《• 43 •》
Nachdem Essad und ich eine Stunde lang miteinander trainiert haben, oder besser gesagt er mich trainiert hat, sitze ich nun in meiner schwarzen Sportleggings und dem engen, weißen Langarmshirt am Rand der Halle auf dem weichen Boden und beobachte interessiert, wie Essad Sparing mit seinem Freund und Trainingspartner Kareem macht.
Irgendwann wird die ruhige, konzentrierte Atmosphäre jäh dadurch unterbrochen, dass zwei gackernde, junge Frauen die Halle betreten. Beide sind knackig trainiert, tragen kurze Boxshorts und bauchfreie Bustiers und stellen damit ihre schlanken Körper bereitwillig zur Schau.
"Hallo Jungs", flötet eine von ihnen mit laszivem Blick in Richtung des Boxrings, doch keiner der beiden Männer antwortet. Vielleicht sind sie zu stark auf ihr Training fokussiert, sodass sie die Umwelt ausgeblendet haben, vielleicht haben sie auch einfach keinen Bock auf die zwei Hühner, die sich ihnen so offensiv anbiedern.
Die Blondine bleibt in einigen Metern Entfernung vor dem Ring stehen, nimmt einen Schluck aus ihrer Wasserflasche und beobachtet die Boxer aufmerksam. "Uh, Essad und Kareem", grinst sie ihrer schwarzhaarigen Begleitung zu und wackelt affektiert mit den Augenbrauen.
"Die beiden sind so heiß", kommentiert die und beißt sich auf die Unterlippe.
Ich ziehe meine Knie enger an meine Brust. Die Ecke, in der ich sitze, ist sichtgeschützt neben einem Betonpfeiler, direkt hinter den jungen Frauen, sodass sie mich nicht sehen können, wohingegen ich sie bestens im Blick habe und jedes Wort höre.
Sie beginnen vermeintlich unbeobachtet ihre Bandagen um die Hände zu wickeln und quatschen ungeniert weiter. "Du kannst Kareem haben, ich will nur Essad", verkündet Blondie. "Guck mal wie hot der ist. Der hat so einen krassen Körper und ist einer der besten Fighter hier."
Ein Stich geht durch mein Herz. Es gefällt mir nicht, wie sie über ihn redet. Ein seltenes Gefühl kocht in mir hoch: Eifersucht.
"Auf jeden Fall", stimmt die Dunkelhaarige ihr zu. "Der ist 'ne richtige Sahneschitte."
In dem Moment dreht Essad seinen Kopf in meine Richtung und lächelt mir zu. Ich lächele zurück, auch wenn mir eigentlich gerade nicht danach ist.
Die beiden Mädels vor mir deuten sein Lächeln jedoch falsch und beziehen es auf sich.
"Oh mein Gott, Essad hat uns zugelächelt", quietscht Blondie. "Ich glaube, der steht auch auf dich", schlussfolgert die Dunkelhaarige mit den aufgespritzten Lippen verschwörerisch.
Ich glaube eher nicht.
Kareem reißt den Klettverschluss der Pratzen mit einem lauten Ratschen auf und schmeißt sie beiläufig auf den Boden des Boxrings. "Kurze Trinkpause, dann tauschen wir, ja?"
Essad nickt und zieht den Klettverschluss seines rechten Boxhandschuhs mit den Zähnen auf, während er auf mich zukommt.
Blondie hat immer noch nicht gecheckt, dass ich hinter ihnen sitze und wird ganz nervös. "Oh mein Gott, Vicky, er kommt zu uns", flüstert sie so laut, dass ich es problemlos verstehe und reibt ihre bandagierten Händen verzückt ineinander.
Ihre Freundin macht sich gerade und zieht den Bauch ein, auch wenn ich neidlos anerkennen muss, dass sie das mit ihrem Sixpack gar nicht nötig hat. "Bleib cool, Selina. Vielleicht fragt er jetzt endlich nach deiner Nummer."
Essad läuft straight auf die beiden zu, barfuß, nur in seiner kurzen Satinshorts, der Oberkörper nackt. Seine karamellbraune Haut ist mit einem dünnen Schweißfilm überzogen und glänzt im schummrigen Licht der Neonleuchten.
Vicky und Selina, wie ich ja nun weiß, bereiten sich mental darauf vor, dass der Hottie sie gleich ansprechen wird, da macht Essad einen Schlenker an ihnen vorbei und läuft auf mich zu. In seinem Gesicht liegt ein Lächeln, seine schönen Augen ruhen nur auf mir.
Er schmeißt seine Handschuhe neben mich auf den Boden, bückt sich zu mir herunter, um mir einen Kuss auf die Wange zu drücken, und greift zeitgleich nach seiner Wasserflasche.
Ich lasse meinen Blick an ihm vorbei gleiten und betrachte die beiden Mädels mit starrem Blick. Dass ihnen nicht die Münder offen stehen bleiben ist alles. Vicky läuft puterrot an, als ihr bewusst wird, dass ich jedes einzelne Wort ihres Shittalks mit angehört haben muss.
Selina scheint etwas langsamer zu sein. Die Blondine steht schockiert da und starrt uns ungläubig aus großen Augen an.
"Alles okay?", fragt Essad und folgt meinem Blick. Er mustert die beiden kurz, nickt ihnen desinteressiert zu und dreht sich dann wieder zu mir. "Haben die was gesagt?"
Er geht in die Knie und sieht mir aufmerksam in die Augen, während er atemlos einen großen Schluck trinkt.
"Nicht zu mir", antworte ich vage und merke selbst, wie verbittert das klingt. Ich löse mich aus meiner Position und strecke mich kurz, bevor ich ihm wieder in die Augen sehe. "Alles gut. Erzähle ich dir später."
Essad legt die Wasserflasche wieder neben mich und mustert mich aufmerksam. "Shalia, ma hi mushkila?", fragt er, was mein Problem ist.
Ich zwinge mich zu einem Lächeln. "La tujad mushkila." Es gibt kein Problem. Das ist nicht ganz die Wahrheit, aber ich will vor den beiden Weibern auch keine Diskussion vom Zaun brechen. Lieber zeige ich sowohl ihnen als auch Essad, dass ich darüber stehe.
Er hebt eine Augenbraue und wartet darauf, dass ich weiterrede, aber als ich schweige, nickt er schließlich. "Okay, aber wir reden später darüber." Er drückt mir noch einen schnellen Kuss auf die Stirn, bevor er sich mit Leichtigkeit aus den Knien hochdrückt.
Die zwei Frauen, Vicky und Selina, haben sich inzwischen umgedreht und tuscheln leise miteinander. Ich sehe, wie Selina sich leicht hinüberbeugt und etwas flüstert, das Vicky nur verlegen nicken lässt. Ihre anfängliche, laute Selbstsicherheit scheint verschwunden zu sein, und sie wirken unsicher und verlegen.
Essad bemerkt das Getuschel und richtet sich an die beiden, während er zurück zum Ring läuft. "Könnt ihr beide 'n bisschen zur Seite gehen? Meine Freundin sieht sonst nichts." Es ist eine freundliche, aber bestimmte Art, ihnen zu signalisieren, welchen Rang ich bei ihm habe.
Er hat mich noch nie zuvor als seine Freundin bezeichnet, aber so abschreckend finde ich diese Bezeichnung gar nicht mehr. Gerade finde ich es einfach nur schön, dass er gespürt hat, dass etwas nicht stimmt und sich bemüht, sich zu mir bekennen und mir Sicherheit zu geben.
Vicky und Selina nicken nur stumm und ziehen sich in eine andere Ecke der Halle zurück, wo sie mit ihren eigenen Aufwärmübungen beginnen.
Essad zwinkert mir zu, als er zurück in den Ring steigt, wo Kareem schon wartet und setzt sein Training fort.
Während ich den beiden zusehe, versuche ich, meine Gedanken zu sortieren. Es ist nicht das erste Mal, dass andere Frauen Interesse an Essad zeigen, und ich bin mir bewusst, dass es auch nicht das letzte Mal sein wird. Doch etwas an der Situation hat mich stärker getroffen, als ich erwartet habe. Vielleicht, weil ich strenggenommen kein Recht dazu habe, eifersüchtig zu sein. Ich habe mich in den letzten Monaten immer davor gescheut, unsere Beziehung zu definieren, aber vielleicht wird es genau dafür jetzt Zeit? Ich wollte es unverbindlich halten, aber was, wenn ich das gar nicht mehr will?
Auch wenn meine Augen auf den Boxring gerichtet sind, bin ich nur physisch anwesend und nehme gar nicht mehr wahr, was um mich herum passiert. Meine Gedanken schweifen immer wieder ab.
Essad könnte mir nicht deutlicher zeigen, wie ernst er es meint. Er könnte kein besserer Mann sein, als er ohnehin schon ist. Er ist nicht einfach nur ein Freund für mich, das ist er schon lange nicht mehr.
Wieso also sträube ich mich davor, dem Kind einen Namen zu geben? Will ich nicht wieder verletzt werden? Habe ich Angst vor meiner Familie? Habe ich Angst vor Naels Reaktion?
Ich weiß es selbst nicht.
"Hallooo, träumst du?", fragt Essad und winkt mit seiner bandagierten Hand vor meinem Gesicht herum.
Ich blinzele und schaue zu ihm hoch. "Sorry, ich war in Gedanken."
Er schüttelt leicht den Kopf und lacht. "Komm, wir machen Schluss für heute."
Ich nicke und stehe auf, Essad greift nach seiner Tasche.
Ich folge ihm schweigend zum Auto. Als wir die Türen geschlossen haben, macht er jedoch keine Anstalten, den Motor zu starten. Stattdessen sieht er mich auffordernd an. "Also, was war da vorhin los?"
Ich seufze. "Das weißt du doch, sonst hättest du den beiden nicht gesagt, dass ich deine Freundin bin."
Er lehnt sich tiefer in den Sitz und verschränkt die muskulösen Arme vor der Brust. "Ich hatte eine Vermutung, ja."
"Woher?", frage ich mit einem komischen Gefühl im Bauch.
"Ach, die beiden sind immer so. Sie graben alles und jeden an und haben es schon öfter bei Kareem und mir versucht. Ich habe gemerkt, dass du dich unwohl fühlst und eins und eins zusammen gezählt."
Ich senke den Blick und starre auf meine Hände. "Die haben sich richtig darüber ausgelassen, wie heiß du bist, wie sexy dein Körper ist und sowas."
"Stimmt doch", grinst er frech. "Nichts als die Wahrheit."
Ich verdrehe die Augen. "Ich fand es einfach unangenehm, wie sie über dich geredet haben."
"Ja, frag mich mal", antwortet er schulterzuckend. "Aber ich wollte nicht, dass du dich dadurch schlecht fühlst. Deshalb habe ich ihnen klar gemacht, dass ich nur dich will."
Ich schaue ihn an und sehe die Ernsthaftigkeit in seinen Augen.
Ein Lächeln schleicht sich auf seine Mundwinkel. "Warst du etwa eifersüchtig?"
Ich boxe vor seinen Oberarm. "Bilde dir bloß nichts darauf ein."
Er winkt ab. "Niemals. Ich weiß doch, dass du nicht mit mir zusammen sein willst." Dann zwinkert er mir zu.
"Du behauptest das immer, dabei hast mich nie gefragt", entgegne ich schulterzuckend. "Wer nicht fragt, der nicht gewinnt."
Ein unergründlicher Ausdruck legt sich für den Bruchteil einer Sekunde auf sein Gesicht, dann blinzelt er ihn weg und startet den Motor.
Vor meiner Haustür angekommen parkt er auf dem gegenüberliegenden Parkplatz, um sich von mir zu verabschieden.
Bevor ich weiter nachdenken kann, beuge ich mich vor und küsse ihn herausfordernd auf die Lippen. Für einen Moment ist es, als ob die Zeit stillsteht, und dann erwidert er den Kuss mit einer Leidenschaft, die mich überrascht.
Unsere Hände finden zueinander, und ich spüre, wie sich eine elektrische Spannung zwischen uns aufbaut. Es wird zunehmend intensiver, und ich merke, wie mein Atem schneller geht und mein Herzschlag lauter wird. Essad zieht mich näher zu sich, und ich kann die Wärme seines Körpers spüren. Die Leidenschaft zwischen uns wird fast greifbar, als seine Hände über meinen Rücken wandern und ich mich noch enger an ihn drücke.
Seine Zunge spielt mit der meinen, eine seiner großen Hände wandert in meine Haare. Er beißt sanft in meine Unterlippe, und mir entfährt ein leises Stöhnen.
Leise, aber scheinbar zu viel für Essad.
Abrupt löst er sich von mir, sein Atem schwer und seine Wangen gerötet. Er räuspert sich und sieht mich mit einer Mischung aus Verwirrung und Unentschlossenheit an. "Shalia, wir sollten das nicht überstürzen," sagt er leise, aber seine Augen verraten, dass er genauso erregt ist wie ich. Sie glühen vor Verlangen und Leidenschaft.
Ich bin aus meinem tranceartigen Zustand gerissen und spüre eine Welle der Überforderung und Scham über mich herein brechen. "Ja.. Stimmt..", murmele ich, während ich mich hastig von ihm löse und die Autotür öffne. "Ich sollte jetzt gehen."
Essad versucht, etwas zu sagen, doch ich gebe ihm keine Chance. Mit einem schnellen "Gute Nacht" schließe ich die Autotür hinter mir und beeile mich, zur Haustür zu kommen. Mein Herz schlägt wild, und meine Gedanken rasen.
Kaum habe ich die Tür hinter mir geschlossen, lehne ich mich schwer dagegen und schließe die Augen.
Die Gefühle, die mich durchströmen, sind zu viel auf einmal. Eifersucht, Verlangen, Verwirrung und Scham. Ich weiß nicht, was ich aus all dem machen soll.
Darunter mischt sich die Angst etwas falsch gemacht und Essad damit verstoßen zu haben.
Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und Tränen füllen meine Augen.
Wann zur Hölle ist er mir eigentlich so wichtig geworden?
Eine Sache ist jedoch klar: Die Grenze zwischen Freundschaft und etwas Tieferem ist überschritten worden, und es gibt kein Zurück mehr. Die Frage ist nur, wie es nun weitergehen soll.
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