Seerum
„Du musst nicht verstecken, dass du ihn kennst, dass weiß ich mittlerweile auch.", knurrte Orion regelrecht. „Schließlich hat er dir mein Seerum verabreicht, deshalb hast du auch grüne Augen und es fällt dir schwerer, Menschen Dinge vergessen zu lassen, und deshalb hast du ausserdem diese Narbe, die du, als du bei mir gewohnt hast, noch nicht hattest."
„Das kann nicht sein.", ich antwortete schneller als ich denken konnte. „Ich hatte schon immer grüne Augen, das hast du wohl einfach nur vergessen. Ausserdem, warum sollte ich davon so eine Narbe bekommen!". Jetzt erst schienen die Worte von Orion wirklich mein Gehirn zu erreichen, meine Stimme wurde immer leiser als ich ergänzte: „Ich kann mich noch genau daran erinnern, damals bin ich auf der Straße so einem Typen begegnet..."
„Du scheinst etwas begriffen zu haben, würdest du deinen Gedankengang mit uns teilen? Was ist passiert, als du diesem Typen begegnet bist?", hakte Orion nach. „Warum sollte ich es dir erzählen, du erzählst mir ja auch nicht, was das Seerum mit mir macht!"
„Das ist ganz einfach, du bist nicht in der Position, zu verhandeln. Vielleicht sage ich es dir irgendwann, aber erst, wenn dies nötig sein sollte. Du sagst mir allerdings jetzt was passiert ist,", ich wollte etwas sagen, doch Orion schnitt mir mit einem gefährlichen Lächeln das Wort ab: „Ansonsten werde ich den, ähh, meinen Oblivion dafür bestrafen.", er deutete mit dem Kopf in Lennox Richtung.
Lennox knurrte und ich stöhnte auf. Natürlich bekam Orion immer seinen Willen, wie hatte ich das auch anzweifeln können, aber ich musste ihm antworten, Lennox durfte nicht noch mehr wegen mir passieren!
Also begann ich zu erzählen: „Es war Winter vor ein paar Jahren..."
Jetzt war ich wirklich komplett pleite. Gerade hatte ich mein letztes Geld für ein belegtes Brötchen und ein warmes Getränk ausgegeben, aber mir war einfach kalt gewesen und Hunger hatte ich auch gehabt. Seit ich nicht mehr beim Doktor lebte, war es schwer geworden. Ich hatte zwar bei einem größenwahnsinnigen Massenmörder gelebt, aber wenigstens in einem Haus, einer Villa sogar. Und wenn ich zugeben musste, vermisste ich dieses Haus manchmal, vor allem jetzt, im Winter, wenn sich zwar superschöne, aber auch superkalte Schneeflocken in meinen Haaren verfingen.
Ich hatte aufgegessen und den Becher mit warmem Punsch auch schon längst gelehrt. Jetzt musste ich mich eigentlich wieder ans Geld beschaffen machen, doch ich hatte gerade so gar keine Lust, Leute zu beklauen, es fühlte sich einfach immer noch falsch an. Trotzdem suchte ich mir einen von den vielen glücklichen Menschen um mir herum aus und folgte ihm. Schon kurze Zeit später waren wir nicht mehr in einer Menschenmasse und gingen tatsächlich auf eine weniger belebte Straße zu. Heute hatte ich wohl echt Glück, manchmal konnte so etwas ewig dauern und ich wollte es mir heute so einfach wie möglich machen. Schließlich musste es für etwas gut sein, wenn man nicht gesehen wurde.
Normalerweise war eine Menschenmasse besser als eine kleine Straße, doch ich hatte so etwas schon einmal ausgetestet und mit meiner Oblivioninnenkraft war es überall relativ einfach, solang man nicht die Aufmerksamkeit auf sich zog. Wir waren jetzt wirklich alleine in einer Straße, als wollte dieser Typ mir meinen Willen erfüllen und ich schlich mich an. Während wir gelaufen waren, hatte ich bereits ein Portemonnaie ausfindig gemacht. Jetzt kam der schwierigste Teil, ich ging so nah an den fremden Menschen ran, dass ich ihn geradeso nicht berührte und streckte meine Hand aus. Da drehte sich der Typ zu mir um.
Vor Schreck stolperte ich zwei Schritte nach hinten, wie hatte er mich bemerkt?! Wie hatte er mich überhaupt bemerken können?! Ich blickte den Kerl an und erwartete schon, dass er bereits mit einem Handy gezückt die Nummer der Polizei wählen würde, doch er stand völlig entspannt da, sein Gesicht von der Kapuze seiner JAcke bedeckt, weshalb ich auch nicht deuten konnte, was er dachte.
„Ich wusste, dass du mir folgen würdest, Oblivionin. Endlich habe ich dich gefunden."
Ich war so perplex, dass ich einfach nur dastand und ihn anstarrte, er machte einen Schritt auf mich zu und alles in mir schrie GEFAHR!
Doch ich bewegte mich immer noch nicht, doch als der Typ ganz nah vor mir stand und etwas blitzendes zückte, hatte ich endlich wieder die Kontrolle über meinen Körper. Ich wich zurück und erkannte den blitzenden Gegenstand in seiner Hand, es war kein Messer, wie ich zuerst mit Schrecken gedacht hatte, sondern eine Spritze, gefüllt mit einer dickflüssigen grünen Flüssigkeit.
Ich wollte losrennen, doch mein Angreifer war schneller, er sprang vor mich und versperrte mir so den Ausgang aus der Straße, die, wie ich jetzt erst feststellte, eine Sackgasse war. Nun saß ich endgültig in der Falle.
Langsam kam der Kerl wieder auf mich zu, als wäre ich ein scheues Reh und er wolle mich nur ein wenig beobachten, doch die Spritze in seiner Hand sprach Bände. Ich wich immer weiter zurück, bis mein Rücken gegen die raue Hauswand stieß. Erst jetzt viel mir ein, dass es hellichter Tag war und Menschen unterwegs waren. Ich konnte mich bemerkbar machen, ich musste mich bemerkbar machen! Also fing ich an zu schreien, ich kreischte förmlich drauf los, schrie was das Zeug hielt und versuchte zu erkennen, ob Leute an der Gassse vorbei liefen.
Mein Angreifer fing an zu fluchen und rüttelte an meinen Schultern, meinen Körper durchflutete erneut Angst, doch er schien mich nicht richtig verletzen zu wollen, vor Überraschung verstummte ich. Der Typ hörte auf, mich zu schütteln und hob die Spritze, ich fing wieder an zu schreien und schlug seinen Arm weg. Wenn schreien nicht half, musste ich mich eben auch noch wehren, schließlich war ich eine Oblivionin und müsste das eh können.
Jetzt war ich es, die auf den Typ zu sprang, vor Verwunderung wich er tatsächlich zurück und Hoffnung überkam mich, doch nun begann er sich zu wehren und wir rangelten miteinander, mittlerweile schrie ich nicht mehr, ich musste mich total aufs kämpfen fixieren. Ich versuchte, an ihm vorbeizukommen, doch er drängte mich immer wieder zurück. Als ich einen guten Treffer landete, schrie mein Gegner auf, ich wollte mich schon freuen, doch nun schien er erst endgültig die Geduld zu verlieren und schaffte es, mich auf den Boden zu werfen.
Ich keuchte auf, als ich auf den Boden aufschlug und meinen Kopf durchfuhr ein stechender Schmerz, der Schnee, der auf dem Boden lag, war nicht besonders hoch und so war ich auf den harten Asphalt gefallen. Über mir konnte ich die Hand des Kerls erkennen, in der nun wieder die Spritze lag, die beim Kampf auf den Boden gefallen, allerdings leider nicht zerbrochen war. Erst jetzt konzentrierte sich mein Gehirn auf seine Hand und nicht nur auf die Spritze. Und endlich verstand ich, warum der Typ mich Oblivionin genannt hatte. Er hatte Raffnarben! Das hieß, er kam aus dem Meer.
Der fremde Meermensch beugte sich über mich und ich krächzte, meine Stimme noch rau vom Schreien:
„Was wollen sie von mir? Was ist in dieser Spritze? Warum tun sie das?"
„Das braucht dich nicht zu interessieren."
wurde mir geantwortet und dann bohrte sich die Spritze in meine Haut, doch ich versuchte im selben Moment, mich zu befreien und so schrappte die lange Nadel der Spritze, die schon halb versengt gewesen war, über meine Haut.
Ich schrie auf vor Schmerz und der Meermensch zuckte, anscheinend vor Schreck, zurück. Ich spürte etwas warmes auf der Haut an meinem Hals und in meinen Augen sammelten sich Tränen. Ich blickte zur Seite und sah,
rot
der Schnee an meiner Seite war getränkt von Blut, meinem Blut.
Meine Sicht verschwamm und ich hörte den Typen noch fluchen, dann wurde alles schwarz.
„Das war es, danach bin ich in eine Decke gehüllt und mit einem Verband um Kopf und Schulter irgendwo aufgewacht und ich musste mich erst einmal orientieren, aber ich dachte immer, der Kerl hätte Angst bekommen, hätte mich noch schnell versorgt und wäre dann abgehauen. Ich dachte, das mit der Spritze hätte nicht geklappt und ich hätte verdammt viel Glück gehabt."
Ich schaute Orion nicht an, weil ich seinen triumphierenden Gesichtsausdruck, dass ich ihm auch noch den letzten Rest über mich verraten hatte, nicht sehen wollte, stattdessen blickte ich zu Lennox. Dieser sah traurig, geschockt und wütend aus. Doch in seinem Blick sah ich auch Sorge, was mich nicht nur unfassbar glücklich machte, da Lennox mich anscheinend wirklich schon als seine Schwester betrachtete, sondern mich auch ermutigte, da ich nicht alleine an diesem Ort feststeckte.
„Guut, ich denke mal das war alles.", erinnerte mich die Stimme Orions daran, dass dieser uns nun auch besser zu Dingen zwingen konnte, indem er den anderen bedrohte, was die Ermutigung sofort wieder verschwinden ließ.
„Ich verstehe noch nicht so ganz, was das mit ihrer Augenfarbe zu tun hat.", vernahm ich Jinx Stimme hinter mir, woraufhin Orion aufseufzte und anfing zu erklären, als wäre alles, was er sagte glasklar.
„Ihre Augen müssen die Farbe des Seerums angenommen haben, ein kleiner Nebeneffekt meiner genialen Erfindung, deshalb kann sie Menschen wahrscheinlich auch nicht mehr so einfach vergessen lasse, wie normale Oblivionen."
„Sie ist eine normale Oblivionin.", hörte ich, zu meinem Überraschen, Lennox Stimme neben mir. „Sie wurde nur durch dein verdammtes Seerum verändert.", Dankbarkeit für meinen Bruder kam in mir auf und ich schenkte ihm ein schwaches Lächeln.
„Lennox! Mäßige deinen Ton!", hörte ich den Doktor wieder, fast mit beleidigt klingender Stimme. „Mein Seerum ist, war perfekt.", fügte er hinzu.
„Du erinnerst dich übrigens trotzdem falsch, ich habe schon immer grüne Augen.", griff ich die Frage von Jinx wieder auf, da ich mir Orions Überzeugung wegen der Augenfarbe immer noch nicht erklären konnte. Dieser schüttelte nur seufzend den Kopf, er sah sogar ein wenig enttäuscht aus, und ging kurz zu einem der Tische. Dort öffnete er eine Schublade und kramte darin herum.
Er kam mit einer Kopie meines früheren Personalausweises zurück, woher auch immer er die hatte und hielt sie mir unter die Nase. Nicht nur ich keuchte auf, auch Lennox stieß einen überraschten Laut hervor als er sich ebenfalls über die Kopie beugte.
Auf dem Bild war definitiv ich zu sehen, doch die Person auf dem Bild hatte Azurblaue Augen.
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