6

„Hast du jetzt wen oder ne?" Ich verstehe nicht ganz, ob das eine schlecht formulierte Frage darstellen soll oder einen Aussagesatz, der mit einem Verb beginnt. Mindestens zehn Grammatikwichtel wurden gerade auf die Guillotine gelegt und dann skrupellos geköpft.

Obwohl ich normalerweise einer solchen Ausdrucksweise absolut nichts abgewinnen kann, gefällt es mir irgendwie bei Vio. Es passt so gut zu ihr und macht das Image vom Mädchen vom Lande perfekt, die sehr geschickt mit ihren Händen umzugehen weiß, aber sich nicht darum schert, in welcher Art und Weise sie die Wörter der deutschen Sprache aneinander reiht, sie abkürzt oder gänzlich auslässt. Wenn ich es mir recht überlege, ist Vio eigentlich ganz sympathisch.

„Ich habe niemanden und ich stehe auch auf keinen. Keine Ahnung, irgendwie habe ich bisher noch nicht den Jungen kennengelernt, in den ich mich hätte verlieben können", gebe ich zu. Ich weiß nicht genau, wieso ich ihr mein Herz öffne. Für gewöhnlich erfinde ich immer, dass ich total scharf auf jemanden aus meiner Klasse bin. Vor allem die Leute, die alle Mädchen gerne hätte. Immerhin müssen die ja klasse sein und außerdem fragt dann auch keiner nach, weshalb meine Entscheidung auf diese Person gefallen ist.

Vio gibt mir in keinem Fall das Gefühl, dass sie wegen so etwas über mich herziehen würde.

„Willkommen im Club.", meint Vio nur grinsend. Ihre Mundwinkel umspielt eine gewisse Art von Charme, den ich zuvor noch nie bei einem anderen Meschen gesehen habe.

Sie sieht wirklich niedlich aus, wie sie da neben mir steht, in ihrem Sommerkleid mit den langen, geflochtenen Haaren, die sich direkt an ihren Körper drücken und ihrem Gesicht sehr schmeicheln. Die Sommersprossen auf ihren Wangen scheinen auf und ab zu hüpfen, wenn sich ihre Grübchen bilden. Mir ist noch nie aufgefallen, dass sie so sanft erscheinen kann und sogar ein kleines bisschen kleiner ist als ich.

„Wir haben unseren ersten Kunden", berichtet Vio stolz, während sie ihn bedient. Leider bestellt er auch lediglich ein Glas Limonade, aber besser als nichts. Ihre Augen strahlen dabei und, kaum wendet sie sich mir zu, sprühen diese Freudenfunken auf mich über, die sacht wie Federn auf meiner Haut landen und mich sanft zu kitzeln beginnen. Dabei entsteht ein leichtes Kribbeln in meinem Bauch.

Noch nie zuvor ist mir so etwas widerfahren. Ununterbrochen muss ich grinsen. Ich kann es nicht ändern. Und das ist Vios Schuld. Eine angenehme Schuld, die ich nie wieder von mir nehmen will. Am liebsten wäre ich hoch in die Luft gesprungen, wäre abgehoben und wäre davon gesegelt, während Vio mit ihrer unglaublichen Ausstrahlung unter mir alles zum Glitzern und Leuchten gebracht hätte.

„Siehst schön aus, wenn du mal nicht verbittert guckst oder dieses Fakelächeln aufsetzt." Instinktiv weiß ich, dass dies nur ein Kompliment sein kann.

„Danke", antworte ich und spüre, wie ich sofort erröte. Hastig versuche ich, dies zu verbergen, indem ich mir einfach die Hände vors Gesicht halte. Natürlich fällt dies meinem Gegenüber umgehend auf.

„Warum versteckst du dich? Hast Angst vor mir?"

„Nein! Absolut nicht!", verteidige ich mich noch im selben Moment.

„Warum machst du dann so?" Mit einer etwas unbeholfenen Bewegung macht mich Vio nach. Ich glaube nicht, dass niemand darauf anders hätte reagieren können, als zu lachen.

„Gefällst mir so schon viel besser. Du solltest immer glücklich sein. Ist doch scheiß egal, was die anderen denken, oder etwa nicht?" Mit fragendem Blick schaut sie mir tief in die Augen. Wie magisch von ihr in den Bann gezogen, bleibe ich an ihrer Iris hängen. Sie ist dunkelgrün und breitet ihren Sog immer weiter und weiter aus wie ein unendlich starker Magnet. Am liebsten hätte ich sie umarmt.

„Darf ich,... Darf ich,..." Doch weiter komme ich nicht. Schon hat Vio ihre Arme um mich geschlungen und drückt mich fest an mich. Ihr Herz pocht ruhig und gleichmäßig gegen meine Brust. Langsam schließe ich die Augen. Diesen Moment möchte ich einfangen, in einem Weckglas einschließen und dieses immer wieder öffnen, sollte ich einmal traurig sein. Nie wieder soll er aufhören. Wie wundervoll Vio doch ist. Dieselbe Vio, die ich zuvor gemieden hatte.

Dies ist eindeutig die wundervollste Umarmung meines gesamten Lebens.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top