《• 27 •》
Als wir nach kurzer Fahrt bei Nael ankommen, steigt Zayn entschlossen aus dem Auto und ich folge ihm mit schnellen Schritten.
Mein Herz rast und ich weiß nicht, wovor ich aufgeregter bin: davor, auf Nael zu treffen, oder davor, wie das Gespräch zwischen Zayn und ihm gleich verlaufen wird.
Zayn zieht sein Handy aus der Hosentasche und ruft seinen besten Freund an. "Ich bin bei dir vor der Tür, komm mal runter", fordert er. Nael erwidert irgendwas, woraufhin Zayn antwortet: "Komm doch einfach runter, yallah", und den Anruf beendet.
Keine fünf Minuten später läuft Nael aus der Haustür. Sein schlanker Körper steckt in einem grauen Tracksuit und er sieht genauso müde und fertig aus wie in dem Instagram-Video.
Als er mich entdeckt, weiten sich seine Augen. Damit hat er wohl nicht gerechnet. Er vergräbt die Hände in seinen Hosentaschen, senkt beschämt seinen Blick und läuft auf uns zu.
Nael will Zayn zur Begrüßung die Hand geben, doch der holt energisch aus und schubst den größeren Mann von sich. Er erschreckt und hebt die Hände zur Verteidigung. "Was ist los?"
"Was los ist? Das sollte ich wohl eher dich, fragen, nicht wahr? Du hast mir versprochen, dass du keine Scheiße mit meiner Schwester machst." Zayns Stimme zittert vor Wut.
Wieder stößt er ihn an den Schultern nach hinten, da mache ich einen Schritt, stelle mich zwischen die beiden und lege eine Hand auf Zayns Arm. "Khallas, Zayn."
Naels unverwechselbarer Geruch, eine Mischung aus Weichspüler und Parfum, steigt mir in die Nase und mir wird ganz flau im Magen. Sein Duft löst so viele Erinnerungen in mir aus.
"Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe und ich bereue das in jeder Sekunde", antwortet er reumütig und kann meinem Bruder kaum in die Augen schauen. "Wallah, ich wollte Shalia nie verletzen."
Zayns Blick ist eiskalt und seine Worte schneidend: "Shalia sollte die Verlobung lösen. Das hier hat keine Zukunft. Du bist nicht der Mann, den sie heiraten sollte. Meine Schwester hat was besseres verdient als einen Junkie, der sie ständig alleine lässt."
Seine Worte schneiden scharf wie Rasierklingen direkt in mein Herz. Tränen steigen in meine Augen. Ich habe befürchtet, dass Zayn sowas sagen würde, aber es in dieser Klarheit aus seinem Mund zu hören, tut verdammt weh.
Nael starrt ihn ungläubig an, Tränen stehen in seinen Augen. "Es tut mir leid, Zayn, wallah, es tut mir leid. Ich habe das Shalia auch schon gesagt: ich höre mit allem auf, wenn sie das will. Ich trinke nicht mehr, ich kiffe nicht mehr und ich werde sie nie wieder anlügen. Es ist einfach der Stress, die Arbeit an diesem verdammten Album. Es fehlt nur noch der Feinschliff, dann halte ich mich von allem fern. Wahayat Allah, ich werde das nie wieder tun."
Zayn bleibt unberührt, seine Miene hart wie Stein. "Du hast ihr Vertrauen missbraucht. Das war das erste und letzte Mal, dass du sie so verletzt hast. Ich lasse das nie wieder zu."
"Nein, das wird nie wieder passieren", beteuert Nael und Tränen laufen ihm über die Wangen.
"Wird es auch nicht, weil du sie nie wieder sehen wirst."
"Zayn, bitte. Ich habe einen Fehler gemacht, aber ich mache es wieder gut. Ich kann nicht ohne sie leben, man. Jede Sekunde ohne sie ist eine Qual. An jedem Tag, an dem ich nichts von ihr gehört habe, bin ich fast gestorben."
Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Ich weiß genau, was er meint. Zu hören, dass es Nael genauso ging wie mir hat in all dem Schmerz auch etwas tröstliches. Auch wenn ich an allem zweifele - daran, dass wir uns beide wie verrückt lieben, habe ich nie gezweifelt.
Mein Bruder wirft mir einen prüfenden Blick zu. "Findest du, er hat noch eine Chance verdient?", fragt er mich direkt.
Weinend schüttele ich den Kopf. "Ich weiß es nicht. Ich liebe ihn auch, nur Gott weiß wie sehr, aber ich will nicht nochmal so verletzt werden", schluchze ich und wische mir eine Träne aus dem Gesicht.
"Das wird nicht mehr passieren, Shalia", wiederholt Nael wie ein Mantra. Seine Stimme klingt flehend.
"Wenn du Shalia wirklich liebst, dann musst du dich ändern. Hör auf, mit Abedin und diesen Wixxern rumzuhängen und fass nie wieder irgendwelche Drogen an."
Nael hebt den Kopf und sieht Zayn entschlossen an. "Ich tue alles um Shalia nicht zu verlieren und ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Ich werde mich ändern, versprochen."
Zayn nickt knapp. "Du hast eine letzte Chance. Solltest du sie nochmal so verletzen, dann gnade dir Gott."
"Ich werde es dir beweisen", verkündet Nael und reibt mit dem Ärmel seines grauen Hoodies über seine verweinten Augen.
"Du brauchst mir nichts zu beweisen, du musst es Shalia beweisen", knurrt Zayn und sucht meinen Blick. "Ich warte im Auto auf dich." Er würdigt Nael keines weiteren Blickes, er verabschiedet sich nicht mal von ihm und geht.
Nael und ich bleiben wortlos zurück. Wir stehen voreinander, schauen uns weinend und ratlos an und wissen nicht, was wir sagen sollen.
Er ist es schließlich, der zuerst das Wort ergreift. Vorsichtig tritt er einen Schritt näher an mich heran. Seine Augen suchen verzweifelt meinen Blick. "Shalia, ich weiß, ich habe alles verkackt, aber ich mache es wieder gut. Ich kann nicht ohne dich leben, ehrlich nicht."
Ich schaue ihn an, Tränen laufen unaufhörlich über meine Wangen. "Okay", antworte ich nur.
Ich weiß nicht, wie ich ihm jemals wieder vertrauen soll, nachdem er mich so hintergangen hat, aber ich will es zumindest versuchen.
Nael greift nach meiner Hand, aber ich ziehe sie zurück. "Ich verspreche es. Keine Lügen mehr, keine Drogen. Ich werde mich von Abedin fernhalten und mich auf uns konzentrieren. Ich will nur dich."
Ich sehe die Entschlossenheit in seinen Augen und spüre einen Funken Hoffnung.
"Nael, ich liebe dich, wirklich, aber ich brauche Zeit um zu sehen, ob du es wirklich ernst meinst. Und du musst dir bewusst sein, dass das deine letzte Chance ist. Nochmal mache ich das nicht mit. Das nächste Mal, wenn ich mitbekomme, dass du kiffst, bin ich weg."
Er nickt langsam und tritt einen Schritt zurück. "Ich verstehe. Ich werde dich nicht enttäuschen, das schwöre ich."
Ich sehe den Schmerz und die Reue in Naels Augen. "Ich hoffe es, Nael. Ich will Zayn nicht länger warten lassen. Ich rufe dich später an."
Dann drehe ich mich um und gehe zum Auto zurück, wo mein Bruder bereits ungeduldig wartet. Kein Kuss, keine Umarmung. Ich will seine Nähe gerade bucht. Als ich einsteige, sehe ich, wie Nael mir noch nachblickt.
Auf der Rückfahrt herrscht eine angespannte Stille. Zayn wirft mir ab und zu besorgte Blicke zu, sagt aber nichts.
Zuhause angekommen legt er plötzlich seinen Arm um mich. "Shalia, ich weiß, dass es schwer ist, aber du musst stark bleiben. Wenn Nael sich wirklich ändern will, wird er es tun, aber lass dich nicht von ihm verarschen, okay? Wenn er es wieder versaut, musst du deine Konsequenzen daraus ziehen."
Ich nicke und meine Unterlippe bebt verdächtig. "Danke, Zayn. Danke, dass du für mich da bist."
Er drückt mich fest, bevor er mich loslässt. "Ich werde immer für dich da sein."
Auch wenn Zayn mir nie sagt, wie sehr er mich liebt, ist es sein Verhalten, das mir dies deutlicher beweist, als Worte es je könnten.
...
Am nächsten Tag laufe ich mit meinem Spanischbuch in der Hand durch den belebten Flur der Schule. Yara hat einen anderen Kurs, deshalb bin ich alleine auf dem Weg zum Spanischunterricht, als ich plötzlich Essad neben mir auftauchen sehe.
"¡Hola, Señorita!" begrüßt er mich mit einem schelmischen Lächeln und einem Zwinkern. Sein bulliger Körper ist in einen beigen Zweiteiler aus Rippstrick gehüllt, der ihm einen Teil seiner harten Ausstrahlung nimmt und ihn irgendwie weicher wirken lässt.
Ich schmunzele. Es schmeichelt mir, dass er ganz offensichtlich Gefallen an mir findet und keinen Hehl daraus macht, doch mir ist auch bewusst, dass es falsch ist, auf seine Avancen einzugehen.
"Guten Morgen", flöte ich und setze wieder mal mein Pokerface auf. Gute Miene zum bösen Spiel zu machen habe ich mittlerweile perfektioniert. Wenn ich schon kein Happy End bekomme, dann wenigstens einen Oskar.
Wir nähern uns dem Klassenzimmer und er öffnet die Tür für mich. "Ladies first."
Ich mache einen Knicks und gehe hinein, gefolgt von ihm. Im Klassenzimmer ist es noch ruhig, nur ein paar Schüler sind schon da. Wir setzen uns nebeneinander und holen unsere Bücher und Hefte heraus.
"Hast du die Hausaufgaben?" fragt er und lehnt sich ein wenig näher zu mir. Sein Duft nach Dior - Sauvage und Minze steigt mir in die Nase. "Halb, halb," antworte ich mit einem schiefen Grinsen, froh über das unverfängliche Thema. "Ich habe Aufgabe 5 nicht verstanden."
Unser Gespräch wird von unserer Lehrerin Frau Nuñez unterbrochen, die den Raum betritt und den Unterricht beginnt. Während der Stunde merke ich, dass Essad mich hin und wieder beobachtet. Seine Aufmerksamkeit ist angenehm, und es tut gut, jemanden zu haben, der sich für mich interessiert, wo ich das bei Nael zuletzt doch so schmerzlich vermisst habe.
Nichtsdestotrotz ist mir bewusst, dass das hier ein Spiel mit dem Feuer ist. Vor Jahren hat Essad mich auf Lounis' und Ilaydas Hochzeit nach einem Date gefragt. Damals war ich schon heimlich mit Nael zusammen und habe ihm eine höfliche Abfuhr erteilt. Nael und Zayn habe ich nie davon erzählt. Ich habe diesen Versuch auch nicht wirklich ernstgenommen.
Nachdem Nael und ich uns verlobt haben, hat Essad sich von mir ferngehalten, doch seit er nach den Abschlussprüfungen in meine Klasse gekommen ist, haben wir uns irgendwie enger miteinander angefreundet. Es begann harmlos, doch seit meine Beziehung so schlecht läuft, ist er wieder häufiger flirtend unterwegs, als würde er merken, dass etwas im Busch ist.
"Lass mal gleich in der Mittagspause was essen gehen, ich bin kurz vorm Verhungern", fordert er mich auf, als wir nach der Spanischstunde auf den Hof laufen.
"Okay", antworte ich knapp.
"Ist das ein Date?", fragt er grinsend und rückt seine silberne Armbanduhr zurecht.
"Willst du denn ein Date mit mir?", gebe ich zurück und sehe ihn herausfordernd an.
"Ist doch kein Geheimnis", antwortet er und zuckt mit den breiten Schultern. "Aber du spielst ja nur mit mir."
Ich will auf seine Provokation einsteigen, als mir klar wird, dass wir beide gerade eine Grenze überschreiten.
"Das ist scheiße, was wir hier machen", beschließe ich geknickt.
Essad tritt einen Schritt näher und schaut mir tief in die Augen. "Warum? Wir machen doch nur ein bisschen Spaß miteinander."
"Vielleicht hast du Recht", sage ich leise.
Mein Blick fällt auf mein Handy in meiner Hand, da eine neue Nachricht aufblinkt. "Hast du heute Zeit? Ich würde dich gerne abholen und etwas mit dir unternehmen."
Nael.
Mein Verlobter.
"Na klar. Ich bin nämlich nicht nur heiß, ich bin auch schlau. Ein richtig guter Fang quasi", grinst Essad triumphierend und reißt mich aus meinen Gedanken.
Ich schüttele den Kopf. Das muss aufhören.
"Essad", sage ich ernst und trete einen Schritt zurück. "Du weißt, dass ich mit Nael verlobt bin und du bist sein Freund. Das hier geht gar nicht."
Er seufzt und schaut weg, bevor er wieder zu mir blickt. "Shalia, ich weiß das, aber ich würde dich Nael immer vorziehen. Ich bin dem nix schuldig. Und so wie du in letzter Zeit drauf bist, solltest du auch mal darüber nachdenken. Du machst ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Glücklich bist du schon lange nicht mehr." Seine dunklen Augen sehen mich durchdringend an.
Es wundert mich, dass ihm das aufgefallen ist. So eng sind wir nun auch nicht miteinander.
Ich nicke bedrückt, mein Blick auf den Boden gerichtet. Da hat er einen wunden Punkt getroffen. "Ist zurzeit alles nicht so leicht", antworte ich vage.
Essad seufzt und wir gehen eine Weile schweigend nebeneinander her. Schließlich bricht er die Stille: "Wenn du mal reden willst, ich bin da."
Ich werfe ihm einen dankbaren Blick zu. "Danke, Essad. Trotzdem ist das keine Entschuldigung für das, was wir hier tun. Es ist nicht richtig dass wir flirten. Egal, wie einsam ich mich fühle oder wie sehr mir dein Interesse schmeichelt."
"Wenn du dir das einreden willst", gibt er schulterzuckend zurück.
"Du weißt, dass ich Recht habe."
"Ich weiß vor allem, dass du das Recht hast, glücklich zu sein und dass Nael das offensichtlich nicht hinbekommt. Und offen gesagt fuckt es mich ab, dabei zuzusehen, wie du vor die Hunde gehst, weil diesem Idioten seine Karriere wichtiger ist als seine Frau."
Das hat gesessen.
Ich streiche mir eine Locke aus dem Gesicht und versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass Essad mich kalt erwischt hat. "Wenn du mit mir befreundet bleiben willst, wirst du das akzeptieren müssen", gebe ich zurück und probiere, dabei halbwegs selbstsicher rüber zu kommen.
Essad verzieht das Gesicht, gibt sich aber vorerst geschlagen. "Okay, ich benehme mich von nun an", verspricht er halbherzig.
Ob er sich daran halten wird, bleibt abzuwarten.
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