《• 8 •》
"Bin jetzt fertig mit Haare schneiden. Soll ich dich gleich Zuhause abholen, Shamsi? Dann musst du nicht alleine zum JuZe laufen."
Ich kämme gerade meine langen Locken, um sie mit einer Spange hochzustecken, als meine Musik von der WhatsApp Benachrichtigung unterbrochen wird.
Erneut wische ich die Nachricht trotzig weg und widme mich wieder meiner eigenen Frisur. Soll er doch Selma abholen und das Gespräch über seinen Haarschnitt mit ihr fortsetzen.
"Schaffst du 16 Uhr in den Neukölln Arcaden?", folgt wenig später eine Nachricht von Yara. Ich habe mein leichtes Makeup ein wenig aufgefrischt und mich umgezogen. Da es heute so drückend heiß in Berlin ist, habe ich mich für ein knielanges, schwarzes Bodycon Dress entschieden, dass meine Figur perfekt in Szene setzt.
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass bis dahin noch eine gute halbe Stunde Zeit bleibt.
"Locker", antworte ich daher und wandere vom Bad in mein Zimmer. Ich nehme eine kleine, schwarze Umhängetasche mit Henkel aus silberner Kette und packe meinen Schlüsselbund, mein Portemonnaie und einen Lipgloss hinein.
Ich bekomme jeden Monat 50€ Taschengeld von meinen Eltern, gebe aber nur selten was davon aus und spare lieber. Für Kleidung und Schuhe bekomme ich oft sogar noch zusätzlich Geld, wofür ich den beiden sehr dankbar bin. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist, doch da meine beiden ältesten Brüder bereits arbeiten gehen und ihr eigenes Geld verdienen und Zayn fürs Fußball spielen Geld bekommt, bleibt mehr für mich übrig.
Pünktlich um 16 Uhr hetze ich durch den Südeingang der Arcaden und eile zu dem kleinen Bubbletea Store, an dem ich mich mit Yara verabredet habe.
Schon von weitem sehe ich sie in ihrer weißen Shorts und dem rosanen Oberteil und winke ihr zu. Wir umarmen uns zur Begrüßung, ehe sie entschuldigend fragt: "Was willst du trinken? Ich habe schon bestellt, ich hatte so einen Durst."
Ich lasse meinen Blick über die Karte fliegen und entscheide mich für eins der Trendgetränke mit schwarzem Tee und Mango-Maracuja-Geschmack.
"Hat Nael sich nochmal gemeldet oder hast du ihm geantwortet?", erkundigt meine Freundin sich vorsichtig, während wir wenig später Seite an Seite durch das belebte Einkaufszentrum flanieren.
Ich nehme einen Schluck des eisgekühlten Tees durch den breiten, durchsichtigen Strohhalm und zerdrücke eine der orangefarbenen Fruchtperlen mit der Zunge an meinem Gaumen.
"Er hat vorhin nochmal geschrieben, aber ich habe ihn bis jetzt ignoriert", antworte ich. Meine Enttäuschung über sein Verhalten sitzt einfach zu tief.
"Was denn?", hakt Yara nach und schiebt mich sanft aber bestimmt in den Zara Store, an dessen Schaufensterscheiben plakativ die vier magischen Buchstaben SALE prangen.
"Er hat gefragt, ob er mich abholen soll, damit ich nicht alleine laufen muss", antworte ich seufzend.
"Eigentlich voll süß", kommentiert sie versöhnlich und sieht mich eindringlich an.
"Eigentlich", wiederhole ich und ziehe einen Schmollmund.
"Du solltest wenigstens mit ihm reden. Sag ihm, dass dich sein Verhalten verletzt hat. Ich bin mir sicher, dass das nicht seine Absicht war. Er hat sich da nichts bei gedacht. Er hat doch genauso wenig Erfahrung wie du."
Schweigend nicke ich und lasse ihre Worte auf mich wirken.
"Außerdem kennst du Nael doch. Er ist klug, aber er ist introvertiert und Smalltalk ist nicht gerade seine Stärke. Er hat seine ausgewählten Leute, die er gut kennt, bei denen er er selbst sein kann, doch ansonsten ist er total zurückhaltend und in sich gekehrt."
"Wäre er das bei Selma heute auch mal gewesen, aber da hat er dann plötzlich wie durch Zauberhand seine lockere Seite entdeckt", kommentiere ich zähneknirschend.
"Ich schwöre dir, der wollte einfach nur nett sein, weil er sie für deine Freundin gehalten hat. Der hat nicht damit gerechnet, dass sie ihn mit ihrer Art direkt in einen Flirt verwickelt. Sei nicht so nachtragend, Maus. Ihn jetzt so zu ghosten ist unfair."
"Ich weiß ja, dass du Miss Harmony bist, aber seit wann nimmst du einen Typen so in Schutz? Wenn es um deine eigenen Verehrer geht, gehst du viel härter mit denen ins Gericht", entgegne ich provokant und nehme eine knallpinke Seidenbluse vom Ständer. Bedächtig lasse ich den glatten Stoff durch meine Finger gleiten.
"Weil das alles Schwachmaten sind, die mich nur flachlegen wollen, aber Nael ist nicht so. Ich kenne ihn selbst seit Jahren, er ist einer von den Guten und er mag dich aufrichtig, das hat er immer schon getan. Gib dir einen Ruck. Antworte ihm und lass uns gleich auf dem Rückweg noch einen Abstecher ins JuZe machen."
Überrascht hebe ich den Kopf und sehe geradewegs in ihre hellblauen, strahlenden Augen.
"Siehst du das wirklich so?", hake ich verunsichert nach.
"Sonst würde ich das nicht sagen. Hab ich dich jemals angelogen?", fragt sie herausfordernd. "Ich würde dich bestimmt nicht noch bestärken, wenn ich denken würde, dass er nicht gut für dich ist."
Gedankenverloren hänge ich die Bluse wieder zurück und betrachte stattdessen ein bunt gestreiftes Sommerkleid. "Ich schreibe ihm gleich mal", versichere ich.
Doch dazu kommt es nicht, denn eine knappe Stunde später, als wir uns gerade durch die prall gefüllten Wuhltische bei H&M kämpfen, klingelt mein Handy.
"Nael", informiere ich Yara, die mich fragend mustert. "Geh dran", fordert sie mich auf und nickt mit ihrem Kopf in Richtung des vibrierenden Smartphones.
Ich nehme den Anruf zögernd an und frage: "Hallo?"
"Shalia, alles okay?", erkundigt er sich. Seine Stimme klingt besorgt.
"Geht", antworte ich einsilbig.
"Wo bist du? Wieso hast du mir die ganze Zeit nicht geantwortet?"
"Ich bin mit Yara in den Arcaden shoppen", gebe ich reserviert zurück.
"Ich dachte, du wolltest ins JuZe kommen. Hab die ganze Zeit darauf gewartet, dass du dich meldest."
"Ich komme gleich, dann können wir reden, okay? Will das jetzt nicht am Telefon machen", schlage ich vor und werfe meiner besten Freundin einen Blick zu, der fragt, ob das für sie okay ist und den sie sofort eifrig nickend beantwortet.
"Bist du sauer auf mich?" Langsam scheint ihm ein Licht aufzugehen.
"Wir reden gleich. Sind ungefähr in einer Stunde da. Bis dann", verabschiede ich mich und lege auf, ohne auf seine Antwort zu warten.
Aufmunternd tätschelt Yara meinen Arm. "Hast du gut gemacht, ich bin stolz auf dich. Dann lass uns noch schnell bei den Accessoires gucken und bezahlen und dann fahren wir zum JuZe."
Ich nehme ein goldfarbenes Fußkettchen mit Muscheln, ein fliederfarbenes Oversizeshirt mit Graffitischrift, einen schwarzen Fischerhut und eine Radlerhose mit.
Bepackt mit diversen Papiertüten nehmen wir noch jeder auf dem Weg ein Pizzastück von einem Imbiss mit und essen es auf dem Weg zur Bahn. Der fettige Snack mit Käse und Thunfisch liegt mir danach schwer im Magen, wobei mein Unwohlsein auch an der Nervosität wegen des bevorstehenden, unangenehmen Gesprächs mit Nael liegen könnte.
Die kurze Bahnfahrt verläuft größtenteils schweigend, sodass ich Raum für meine eigenen Gedanken habe.
Habe ich überreagiert und Nael Unrecht getan?
Habe ich überhaupt das Recht dazu, eifersüchtig zu sein? Sind wir jetzt eigentlich wirklich zusammen oder lernen wir uns nur ganz unverfänglich kennen? Ist das Ding zwischen Nael und mir exklusiv oder will er sich auch andere Mädchen warmhalten?
Als wir an der Haltestelle Hermannstraße unsere Tüten aufsammeln und aus der stickigen U-Bahn steigen, schlägt uns wieder eine regelrechte Hitzewand entgegen.
Es ist Sommer in Berlin und dieser Sommer kommt erbarmungslos daher. Die Hitze flimmert über dem grauen Asphalt, die Sonne treibt die Leute regelrecht vor die Tür wie der Bauer sein Vieh auf die Weide.
Auf den Bürgersteigen vor den zahlreichen kleinen Restaurants und Imbissen sitzen die Leute und essen, trinken, lachen und haben eine gute Zeit. Selbst die orientalische Shishabar hat einen Großteil ihrer Tische und Stühle rausgestellt und den angrenzenden Parkplatz kurzerhand in einen Außenbereich umfunktioniert.
Die Neuköllner tragen kurze Hosen und Kleider, Sonnenbrillen im Gesicht und Badeschlappen an den Füßen. Alle sind besser gelaunt, dunkler gebräunt und der ganze Kiez ist lebendiger.
Wir laufen die breite Hauptstraße entlang, aus den vorbeifahrenden Autos dröhnt Musik und Yara hakt sich zufrieden bei mir ein.
"Könnte doch nur immer Sommer sein", seufzt sie und wedelt sich mit der Hand ein wenig Luft zu.
"Das wäre schön. Ich würde Berlin noch ein bisschen mehr lieben als eh schon."
Es sind nur wenige Minuten Fußweg bis das Jugendzentrum in unserem Blickfeld auftaucht. Der graue Bau, den schon vor Jahren mehr oder minder talentierte Jugendliche mit Graffitis besprüht haben, mit dem riesigen Spielplatz vor der Tür und den bunten Rollos an den Fenstern ist wie ein Zuhause für Nael, Zayn, Yara und mich und für viele andere Jugendliche in diesem Viertel.
Es ist unser Safe Space, indem jeder sein kann wie er will. Ob Schwarz oder weiß, ob Christ, Moslem oder Jude, von den Grundschülern bis zu den Azubis, ob homo-, hetero- oder transsexuell. Hier kommen alle zusammen und für jedes Problem haben die Mitarbeiter und Sozialpädagogen zumindest ein offenes Ohr und meist auch eine Lösung.
In dem angeschlossenen Außenbereich mit den vielen, farbenfrohen Liegestühlen, Tischtennisplatten und einem riesigen Klettergerüst halten sich bei dem grandiosen Wetter viele Besucher auf. Ich lasse meinen Blick über die geräumige Freifläche schweifen, kann Nael jedoch nirgendwo entdecken.
"Ich gehe mal rein und suche ihn", informiere ich meine Freundin. "Mach das, ich bleibe hier draußen und fläze mich ein wenig in die Sonne", grinst sie. "Du weißt ja, wo du mich findest."
Ich drücke ihr noch einen Kuss auf die Wange und mache mich dann auf ins Innere des JuZe.
Der große Hauptbereich ist wie ausgestorben. Neben den zwei Jugendlichen, die an der Bar arbeiten, sind nur zwei Mädels auf einem Sofa am quatschen und zwei Jungs am Billardtisch, um eine Runde die Kugeln zu stoßen.
Ich steuere wohlwissend auf das Treppenhaus zu und nehme mit klopfendem Herzen die Stufen in den Keller. Die stählerne Brandschutztür lässt sich heute noch schwerer öffnen als sonst. Unsicher stecke ich den Kopf durch die Tür und sehe Nael auf der schwarzen Ledercouch sitzen, in der Hand einen Bleistift und vor sich ein vollgekritzeltes Blatt Papier.
Er schaut genauso unsicher wie ich mich fühle und schenkt mir ein verhaltenes Lächeln. "Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr."
"Wollte ich auch erst nicht", antworte ich ehrlich und lasse die schwere Tür hinter mir ins Schloss fallen.
"Was ist denn los? Habe ich dir was getan?", fragt er beunruhigt und legt das Blatt und den Stift auf den abgenutzten, quadratischen Ikeatisch vor sich.
Ich laufe auf ihn zu und nehme mit einigem Abstand neben ihm Platz auf dem dunklen Sofa.
"Willst du mich eigentlich verarschen?"
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Meine Lieben,
Was sagt ihr zu Yaras Worten?
Und wie wird das Gespräch zwischen Nael und Shalia wohl verlaufen?
Alles Liebe,
A.
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