《• 32 •》

Ich weiß nicht, ob ich einen Nervenzusammenbruch hatte oder eine Panikattacke, aber ich habe keine Ahnung mehr, wie ich in Zayns Auto gekommen bin. Ich erinnere nur noch die blanke Angst, die in seinen braunen Augen stand. Das erste, was ich wieder weiß, ist wie ich in der Notaufnahme des nächstgelegenen Krankenhauses sitze.

Die grellen Lichter und der sterile Geruch verstärken meine Desorientierung. Zayn sitzt neben mir und spricht leise auf mich ein, aber ich kann die Worte nicht richtig verstehen. Alles ist ein verschwommener Nebel aus Stimmen und Bewegungen um mich herum.

Eine Krankenschwester kommt auf uns zu, ihre Augen freundlich und beruhigend. "Wie geht es Ihnen? Können Sie mir sagen, was passiert ist?"

Ich öffne den Mund, aber meine Stimme versagt. Zayn spricht für mich: "Meine Schwester hat sich von ihrem Verlobten getrennt. Sie war wahnsinnig aufgebracht, hat geschrien und geweint und als wir zu meinem Auto gelaufen sind, ist sie einfach zusammengebrochen. Sie war überhaupt nicht mehr ansprechbar. Ich hatte Angst, dass sie einen Herzinfarkt hat oder sowas."

Die Krankenschwester nickt verständnisvoll. "Wir werden uns gut um Sie kümmern. Kommen Sie mit, ich bringe Sie in ein Zimmer, wo es etwas ruhiger ist."

Sie führt uns in ein Untersuchungszimmer am Ende des Ganges, wo ich mich auf eine Behandlungsliege legen kann. Erschöpft schließe ich die Augen. Eine bleierne Müdigkeit legt sich über meinen Körper. So erschöpft wie heute - mental und physisch - war ich noch nie.

"Ich werde einen Arzt holen, der Ihre Schwester untersucht", informiert die junge Krankenschwester Zayn, bevor sie die Tür hinter sich schließt. Mein Bruder setzt sich auf den Stuhl neben mich und hält meine Hand fest. "Ich bin hier, Shalia. Du bist nicht alleine, okay?"

Schwach nicke ich. Es dauert nur wenige Minuten, bis ein junger Assistenzarzt herein kommt, mir ein paar Fragen stellt und mich untersucht. Er nimmt mir Blut ab, misst meinen Blutdruck und Puls und macht ein Echokardiogramm meines Herzens. Als alle organischen Ursachen ausgeschlossen werden können, verschreibt er mir ein Medikament zur Beruhigung und rät mir, mich auszuruhen. "Sie hatten vermutlich eine Panikattacke, ausgelöst durch den Stress und die emotionale Ausnahmesitution. Das kann sehr belastend für den Körper sein."

Zayn hilft mir, aufzustehen, nachdem der Arzt uns verlassen hat. Ich bin immer noch benommen von der Medikation, aber die Panikattacke scheint sich gelegt zu haben. Wir verlassen die Notaufnahme und treten in die kühle Abendluft hinaus. Alhamdulillah muss ich nicht hier bleiben.

Mein Bruder öffnet mir die Beifahrertür seines Mercedes und hilft mir, mich hineinzusetzen. Er schließt die Tür sanft und geht dann auf die Fahrerseite, steigt ein und startet den Motor. Es ist still im Wagen, nur das leise Summen des Motors und das gedämpfte Licht der Armaturen.

Ich lehne meinen Kopf an das kühle Fensterglas und schließe die Augen. Die Ereignisse des Tages wirbeln in meinem Kopf herum, wie ein Sturm, der sich langsam legt. Zayn fährt vorsichtig los, und wir gleiten durch die nächtlichen Straßen.

"Zayn", sage ich irgendwann leise. Er dreht sich alarmiert zu mir. "Versprich mir, dass du Mama und Baba nichts davon erzählst."

"Kann ich nicht."

"Zayn", wimmere ich und Tränen füllen meine Augen. Als er merkt, wie emotional ich wieder werde, lenkt er ein. "Okay, okay", ruft er und hebt abwehrend die Hände. "Ich behalte es für mich."

"Schwöre es."

"Ich verspreche es dir, Shalia", antwortet er fest. "Ich werde nichts sagen, wallah."

Ich lehne mich zurück und schließe die Augen wieder. Der Weg nach Hause vergeht schnell, und bald sind wir endlich da. Gott sei Dank ist außer uns gerade niemand da.

"Komm, ich bringe dich ins Bett", sagt Zayn leise. Er dreckt mich zu und küsst mir auf die Stirn, bevor er geht. "Shukran, Zayn", flüstere ich leise, als er die Tür schließt und mich alleine lässt.

Unter normalen Umständen könnte ich niemals einschlafen, doch die Beruhigungsmittel haben mich so aus dem Leben geschossen, dass ich problemlos in einen mehrstündigen, traumlosen Schlaf gleite.

...

Die nächsten Tage verbringe ich beinahe ausschließlich im Bett. Ich meide mein Handy, ich esse und trinke kaum und nehme schlagartig mehrere Kilos ab.

Von heute auf morgen nichts mehr von Nael zu hören, nachdem er schon immer Teil meines Lebens war und wir in den letzten zwei Jahren beinahe Tag und Nacht Kontakt miteinander hatten, ist unendlich schwer.

Ich fehle sogar in der Schule und Gott sei Dank hat meine Mutter Verständnis dafür aufgrund meiner Situation, auch ohne von meinem Krankenhausbesuch zu wissen, und schreibt mir eine Entschuldigung.

Irgendwann nach einer guten Woche, beschließe ich, dass es reicht. Es ist Freitag, ich stehe früh auf, gehe Duschen, mache meine Haare und ziehe mir etwas Hübsches an. Dann mache ich mich auf den Weg zur Schule.

Ich habe Essad und Yara, die momentan neben meinen Brüdern meine engsten Bezugspersonen sind, darüber informiert, dass es mir nicht gut geht und ich einige Tage nicht zur Schule kommen werde. Auf ihre Nachrichten und Anrufe, die in den letzten Tagen kamen, habe ich aber nicht reagiert. Daher mischen sich Überraschung und Erleichterung in ihren Gesichtern, als sie mich auf dem Schulhof entdecken. Yara fällt mir sofort erleichtert in die Arme und küsst mich auf die Wange. Auch Essad drückt mich zur Begrüßung an sich und schenkt mir ein herzliches Lächeln. "Geht es dir besser?", fragt er mich.

Ich nicke und schenke ihm ein erzwungenes Lächeln. "Alles gut." Er glaubt mir nicht, das sehe ich in seinen Augen, aber er belässt es dabei.

Plötzlich kommt Selma von der Seite zu uns. Ihre schwarzen, glatten Haare liegen seidig über ihren Schultern, ihre dunklen Augen sind stark geschminkt und sie riecht extrem süß nach Vanille. "Shalia, schön dass du wieder da bist", sagt sie überfreundlich. Ich nicke nur. "Dann kannst du ja heute Abend mitkommen."

Fragend sehe ich sie an. Ich habe keine Ahnung, wovon sie redet.

"Ich feiere in meinen Geburtstag rein, Yara und ich gehen zusammen in die Midnight Shishabar."

Ich werfe meiner besten Freundin einen prüfenden Seitenblick zu und sehe zeitgleich aus dem Augenwinkel, dass Essad die Augenbrauen grimmig zusammenzieht.

"Ehm, ja, klar, ich komme gerne", antworte ich wie ferngesteuert. Selma ist nicht meine Freundin, aber ihr eine direkte Abfuhr zu erteilen, bringe ich auch nicht übers Herz. Außerdem müsste ich mich dann erklären und im schlimmsten Fall noch mit ihr über meine Trennung reden und das ist das Letzte, was ich will.

"Ah schön, das freut mich. Wir treffen uns um 20 Uhr da. Kommt ihr mit nach oben?"

Yara reagiert blitzschnell. "Nein, ich wollte noch eine rauchen. Wir sehen uns gleich oben."

Als die dunkelhaarige Türkin außer Hörweite ist, dreht sich meine beste Freundin zu mir. Sie streicht sich eine ihrer blonden Strähnen aus dem Gesicht und sieht mich entschuldigend an. "Sie tat mir total leid. Sie hat sich ein bisschen an mich rangehangen, als du nicht da warst und mir erzählt, dass sie Geburtstag hat und keiner mit ihr feiert. Ihre zwei Freundinnen müssen arbeiten und ihre Eltern sind in der Türkei. Sie war total traurig, da habe ich ihr vorgeschlagen, dass wir zusammen weggehen."

Ich nicke verstehend. "Alles gut, macht ihr mal. Ich werde ihr später schreiben und sagen, dass ich Kopfschmerzen habe."

Yara legt den Kopf schief und sieht mich aus ihren großen, blauen Augen an. "Ach komm, das wird doch bestimmt ganz nett. Dir wird es auch gut tun, mal ein bisschen rauszukommen und was anderes zu sehen. Ein bisschen unter Leute gehen, Ablenkung, ein paar unbeschwerte Stunden."

Ich winke ab. "Ich habe keine Lust auf andere Leute und auf Selmas Gesellschaft kann ich echt verzichten."

Sie lächelt mir zu und drückt kurz meine Hand. "Vielleicht überlegst du es dir bis heute abend ja doch."

...

Ich weiß gar nicht genau, wieso ich am Abend doch hierhin gekommen bin. Vielleicht hatte ich ebenfalls Mitleid mit Selma, vielleicht war es einfach der egoistische Grund den Kopf freizukriegen.

Die Midnight Shishabar ist in einem relativ kleinen Ladenlokal im Herzen Neuköllns. An schwarzen Hochglanztischen können maximal dreißig Gäste auf schwarzen Ledersesseln oder Sofas Platz nehmen. In der Luft liegt der charakteristisch süße Shishaduft, erzeugt durch den klebrigen Tabak in fruchtigen Geschmacksrichtungen und die glühenden Kohlewürfel.

Im Hintergrund läuft laute Musik aus den Charts, immer wieder unterbrochen durch das Blubbern der orientalischen Wasserpfeifen.

Das Deckenlicht ist gedimmt, die Wandverkleidung mit blauen LEDs ausgestattet, sodass eine schummrige Atmosphäre entsteht, wie sonst nur in Clubs oder Diskotheken.

Ich war ein paar Mal mit Nael hier, als wir offiziell zusammen waren, aber mit Freundinnen habe ich solche Unternehmungen noch nie gemacht. Es ist quasi eine Premiere für mich. Zayn habe ich von meiner Abendgestaltung mal lieber nichts erzählt, denn ich kann mir gut vorstellen, dass diese auf wenig Begeisterung bei meinem älteren Bruder gestoßen wäre.

Ich habe mich richtig in Schale geschmissen, trage eine knackig enge Jeans mit hoher Taille und dazu ein enganliegendes schwarzes Top, das gerade so kurz ist, dass es einen schmalen Streifen meiner nackten Haut freigibt. Dazu trage ich schwarze Riemchen-Sandaletten und einen Oversize-Blazer. Meine wilden Locken habe ich hochgesteckt und mich sogar mit Lidstrich, Wimperntusche und Lipgloss geschminkt.

Ich setze mich neben Yara, die nicht müde wird, mir Komplimente für mein heutiges Aussehen zu machen, während Selma gegenüber von uns Platz nimmt.

Ich habe ihr auf dem Hinweg auf den letzten Drücker ein Parfum bei Douglas geholt, um nicht mit leeren Händen zu kommen, während sie von Yara eine hübsche silberne Halskette mit Glitzersteinen geschenkt bekommt.

"Wir nehmen eine Traube-Minze Pfeife und drei Caipirinhas", bestellt die schwarzhaarige Türkin für uns, die sich heute in eine schwarze Lederleggings und eine Corsage geschmissen hat. Aufreizend und auffällig wie immer.

"Ich weiß nicht, ich trinke eigentlich keinen Alkohol", gebe ich zu bedenken und werfe Yara neben mir einen unsicheren Blick zu.

"Ach, probier einfach mal, ein Cocktail wird dich schon nicht umbringen. Und wenn es dir gar nicht schmeckt, bestellen wir dir halt eine Cola", beschließt Selma leichtfertig.

Ich lasse mich überreden und nippe nur wenig später an dem alkoholischen Drink mit Limette und Minze. "Und?", fragt Selma grinsend. "Gar nicht mal so übel", räume ich ein.

Mein Handy vibriert in meiner Hosentasche und ich werfe einen Blick darauf. Es ist Essad, der mir schreibt. "Madha tafael?"

"Ich bin draußen mit Yara und Selma", antworte ich und trinke erneut von meinem eiskalten Cocktail.

"Bist du doch mit in diese Shishabar gegangen?"

Ich seufze lautlos. Mir ist klar, dass er mir nur schreibt, um das abzudecken. Schon heute morgen war er von Selmas Einladung so gar nicht begeistert.

"Ja, besser als zuhause wieder meine Zimmerdecke anzustarren." Keine Ahnung, wieso ich mich überhaupt rechtfertige. Ich stecke mein Handy zurück in meine kleine Handtasche und widme mich wieder meinen Begleiterinnen.

Als ich mein Smartphone das nächste Mal in die Hand nehme, habe ich den zweiten Cocktail schon fast geleert und spüre bereits eine deutliche Wirkung. Vor und stehen drei Gläser Piña Colada, ein sahniger Cocktail mit Kokossirup und Ananassaft.

Selma und Yara haben schon öfter Alkohol getrunken, was man auch daran merkt, dass sie die zwei Gläser deutlich besser vertragen haben, als ich. Mir ist ein wenig schummrig und so warm, dass ich meinen Blazer ausgezogen habe; meine Laune ist jedoch bestens. Ich fühle mich ausgelassen und losgelöst und habe so viel Spaß wie lange nicht mehr.

"Weiß nicht, sehe ich anders. Du hast da nix verloren", hat Essad mir schon vor einer Stunde geantwortet.

"Chill mal, ixh bin single und kann. Tun und lasssen was jcg will", antworte ich hochkonzentriert. Diese verdammt kleinen Buchstaben auf meinem Display verschwimmen vor meinen Augen und es ist beinahe unmöglich, sie mit meinem Zeigefinger zu treffen.

"Shalia, bist du betrunken???"

"Nein", schreibe ich zurück.

"Schwörst du?", kommt sofort von ihm.

"Nein", antworte ich nur. Dann nehme ich den letzten Schluck aus meinem Glas. Und klatsche in die Hände. "Was trinken wir jetzt, Mädels?'

Yara zieht besorgt die feinen Augenbrauen zusammen. "Ich glaube, du hast genug getrunken", beschließt die Blondine.

Entschieden schüttele ich den Kopf. "Ich hatte zwei Gläser, Yara. Du bist doch nicht meine Babysitterin."

"Ne, aber deine Freundin", gibt sie bissig zurück und ihre blauen Augen verdunkeln sich.

Ich wende mich von ihr ab und drehe mich Selma zu. "Also, Selma, was trinken wir jetzt?"

Sie zögert kurz, dann zuckt sie mit den Schultern. "Tequila Sunrise?"

Ich nicke zustimmend.

Die rot-orange verlaufende Flüssigkeit schmeckt noch besser als die beiden Drinks zuvor, was auch daran liegen kann, dass ich bereits einen ordentlichen Pegel habe.

Yara, die Spielverderberin, ist auf Cola umgestiegen und schiebt mir ihr Glas mit einem eindringlichen Blick rüber. "Trink mal was davon", fordert sie, doch ich schüttele entschieden den Kopf und trinke demonstrativ meinen Cocktail durch den schwarzen Strohhalm.

Meine gute Laune hält noch ganze fünf Minuten an, ich rede und lache ausgelassen und lautstark mit den Mädchen, bis meine leichte Sorglosigkeit schlagartig durch die Realität eingeholt wird.

Die Glastür schwingt auf und eine mir bekannte, dunkle Stimme erfüllt den ganzen Raum: "As-salamu alaikum."

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