《• 29 •》
"Shalia, wach auf!"
Zayns Stimme reißt mich unsanft aus dem Schlaf. Er rüttelt an meiner Schulter. Es ist mitten in der Nacht. Ich hab nach diesem beschissenen Tag so lange gebraucht, bis ich endlich einschlafen konnte.. Wieso zur Hölle weckt er mich jetzt?
Ich blinzele verschlafen und reibe mir die Augen, als ich erkenne, wie aufgebracht mein Bruder ist.
"Was ist los?", frage ich besorgt und bin schlagartig wach.
Er setzt sich auf die Bettkante und nimmt meine Hände in seine. "Shalia, es ist was schlimmes passiert", beginnt er.
Aufmerksam sehe ich ihn an. "Ich habe Nael spontan im Studio besucht. Ich wollte ein bisschen mit ihm quatschen; sehen, wie es so läuft und wenn ich ehrlich bin, wollte ich ihn auch kontrollieren. Ich wollte sichergehen, dass er sein Versprechen einhält und nicht wieder heimlich Gras raucht."
"Und er hat es doch getan?", schlussfolgere ich bestürzt und meine Mundwinkel sinken.
"Schlimmer."
"Was heißt das? Zayn, rück endlich mit der Sprache raus", fordere ich ungeduldig.
"Ich habe ihn beim Koksen erwischt, Shalia."
Ich lache auf. "Du verarschst mich."
Mein Bruder streicht sich fahrig durchs Gesicht. "Ich wünschte, das würde ich. Er saß da mit Abedin und so 'nem Hussein, vor ihm auf dem Tisch mehrere zurecht geschobene Lines und er mit einem zusammengerollten Geldschein an der Nase darüber."
Meine Augen weiten sich und mein Herz beginnt schneller zu schlagen. "Das kann nicht sein", murmele ich ungläubig und schüttele den Kopf.
Ich glaube, ich bin in einem schlechten Film. Das kann unmöglich wahr sein. Das kann nicht mein Leben sein. Ich schlafe bestimmt noch und das ist nur ein schlechter Traum.
"Er wollte mir wieder erklären, dass das ja alles ganz harmlos ist und ich das nur falsch verstehe.. Und dann bin ich ausgerastet."
"Was heißt das?"
"Ich habe ihn am Kragen seines Shirts gepackt und hochgezogen. Diesen verschissenen Drogentisch habe ich umgetreten, sodass es geschneit hat wie bei Frau Holle unterm Fenster. Was dann passiert ist, kann ich dir gar nicht mehr genau sagen. Ich war in einem Wahn. Ich habe wie von Sinnen auf ihn eingeprügelt, bis mich seine tollen Freunde mit aller Gewalt zurückgehalten haben."
Tränen steigen mir in die Augen und ich ziehe meine Hände zurück, um mein Gesicht zu verbergen. "Oh Gott, Zayn.. das kann doch nicht wahr sein."
"Er war blutverschmiert, ich glaube, ich habe ihm die Nase gebrochen. Und sein Auge sah auch nicht gut aus."
Erst jetzt sehe ich, dass Zayns Fingerknöchel auf beiden Seiten geschwollen und blutig sind. Tränen laufen über mein Gesicht.
"Shalia, das war's. Du musst dich trennen. Eure Verlobung wird gelöst."
Ich schluchze herzzerreißend und Zayn zieht mich in seine Arme, hält mich fest, während ich mich an seiner Schulter ausweine. "Es tut mir so leid, Shalia. Ich hätte nie gedacht, dass Nael so tief sinken würde."
Nach einigen Minuten, in denen ich hemmungslos geweint habe, beruhige ich mich etwas und ziehe mich aus der Umarmung zurück. Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht und sehe meinen Bruder mit traurigen Augen an. "Es tut mir auch für dich leid. Ich habe meinen Verlobten verloren, aber du deinen besten Freund."
Zayn schluckt schwer. "Es tut mir weh, ihn so zu sehen. Nael war mein ganzes Leben lang wie ein Bruder für mich. Aber ich kann das nicht mehr hinnehmen. Er hat dich zu sehr verletzt und ich kann nicht zulassen, dass das weitergeht. Er zieht dich immer weiter runter, er ruinert noch dein ganzes Leben. Und besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende."
Ich nicke langsam, meine Augen noch immer feucht. "Ich weiß, dass du Recht hast. Es ist nur so schwer, das zu akzeptieren. Ich liebe ihn doch so."
Zayn legt eine Hand auf meine Schulter und sieht mich mit einem tiefen Blick an. "Wir werden da durchkommen, Shalia. Zusammen. Du verdienst jemanden, der dich respektiert und liebt, ohne dich zu belügen oder zu verletzen. Keinen verdammten Junkie."
"Ich kann das einfach nicht verstehen. Nael war immer der Mann, den ich mir gewünscht habe. Aufmerksam, empathisch, bemüht, ehrlich, liebevoll. Er war immer für mich da und hat mir alles getan, dass es mir gut geht. Ich verstehe einfach nicht, wie er sich so verändern konnte. Was ist nur passiert?"
"Sein Hype ist passiert. Der Erfolg ist ihm einfach zu Kopf gestiegen. Das passiert leider oft. Erfolg verändert den Charakter. Die Leute haben plötzlich Geld und Aufmerksamkeit und kommen nicht drauf klar."
"Nael war sowas doch immer egal", schluchze ich. "Ihm ging es nicht um Geld oder Fame. Er wollte dass seine Arbeit geschätzt und seine Kunst gehört wird."
"Eigentlich schon. Aber er hat sich auf die falschen Personen eingelassen. Er chillt nur noch mit diesen Typen, die sich nicht für Nael interessieren, sondern nur für Næzir. Wenn sein Hype nachlässt, sind die die ersten, die verschwinden. Außerdem glaube ich, dass er mit diesem Erfolgsdruck nicht klar kommt. Die Belastung, immer weiter liefern zu müssen, hat ihn wohl mehr kaputt gemacht, als er zugeben will. Daher Alkohol, Gras und Koks - Betäubungsmittel, um sich zu betäuben."
Nachdenklich nicke ich.
"Ich werde morgen zu ihm fahren. Ich will ein letztes Gespräch mit ihm führen und das sauber zu Ende bringen", beschließe ich.
"Meinst du wirklich, dass das eine gute Idee ist? Er wird weinen und um Verzeihung betteln. Er wird dir wieder versprechen, sich zu ändern und so."
"Bestimmt wird er das, aber ich brauche diesen Abschluss für mich."
"Bist du dir denn sicher, dass du standhaft bleiben kannst und dich nicht wieder von ihm einlullen lässt?"
"Ich weiß, dass es schwer wird", sage ich leise und schaue auf meine Hände, die immer noch leicht zittern. "Aber ich muss es wenigstens versuchen. Wenn ich ihm nicht in die Augen sehe und ihm sage, dass es vorbei ist, werde ich nie den Absprung schaffen."
"Willst du, dass ich dich begleite?"
Entschieden schüttele ich den Kopf. "Das ist eine Sache nur zwischen ihm und mir."
"Okay, wie du meinst." Zayn erhebt sich von meinem Bett. "Versuch, weiter zu schlafen. Alles weitere hat bis morgen Zeit." Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn. "Wenn es dir schlecht geht, komm zu mir rüber, okay?"
Ich schenke meinem Bruder einen tiefen Blick. "Shukran, Zayn", bedanke ich mich und Tränen steigen mir erneut in die Augen. Ich bin unendlich dankbar, dass er für mich da ist. Obwohl er gegen die Beziehung war, hat er jede Krise mit mir durchgestanden und mir das nie vorgehalten.
Doch als mein Bruder das Zimmer verlässt, kann ich nicht anders, als Nael zu schreiben.
"Koks?", schreibe ich nur.
Ich warte nicht lange, bis mein Handy vibriert und Naels Antwort erscheint: "Ja, Koks. Und weißt du, wessen Schuld das ist? Deine! Weil du nichts besseres zu tun hast, als hinter meinem Rücken mit Essad anzubandeln!"
Ich starre auf die Nachricht, mein Herz setzt einen Schlag aus. Ungläubig tippe ich eine Antwort: "Meine Schuld? Wegen Essad? Was redest du da?"
Seine Antwort kommt schnell, die Worte sind voller Bitterkeit: "Ja, Shalia. Du hast mich in die Ecke gedrängt, mit deinen tausend Forderungen. Ich soll nicht trinken, ich soll nicht kiffen, du hast dich ja sogar darüber abgefuckt, wenn ich zu viel im Studio war. Sogar, wenn ich einfach nur das tun wollte, was ich über alles liebe, hast du dich beschwert, anstatt dich einfach für mich zu freuen und mir meinen Erfolg zu gönnen. Und was mache ich? Ich bettele dich an, mir zu verzeihen und tue alles, was du willst, nur damit du hinter meinem Rücken mit meinem Kollegen flirtest! Und zur Krönung kommt mein bester Freund vorbei und haut mir auf die Fresse!"
Ich spüre, wie meine Wut aufsteigt, aber auch ein tiefes Gefühl von Verrat und Traurigkeit. Ich atme tief durch und tippe langsam: "Nael, ich habe dich nie gezwungen, irgendetwas zu tun. Ich wollte nur, dass du ehrlich bist und deine Versprechen hältst. Wenn du Probleme hattest, hättest du mit mir reden sollen. Stattdessen hast du mich angelogen und dich selbst zerstört. Das ist nicht meine Schuld. Das sind deine Fehler, die du gemacht hast. Und nochmal zum mitschreiben: ich habe Essad gesagt, dass er aufhören soll."
"Und mich genauso angelogen, wie du es mir vorwirfst. Du tust so, als wärst du eine Heilige, dabei bist du nicht besser."
Ich starre auf den Bildschirm, Tränen laufen über mein Gesicht. Ich liebe ihn, aber ich kann das nicht länger durchmachen. Mit zitternden Fingern tippe ich meine Antwort: "Khallas, Nael. Das hier ist nicht mehr gesund. Wir tun uns beide nicht gut. Das hier ist nicht mehr die Beziehung, die wir mal hatten. Ich kann das nicht mehr. Es ist vorbei. Ich mache Schluss. Ich werde meinen Eltern morgen sagen, dass ich die Verlobung gelöst habe."
"Bist du dir sicher, dass du das willst, Shalia? Wenn du diesen Stein einmal ins Rollen bringst und unsere Familien involvierst, gibt es kein Zurück mehr."
"Ich weiß. Und glaub mir, mir tut das mehr weh als dir, aber es geht nicht mehr. Ich bringe dir morgen deine Sachen vorbei."
Nael antwortet mir an diesem Abend nicht mehr. Ich liege wach und weine. Ich weine um Nael, um mein gebrochenes Herz und um unsere verlorene Liebe. Ich weine, bis keine Tränen mehr kommen, und wenn ich mich gerade ein wenig beruhigt habe, fange ich wieder an.
Als mein Wecker für die Schule klingelt, habe ich nicht eine Minute geschlafen. Ich denke darüber nach, zu schwänzen, entscheide mich aber dagegen. Ich würde hier zuhause eh nur in meinen Gedanken versinken und durchdrehen. Ein bisschen Ablenkung wird mir gut tun.
Ich gebe mir Mühe, die Spuren der letzten Nacht zu überschminken, doch es gelingt mir nicht. Meine Augen sind rot und verquollen, mein Gesicht aufgedunsen. Ich resigniere vorm Spiegel und packe meine Schminke weg. Die Haare binde ich fahrlässig zusammen und mehr als ein gemütlicher Zweiteiler aus Strick wird es heute auch nicht.
Zum Glück kann ich meiner Mutter aus dem Weg gehen und Zayn schläft noch, als ich meine Tasche schnappe, die Wohnung verlasse und mich auf den Weg zur Schule mache.
Ich weiß, dass ich mit meiner Familie reinen Tisch machen muss, aber wenigstens bleiben mir nun noch ein paar Stunden Zeit bis dahin.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top