《• 4 •》
Wie zu erwarten war, lief die Klausur beschissen, aber immerhin habe ich kein leeres Blatt abgegeben.
"Ich brauche eine Zigarette", stöhnt Yara und greift nach meiner Hand. "Lass uns runtergehen. Du siehst immer noch ganz blass aus. Ein bisschen frische Luft wird dir gut tun."
"Rauchen ist ungesund", antworte ich gedankenverloren. Statt mich mit Graphen und Funktionen zu beschäftigen, habe ich in der letzten Stunde viel zu sehr über Nael nachgedacht.
"Kann ich dich was fragen, Yara?", raune ich leise. Ich bin sehr darauf bedacht, dass niemand der anderen Schüler unsere Unterhaltung im Treppenhaus mitverfolgen kann. "Wieso macht er das? Wir haben uns immer gut verstanden, aber plötzlich geht er entschieden über unsere freundschaftliche Ebene hinaus."
Meine beste Freundin sieht mich ungläubig aus ihren blauen Augen an. "Was denkst du denn, Shalia? Er steht auf dich, ganz einfach", antwortet sie achselzuckend.
"Das glaube ich nicht", revidiere ich entschieden.
Yara zieht einer ihrer perfekt geschwungenen Augenbrauen nach oben. "Er wird bestimmt nicht den Stress seines Lebens mit Zayn riskieren, um dich just for fun flachzulegen. Da gibt es genug andere Weiber, bei denen er viel schneller und unkomplizierter einen wegstecken kann."
Wir treten aus einer der zwei breiten Glastüren ins Freie. Der kleine Pausenhof ist ein gepflasterter Platz, gesäumt von dichten, grünen Büschen, auf dem außer ein paar Mülleimern und einigen Bänken nichts zu finden ist.
Am Ende des Hofes entdecke ich Zayn mit Nael und Jibrail, die sich beide synchron eine Zigarette anstecken. Ich verdrehe die Augen und wende meinen Blick wieder von ihnen ab.
"Willst du rübergehen?", fragt Yara und deutet mit den Augen auf die dreiköpfige Jungsgruppe.
"Bloß nicht", stöhne ich leidend und beobachte sie dabei, wie sich ebenfalls eine Kippe anzündet.
"Entspann dich einfach. Lass die Dinge laufen und alles wird kommen, wie es soll", rät sie mir. "Du machst dir viel zu viele Gedanken, dabei ist doch noch gar nichts passiert. Er hat dir ein bisschen schöne Augen gemacht und dich auf die Stirn geküsst."
"Ja, noch. Aber ich hatte gestern Abend schon das Gefühl, dass er kurz davor war mich richtig zu küssen. Was mache ich denn, wenn er es wirklich versucht?"
"Je nachdem, was du willst. Wahlweise küsst du zurück oder du haust ihm eine runter", grinst sie.
"Ich musste Zayn versprechen, dass ich mich von Nael fernhalte. Er hat gesagt, er möchte nicht zwischen die Fronten geraten, sollten wir eine Beziehung eingehen."
Yara seufzt und ascht ihre Zigarette ab. "Er wird schon damit klar kommen, früher oder später. Was soll er machen? Einen von euch umbringen?"
"Ladies", grinst Oktay und stellt sich mit Nihat im Schlepptau zu uns. Er ist der Klassenclown, ein lauter und vor allem vorlauter Jugendlicher, bei dem niemand so recht versteht, wie er es eigentlich in die Oberstufe geschafft hat. In den entscheidenden Momenten kann er trotz großer Klappe dann meist doch irgendwie abliefern. "Was war los in der Klausur, Shalia?"
Ich ziehe einen Schmollmund und lege den Kopf schief. "Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Ich habe mir die Scheiße durchgelesen und nur Bahnhof verstanden. Wie lief es bei euch?"
Der großgewachsene Türke mit den hellgrünen Augen richtet seine schwarze Adidas Trainingsjacke. "War okay", gibt er sich cool und zieht an seiner Zigarette.
Fragend sehe ich nun zu Nihat, der das komplette Gegenteil von Oktay ist: ruhig, höflich, zurückhaltend. Er und sein Freund gleichen sich aus wie Yin und Yang. Früher hat Nihat mit Zayn zusammen Fußball gespielt, doch mittlerweile spielen sie in unterschiedlichen Mannschaften. Während Zayn ehrgeizig seinen Weg Richtung Profifußball verfolgt, ist Nihat damals dabei geblieben, das Kicken nur als Hobbyvbei seinem ursprünglichen Verein zu betreiben.
"Ich habe eigentlich ein gutes Gefühl. Ich habe gestern extra den ganzen Nachmittag gelernt", erzählt er und kickt einen Kieselstein zwischen seinen Füßen hin und her.
"Jetzt gleich auch noch Physik, gar kein Bock. Der Schmidter ist so ein Hurensohn, der hat am Wochenende meinen Vater angerufen", schimpft Oktay und trinkt einen Schluck Cola.
"Was? Wieso das denn?", fragt Yara neugierig.
"Vermutlich weil Oktay in der letzten Stunde seinen kompletten Unterricht boykottiert hat", kommentiere ich spitz und lasse meinen Blick wieder zu meinem Bruder gleiten. Ich habe kein Mitleid mit Oktay. Er hat sich in der letzten Stunde, in der Yara mit Kopfschmerzen Zuhause geblieben ist, aufgeführt wie ein Primat. Er hat permanent den Unterricht gestört mit einem Verhalten wie ein Kleinkind, vermeintlich lustige Sprüche dazwischen gebrüllt und mit Stiften auf Mitschüler geschmissen.
Mein Blick ruht auf Zayn, der in ein Gespräch mit Jibrail vertieft ist, da bermeke ich, dass Nael mich anschaut. Kurz erwidere ich seinen Blick, der eine Mischung aus Unbehagen und Missfallen ausdrückt. Ihm scheint nicht zu gefallen, dass ich mich hier mit den beiden Jungen unterhalte. Was ist nur neuerdings mit ihm los?
"Ja ist klar, Shalia", knurrt Oktay und holt mich damit zurück in ein Gespräch, auf das ich gar keinen Bock habe. "Kann ja nicht jeder so 'ne scheiß Streberin sein wie du", pöbelt er. "Spaßverderberin."
Yara zieht ihre Augenbrauen zusammen und die Luft scharf ein. "Das hat weder was mit Spaß zu tun, noch mit Streberin, es ist einfach nur nervig, man", gebe ich zurück. Dann greife ich nach Yaras Hand und ziehe sie kurzentschlossen zum anderen Ende des Hofes. "Bis später", verabschiede ich mich kurzentschlossen von den beiden Jungen.
Ich steuere auf Zayn zu und lasse mich genervt neben ihn auf die Bank fallen. "Was' los?", fragt er und boxt mir leicht auf den Oberarm.
"Dieser Spasti ist so nervig", grummele ich und ziehe mein Brot aus meiner Tasche. "Nihat?", hakt Zayn nach. "Nein man, Oktay."
"Ich kann den auch gar nicht ab", mischt sich Jibrail in das Gespräch ein. "Der Hund hat definitiv zu wenig Aufmerksamkeit von seinen Eltern bekommen." Der dickliche, glattrasierte Jugendliche raucht schon die zweite Zigarette. Nael hingegen hat seinen Zigarettenstummel weggeschnippst und beobachtet mich aufmerksam.
Manchmal kommt es mir so vor, als ob Zayn und ich die einzigen auf der Schule sind, die nicht rauchen - Zayn wegen des Leistungssports und ich wegen Zayn. Ich habe es mal heimlich mit Yara probiert, aber es hat mir nicht geschmeckt, genauso wie Alkohol.
"Scheiß auf den Pisser. Wie ist deine Klausur gelaufen?", fragt Zayn und legt schützend seinen Arm um mich. Innerlich zucke ich kurz zusammen, denn sofort schweifen meine Gedanken wieder zu Nael.
"Nicht so gut, ich konnte mich irgendwie nicht konzentrieren", antworte ich beschämt. Yara unterdrückt wissend ein Grinsen.
"Ach man, Shalia", schimpft Zayn. "Du stehst eh schon schlecht in Mathe", erinnert er mich.
"Aber in allen anderen Fächern habe ich gute Noten", rechtfertige ich mich. Mein Bruder zieht einen Schmollmund, nickt mir dann aber zu.
"Lasst reingehen", wendet er sich an seine beiden Kollegen und erhebt sich schwerfällig von der Bank.
Yara und ich folgen den Männern, laufen jedoch die zwei Etagen Treppen, während die drei mit dem Aufzug fahren. Wir wollen gerade in die Klasse gehen, als mein Handy in meiner Hosentasche vibriert.
"Ich wollte dir nur viel Glück wünschen und dich nicht durcheinander bringen 😒"
Nael.
Sofort beginnen meine Finger zu schwitzen, bevor sie über die kleine Tastatur meines Smartphones fliegen.
"Schon gut", antworte ich nur. Ich habe so viele Fragen, so viel zu sagen, aber ich tue es nicht. Ich will Nael nicht das Gefühl geben, dass ich mich in die ganze Sache hereinsteigere und die Dinge möglicherweise falsch interpretiere.
"Wir müssen reden, Shalia."
Ich starre wie hypnotisiert auf seine Nachricht und halte mein Handy dann Yara hin.
"Uh, es wird ernst", zieht sie mich auf.
"Was soll ich denn jetzt antworten?", zische ich nervös.
"Na verabrede dich mit ihm, was sonst. Dann könnt ihr das alles klären, das wolltest du doch."
"Ich kann mich doch nicht mit ihm treffen, Yara", erwidere ich empört. "Was soll ich ihm denn sagen?"
"Das kommt ganz darauf an, was er dir zu sagen hat. Erstmal verabredest du dich mit ihm und dann hörst du dir an, was er auf dem Herzen hat."
"Und Zayn?"
Yara verdreht ihre blauen Augen, die sie heute mit einem dramatischem Eyelinerstrich betont hat.
"Zayn sagst du, dass du bei mir bist."
Mit zitternden Fingern tippe ich: "Wann und wo?" in mein Handy. Ob das eine gute Idee ist?
Naels Antwort lässt nicht lange auf sich warten. "Am besten so schnell wie möglich. Faiz und meine Eltern sind bis heute Abend aus dem Haus, du kannst nach der Schule zu mir kommen, wenn du willst."
Faiz heißt eigentlich Faizal und ist Naels zwanzigjähriger Bruder. Er ist mit meinem älteren Bruder Kinan seit der Schulzeit befreundet.
Neukölln ist ein Dorf und meistens sind irgendwelche Geschwister meiner Freunde auch irgendwie mit meinen Geschwistern befreundet oder zumindest bekannt und wenn das nicht der Fall ist, dann kennen sich wenigstens unsere Eltern seit ewig und drei Tagen.
Stumm schüttele ich den Kopf und lese die Nachricht erneut. "Was denn?", fragt Yara aufgeregt. Mittlerweile ist unser Physiklehrer Herr Schmidter schon hinter das Pult getreten und hat eine Gegenüberstellung von elektrischen und magnetischen Feldern auf den Overheadprojektor gelegt.
"Er will, dass ich nach der Schule zu ihm komme", flüstere ich und schiebe meinen blauen Kugelschreiber nervös auf dem Tisch hin und her.
Yaras Augen funkeln freudig. "Ist doch super", erwidert sie leise. Ich verziehe leidend das Gesicht. Ich bin mir noch nicht sicher, ob das wirklich so super ist, wie meine beste Freundin sagt. Vielleicht ist das auch ein ganz großer Fehler. Natürlich habe ich keine Angst vor Nael oder dass er irgendetwas gegen meinen Willen tun würde, schließlich kenne ich ihn von kleinauf.
Viel mehr habe ich Angst davor, dass er genau das tut, was ich mir insgeheim wünsche.
"Okay. Ich sage Mama, dass ich mit zu Yara gehe. Habe um 14:30 Uhr Schluss und komme dann zu dir."
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Meine Lieben,
Was haltet ihr von Oktay und Nihat?
Und was hat Nael Shalia wohl zu sagen?
Alles Liebe,
A.
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