《• 9 •》
"Willst du mich eigentlich verarschen?", frage ich ihn wütend. "Oder weißt du wirklich nicht, was mein Problem ist?"
Naels Augen weiten sich beinahe erschrocken bei dem ungewöhnlichen Ton, den ich anschlage.
"Gestern bin ich bei dir, du redest von unserer Zukunft und bekniest mich, dir eine Chance zu geben und heute flirtest du vor meinen Augen mit Selma?"
Nael fällt alles aus dem Gesicht. Der schöne Junge mit den großen, braunen Augen und dem frisch gestutzten Undercut hat sich offensichtlich nach der Schule umgezogen und trägt nun eine schwarze Basketballshorts mit einem passenden Trikot der Chicago Bulls.
"Ich soll bitte was getan haben? Mit Selma geflirtet? Spinnst du, Shalia?", protestiert er und richtet sich auf dem schwarzen Ledersofa auf.
"Selma ist deine Freundin, deshalb war ich nett zu ihr, mehr nicht. Kaum zu glauben, dass du mir das jetzt so scheiße auslegst", schimpft er voller Empörung und schüttelt verständnislos den Kopf.
"Sie ist nicht mal meine Freundin, aber schon gar nicht deine."
"Ne, ich will sie auch gar nicht zur Freundin. Ich will nur dich."
Im Bruchteil einer Sekunde verraucht ein großer Teil meiner Wut durch Naels Worte und weicht dem wohlig warmen Gefühl in meinem Bauch.
"Deshalb hast du auch deine Mütze für sie abgenommen und mit ihr über deine Frisur diskutiert und wie süß du mit den längeren Haaren aussiehst, richtig zum durchwuscheln", äffe ich Selma aufgebracht nach.
"Das hat sie doch gesagt und nicht ich. Ich habe ihr einfach nur freundlich geantwortet. Für ihre Anmache kann ich nichts, wichtig ist doch nur, dass ich nicht darauf eingehe."
"Bist du aber", gebe ich trotzig zurück.
"Bin ich überhaupt nicht", hält Nael entschlossen dagegen. Sein markanter Kiefer verhärtet sich und seine honigbraunen Augen funkeln wütend. "Das ist nicht fair, was du mir da unterstellst. Warum bist du so eifersüchtig? Ich habe dir gestern mein Herz vor die Füße gelegt, ich verrate meinen besten Freund wegen dir, weil ich dich so sehr will und dann gehst du bei so einer Kleinigkeit an die Decke? Wovor hast du Angst, Shalia?"
Ich schlucke hart. "Davor, mich richtig doll in dich zu verlieben und dann von dir verletzt zu werden", antworte ich schneller, als ich denken kann und beiße mir sofort auf die Zunge.
Naels Gesicht wird weicher und er rutscht ein wenig zu mir auf. "Ich kann dir nicht versprechen, dass ich dich nie verletzen werde, selbst dann nicht, wenn ich mein Bestes gebe, aber ich werde dein Vertrauen in mich bestimmt nicht so leichtfertig für ein anderes Mädchen aufs Spiel setzen."
Zaghaft greift er nach meiner Hand und umschließt sie liebevoll mit seinen langen, schlanken Fingern.
Erneut kribbelt meine Haut unter seiner Berührung und ich staune, welch magische Wirkung er plötzlich auf mich hat, nachdem ich all die Jahre schon so eng mit ihm befreundet war.
Von heute auf morgen hat Nael meine ganze Welt auf den Kopf gestellt und vielleicht war das ein bisschen viel für mich.
"Es hat mich verletzt, dich mit ihr lachen zu sehen, dabei kenne ich mich so gar nicht", gebe ich zu und sehe beschämt zu Boden.
"Ich wollte nur höflich sein, Habibti", beteuert er, legt den Kopf schief und streichelt mit seinem Daumen sanft über meinen Handrücken.
Habibti. Meine Geliebte.
Ein warmer Schauer läuft mir den Rücken herunter.
"Das hat Yara auch gesagt", stimme ich ihm zähneknirschend zu.
"Hast du ihr von uns erzählt?", hakt er überrascht nach, zieht eine Augenbraue hoch und legt den Kopf schief.
Ich nicke schweigend.
"Ich bin neidisch auf dich. Ich wünschte, ich könnte meine Freude auch mit meinem besten Freund teilen."
"Du kannst es ja mal versuchen", antworte ich frech und strecke ihm die Zunge raus.
"Ich glaube, das würde für dich genauso ungemütlich werden wie für mich, Madame", entgegnet er mit selbstsicherem Grinsen. "Vielleicht lege ich bei Faiz Beichte ab", grübelt er lautstark.
"So lange er Kinan nichts davon erzählt, ist mir das egal. Dem wäre es nämlich ein Vergnügen, mich bei Zayn zu verpfeifen."
"Lass mal jetzt nicht über unsere Brüder reden", fordert Nael und überbrückt die letzte Distanz zwischen uns. Er schließt mich in seine Arme und zieht mich eng an seine Brust. "Das ist nämlich verlorene Zeit. Lass uns lieber über uns reden. Das ist es doch, was zählt."
Ich schmiege mich an ihn und vergrabe mein Gesicht in seiner Halsbeuge. Nael streicht sanft durch meine Haare.
"Ich wollte dich wirklich nicht verletzen, Shalia. Es tut mir leid, wenn du dich meinetwegen unwohl gefühlt hast. Ich werde nächstes Mal noch besser aufpassen, wie ich mit Selma oder anderen Mädchen rede", spricht er leise. "Nur bitte rede mit mir, wenn dich etwas stört, sonst kann ich nichts daran ändern."
Ich hebe meinen Kopf ein wenig an, um ihm in die Augen sehen zu können. "Tut mir leid, dass ich so einen Stress gemacht habe. Ich muss noch lernen, mit diesen neuen Gefühlen umzugehen", gebe ich beschämt zu.
Verstehend nickt Nael. "Geht mir genauso."
"Eine Sache liegt mir noch auf dem Herzen", beginne ich vorsichtig. Er betrachtet mich aufmerksam und drückt sanft meine Hand um mir zu bedeuten, mich ihm anzuvertrauen.
"Ist das mit uns exklusiv oder willst du noch andere Mädchen treffen?"
Nael sieht mich erstaunt an und scheint sich kurz zu fragen, ob ich ihn veralbere. "Natürlich ist das mit uns exklusiv. Wir sind zusammen. Ich will keine anderen Mädchen treffen, Shalia, ich will nur dich. Was hast du denn für komische Gedanken in deinem Kopf?"
Wir sind zusammen.
Unsicher beiße ich mir auf die Unterlippe. Nael streicht mit seinem Daumen sanft über meinen Mund und legt den Kopf schief.
"Ich meine es ernst mit dir", raunt er so leise, dass seine dunkle Stimme mir die Haare im Nacken aufstellen lässt. "Ich habe es mir nie eingestanden, weil ich immer dachte, dass das eh nicht klappen kann, aber im Grunde meines Herzens weiß ich schon lange, dass du die eine für mich bist."
Meine Augen werden feucht und mein Herz schlägt aufgeregt in meiner Brust. Anstatt zu antworten überwinde ich all meine Ängste und Bedenken, lehne mich vor und presse meine Lippen kurzentschlossen auf Naels.
Er wirkt zunächst überrumpelt von meiner plötzlichen Offensive, doch dann legt er eine Hand an meine Wange und erwidert den Kuss sanft.
Einige Sekunden pressen wir beinahe regungslos vor Aufregung unsere Lippen aufeinander, bevor wir uns wieder voneinander lösen.
Beschämt über meine nicht vorhandene Beherrschung senke ich den Blick auf meine Hände, doch Nael lächelt mich selig an. "Das war wirklich schön", flüstert er leise.
Wir belassen es für heute bei diesem einen emotionalen Kuss, genießen noch ein wenig die Nähe des jeweils anderen und entscheiden dann, auch hoch in den Außenbereich des JuZe zu gehen, um die Sonne noch ein wenig zu genießen und Yara Gesellschaft zu leisten.
"Es wird mir schwer fallen jetzt wieder die Finger von dir zu lassen", raunt Nael mir ins Ohr, während er dicht hinter mir die Treppen hoch läuft.
"Pscht", zische ich lachend und lege mir den Zeigefinger auf den Mund.
Kurz legt Nael mir die Hand auf den unteren Rücken, bevor wir wieder das Tageslicht erblicken und Seite an Seite durch den großen Saal schreiten.
"Wann kommt Zayn?", erkundige ich mich. "Müsstest du das nicht wissen? Du bist doch seine Schwester", kontert der schöne, junge Mann mit einem schelmischen Lachen auf den Lippen.
"Ich glaube, dass er so um 19 Uhr hier auftauchen müsste."
Nael schielt auf seine Armbanduhr. "Wir haben 19:27 Uhr."
Erschrocken fahre ich zu ihm herum. "Waren wir jetzt eine ganze Stunde da unten? Oh Gott, hoffentlich ist er noch nicht da."
Wir treten durch die Metallverstärkte Glastür nach draußen. Die Sonne hängt schon ziemlich tief am Himmel und färbt die Umgebung langsam orangerot. Es ist noch immer warm, die Hitze flimmert in der Ferne über dem Asphalt der Hauptstraße und ich folge Nael zu der großen Wiese mit den zahlreichen Liegestühlen. Ich halte nach meiner blonden Freundin Ausschau und brauche ein bisschen, bis ich sie unter einer Birke entdecke, die großzügig Schatten spendet. Sie liegt entspannt in einem roten Liegestuhl, links neben ihr Jibrail und Essad und rechts von ihr Selma.
"Oh nein", stöhne ich leise. Nael scheint zu sehen, was ich entdeckt habe und zuckt entschuldigend mit den Achseln. "Ich habe sie nicht eingeladen", antwortet er und hebt zwei Finger zum Schwur, woraufhin ich die Augen verdrehe.
Wir laufen gemeinsam zu unseren Freunden und grüßen halbherzig in die Runde.
"Warte, ich hole uns Stühle", bietet Nael fürsorglich an. Yara schenkt mir einen eindringlichen Blick, auf ihren Lippen ein verhaltenes Lächeln.
"Wo wart ihr die ganze Zeit?", fragt Essad kritisch und mustert mich mit zusammengezogenen Augenbrauen. Der sportliche Jugendliche ist mit 1.90 m der größte aus der Clique. Nicht nur deshalb, sondern auch wegen seines dichten, schwarzen Vollbarts wirkt er deutlich älter als Zayn, Nael und Jibrail.
"Im Studio unten. Nael wollte mir was zeigen", antworte ich, weiche seinem Blick jedoch aus. Zu groß ist die Gefahr, mich mit einem unsicheren Blick in seine Augen zu verraten.
"Habe ich dir doch gesagt", kommentiert Yara triumphierend und boxt dem großen Palästinenser leicht vor den muskulösen Oberarm.
Eigentlich würde Essad genau in Yaras Beuteschema passen. Wieso ist mir das vorher noch nie aufgefallen? Ich muss sie bei der nächsten Gelegenheit mal darauf ansprechen.
Nael stellt einen blauen Liegestuhl gleich neben Yara, einen gelben für sich neben seine beiden Freunde.
"Du warst also doch beim Friseur?", fragt Selma, die ich bis dato konsequent ignoriert habe, plötzlich an Nael gerichtet. Ich fahre zu ihr herum und werfe ihr einen so vernichtenden Blick zu, dass sie ängstlich mit den Augen blinzelt.
"Offensichtlich", antwortet Nael ohne jegliche Mimik, nahezu ohne ihr einen Blick zu wenden und dreht sich abweisend zu Essad und Jibrail. "Ist Zayn noch nicht da?"
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Meine Lieben,
Wie fandet ihr das Gespräch unserer beiden Turteltauben?
Komisch, wie Essad reagiert, oder? Woran könnte das liegen?
Und was sagt ihr zu dem Schluss?
Alles Liebe,
A.
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