte Andrew plötzlich neben mir auf und verschränkte kurzerhand unsere Finger ineinander. Ich holte zischend Luft und beinahe hätte ich vergessen, dass wir so taten, als wären wir ein Paar. Zerknirscht grinste ich ihn an.

Ich warf einen Blick über die Schulter und stellte fest, dass Katie nicht zu uns hinüber sah. Dann begegneten meine Augen den braunen Iriden von George, während Alicia ununterbrochen auf ihn einredete. Hastig wandte ich mich wieder ab.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass ausgerechnet ihr zwei zusammen seid", höhnte Lucas, der federnden Schrittes neben uns her lief.

Jo klammerte sich an seinen Arm, wie eine Ertrinkende an ihren letzten Rettungsring.

Genervt sah ich ihn an. „Und wieso nicht?"

Er zuckte höchst gelassen mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht", flötete er. „Das will einfach nicht in meinen Kopf. Ich meine, ihr ward jahrelang nur Freunde."

Ich wollte die Arme vor meiner Brust verschränken, doch meine linke Hand war noch immer mit der von Andrew verschränkt. Hitze schoss in meine Wangen. „Du warst mit Jo auch ziemlich lange nur befreundet, bevor ihr ein Paar geworden seid", erinnerte ich Lucas dann und er zuckte halbherzig mit den Schultern.

„Ja", sagte er gedehnt und grinste Jo von der Seite her an. „Aber das ist was anderes."

Daraufhin verdrehte ich nur die Augen und sagte: „Ach, schnüffle doch an 'ner Flasche Hustensaft, aber geh' mir nicht auf die Nerven, Lucas. Find' dich einfach damit ab, dass Andrew und ich jetzt ein Paar sind."

Während Lucas verblüfft die Augenbrauen hochzog, schaffte es Andrew gerade noch so, sein Lachen in ein belustigtes Hüsteln umzuwandeln. Und auch Jo konnte sich das breite Grinsen, das sich auf ihre Lippen stahl, nicht ganz verkneifen.

„Das war kalt, Finnley, wirklich kalt", sagte Lucas und griff sich gespielt verletzt ans Herz. „Du bist zur Zeit irgendwie ziemlich auf Ärger aus, was?", stellte er dann fest und grinste recht spöttisch.

Ich schwieg.

Meine Freundinnen tauschten wissende Blicke. Seit ich ihnen von Diana erzählt hatte, gingen sie betont feinfühlig mit mir um. Und diese verwirrende Sache zwischen mir und George half dabei auch nicht gerade, das ganze Chaos, das sich inzwischen mein Leben nannte, zu beseitigen.

Wir stiegen hinab in eine der tiefer gelegenen Etagen des Schlosses, in der sich auch die Küchen befanden, und liefen einen langen fackelbesetzten Gang entlang.

Kaum dass wir über die Schwelle in den Gemeinschaftsraum der Hufflepuffs getreten waren, wuselte auch schon eine besonders buschige Katze zwischen unseren Beinen hindurch. Ihr dicht auf den Fersen war ein Junge mit karottenroten Haaren. „Haltet sie auf! Die Katze hat meine Brieftasche gestohlen! Aus dem Weg!", rief er und stieß Lucas grob zur Seite.

„Alter...", murmelte dieser und rieb sich genervt den Oberarm, gegen den der Junge achtlos gerempelt war.

Wir besetzten eine Sesselgruppe an einem noch freien Kamin und während Jo sich mit dem Rücken an Lucas' Brust lehnte, saßen Andrew und ich nur recht steif nebeneinander. Mel beobachtete uns mit gerunzelter Stirn.

Auf der anderen Seite des Raumes tummelten sich ein paar Erst- und Zweitklässler, die aufgeregt eine Runde Zauberschnippschnapp spielten.

„Okay, lasst es uns noch einmal durchgehen", sagte Andrew. „Wenn es dich beißt und du stirbst, ist es giftig. Kapiert?"

Nachdenklich kniff ich die Augen zu Schlitzen zusammen, während Lucas bedächtig nickte. „Ich denke schon", sagte er und kratzte sich grüblerisch am Hinterkopf.

„Aber was, wenn", warf Jo dann ein, ihre Stirn war in tiefe Falten gezogen, „was, wenn es mich beißt und daraufhin dann stirbt?"

„Dann bist du giftig", sagte Andrew altklug und die anderen nickten einstimmig.

Währenddessen fragt ich mich nach wie vor, wie wir eigentlich auf dieses Thema gekommen waren.

„Und was, wenn es sich selbst beißt und stirbt?", fragte Mel und vielsagend deutete ich mit dem Finger auf sie, als hätte ich mir die selbe Frage auch gerade eben gestellt.

Andrew zuckte mit den Schultern. „Voodoo?", schlug er vor und Mel wirkte zufrieden mit dieser Antwort.

„Okay, aber was, wenn es mich beißt und jemand anderes stirbt?" Lucas sah drein, als wäre ihm eben die Frage des Jahrhunderts in den Sinn gekommen.

Andrew verdrehte die Augen. „Das steht doch in gar keinem Zusammenhang, Lu", sagte er und Lucas schnitt eine enttäuschte Grimasse.

„Und was, wenn wir einander beißen und keiner von uns stirbt?" Prompt war jedes einzelne Augenpaar auf mich gerichtet.

Andrew wurde hauchzart rosa im Gesicht. „Nun...", stammelte er und ein schwaches Grinsen umspielte dabei seine Lippen. „Dann habt ihr wohl einfach nur einen ziemlich merkwürdigen...Fetisch?"

Ich schnaubte belustigt. „Du bist echt'n Idiot, Andrew, weißt du das?", stellte ich liebreizend fest und er präsentierte mir seinen Mittelfinger.

„Hast du gehört, Andy?", fragte Lucas und klopfte ihm kumpelmäßig auf die Schulter. „Du bist ein Idiot. Ich bin ganz offensichtlich auch ein Idiot. Wir sind die Co-Präsident vom Club der Idioten." Feierlich breitete er die Arme aus.

Ich schenkte ihm daraufhin lediglich ein gehässiges Grinsen, während Jo in Gelächter ausbrach und Mel leise vor sich hin schmunzelte.

Als Lucas und Andrew nach einiger Zeit schließlich gleichzeitig aufstanden, hob ich lachend den Blick von Jo, die gerade versuchte, eine neue skandalös unverständliche Quidditch-Strategie zu erklären, die wir im nächsten Jahr unbedingt ausprobieren mussten. „Wo wollt ihr hin?", fragte ich grinsend und die beiden tauschten Blicke.

„Wir müssen mal schiffen", sagte Lucas dann gelassen und ich zog verdutzt die Augenbrauen hoch.

„Wollt ihr ihn euch gegenseitig halten, oder was?", erwiderte ich spöttisch und als er mir daraufhin den Mittelfinger zeigte, streckte ich ihm nur die Zunge raus.

„Mädchen gehen doch auch immer zu zweit aufs Klo", sagte Andrew, bevor sie sich endgültig anwandten und im Schlafsaal der Sechstklässler verschwanden.

Ich beobachtete, wie Jos Augen leuchteten und das Lächeln ihre Lippen auch dann nicht verließ, als Lucas schon längst nicht mehr zu sehen war. „Verliebt sein steht dir", merkte ich an und beim Klang meiner Stimme zuckte sie zusammen.

„Was?", grinste sie unschuldig und ich verdrehte nur lachend die Augen.

Mel schnitt eine Grimasse. Ich konnte nur ahnen, was gerade in ihrem Kopf vor sich ging. Sie dachte vermutlich an Draco. Am liebsten hätte ich diese Tatsache kommentiert, doch ich erinnerte mich an das Versprechen zurück, dass ich ihr nur wenige Stunden zuvor gegeben hatte, und blieb stumm.

Nachdem die anderen bereits in ihre Betten gegangen waren und ich schließlich Jos leises Schnarchen und Mels tiefe Atemzüge hören konnte, schlich ich mich auf Zehenspitzen noch einmal hinaus aus dem Schlafsaal. In meiner Jackentasche befand sich das zerknitterte Foto und ein Brief. Der Gemeinschaftsraum war leer. Lediglich die glühenden Kohlen eines Feuers wiesen darauf hin, dass hier vor einigen Stunden noch Trubel geherrscht hatte.

Leise verließ ich den Gemeinschaftsraum und machte mich auf den Weg hinauf in die Eulerei. Die Korridore des Schlosses schienen wie ausgestorben. Ab und zu schwebte ein Geist durch eine der backsteinernen Wände, doch nicht einmal das tat der fehlenden Lebendigkeit einen Abbruch.

Ich war gerade an der Treppe, die zum Astronomieturm hinaufführte, angelangt, als plötzlich eine rothaarige Gestalt um eine Ecke bog und ich beinahe mit ihr zusammen stieß.

„Was machst du denn hier?", fragte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.

George zog die Augenbrauen hoch. Die Spitze seines Zauberstabs leuchtete in der Dunkelheit. Wie ein verloren gegangenes Glühwürmchen schwebte das kleine Licht zwischen unseren Gesichtern. „Gegenfrage."

Ich verdrehte die Augen und wandte mich von ihm ab. „Ich muss einen Aufsatz für Astronomie schreiben", sprach ich die nächstbeste Idee laut aus, die mir in den Sinn kam, und deutete auf die Wendeltreppe, die sich bis in den Himmel hinein zu schrauben schien.

„Hast du überhaupt Astronomie?", fragte George mit gerunzelter Stirn und folgte mir ungefragt die Treppe hinauf.

Ich warf ihm einen genervten Blick über die Schulter hinweg zu. „Ja?", erwiderte ich schlicht und stapfte weiter die glitschigen Stufen empor.

Ich konnte hören, wie der Rotschopf leise lachte.

„Was willst du?", fragte ich. Er war die letzte Person, die ich gerade gebrauchen konnte.

George schnaubte belustigt. „Ich kann doch nicht zulassen, dass du dich außerhalb der Nachtruhe auf den Korridoren rumtreibst", sagte er.

Auf dem obersten Treppenabsatz drehte ich mich zu ihm um und verschränkte passiv aggressiv die Arme vor der Brust. Er befand sich gerade so viele Stufen unter mir, dass wir genau gleich groß waren. Seine braunen Augen blitzten amüsiert. „Was kümmert's dich, wenn sich Schüler nach der Sperrstunde draußen aufhalten?", fragte ich genervt. „Fred und du schleicht euch auch ständig nachts raus."

Lässig winkte George ab. „Wir sind schließlich auch die Meister der Streiche", kommentierte er. „Wir haben die Taktik des Rausschleichens perfektioniert. Es kommt ziemlich selten vor, dass wir erwischt werden."

Ich warf ihm einen spöttischen Blick zu und wandte mich dann wieder ab. Der Astronomieturm bestand aus einem kreisrunden Raum und einer Aussichtsplattform, von der aus das riesige Schlossportal und Hagrids Hütte gut zu sehen waren. Der schwarze See glitzerte im Schein des Mondes. Das große Teleskop in der Mitte des Raumes war in den fernen Nachthimmel gerichtet. Oben angekommen, wusste ich auf einmal nicht mehr, was wir hier überhaupt taten. Nervös von einem Fuß auf den anderen tretend, sah ich zu George hinüber.

Er grinste verschmitzt. „Ziemlich romantisch, was?", fragte er und wackelte frech mit den Augenbrauen. „Wenn du mich hier hochgelockt hast, um mit mir die Sterne anzusehen, hättest du es auch einfach nur sagen können."

Prompt schoss Hitze in meine Wangen. Ich murmelte irgendetwas, das ich selbst nicht ganz verstand, und wandte mich dann hastig von ihm ab. Der Geruch nach frischem Pergament und Piniennadeln verfestigte sich in meiner Nase. Einige unordentlich an die Tafel gekritzelten Buchstaben verrieten, dass erst vor wenigen Stunden hier noch Unterricht stattgefunden hatte.

„Du hast gar kein Astronomie, oder?", fragte er dann mit kratziger Stimme und langsam schüttelte ich den Kopf.

„Nein", sagte ich, „ich brauchte nur irgendeine Ausrede."

George runzelte die Stirn. „Wieso?"

Ich zuckte mit den Schultern und als er langsam auf mich zukam, wich ich mit klopfendem Herzen zurück. „Ich wollte dich nicht schon wieder mit meinen Problemen nerven", murmelte ich mit geröteten Wangen und rang nervös mit den Händen.

Leichtfüßig durchquerte er den Raum und klopfte den Staub aus einigen tiefblauen Sitzkissen, bevor er sie vor sich auf dem Boden ausbreitete. „Komm her", sagte er leise und ließ sich auf das Meer aus Kissen fallen. Er streckte seine langen Beine aus und die ausgewaschene Jeans, die er trug, rutschte ihm bis über die Knöchel hoch. Auffordernd klopfte er auf den freien Platz neben sich.

Ich zögerte einen Moment, dann gab ich schließlich nach und ging langsam zu ihm hinüber.

George ließ sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen zurückfallen und blickte hinauf in den wolkenlosen Himmel. „Und? Weißt du schon, was du nach der Schule machen willst?", fragte er dann und ich war froh, dass er das Thema wechselte.

Ich legte mich neben ihn. „Nein, ich hab keine Ahnung", murmelte ich und runzelte unzufrieden die Stirn. „Was ist mit euch?"

Georges Gesicht erhellte sich. „Wir haben diese Vision, weißt du?", sagte er. „Unser eigener Laden in der Winkelgasse."

Überrascht sah ich in Georges schmales Gesicht, auf die Sommersprossen, die auf seiner Nase tanzten. Seine roten Haare standen in alle möglichen Richtungen ab.

„Wir nennen sie Nasch- und Schwänz-Leckereien", erklärte er eifrig. „Das sind Süßigkeiten, die dich krank machen. Stell dir vor, du sitzt in einer besonders langweiligen Unterrichtsstunde bei Binns, oder schlimmer noch, Snape will wieder, dass du irgendeinen bescheuerten Trank braust, dann isst du einfach die eine Hälfte und du kriegst das reine Kotzen. Und dann kannst du gehen und die andere Hälfte essen und zack" Er schnippte mit den Fingern. „bist du wieder gesund."

Ich grinste breit. „Das ist echt ziemlich cool", gab ich zu. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war. In Georges Gegenwart hatte sich jegliches Zeitgefühl in Luft aufgelöst.

Wir schwiegen eine Weile und irgendwann wandte ich den Blick wieder von ihm ab und starrte hinauf in die glitzernde Unendlichkeit über unseren Köpfen. „Irgendwie hab ich echt Angst vor der Einsamkeit da oben", murmelte ich dann. „Ich meine, da ist so viel Leere zwischen den Sternen. Millionen von Lichtjahre. Und weit und breit einfach nichts."

George drehte den Kopf und sah mich einen Augenblick lang nachdenklich an. „Aber wenn du genauer hinsiehst", ergriff er schließlich das Wort und seine Stimme war so ruhig, dass ich eine Gänsehaut bekam, „ist es gerade mal ein daumenbreiter Abstand." Er streckte seinen Arm aus und hielt seinen Daumen so gen Himmel, dass er kaum zwischen zwei Sterne passte. „Also rein theoretisch musst du keine Angst haben. Außerdem—" Er richtete sich auf und stützte sich auf dem Ellenbogen ab, um mich von oben herab ansehen zu können. „hast du ja mich. Stell' dir vor, wir hätten uns nie kennengelernt. Wahrscheinlich würden wir dann immer noch einsam und allein irgendwo im Universum rumdümpeln."

Ich blickte zu ihm auf und unsere Augen verhakten sich ineinander. Mein Herz machte einen Satz.

Wie in Zeitlupe fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen, dann beugte er sich vorsichtig zu mir hinunter.

Und für einen kurzen Moment vergaß ich alles um mich herum. Vergaß die Sterne und die Angst, irgendwann allein zu sein. Vergaß die Ungewissheit, die sich wie ein kleiner hartnäckiger Parasit in mein Unterbewusstsein geschlichen hatte und die leise Zweifel in mir säte. Vergaß die Tatsache, dass ich nicht einmal mehr wusste, wer ich wirklich war.

Doch im Bruchteil der nächsten Sekunde war der Moment auch schon wieder verflogen und ich blinzelte und stieß ihn dann verwirrt von mir. „Du bist mit Alicia zusammen", sagte ich leise und setzte mich mit klopfendem Herzen auf. Das schlechte Gewissen überkam mich so jäh, während ich unsicher die Beine an meinen Körper zog und meine Arme um die Knie schlang.

George richtete sich hinter mir auf.

Wenn ich mich ein wenig nach hinten fallen lassen würde, könnte ich mich gegen seine Brust lehnen. Einfach so. Doch ich tat es nicht.

„Ja, aber—", fing er gedehnt an, ich unterbrach ihn jedoch sofort.

„Dann weiß ich nicht, was wir hier tun", sagte ich und drehte den Kopf.

Unsere Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Seine braunen Augen waren dunkler, als sonst. Als wäre er immer da, aber nie hier.

„Was wäre, wenn ich mit ihr Schluss machen würde?", murmelte er dann und meine Augen weiteten sich überrascht.

Doch dann verwandelte sich meine Verblüffung jäh in Ärger. Ich schubste ihn zur Seite und rappelte mich hastig vom Boden auf. „Was soll das werden, wenn es fertig ist?", fragte ich gereizt und brachte so viel Abstand wie möglich zwischen uns.

Frustriert sah er mich an. „Du weißt, dass ich dich mag", sagte er und rieb sich nervös den Nacken.

Es war beeindruckend, wie leicht es ihm offenbar fiel, diese Worte immer wieder laut auszusprechen, doch ich verschränkte nur genervt die Arme vor der Brust. „Andrew und ich—"

„Das ist nicht dein Ernst", fiel er mir jedoch ins Wort und seine Stimme klang auf einmal nur noch leer.

Ich schwieg. Und er schien endlich zu begreifen. Er schien zu begreifen, dass sich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet hatten. Dass Andrew und ich wirklich ein Paar waren. Und dass er nichts daran ändern konnte, so sehr er das auch wollte. Und es schien ihn zu treffen, wie ein Blitz im Auge des Sturms.

Er stieß ein unsicheres Lachen aus. „Komm schon, Kit. Du und Andrew? Das kannst du doch nicht ernst meinen."

„Und wieso nicht?"

Er presste die Lippen aufeinander und vergrub die Hände tief in den Taschen seiner Hose. „Weil—" Er unterbrach sich selbst und fuhr sich durch die scharlachroten Haare. „Da ist was zwischen uns, das kannst du doch nicht leugnen."

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und reckte stolz das Kinn in die Höhe. „Und Alicia?"

„Was soll mit ihr sein?"

Ich legte den Kopf schief und sah ihn ungläubig an. „Sie hat dich ganz offensichtlich ziemlich gern. Ist es dir etwa egal, wenn ein Mädchen dich mag?"

George seufzte und ich hatte mal wieder keine Ahnung, was in seinem Kopf vor sich ging. „Nein, das ist mir nicht egal—"

„Ich finde es ziemlich schräg, wie du sie behandelst", unterbrach ich ihn jedoch und sah ihn herausfordernd an.

Er hob die Hände und erwiderte recht spöttisch meinen Blick. „Oh, sorry, ich bin nun mal kein perfekter Andrew", sagte er ironisch und ich stieß daraufhin nur ein genervtes Schnauben aus.

„Darum geht's doch jetzt gar nicht", erwiderte ich und verschränkte augenrollend die Arme vor der Brust.

Ich sah ihn erwartungsvoll an und als er nicht antwortete, wandte ich mich seufzend ab.

„Ich hab zur Zeit echt andere Probleme—", murmelte ich genervt und wollte gerade die gewundene Treppe wieder hinunter steigen.

„Warte, Kit", rief er und wie angewurzelt blieb ich stehen.

Auf dem Absatz drehte ich mich zu ihm um.

Er schluckte schwer, seine Brust hob und senkte sich zittrig, die Worte, die aus seinem Mund stolperten, waren ein einziges atemloses Flüstern, als er leise sagte: „Es fühlt sich gut an." Ich starrte zu ihm hoch, doch dieses Mal tanzten die Sommersprossen auf seiner Nase nicht. „Mit Alicia. Und weißt du, ich denke, es könnte sogar funktionieren, aber immer, wenn wir beieinander sind, ist das alles auf einmal egal und das einzige, was ich will, ist es, dich zum Lachen zu bringen."

Sprachlos sah ich ihn an.

Er machte einen vorsichtigen Schritt auf mich zu. „Glaubst du nicht auch, wir würden es für immer bereuen, es nicht wenigstens versucht zu haben?"

Ich zögerte. „Ich will nicht nur irgendeine deiner Optionen sein", sagte ich dann. „Gerade du bist doch der beste Beweis dafür, dass eine Beziehung für dich anscheinend nicht ernsthaft sein muss."

„Und du hältst so verzweifelt Gefühle von dir fern, von denen wir beide wissen, dass es sie gibt, und belügst uns damit beide", erwiderte er und klang auf einmal unheimlich wütend. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch er fuhr atemlos fort: „Ich hab es ja versucht. Ich hab wirklich versucht, mich von dir fernzuhalten, aber weißt du eigentlich, wie schwer das ist, wenn du wegen der Sache mit Diana ständig bei mir auftauchst?"

Ich blinzelte, war wie vor den Kopf gestoßen. „Du hast gesagt, dass ich deswegen immer zu dir kommen kann", sagte ich vorwurfsvoll und seufzend fuhr er sich durch die karottenroten Haare.

„Ich weiß", sagte er frustriert und sein kantiger Kiefer mahlte unzufrieden. „Das war offenbar ein Fehler."

Um Worte verlegen starrte ich ihn an.

„Du hattest Recht", fuhr er nüchtern fort und schüttelte den Kopf, als hätte er einen schlechten Witz gemacht. „Ich wollte mich von dir ablenken, und ich weiß, dass das alles andere als fair gegenüber Alicia ist, aber—" Er unterbrach sich selbst und zuckte hilflos mit den Schultern.

„Okay, mal angenommen, wir versuchen es", sagte ich atemlos und seine Augen weiteten sich überrascht. „Was ist, wenn es nicht funktioniert? Was ist, wenn du feststellst, dass ich nicht so bin, wie du es dir ganze Zeit über vorgestellt hast, und Alicia doch die viel bessere Wahl war? Ich will nicht, dass es komisch zwischen uns wird."

Er schnitt eine Grimasse. „Das ist es doch schon längst", murmelte er bitter und ich holte tief Luft.

„Aber was, wenn es so viel besser ist, als es je sein könnte, wenn wir wirklich zusammen wären? Verstehst du nicht? Ich will das nicht kaputt machen."

Er kam mir noch näher. „Ich kann dir nicht versprechen, dass es funktionieren wird", sagte er leise. „Aber das Einzige, was ich weiß, ist, dass sich solche Dinge nicht lösen lassen, wenn man nicht darüber redet. So funktioniert das nicht...jedenfalls nicht in meiner Welt."

Ich schluckte schwer. „Ich leb aber nicht in deiner Welt", erwiderte ich schlicht und sofort wich jegliche Farbe aus Georges Gesicht.

„Okay", murmelte er und wich wieder zurück. Die Spannung, die sich zwischen uns aufgebaut hatte, entlud sich in einer einzigen atemlosen Sekunde. Er sah mich traurig an, ich konnte den Ausdruck, der in seinen Augen lag, nicht ganz definieren. „Du bist ganz offensichtlich Lichtjahre von mir entfernt, Kitra Finnley."

Und dann ging er. Einfach so.

Und ich war wieder allein. Mitten in diesem schier unendlich weiten Universum. Zwischen den Sternen. Und der eigentlich nur daumenbreite Abstand wurde wieder größer. Bis die Dunkelheit alles war, was blieb.

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author's note.

Ich glaub, das hier ist mein neues Lieblingskapitel. Obwohl...es gibt so viele Kapitel, die wirklich gute Momente haben. Wie sieht's bei euch aus? Gibt's ein Kapitel, dass ihr bisher am besten fandet?

Kleiner fun fact zu dem kurzen Gespräch wegen dieser ganzen Was-ist-giftig-Geschichte: Ursprünglich wollte ich die englische Formulierung "If you bite it and you die, it's poisonous. If it bites you and you die, it's venomous", als Ausgangspunkt nehmen, dann ist mir aber aufgefallen, dass poisonous und venomous auf Deutsch einfach nur giftig bedeuten, da mir diese darauffolgende Konversation schon viel eher eingefallen ist und ich sie unglaublich witzig finde, habe ich es jetzt so abgeändert. Ich hoffe, das macht Sinn?

Aber jetzt mal ehrlich, was geht hier eigentlich ab? Kit und George treiben mich langsam aber sicher in den Wahnsinn. Wie, glaubt ihr, wird es jetzt zwischen den beiden weiter gehen? Irgendwie wollte ich klar machen, dass Kit nicht damit einverstanden ist, dass George mit ihr flirtet, während er noch mit Alicia zusammen ist.

Meine heutige Frage: Wenn ihr ein Animagus sein könntet, in welches Tier würdet ihr euch dann verwandeln wollen?

Übrigens hab ich letztens den besten Dad Joke aller Zeiten gehört. Hier kommt's:
Ich: Darf ich mir den Stift ausleihen?
Er: Budapest.
Ich: ???
Er: Die Hauptstadt von UNGERN.
WTF? Ich konnt nicht mehr, ngl!

Jetzt habt ihr was zu lachen, ich wünsche euch ein schönes Wochenende!

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