Kapitel 1

Die immer tiefer sinkende Sonne tauchte den Himmel über Livorno in wunderschöne, kräftige Rottöne und während ich die Schnellstraße, den Schildern zum Fährhafen folgend, entlang fuhr, genoss ich das Farbenspiel. Durch das geöffnete Seitenfenster meines Busses wehte mir die laue Abendbrise entgegen und der Geruch nach frisch gefangenem Fisch und Meersalz kroch mir in die Nase. Aus dem Radio klang die sanfte Stimme von Colbie Caillat mit dem Lied „Fallin for you" und vermischte sich mit dem immer wiederkehrenden Hupen der Vespas und Autos, die sich um diese Zeit auf der Straße tummelten. Das Grinsen, welches seit einigen huntert Kilometern auf meinem Gesicht lag wurde immer breiter. Nach wenigen Minuten verließ ich die Schnellstraße und folgte einer Straße entlang durch ein Industriegebiet. Immer wieder brachte der sanfte Wind italienische Wortfetzen von Personen, die sich lautstark am Straßenrand unterhielten und teilweise nichtmal von ihrem Roller abgestiegen waren, mitsich.

Ich bog noch ein paar mal ab, bis ich den Fährhafen erreichte und schon aus der Ferne die rießigen Autofähren erkannte, welche mich auf die Insel meiner Träume bringen würden. Aus den Abgaßrohren der großen Schiffe qualmte es schwarz und ein lautes Brummen, das über die einigigen hundert Meter zu mir rüberschallte, verriet, dass sie abfahrtbereit waren.

Vor mir stockte der Verkehr, denn nur ein paar Auto vor mir kontrollierte ein Italiener mit gelber Warnweste, die Tickets und wies den Menschen dann den Weg zu ihrer Fähre. Als ich an der Reihe war, wurde ich mit einem herzlichen „Ciao Bella" begrüßt. Lachend grüßte ich zurück und hielt dem Mann mittleren Alters mein ausgedrucktes Fährticket, als auch meinen Ausweis, hin. Er scannte es mit seinem Gerät, es pipste zweimal und nachdem er meinen Ausweis abgeglichen hatte, gab er mir alles zurück.

„You have to drive there..."Er deutete auf eine Fähre rechts vor mir und die passende Abzweigung. „Grazie mille!"Bedanke ich mich und der Einweiser verbeugte sich lachend. „Many fun in sardinia!" Ich winkte lachend während ich meinen Bus auch schon auf den richtigen Weg steuerte. Der herzliche Charakter der Italiener war einfach unvergleichlich...

Bevor ich den großen Parkplatz vor der Fähre passieren konnte, wurde ich noch einmal nach meinem Ticket als auch Ausweis kontrolliert und dann nach meiner Fahrzeuggröße in eine passende Reihe zugeordnet. Ich rollte hinter ein altes Hymer Wohnmobil, welches so abgefahren retro aussah, dass ich fast einversüchtig wurde. Ich schaltete meinen alten VW-Bus T4 ab und stieg aus. Während ich mich genüsslich streckte hielt ich für einen Moment mit geschlossenen Augen den Kopf in die untergehende Sonne. Gutgelaunte Stimmen, die meisten Deutsch oder italienisch, drangen in meine Ohren und ich öffnete meine Lider wieder, lies meinen Blick einen Moment über den großen, sich immer weiter füllenden Parkplatz, schweifen. Alle warteten hier, bis sie endlich auf die Fähre durften, die sie in ihren Urlaub bringen würde, genau wie ich. Seit Jahren träumte ich von dieser Reise, dieser Insel und diesem Roadtrip. Eingentlich zwar mit meinen Freunden, doch die hatte Zuhause allesamt der Ernst des Alltages übermannt und niemand von ihnen schien noch fähig wenigstens hiervon zu träumen. Wir waren 19. Gerademal fertig mit dem Abi, doch die wenigsten aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis schien es als wichtig zu erachten zwischen den ganzen Pflichten und Regeln noch zu leben. Ich schüttelte meine negativen Gedanken ab und hüpfte um meinen Bus herum, öffnete die Seitentür und kramte meinen Geldbeutel hervor. Meinen Ausweis steckte ich zurück in den passenden Schlitz bevor ich den Geldbeutel in meine Tasche schmiss, die Tür meines Busses mit einem Schwung zurück in den Rahmen fallen lies und dann abschloss. Ich schlenderte zwischen den parkenden Autos hindruch, hier und da saßen die Leute mit ihren Klappstühlen davor und aßen etwas oder tranken ein Bier und redeten. Vier Kinder spielten mit ihren Vätern auf der noch freien Fläche Fußball und schrien sich lauthals etwas auf italienisch zu. Hier und da Grüßte ich ein paar Menschen, bis ich mein Ziel erreichte. Eine öffentliche Toilette befand sich in der Nähe eines kleinen Eisstandes und so sehr mich das köstliche italienische Eis auch anzog, meine Blase drängte mich zuerst auf die Toilette.

Danach stellte ich mich in die kleine Schlange von Kindern, Erwachsenen und alten Rentnern und lauschte entspannt der eindringlichen Stimme des kleinen Jungen vor mir, der seinem Vater gerade leidenschaftlich von seinem neuen ferngesteuerten Auto, welches er zum Geburstag bekommen hatte, erzählte. Die italienische Musik die von irgendwo herüberwehte lenkte mich ab, denn ich kannte das Lied und summte leise mit. Es war Eros Ramazotti und ich liebte seine Lieder.

„Se continui a sognare così, nessuno di noi avrà più gelato."Ich zuckte vor Schreck zusammen als ich die tiefe Stimme hinter mir hörte und fuhr herum. Hinter mit stand ein rießiger Typ, bestimmt über 1,90 groß, mit dunklen Haaren, die ihm tief in die Stirn fielen und blaue Augen, die so sehr funkelten dass sie unter den schwarzen Strähnen fast unheimlich aussahen. Mein Blick fuhr über die kantigen Gesichtszüge, auf denen sich ein leichter Bartschatten abzeichnete über seinen geschwungenen Mund bis hin zu seinen breiten Schultern. Als ich bemerkte das ich ihn anstarrte räusperte ich mich peinlich berührt und da er mich mit völlig überrumpelt hatte entkam mir nur ein „Was?". Er lachte leise und fuhr sich durch die Haare um die störenden Strähnen aus dem Gesicht zu wischen. „Ich habe gesagt, dass wenn du so weiter träumst, wir beide heute kein Eis mehr bekommen."Vewirrt sah ich erst ihn an, weil er Deutsch sprach, bis der Inhalt seines Gesagten zu mir hindurch sickerte. Noch verwirrter sah ich mich um, bis ich bemerkte, dass die Schlange vor mir schon längst nicht mehr da war und der Junge mit seinem Vater mittlerweile mit einem Eis in der Hand neben dem Wagen standen und genüsslich die süße Creme schleckten. Oh mein Gott, war das peinlich!

„Du hättest auch einfach vorbei gehen können!"Sagte ich schroff zu ihm und er hob entschuldigend die Hände, doch bevor er noch etwas sagen konnte, das es für mich noch peinlicher werden lassen würde, drehte ich mich um und ging auf den Eiswagen zu. Ich bestellte zwei Kugeln Haselnusseis und eine Stratiatella.

„Stessa cosa per me."Ich zuckte erneut zusammen, als seine Stimme erneut ertönte. Der Eismann lächelte freundlich und machte eine zweite Portion des gleichen Eises in eine Waffel. Ich räusperte mich und trat einen Schritt zur Seite, damit der komische Kerl, der vielleicht mitte zwanzig war, besser an den Eiswagen kam, während ich noch in meinem Geldbeutel nach dem passenden Geld kramte.

„Tienti il resto."Es klirrte leise und keinen Moment später wurde mir mein Eis unter die Nase gehalten. Verwirrt sah ich auf und der Kerl grinste mich fast spitzbübisch an und wenn da nicht der etwas düstere Ausdruck an ihm gehaftet hätte, hätte ich es ihm fast abgekauft.

Ich blickte zu dem Eismann, der gerade das Geld in seine Kasse zählte und verstand, was der Typ gemacht hatte. Ich verdrehte die Augen und nahm ohne weiter darüber nachzudenken das Eis entgegen.

„Grazie mille würde ich sagen."

„Prego."Er zwinkerte mir zu und ohne es zu wollen spürte ich wie mein Puls höher schulg. Er trat einen Schritt zur Seite, damit eine Frau mit Kinderwagen sehen konnte, was es für Eis gab und kam mir so für einen Moment gefährlich nahe. Ich schluckte als mich sein Duft für einen Moment einnahm. Er roch nach Salzwasser und Minze worunter sich der Geruch nach Benzin und etwas völlig Eigenem mischte. Kurz wurde mir schwindelig, bis er noch einen Schritt zur Seite machte und mir langsam wieder der salzige und nach Abgasen riechende Geruch der Umluft in die Nase stieg. Ich atmete leise auf, während ich ungewollt einen Schritt zurück machte.

„Wie heißt du?"

„Mmh?"Abwesend sah ich auf und mein Blick draf erneut auf seinen spitzbübischen und doch düstern Blick.

„Spreche ich so schlecht deutsch oder wieso vestehst du mich nicht?"Er sah mich so ernsthaft an, dass ich spüren konnte wie ich rot wurde. Sein Deutsch war bis auf den italienischen Akzent fast fehlerfrei.

„Neinnein, ich war gerade nur mit meinen Gedanken woanders. Ich, mein Name ist Lia."Weil mir die ganze Szene so peinlich war, begann ich mein Eis zu essen, nur um ihn nicht mehr anzuschauen. „Dass du öfter mal abschweifst habe ich schon bemerkt."Nun sah ich doch wieder auf und bereute es sofort. Auch wenn er versuchte sein Lachen zu verstecken, indem er genüsslich sein Eis abschleckte, erkannte ich es und ich mir wurde noch heißer, wenn das denn überhaupt möglich war. „Naja, hier ist auch ein traumhaufschöne Atmosphäre."Ich betonte das traumhaftschön mit Absicht und überspielte so meine Unsicherheit. Sein Grinsen wurde noch breiter aber er nickte zustimmend, während er sich umsah. „Das stimmt... Ich bin Ellian."Er hielt mir seine freie Hand hin und ich wünschte mir nun zum dritten Mal heute im Boden zu versinken. Er hatte nach meinem Namen gefragt und ich hatte einfach vergessen nach seinem Namen zu fragen. Erst als er zwei Schritte auf mich zutrat, sich zu mir herunter beugte und leise, als dürfe es niemand hören, flüsterte: „Dass man in Deutschland so unhöflich ist, habe ich aber anders in Erinnerung."Sein Durft stieg mir erneut in die Nase und brachte mich fast dazu zu vergessen, was er gesagt hatte. Aber nur fast, denn im nächsten Moment schloss sich seine kräftige, raue Hand um die meine und schüttelte sie.

„Hallo Lia, freut mich auch dich kennenzulernen."Reflexartig wollte ich meine Hand zurückziehen, doch er lies sie nicht los. Mein Blick fuhr zu ihm hoch und als er in auf seine glänzenden Augen fielen, wurde mir wirklich schwindelig. Ich räusperte mich.

„Hey Ellian."Er schien zufrieden, denn in seinen Augen funkelte Etwas, doch bevor er mich los lies und einen Schritt zurück trat, meinte ich seinen Daumen, der hauchzart über meinen Handrücken strich, zu spüren. Ich schluckte und schleckte mein Eis ab, das in diesem Moment begann auf meine andere Hand zu tropfen.

„Wohin geht deine Reise?"Er schlenderte langsam über den Parkplatz und ich hatte wirklich keine Ahnung wieso ich ihm folgte.

„Nach Sardinien."Meinte ich trocken. Er warf mir einen Blick über die Schulter zu und ich erkannte das er die Augenbraue hochgezogen hatte. „Ach echt?"

Erstmals folg mein Blick über den Rest seines Körpers und mir fiel auf, dass er eine Motorradhose aus Leder anhatte, als auch passende Stiefel. Sein offensichtlich breiter und trainierter Oberkörper wurde von einem weißen Shirt umhüllt, das auf seiner braungebrannte Haut fast reflektierte. Darunter schimmerten einige dunkle Schatten und auch an seinen Armen erkannte ich auf den ersten Blick mehrere Tattoos.

„Denkst du wirklich ich verrate einem dahergelaufenen Typen, der aussieht wie du wo ich hinfahre, nur damit du mich dann in zwei Tagen überfallen, ausrauben und vergewaltigen kannst?"Ich lachte auf und fragte mich ernsthaft wie er auf die Idee kommen könnte, das ich ihm sagen würde, wo ich hinfahre. Er blieb so abrupt stehen, das ich fast in ihn hinein lief. Er drehte sich um und lachte plötzlich nicht mehr.

„Das denkst du über mich?"Er sah irgendwie fast verletzt aus. Ich schluckte und bekam gleichzeitig ein schlechtes Gewissen. Ich mochte Menschen nicht, die andere von vorne hinein verurteilten. Doch er sah verdammt nochmal wirklich unheimlich aus. Und das sagte ich ihm auch. Genau so. Keine Sekunde später wandere sein Blick an sich hinunter und mir wurde klar das er sich seines Auftretens nicht ganz bewusst war. Dann zuckte er mit den Schultern. „Da hast du auch wieder recht. Naja, vielleicht trifft man sich ja nochmal irgendwann."Er nickte mir zu und schon war er mit eiligen Schritten zwischen den Fahrzeugen verschwunden. Völlig überrumpelt lies er mich stehen und erst mein tropfendes Eis, erinnerte mich daran, dass die Zeit weiter lief. Gedankenverloren leckte ich an der süßen Creme und musste mich dazu zwingen mich nicht mehr nach ihm umzuschauen. Langsam schlenderte ich zu meinem Bus zurück, als ich bemerkte, dass der Bug der Fähre mittlerweile geöffnet war und die ersten Autos über die Rampe hinauf in den Bauch des Schiffes rumpelten. Die Sonne war mittlerweile ganz untergegangen und die Lichter der Fähre leuchteten in den dunkelblaunen Abendhimmel.

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