《• 6 •》
"Endlich! Ich warte schon seit Stunden auf dich. Ich will alles wissen. Erzähl mir jedes noch so kleine, schmutzige Detail", dringt es neugierig und aufgeregt aus dem Hörer meines Handys.
Schmunzelnd laufe ich die lange Hauptstraße entlang, auf der auch am frühen Abend reges Treiben herrscht.
Schweren Herzens hat Nael sich davon abbringen lassen, mich nachhause zu begleiten. Es ist noch hell, mein Heimweg belebt und die Gefahr zu groß, dass wir gemeinsam gesehen werden.
Um trotzdem Unterhaltung zu haben, habe ich meine beste Freundin angerufen, die offensichtlich Zuhause schon mit den Hufen scharrt.
"Lass mich nicht betteln, Shalia", quengelt sie ungeduldig. "Wie war es? Was hat Nael gesagt? Was wollte er mit dir bereden? Ist es das, was ich denke?"
Ich schiebe mir ein Kaugummi in den Mund und blinzele lächelnd in die Sonne. Einen Moment will ich die Neugier meiner Freundin noch voller diebischer Freude ausnutzen.
"Es war wirklich schön, Yara", beginne ich dann zu schwärmen. Aus meinem Rucksack hole ich meine AirPods und verbinde sie mit meinem Handy, um entspannter mit ihr zu telefonieren.
"Er hat mir gestanden, dass er sich in mich verliebt hat", erzähle ich verlegen und stecke mein Handy in den hohen Bund meiner Leggings. Selbst jetzt, wo ich es ausspreche, kommt es mir immer noch total surreal vor.
"Aaah", quietscht Yara und klatscht begeistert in die Hände. "Ich hab's dir doch gesagt. Ich habe gesagt, ihr werdet heiraten und unmenschlich schöne Kinder kriegen."
"Immer langsam", bremse ich sie lachend aus. "Wir wollen uns erstmal heimlich treffen und schauen, wo das ganze hinführt."
"Bist du denn auch in ihn verliebt?", fragt sie euphorisch.
Unweigerlich schleicht sich ein Lächeln auf meine Lippen, als ich an Nael denke. "Ich weiß nicht. Ich bin gerne mit ihm zusammen. Seine Nähe ist schön, er bringt mich immer zum Lachen und irgendwie gibt er mir Frieden", schwärme ich.
"Wenn das kein ja ist, weiß ich auch nicht", beschließt Yara zufrieden. "Ich freue mich wirklich für dich. Jetzt müssen wir nur noch einen zukünftigen Ehemann für mich finden."
"Du willst doch gar nicht heiraten", entgegne ich empört.
"Doch.. Irgendwann mal.. Vielleicht."
Wir lachen beide. Yara hatte schon die ein oder andere Schwärmerei, hat auch schon mit Jungs geknutscht, doch eine richtige Beziehung hatte auch sie noch nicht. Sie kann sich nicht festlegen, was vielleicht auch daran liegt, dass ihr bisher nur Flachpfeifen begegnet sind.
"Ich bin jetzt Zuhause Yara, ich melde mich später nochmal bei dir", informiere ich meine beste Freundin, ehe wir uns verabschieden und das Gespräch beenden.
Als ich die Wohnung betrete, sitzen meine Mama, Kinan und Lamiya am Esstisch und essen. Mama hat gekocht; es gibt Reis, libanesisches Fladenbrot und ein Lammgericht aus dem Schmortopf mit Paprika und Kichererbsen.
"Shalia", ruft meine kleine Schwester begeistert und rennt mir in die Arme. Ich umarme sie, küsse auf ihren Scheitel und kneife ihr leicht in die runden Pausbäckchen.
Nachfolgend begrüße ich auch die anderen beiden und meine Mutter häuft mir eine viel zu große Portion Essen auf einen der weißen, quadratischen Teller.
"Was geht, Shalia?", erkundigt sich Kinan grinsend, neben den ich mich setze. Seine kleinen Locken, die er heute Morgen noch so sorgfältig mit Schaumfestiger in Form gezupft hat, hängen nass von seinem Kopf. Nach der Arbeit hat er wie üblich geduscht und seinen Blaumann gegen einen kuscheligen Jogginganzug getauscht.
"Nichts, ich bin müde", antworte ich stumpf und schiebe mir etwas Reis auf meinen Löffel.
"Was hast du heute gemacht, dass du jetzt erst nachhause kommt?", hakt er nach und nimmt etwas Sauce mit einem Stück Brot auf. "Dein siamesischer Zwilling ist ja schließlich beim Training."
Unsere Mutter grinst schief und stößt ihm leicht vor den Oberarm. "Warum musst du die beiden immer ärgern? Ich habe mir immer gewünscht, dass meine Kinder so eine gute Beziehung zueinander haben."
"Ich habe auch eine gute Beziehung zu Lounis", protestiert er grimmig. "Trotzdem habe ich mein eigenes Leben und bin nicht sein Schatten."
"Ich bin auch nicht Zayns Schatten, Kinan. Wenn Mama und Baba mir mehr Freiheiten geben würden, würde ich auch mehr alleine machen, glaub mir das mal", zicke ich zurück.
"Ach ja, was würdest du denn dann machen?", fragt er herausfordernd und zieht grinsend seine linke Augenbraue hoch. "Willst du feiern gehen oder was?"
Unser Gespräch wird jäh unterbrochen, weil die Wohnungstür aufgeht und Zayn hereingeschlurft kommt. Achtlos schmeißt er seine Fußballtasche in den Flur, da schreit Kinan schon nach ihm. "Zayn, taeal huna", fordert er ihn auf Arabisch auf zu uns zu kommen.
Zayn folgt der Aufforderung unseres Bruders und lässt sich neben Lamiya auf den Stuhl mir gegenüber fallen, die sich gleich liebevoll an ihn schmiegt.
"Shu?", fragt er und schmachtet so hungrig auf meinen Teller, dass unsere Mutter schmunzelnd aufsteht und ihm den Geräuschen nach zu urteilen ebenfalls sein Abendessen anrichtet.
"Deine Schwester will feiern gehen", wirft Kinan provokant in den Raum.
"Spinnst du, Kinan? Das habe ich nie gesagt!", protestiere ich. Zayn sieht mich fragend an. Ich seufze und lege meine Gabel auf den Tellerrand. "Kinan meinte, dass ich dein Schatten bin und ich habe ihm lediglich erklärt, dass ich gerne mehr alleine machen würde, wenn Mama und Baba mich lassen würden.".
"Seit wann stört dich das? Ich dachte, du bist gerne mit mir", erwidert er beleidigt.
"Ich bin gerne mit dir, Zayn. Kinan ist der einzige, den das stört."
"Kinan stört das nur, weil ich einfach von uns dreien der beste große Bruder bin, der sich auch um seine kleinen Schwestern kümmert", gibt er selbstüberzeugt zurück.
Kinan lacht spöttisch auf. Mama stellt derweil einen riesigen Teller Essen vor Zayn, woraufhin der ihr einen Kuss auf die Wange drückt und sich artig bedankt.
"Lami, was sagst du denn dazu?", spricht er die Kleinste am Tisch hoffnungsvoll an. Lamiya himmelt Zayn an, weshalb es fast unfair ist, sie mit einzubeziehen. Einige ihrer Kindergartenfreunde sind große Fußballfans und kennen Zayn, der für die größte örtliche Mannschaft spielt, aus dem Fernsehen, weshalb sie es genießt, wenn er sie vom Kindergarten abholt oder sie mit einem Trikot mit unserem Nachnamen auf dem Rücken herumlaufen kann.
Ab und zu nimmt Zayn sie sogar mit ins Stadion und lässt sie sich seine Spiele angucken, was für sie das absolute Highlight ist. Wir sind alle stolz auf ihn und seine Erfolge, doch Lamiya ist unumstritten sein größter Fan.
"Also", sie blinzelt Zayn durch ihre langen Wimpern hinweg an und legt ihre kleinen Hände entschieden auf den Tisch. "Ich finde, dass ihr alle super Geschwister seid."
Ein entzücktes Raunen geht durch den Raum. Lamiya sieht nicht nur zuckersüß aus, sie haut auch regelmäßig solche herzerwärmenden Statements raus, weshalb es niemanden gibt, der sie nicht liebt wie verrückt.
"Ich nicht", entgegnet Zayn schulterzuckend und schaufelt sich das warme, wohlduftende Essen ausgehungert in den Mund.
"Ich meine es ja nur gut", wirft Kinan nun ein. "Ich will einfach nicht, dass Shalia irgendwann als alte Jungfer endet, weil sie dir immer am Arsch geklebt hat und keine Möglichkeit hatte, einen anständigen Mann kennenzulernen."
Dass Zayn nicht das Essen im Hals stecken bleibt ist alles. "Brennst du?", fragt er mit vollem Mund, bevor er das Essen herunterschlingt und einen Schluck Wasser aus Lamiyas Glas hinterher kippt.
"Shalia ist sechzehn. Soll die sich jetzt deiner Meinung nach 'n Freund suchen oder was?", knurrt er.
Kinan grinst schadenfroh. Er weiß genau, womit er Zayn auf die Palme bringen kann.
Ich schlucke schwer und denke augenblicklich an meine heimliche Verabredung mit Nael an diesem Nachmittag und bemühe mich krampfhaft darum, nicht schuldig oder ertappt auszusehen.
"Du hast doch auch 'ne Freundin", erwidert er frech. Unsere Mutter bekommt große Augen, doch Zayn lacht nur abfällig. "Klar, die ist rund, schwarz-weiß und wir sehen uns beinahe jeden Tag."
Kurz herrscht Stille, bis Zayn klarstellt: "Und selbst wenn ich eine Freundin hätte, wäre das immer noch was anderes, als wenn Shalia einen Freund hätte. Sie ist ein Mädchen und sie ist zu jung für sowas. Punkt."
Schwerfällig erhebe ich mich vom Tisch. "Ich will euch ja echt nicht darin unterbrechen, euch mit Bevormundungen über mein Leben zu überbieten, aber ich gehe jetzt schlafen. Tisbah ala-khair."
Ich räume noch meinen Teller in die Küche, bevor ich mich bettfertig mache und mich in meine dicke Daunendecke kuschele.
"Bist du gut zuhause angekommen, Shamsi?", blinkt eine neue Nachricht von Nael auf meinem Handy auf und zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht.
"Ja klar. Ich habe noch gegessen und liege jetzt im Bett und du?"
"Ich liege auch im Bett und höre Musik. War schön heute mit dir. Ich freue mich auf alles was kommt 🥰"
Mein Herz stolpert und schlägt ein kleines bisschen schneller. Ich freue mich auch auf alles was kommt. Ich bin aufgeregt, unsicher, ängstlich, aber ich freue mich.
"Ich freue mich auch ❤️ Wir sehen uns morgen in der Schule, schlaf gut."
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Meine Lieben,
Hach, muss Liebe schön sein. Erinnert ihr euch noch an eure erste "Liebe"?
Und was haltet ihr von Kinan?
Alles Liebe,
A.
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