《• 41 •》
Am nächsten Morgen holt Essad mich pünktlich ab. Als ich die Beifahrertür öffne, lächelt er mich vorfreudig an. "Bereit für unser nächstes Abenteuer?"
"Absolut", antworte ich selig und steige in seinen BMW. Wenn Essad wüsste, wie zweideutig dieser Wortwechsel in Anbetracht meines gestrigen Gesprächs mit Yara ist..
Ich habe zwar keine Ahnung, was er heute geplant hat, aber die letzten Wochen haben mich gelehrt, dass Unternehmungen mit Essad nie enttäuschen. Er überlegt sich immer etwas tolles und wir haben viel Spaß miteinander.
Wir fahren los und Essad behält die Route für sich. Es wird eine dreistündige Fahrt, und die Landschaft verändert sich langsam, je weiter wir Berlin hinter uns lassen. Der Trubel der Hauptstadt weicht Wäldern und Feldern, und die Straßen werden leerer. Während der Fahrt hören wir Musik, unterhalten uns und machen eine kurze Pause an einem Rastplatz, damit ich zur Toilette gehen und Essad eine rauchen kann.
"Willst du mir nicht endlich verraten, wohin wir fahren?", frage ich neugierig.
Essad schüttelt den Kopf und grinst überlegen. Es bereitet ihm eine diebische Freude, mich noch ein bisschen im Dunkeln tappen zu lassen. "Hab noch ein bisschen Geduld, wir sind bald da."
Als wir endlich ankommen, kann ich meinen Augen kaum trauen. Vor mir liegt ein atemberaubender Sandstrand und türkisblaues Meer. Essad hat mich an keinen geringeren Ort entführt als nach Usedom.
Die Insel ist ein kleines Paradies, weit entfernt von dem Lärm und der Hektik der Hauptstadt. Der Strand erstreckt sich endlos vor uns, ein breiter Streifen aus feinem, weißem Sand, der sich sanft in die Wellen der Ostsee ergießt.
Der Herbst zeigt sich obendrein von seiner besten Seite: Die Sonne scheint golden vom klaren, blauen Himmel und taucht die Umgebung in ein warmes Licht. Schilf raschelt, Möwen schreien, kleine Muscheln und Steine sind im Sand verstreut.
"Überraschung", flüstert Essad mir ins Ohr. Er steht so dicht hinter mir, dass sich die Hitze seines Körpers auf mich überträgt. "Du hast doch gesagt, du brauchst dringend Urlaub. Wenn ich dich länger als einen Tag entführe, bringt dein Baba mich um, aber ich dachte, einen Tag abschalten ist besser als gar nichts."
Ich bin so gerührt, dass meine Augen feucht werden. Schnell falle ich ihm um den Hals und drücke ihn feste. "Danke, Essad. Das ist unglaublich."
Sein süßer Duft mischt sich mit der salzigen Meeresluft. Er hält mich fest in seinen Armen, während ich meinen Kopf an seine harte Brust schmiege. Eine ganze Weile stehen wir so da, engumschlungen, seelenruhig.
Das einzige Geräusch, was uns umgibt, ist das Rauschen der Wellen. Der Strand ist beinahe Menschenleer, nur wenige Spaziergänger sind unterwegs.
Zum ersten Mal wird mir bewusst, was ich tief in meinem Inneren schon lange gespürt habe: Essad gibt mir Frieden.
Er ist ruhig, entspannt. Er verursacht kein Drama, macht mir keinen Druck. Stattdessen unterstützt er mich, gibt mir Raum, zu sein, wer ich bin. Er hat sich sogar über Monate geduldig angehört, wie ich um Nael getrauert habe. Und als sei das alles nicht genug, hat er jede Gelegenheit genutzt, mich aufzumuntern und eine gute Zeit mit mir zu haben.
Ich drücke ihn noch etwas fester.
Als wir uns irgendwann voneinander lösen, gehen wir gemeinsam durch die Dünen hinunter ans Ufer und ziehen unsere Schuhe aus. Der Sand ist kühl und weich unter unseren Füßen. Wir halten unsere nackten Zehen ins Meer, doch das Wasser ist so eiskalt, dass wir es nicht lange aushalten und schnell wieder hinauslaufen.
Wir suchen uns ein gemütliches Plätzchen im Sand und Essad zaubert aus der Sporttasche, die er aus dem Auto mitgenommen hat, eine Decke hervor, auf der wir es uns gemütlich machen können. Neben der bunten Decke hat er auch Getränke und Snacks, einen Fußball, eine Frisbee und ein Uno-Spiel dabei. Essad wäre nicht Essad, wenn er den ganzen Tag einfach nur herumliegen würde. Der Sportjunkie hat Hummeln im Hintern und muss immer in Bewegung sein.
Wir legen uns in den Sand, unsere Köpfe nah beieinander, den Blick in den Himmel. Ich schmecke das Salz der Meeresluft auf meiner Zunge, meine langen, dunklen Haare werden vom Wind zerzaust.
Eine Ewigkeit liegen wir nur so da, friedlich, schweigend. Jeder von uns hängt seinen eigenen Gedanken nach, bis Essads Bewegungsdrang wieder kickt und ihm zu langweilig wird.
Also spielen wir ein bisschen mit dem Ball und danach mit der knallgelben Frisbee. In Uno zocke ich meinen Gegener so oft hintereinander ab, dass er keine Lust mehr hat und stattdessen anfängt, trotzig mit seinen Händen eine Sandburg zu bauen. Ich beobachte ihn amüsiert dabei, mit welcher Hingabe er den feuchten Sand aufeinander stapelt und zu einem richtigen Schloss formt.
Die kindliche Freude und Detailverliebtheit, die er dabei entwickelt, lassen mein Herz höher schlagen. Er verliert sich richtig darin, Türme aufzuschichten, einen Wassergraben auszuheben und die Türen und Fenster mit kleinen Kieselsteinen zu verzieren.
Ich liege eingekuschelt in meinem dicken Hoodie auf dem Bauch und beobachte ihn. Es ist kühl durch den starken Wind, auch wenn die Sonne noch ordentlich Kraft hat.
"Ist nicht deine erste Sandburg, oder?", grinse ich.
Er antwortet, ohne seinen Blick zu heben oder sich von mir ablenken zu lassen. "Ne, mein Vater und ich haben früher richtige Schlösser gebaut, stundenlang."
"Dann bist du ja bestens vorbereitet, wenn du irgendwann mal eigene Kinder bekommst."
Nun hebt er seinen Blick doch und grinst mich angriffslustig an. "Ja, ich denke unsere Kinder werden viel Spaß mit mir haben."
Er bringt mich zum Lachen. "Ach unsere Kinder, ja? Wie viele Kinder kriegen wir denn?"
"Zwei Söhne, und ich will sie nach meinen liebsten Propheten nennen: Yunus, Nuh, Musa, Isa."
Das sind die Arabischen Namen aus dem Koran von Jona, der von einem Wal verschlungen wurde, Noah, der die Arche gebaut hat, Moses, der in einem Weidenkörbchen auf dem Nil ausgesetzt wurde, und Jesus.
"Das sind vier Namen."
"Ja, du darfst entscheiden, welche davon du willst."
Ich sehe ihn fassungslos an. "Aus vier Namen darf ich zwei aussuchen? Wie gnädig von dir."
"Zwei oder drei. Wenn du unbedingt willst, können wir auch drei Söhne kriegen."
"Ich weiß gar nicht, wie ich mit so viel Freiheit in meiner Ehe umgehen soll", grübele ich grinsend.
Essad erhebt sich aus dem feuchten Sand und klopft seine Hosenbeine aus, bevor er sich dicht neben mich legt und mich herausfordernd aus seinen dunkelbraunen Augen ansieht. "Du denkst also darüber nach, mich zu heiraten, ja?"
Ich lege den Kopf schief. "Denkst du ich kriege Kinder mit einem Mann, den ich nicht geheiratet habe?"
"Du willst Kinder mit mir?", fragt er mit gespieltem Entsetzen. "Ich mag dich ja auch, Shalia, aber denkst du nicht, dass du das Ganze etwas überstürzt?"
Ich verdrehe lachend die Augen. "Du hast mich in eine Falle gelockt", stelle ich fest.
"Ich dich?", hakt er empört nach. "Du hast doch plötzlich von Kindern geredet."
Ich lasse meinen Blick über das unendlich weite Meer gleiten. "Auch wenn du jetzt scherzt, ich bin dir echt dankbar, dass du mich damit nie bedrängt hast", spreche ich plötzlich aus, ohne es zu wollen. Die Worte verlassen schneller meinen Mund, als mir lieb ist. Sie sind wahr, doch sollten sie nur stille Gedanken bleiben.
Ich weiß, dass ich damit ein großes Thema öffne. Der Elefant, der immer im Raum steht.
"Wie meinst du das?" Er wird ernst, seine Augen beobachten mich aufmerksam.
"Egal", winke ich ab.
Seine warmen, braunen Augen halten mich mit ihrem Blick gefangen. Sanft legt er seine Hand auf meinen Unterarm. Meine Haut beginnt umgehend unter seiner Berührung zu kribbeln. "Nicht egal. Erkläre es mir."
Ich räuspere mich. So offen über meine Gefühle zu sprechen, kostet Mut.
"Du hast nie Erwartungen an mich gestellt oder gar etwas verlangt. Du wolltest nicht, dass ich mich zu dir bekenne, mich festlege, oder dass ich dir mehr gebe. Du hast mir nichts verboten oder vorgeschrieben. Du hast dir nie das Recht rausgenommen, meine Kleidung zu beurteilen, meine Freunde, meine Unternehmungen, oder sie gar zu kontrollieren."
"Wir sind ja auch nicht zusammen."
"Aber du hast mich auch nie gefragt, ob ich mit dir zusammen sein will. Du hast mich nicht mal gefragt, ob ich verliebt in dich bin."
Er legt den Kopf schief. "Ist das jetzt gut oder schlecht?"
"Wieso hast du es denn nie gemacht?"
Nun ist er es, dessen Blick zu den rauen Wellen schweift.
"Wieso soll ich dir eine Frage stellen, wenn ich die Antwort nicht hören will?"
"Also willst du nicht mit mir zusammen sein.."
Essad lacht auf. Es ist ein kehliges, verbittertes Lachen. Sein Kopf schnellt zu mir und seine Augen bohren sich stechend in meine. Er atmet tief durch, versucht sich zu kontrollieren, wie er es immer tut. Ich habe ihn noch nie impulsiv oder emotionsgetrieben erlebt.
"Natürlich will ich mit dir zusammen sein, Shalia. Ich will das seit vier Jahren. Aber damals habe ich Zayns Wunsch respektiert, und jetzt respektiere ich deinen."
Fragend sehe ich ihn an.
"Du hast mir oft genug gesagt, dass du nicht bereit für eine neue Beziehung bist."
"Vielleicht hat sich das geändert?"
"Du klingst so vorwurfsvoll, beinahe beleidigt", stellt er fest. "Dabei hast du gerade noch gesagt, dass du dankbar bist, dass ich dich nie gedrängt habe."
"Bin ich auch."
"Aber?"
Essad schaut mich intensiv an, sein Blick durchdringt mich förmlich. "Shalia, kann es sein, dass du selbst nicht weißt, was du willst?"
Ich senke den Kopf und nicke langsam. "Ja, vielleicht."
Er seufzt tief und legt seine Hand unter mein Kinn, hebt mein Gesicht sanft an, sodass ich ihm wieder in die Augen sehen muss. "Willst du eine Beziehung mit mir?"
Ich spüre, wie mein Herz einen Schlag aussetzt, bevor ich leise stammele: "Nein. Eigentlich nicht. Nicht jetzt. "
Essad zieht seine Hand zurück, seine Stirn in Falten gelegt. Langsam denkt er wahrscheinlich, ich habe völlig den Verstand verloren. "Was ist dann dein Problem? Es ist doch für uns beide schön so, wie es ist, oder nicht?"
"Es ist schön, Essad. Wirklich. Aber manchmal frage ich mich, ob ich dir damit nicht Unrecht tue. Ob du nicht etwas Besseres verdienst, jemanden, der dir das geben kann, was du willst."
Er runzelt die Stirn und seine Augen werden weicher. "Shalia, du bist nicht für mein Glück verantwortlich. Ich bin es, der entscheidet, was ich will und was mir gut tut. Und im Moment will ich einfach nur Zeit mit dir verbringen. Wo das hinführt, wird sich zeigen."
Ich lächele schwach, berührt von seinen Worten. "Aber was, wenn sich das ändert? Was, wenn du irgendwann mehr willst und ich es dir immer noch nicht geben kann?"
Essad nimmt meine Hand und drückt sie sanft. "Dann reden wir darüber. Aber bis dahin sollten wir uns nicht über so einen Scheiß Gedanken machen. Es wird alles kommen, wie es soll. Wenn wir füreinander bestimmt sind, wird die Liebe ihren Weg finden."
"Wie bitte kannst du so geduldig bleiben?"
Er richtet sich auf und ich tue es ihm gleich. "Sabr. Ich vertraue darauf, dass Allah mir geben wird, was er für mich vorgesehen hat."
"Und wieso hast du mich nie gefragt, ob du für mich mehr als ein Freund bist?"
Essads Augen funkeln im warmen Licht des Sonnenuntergangs. Der Wind spielt mit meinen offenen Haaren, während die Wellen rhythmisch an den Strand schlagen. Er hält weiterhin meine Hand und schaut mich eindringlich an.
"Wieso soll ich dich das fragen? Macht es einen Unterschied, wenn wir darüber sprechen? Ich spüre, wie du mich ansiehst, und ich liebe es. Du suchst meine Nähe. Du vertraust mir. Du bist gerne mit mir zusammen, du lachst neben mir, du bist glücklich. Wir werden immer enger. Was bringt es mir, wenn wir über etwas sprechen, von dem du ganz offensichtlich selbst nicht mal weißt, wie du es einordnen sollst? Wieso müssen wir das schöne Gefühl zwischen uns benennen, wieso unserer Beziehung ein Label verpassen? Wieso soll ich dir Druck machen, obwohl ich selbst keinen verspüre? Ich bin glücklich mit dir, jeden Tag ein bisschen mehr, und ich vertraue darauf, dass alles gut wird."
Seine Worte durchdringen mich und berühren mein Herz. Mir wird ganz warm und Tränen steigen mir in die Augen. Ich sehe die Aufrichtigkeit in seinem Blick, die Sanftheit in seinem Lächeln. Er hat Recht, warum sollten wir das, was wir haben, in eine Form pressen? Warum versuche ich, das alles unnötig kompliziert zu machen?
In diesem Moment lasse ich alle Zweifel und Unsicherheiten los. Anstatt mit Worten zu antworten, beuge ich mich vor und küsse ihn sanft auf die Lippen. Essad zögert einen Augenblick, ist völlig perplex, doch als er begreift, was passiert, erwidert er meinen Kuss zaghaft. Der Wind weht um uns herum, die Wellen rauschen im Hintergrund, und für einen kurzen Moment scheint die Welt stillzustehen.
Ich kann es selbst kaum glauben, dass ich das gerade getan habe.
Als wir uns schließlich voneinander lösen, blicken wir uns tief in die Augen. Ein breites Lächeln liegt auf seinem Gesicht. "Siehst du", wispert er an mein Ohr, während er mich fest im Arm hält. "Was hätte es gebracht, wenn ich gefragt hätte?"
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