☁︎ Kapitel 27

Ryan leitet mich seit bestimmt einer halben Stunde blind durch ganz Green Valley. Er meinte das ich den Ort den er mir zeigen will, mit einem Überraschungseffekt sehen soll.

Aber war es wirklich nötig mir die Augenbinde schon vor unserer Wohnung anzubringen?

Ryan ist wirklich sehr eigen.

Und wegen dieser Eigenheit bin ich auch nicht nur einmal fast auf den Boden gefallen weil ich gestolpert bin.

Der Ort soll besser schön sein, sonst lernt er mich wirklich kennen.

Okay, ich würde nichts machen, aber er soll wenigstens etwas Angst bekommen.

Ich bin so böse.

„Ryan!" jammere ich, als ich schon wieder stolpere. „Willst du mich in einen Wald verschleppen und umbringen? Wo zur Hölle laufen wir hin?"

„Jetzt hast du mir aber den Plan ruiniert. Woher wusstest du es?" fragt er ironisch.

Blind will ich nach ihm schlagen. „Wir sind doch schon in einem anderen Land!"

„Wir laufen gerade mal eine knappe halbe Stunde." erwidert er amüsiert.

Ich seufze. „Sport ist nicht so mein Ding."

Er lacht. „Meins auch nicht. Aber siehst du mich wie ein hechelndes Tier schnaufen?"

Empört meine ich „Hör auf mich so aufzuziehen! Das liegt außerdem an der Kälte."

„So kalt ist es auch nicht. Du hast Glück das heute schönes Wetter ist."

Du hast Glück, sonst würde ich meine Krallen ausfahren."

„Oh, das würde ich nur zu gerne sehen. Und spüren."

Ich verdrehe die Augen. „Eine andere Antwort habe ich auch nicht erwartet."

Er tätschelt mir die Schulter. „Du kannst froh sein, das ich die ganzen Materialien nehme und nicht du."

„Ich hätte ja auch etwas nehmen können." sage ich trotzig.

„Musst du eigentlich immer das letzte Wort haben?" fragt er belustigt.

„Musst du mich eigentlich immer dazu bringen das letzte Wort zu haben?"

„Ich sage wohl am besten gar nichts mehr." murmelt er.

Grinsend antworte ich „Eine tolle Entscheidung."

Er pikst mich in die Seite. „Wir sind da, du Biest."

„Wie nett du heute doch wieder bist." Ich lache und nehme die Augenbinde ab. „Wow."

Ich lebe jetzt schon seit Monaten hier, doch diese Stelle habe ich noch nie gesehen.

Wie konnte ich das noch nie gesehen haben?

Vor uns breitet sich ein unendlich weites Meer aus. Wir stehen auf einem Hügel und haben eine atemberaubende Aussicht auf das Wasser welches in gleichmäßigen Wellen in den Sand treibt. Die Nachmittagssonne spiegelt sich im Wasser wider und gibt dem ganzen noch ein Stück weitere Perfektion.

Mir verschlägt es die Sprache.

„Hat es dir die Sprache verschlagen?"

Ich blinzele ungläubig und betrachte es weiter. „Es ist wundervoll. Ich wusste nicht das es hier so etwas schönes gibt."

„Ich komme hier immer her wenn ich nachdenken muss oder alleine sein will. Es ist irgendwie befreiend und heilend."

Lächelnd drücke ich Ryan's Hand. „Danke das du mit mir diesen Platz teilst."

Er hebt eine Augenbraue. „Es ist ein öffentlicher Platz."

Ich lehne mich an ihn. „Du weißt was ich meine."

Sein Arm legt sich um meine Schulter. „Gern geschehen. Ich dachte mir das es dir gefallen wird."

„Ich liebe es."

Er sieht in den Himmel und atmet tief durch. „Es ist so gut."

„Was?"

Seine Schultern heben sich unbeholfen. „Alles. Momentan ist alles so gut. So habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Ich bereue einiges in meinem Leben aber dich damals an der Tür nicht weggeschickt zu haben, war die beste Entscheidung in meinem Leben."

Schüchtern lächele ich. „Wäre ziemlich blöd für mich gewesen wenn du mich weggeschickt hättest."

„Zum Glück habe ich es nicht gemacht. Wenigstens einmal war das Glück auf meiner Seite."

Ich finde es unfassbar schmeichelnd wie er immer über mich redet. Das ist nicht nur dahingeredet um mich zu beeindrucken oder um den Finger zu wickeln.

Er meint jedes einzelne Wort ernst.

Und dafür das er sagt er kann sich schlecht ausdrücken was Gefühle angeht, macht er einen ziemlich beeindruckenden Job.

Manche würden sagen es ist ekelhaft kitschig, aber ich finde das nicht.

Wer würde so etwas nicht von seinem Freund hören wollen?

Ich küsse ihn auf die Wange und setze mich dann in das Gras. „Wollen wir anfangen?"

Er schüttelt sich und setzt sich mir dann gegenüber. „Weißt du schon was du machen wirst?"

Schelmisch grinse ich. „Jap und du?"

Skeptisch blickt er mich an. „Ein bisschen. Ich improvisiere gerne."

Ich öffne den Rucksack mit den ganzen Sachen und lasse sie in's Gras fallen. „Na dann, fang an."

Während Ryan innig nachdenkt und sich seine Idee zusammenbraut, fange ich schon einmal langsam an und zeichne die Umrisse.

Ich habe mich in letzter Zeit oft mit der Frage beschäftigt was Kunst für mich bedeutet und wie ich es am besten ausdrücken soll. Komischerweise habe ich dabei jedes Mal Ryan angestarrt und ich bin mir ziemlich sicher, das dass ein Zeichen war.

Deshalb ist es heute einfach nur perfekt das wir an einem Meer sind. Ich habe nämlich vor Ryan's Körper bis zur Brust zu malen und im Hintergrund das Meer. Das ausschlaggebende ist, das dass Meer die gleiche Augenfarbe wie die von Ryan's Augen hat.

Ein Meer in das man versinken möchte.

Kunst bedeutet für mich nicht nur die Natur und was sie uns alles bietet, sondern auch die Menschen.

Menschen alleine sind schon ein Kunstwerk für sich.

Wo wären wir ohne die Menschheit? Ohne menschlichen Kontakt? Ohne all die großartigen Menschen mit ihren jeweiligen individuellen Ideen und Ansichtsweisen?

Alles ist Kunst. Alles was wir sehen ist es und das soll mein Gemälde verkörpern.

Eine Weile sind wir ruhig und sind vertieft in unsere Arbeit, doch irgendwann fangen wir an zu reden.

Mit Ryan's Frage trifft er mich völlig unvorbereitet.

„Sammy?"

„Ich habe das Gefühl das wenn du mich so nennst du immer etwas von mir willst oder Angst hast." lache ich und zeichne weiter.

„Kann ich dich etwas fragen?"

„Klar." sage ich und trinke einen Schluck Tee aus der Thermoskanne.

„Wo... wo liegt die Grenze beim anfassen bei dir?" fragt er unsicher.

Ich verschlucke mich. „Was?"

Er reibt sich über den Nacken. „Wo liegt die Grenze?"

Ich lege den Kopf schief. „Wie kommst du da jetzt drauf?"

„Es beschäftigt mich schon länger. Ich wollte dich nur nicht bedrängen."

Mein Blick wird weich. „Du darfst mich überall... anfassen."

Ernst sagt er „Nicht überall."

Ich kaue auf meiner Unterlippe. „Mein Rücken ist tabu."

„Der ganze?"

„Ja."

„Okay." Er zögert. „Und ansehen?"

„Nein."

Seine Augen brennen sich in meine und ich kann die Frage auch darin lesen. „Wieso nicht?"

Unwohl nuschele ich „Es... es ist kompliziert."

„Du kannst mir vertrauen, weißt du?"

„Ich weiß. Es ist nur... Ich kann nicht. Noch nicht."

Ich fühle mich so schlecht ihm nicht die Wahrheit sagen zu können. Ich widerspreche jedem Ratschlag den ich Ryan je gegeben habe.

Momentan bin wohl eher ich das Problem.

Er gibt sich wirklich Mühe und versucht sich zu öffnen. Ich will es auch. Ich weiß nicht wovor ich Angst habe. Er würde nichts anderes von mir denken und mich auch nicht angeekelt ansehen. Er würde mich wahrscheinlich nur noch mehr bewundern.

Deswegen liebe ich ihn auch so.

Aber es wäre das erste Mal das ich mit jemanden darüber rede. Es laut sage. Momentan ist es nur in meinem Kopf gespeichert und eine ferne Erinnerung, doch wenn ich es einmal laut ausspreche ist es auf einmal Realität.

Und mit dieser Realität kann ich mich noch nicht auseinandersetzen.

Es wäre besser wenn ich es tue, aber es läuft gerade alles so wie ich es will. Ich will nicht wieder alles durchleben müssen. Darüber nachdenken müssen. Jemanden meinen Schmerz zeigen. Zeigen, das ich gar nicht so stark bin wie ich aussehe. Das ich eigentlich ein kleines, verängstigtes Mädchen bin was schon viel zu jung feststellen musste wie schlimm die Welt ist. Welches sich selbst erziehen musste. Welches selbst erwachsen werden musste. Welches für jeden freien Tag in dieser Welt ein Dankgebet macht.

Ich bin nicht so perfekt wie jeder glauben mag. Ich bin so unperfekt wie man nur sein kann.

Doch wie ich schon oft zu Ryan gesagt habe: Manche verstecken ihren Schmerz besser als andere.

Ich tue es auch.

Denn solange ich ihn ignoriere, ist er auch nicht da.

Ein feiges Verhalten, doch es bringt mich durch den Tag.

Mehr kann ich im Moment nicht machen.

„Hörst du mich, Sam?"

Ich sehe auf. „Was? Ja, nein. Was hast du gesagt?"

Besorgt lächelt er. „Ich habe gesagt, das ich mich freuen würde, wenn du es mir irgendwann anvertrauen würdest. Deine Geheimnisse sind bei mir sicher. Und du auch."

Gott, ich liebe ihn so. „Irgendwann, versprochen."

Es tritt Stille ein. Ich wechsele schnell das Thema um die Stimmung zu heben.

„Du hast mir nie gesagt wer dein Lieblingskünstler ist."

Seine Mundwinkel zucken. „Das liegt daran das ich keinen habe."

„Wie kommt's?"

„Ich achte nicht wirklich auf die Namen. Wenn ich sagen würde diese Person ist mein Liebling wäre das irgendwie falsch. Es gibt so viele brillante Künstler auf dieser Welt dessen Namen wir nicht kennen. Es wäre ungerecht ihnen gegenüber." Er denkt nach. „Ich lasse mich von den Werken einfach nur inspirieren. Wenn mir das Gemälde gefällt, gefällt es mir. Wenn es das nicht tut, dann tut es es eben nicht. Jeder hat seinen eigenen Geschmack. Es gibt kein richtig und falsch. Deshalb bleiben sie für mich lieber namenlos."

Aufrichtig meine ich „Weißt du das du eine sehr tiefgründige Person bist? Du faszinierst mich irgendwie. Deine Gedankengänge sind so... einzigartig und neu. Das bringt einen irgendwie zum nachdenken. Du öffnest neue Sichtweisen auf Dinge. Du siehst und fühlst Dinge die manche nicht einmal wahrnehmen. Du bist eine Inspiration für mich."

Seine Wangen werden rot. „Ich bin Ryan. Mehr nicht."

„Und hinter diesem Namen und Menschen ist so viel was die Leute sich wünschten was sie hätten." Ich deute mit dem Pinsel auf ihn. „Du bist alles."

Verlegen deutet er auf meine Leinwand. „Mach weiter, bevor ich mich noch den Berg runterrolle vor Scham."

Grinsend folge ich seiner Anweisung und lasse ihn für den Moment in Ruhe. Während ich an meinem Gemälde weiterarbeite und ihn zwischendurch ansehe, kommt mir doch eine Frage in den Sinn die mich ebenfalls schon lange beschäftigt.

„Ryan?"

„Lass mich raten, du hast ebenfalls eine Frage?"

Nervös lächele ich und spiele mit meinen Fingern. „Ich will dir aber nicht zu nahe treten."

Stumm fordert er mich auf weiterzureden.

Ich zögere nicht. „Woher ist die Narbe an deinem Nacken?"

Er schluckt hart und meidet meinen Blick.

Ich hätte nicht fragen sollen.

Verdammt, was dachte ich mir nur?

„Tut mir leid. Es ist nur... Sie ist so ungewöhnlich groß. Was auch immer es verursacht hat, muss doch schrecklich weh get—"

Scharf unterbricht er mich. „Ich möchte nicht darüber reden."

„Du willst nie darüber reden."

Ausdruckslos sagt er „Ich tue schon so unglaublich viel um das hier aufrecht zu erhalten und es ist immer noch nicht genug. Ich bin auch nur ein Mensch mit Gefühlen. Bitte respektiere das ich nicht darüber reden will. Ich zwinge dich doch auch nicht, oder?"

„Aber... aber ich will—"

„Du willst das es mir besser geht? Dann lass mich mit dem Thema in Ruhe."

Verletzt sehe ich ihn an. „Du kannst es nicht für immer hinausziehen."

Falsch lächelt er mich an. „Dann fangen wir doch bei dir an. Was ist mit deinem Rücken? Hm?"

Ich verstumme.

Er nickt. „Ganz genau. Du willst nicht darüber reden. Wieso drängst du mich also? Ist dir das momentan nicht genug? Willst du es wirklich kompliziert machen, wenn es einfach sein könnte?"

„Du musst nicht gleich wieder so verletzend werden. Ich mache das alles nur für dich."

Leer blickt er mich an. „Ich will es aber nicht."

Ängstlich frage ich „Was soll das heißen?"

Er wendet den Blick ab. „Das soll heißen, das ich das gerade nicht kann. Ich will meine Ruhe haben."

„Ryan—"

Sein Kopf schüttelt sich. „Nein. Sei bitte einfach ruhig. Sonst sage ich Dinge, die ich später wieder bereue. Arbeite einfach weiter."

Meine Lippe bebt. „Es tut mir leid."

Sein Kiefer zuckt. Doch er schweigt.

Noch lange Zeit.

So lange das ich verzweifelt werde.

Und dumm.

Dinge mache die ich normal nicht machen würde.

Dinge die ich bereuen werde.

Ryan bringt neue Seiten in mir zum Vorschein.

Doch diese Seite hätte lieber im Schatten verborgen bleiben sollen.
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Hello Friends! Ich wünsche euch einen schönen Tag!💗

Aaand they are back! Die beiden hatten aber auch viel zu lange eine schöne Zeit, oder? Was wohl Sam in ihrer Verzweiflung machen wird?🤫💜

✨Hab euch lieb✨

- 𝚠𝚑𝚊𝚝 𝚒𝚏 𝚒 𝚏𝚊𝚕𝚕? 𝚘𝚑, 𝚋𝚞𝚝 𝚖𝚢 𝚍𝚊𝚛𝚕𝚒𝚗𝚐, 𝚠𝚑𝚊𝚝 𝚒𝚏 𝚢𝚘𝚞 𝚏𝚕𝚢? -

Bis im nächsten Kapitel,
Adios, Friends!❤️

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