《• 46 •》
Ich trete mit dem riesigen Strauß roter Rosen in der Hand durch die Wohnungstür. Der süßlich-florale Duft der Blumen breitet sich im Flur aus. Essad hat vorgeschlagen, sie bei ihm stehen zu lassen, damit ich nicht in Erklärungsnot bei meinen Eltern gerate, aber sie sind wunderschön und ich wollte sie unbedingt mitnehmen.
Ich streife meine Sneaker im Flur von den Füßen und schiebe sie beiläufig an die Wand. Ich will nur schnell die Rosen in mein Zimmer bringen, bevor ich meine Eltern begrüße uns so eine unnötige, nervenaufreibende Diskussion längstmöglich vermeiden.
Doch als ich herumfahre, ist es schon zu spät dafür. Meine Mutter steht im Flur, einen schwarzen Zweiteiler aus Strick an ihrem schlanken Körper und ein gleichfarbiges Kopftuch aus fließendem Chiffon über ihren dunklen Haaren gebunden.
Sie schenkt mir ein herzliches Lächeln, bis ihr Blick auf die langstieligen, dunkelroten Baccara-Rosen in meiner Hand fällt. Ihr Gesicht friert ein.
"Sag mir bitte nicht, dass du dich wieder mit Nael getroffen hast?", fragt sie ernst und ohne jegliche Begrüßung. Ihre geschwungenen Augenbrauen zieht sie misstrauisch zusammen, die schmalen Lippen fest aufeinander gepresst.
"Um Gottes Willen, nein!", entfährt es mir schockiert. Das wird in diesem Leben garantiert nicht mehr passieren.
"Woher hast du die dann?" fragt sie neugierig, ihre Augen immer noch skeptisch auf den prächtigen Strauß gerichtet.
Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden. Für einen Moment überlege ich, zu lügen, um es mir einfacher zu machen. Ich könnte behaupten, sie mir selbst beim Floristen gekauft zu haben, auch wenn sie mir das ausgerechnet bei roten Rosen wahrscheinlich nicht glauben würde.
Doch dann denke ich an Essad und daran, was er alles für mich getan hat und wie viel er in all den Jahren zurückgesteckt hat, um mich glücklich zu sehen. Ihn zu verleugnen würde sich falsch anfühlen, vor allem am heutigen Tag. Heute, als wir zum ersten Mal "Ich liebe dich" gesagt haben, als er mich gefragt hat, ob ich seine Freundin sein möchte und als ich obendrein mein erstes Mal mit ihm hatte. 22.11.2013. Ein Tag, den ich niemals vergessen werde. Essads und mein Tag.
"Ich habe jemanden kennengelernt," beginne ich, meine Stimme fest, obwohl mein Herz rast. "Ich bin verliebt und er macht mich sehr glücklich."
Meine Mutter sieht nicht begeistert aus. "Shalia," sagt sie, die Stirn in Sorgenfalten gelegt, "du hast doch gerade erst die Verlobung gelöst und dich von Nael getrennt. Ist das nicht ein bisschen früh? Vielleicht solltest du dich erst einmal auf die Schule konzentrieren, bevor du dich in die Arme des nächsten Jungen stürzt."
Ich beiße mir auf die Zunge und schlucke meine aufkeimende Wut hinunter.
"Mama, ich stürze mich in gar nichts und ich vernachlässige auch die Schule nicht. Dieser Mann ist bereits seit Monaten an meiner Seite und hat mir geholfen, die Trennung von Nael zu verarbeiten. Er war in dieser schweren Zeit für mich da und hat sich jeden Tag bemüht, mich glücklich zu machen. Nur dank ihm geht es mir wieder gut."
Sie zieht eine Augenbraue hoch. "Seit Monaten, ja?"
Taktisch klug war dieses Eingeständnis definitiv nicht.
"Mama, ja, seit Monaten," antworte ich, während ich den kritischen Blick meiner Mutter kaum ertragen kann. Die Spannung im Raum ist spürbar und ich trete unruhig von einem Bein aufs andere.
Sie seufzt tief und verschränkt die Arme vor der Brust. "Und in dieser ganzen Zeit hast du uns nichts davon erzählt? Wer ist dieser ominöse Mann überhaupt?"
Ich zögere kurz, dann offenbare ich: "Es ist Essad."
Ihre Augen weiten sich leicht vor Überraschung. "Essad?"
Sie überlegt kurz, dann versteht sie. Sie runzelt die Stirn, ihre Stimme wird schärfer. "Essad? Du meinst Zayns Freund Essad? Das ist nicht dein Ernst, Shalia!"
Ich seufze lautlos und drücke meine Hand fester um den Blumenstrauß. Einige der Dornen bohren sich schmerzhaft in meine Hand. Kurz schließe ich die Augen und konzentriere mich nur auf den stechenden Schmerz.
"Du kannst dir doch nicht den nächsten Freund deines Bruders anlachen! Der arme Zayn.. Weiß er das überhaupt?"
"Ja, er weiß es," antworte ich ruhig, auch wenn ich innerlich immer wütender werde. Ihre Reaktion gefällt mir nicht. Sie enttäuscht mich. "Und er hat damit kein so großes Problem wie du."
Die schlanke Frau schüttelt ungläubig den Kopf. "Ich kann das nicht fassen. Tut mir leid, Shalia, ich freue mich wirklich, wenn du glücklich bist, aber das finde ich nicht gut."
Ich beiße mir auf die Lippe, um meine Frustration zu unterdrücken. "Mama, ich habe das auch nicht so geplant, okay? Essad war für mich da, er hat mir geholfen, die Trennung zu verarbeiten, und hat mich unterstützt, ohne etwas von mir zu erwarten. Wir waren nur Freunde und ich hatte nicht geplant, daran etwas zu ändern - es ist einfach passiert."
Mama legt den Kopf schief, die Arme immer noch verschränkt vor der Brust. "Ich verstehe, dass er dir geholfen hat, aber das ist kein Grund, sich sofort auf eine neue Beziehung einzulassen. Was ist, wenn du wieder verletzt wirst? Und was, wenn es mit euch nicht klappt? Verliert Zayn dann den nächsten Freund?"
Ungläubig schüttele ich den Kopf. "Zayn hat Nael ganz sicher nicht meinetwegen verloren", zische ich bissig. Ich muss mich richtig zusammenreißen, um in diesem Moment nicht laut zu werden.
"Mama, ich verstehe deine Sorgen, aber ich bin glücklich mit Essad. Wir haben alles langsam angehen lassen, nehmen uns weiterhin die Zeit, die wir brauchen und überstürzen nichts."
Meine Mutter bleibt still und denkt nach. Schließlich nickt sie langsam. "Ich werde mich an den Gedanken gewöhnen müssen, aber gefallen tut es mir nicht."
"Muss es auch nicht", denke ich mir, aber ich spreche es nicht aus. Stattdessen nicke ich, wende mich von ihr ab und gehe in mein Zimmer.
Ich weiß, dass sie sich nur um mich sorgt, trotzdem verletzt mich ihre Reaktion. Mir wird nichts anderes übrig bleiben, als abzuwarten, bis sie erkennt, wie gut Essad für mich ist.
Aber das ist okay. Wir haben alle Zeit der Welt. Wenn Essad mich eins gelehrt hat, dann dass man geduldig sein muss und dass alles kommt, wie es soll.
Irgendwie ironisch, dass meine Mutter gerade in Bezug von ihm über überstürzen redet, wo er doch die Geduld in Person ist.
Essad zu lieben, ist nicht zu früh; es ist genau das, was ich jetzt brauche, um wieder glücklich zu sein.
Ich schließe die Tür leise hinter mir. Der Duft der Rosen breitet sich in meinem Zimmer aus, während ich sie behutsam in eine Vase auf die Fensterbank stelle. Meine Gedanken kreisen noch immer um das Gespräch mit meiner Mutter, als ich ein Klopfen an meiner Tür höre.
Zayn tritt ein und lässt sich ungeniert auf mein Bett fallen. Seine Augen funkeln vor Neugier und Freude, in seinem Gesicht ein breites Grinsen.
"Du weißt es schon, nicht wahr?", schlussfolgere ich aus seiner Mimik und setze mich neben ihn.
Er nickt triumphierend. "Kam nicht überraschend, ja."
"Weil du auch alles andere immer wusstest", stelle ich tadelnd fest. Ich schüttele Gedankenverloren den Kopf. "Ich kann nicht glauben, dass du die ganze Zeit im Bild warst und nie etwas gesagt hast."
Zayn zuckt mit den Schultern. "Ich wollte euch eure Zeit lassen, ohne mich einzumischen. Essad hat mir immer das Gefühl gegeben, dass alles gut ist und du bist an seiner Seite richtig aufgeblüht."
Er beugt sich vor und betrachtet die Rosen in der Vase genauer. "Die sind wirklich schön. Essad hat einen guten Geschmack."
"Ja, deshalb ist er auch mit mir zusammen", antworte ich und zwinkere ihm zu.
"Unglaublich, dass er es wirklich geschafft hat. An seiner Stelle hätte ich schon vor vier Jahren aufgegeben. Wäre mir viel zu kompliziert und aussichtslos gewesen."
"Gott sei Dank hat Essad das anders gesehen."
Zayn legt einen Arm um meine Schultern, seine Augen voller Zuneigung. "Ich freue mich für dich, Shalia. Inschallah bleibt ihr für immer so glücklich."
"Inschallah", pflichte ich ihm bei.
Er umarmt mich fest. "Und wenn nicht, bringe ich ihn um."
Ich verdrehe lachend meine Augen. "Ich glaube nicht, dass das nötig sein wird, aber es ist trotzdem gut zu wissen, dass du an meiner Seite bist."
"Immer." Zayn lässt mich los und erhebt sich schwerfällig vom Bett. Bevor er hinausgeht, dreht er sich noch einmal um und zwinkert mir zu. "Und lass dich nicht von Mama unterkriegen. Die wird sich schon damit abfinden, hast du doch bei Lounis und Ilayda gesehen."
Nachdem er gegangen ist, betrachtet ich erneut die schönen Rosen, die Essad mir geschenkt hat. Sie stehen vor dem Fenster wie ein Symbolbild dafür, dass wir endlich eine richtige Beziehung haben, auch wenn ich es dem schönen Palästinenser weiß Gott nicht leicht gemacht habe.
Mit einem Lächeln auf den Lippen schließe ich die Augen und denke an die Worte meines Bruders. "Inschallah bleibt ihr für immer so glücklich." Und tief in meinem Herzen weiß ich, dass es so sein wird.
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