《• 23 •》

Das restliche Jahr 2012 vergeht wie im Flug. Zu Beginn der Sommerferien machen Essad, Zayn, Nael, Yara und ich gemeinsam unseren Führerschein in einem Ferienkurs. Auch wenn ich noch nicht alleine fahren darf, da ich erst 17 Jahre alt bin, dürfen das Zayn und Nael und das eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten. Diese nutzen wir im Spätsommer ausgiebig und machen Ausflüge an Badeseen, in den Freizeitpark oder ins Autokino. Wir hängen beinah jeden Tag zusammen, Zayn, Nael, Yara und ich, und genießen einen Sommer und Herbst voller Abenteuer und Lebensfreude.

Noch davor ging es allerdings in den Urlaub in den Libanon und diese vier Wochen waren ein wahr gewordener Traum. Die quirligen Straßen von Beirut, durchzogen von einem Gewirr aus Menschen, Gerüchen und Geräuschen, waren eine faszinierende Kulisse für unser Abenteuer.

Yara hat, wie schon in den letzten Jahren, meine Familie zu meinen Großeltern begleitet und wie meine zweite Schwester mit uns in dem schönen, großzügigen Haus am Meer gelebt. Nael war mit seinem Bruder und seinen Eltern ebenfalls bei Verwandten, die glücklicherweise nur ein paar Straßen entfernt wohnen. Wir trafen uns quasi täglich mit ihm um gemeinsam die Stadt zu erkunden, zu shoppen, neue Cafés und Restaurants auszuprobieren und das Nachtleben von Beirut zu erleben.

Wir liehen uns Roller, erkundeten auf eigene Faust die pulsierende Metropole und tauchten ein in die faszinierende Kultur unseres Herkunftslandes.

Die Tage waren erfüllt von endlosen Spaziergängen durch die engen Gassen der Altstadt, vorbei an historischen Gebäuden und traditionellen Märkten. Wir schlemmten uns durch die köstliche libanesische Küche, von würzigen Mezze über frische Falafel bis hin zu zuckersüßem Baklava und genossen jeden Bissen in vollen Zügen.

Die Abende verbrachten wir oft am Meer, wo wir den Sonnenuntergang über dem azurblauen Wasser bewunderten und das lebendige Treiben an der Corniche beobachteten.

Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass dies unumstritten die schönsten vier Wochen meines Lebens waren, so voller Harmonie, innerer und äußerer Wärme, Spaß und abenteuerlichen Erlebnissen. Die gemeinsamen Momente schweißten uns vier noch enger zusammen und schufen unvergessliche Erinnerungen, die ich für immer in meinem Herzen tragen werde.

Zurück in Deutschland ging neben all dem Spaß auch der Ernst des Lebens wieder los: Naels und Zayns letztes Schuljahr, Yara und mein vorletztes. Wann immer wir nicht zusammen sind, ist Nael im Studio und treibt unermüdlich seine Karriere voran. Diesbezüglich überschlagen sich die Ereignisse. Næzir hat in wenigen Wochen neben "Shamsi" zwei weitere Songs professionell aufgenommen und veröffentlicht. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten, und langsam aber sicher beginnt sich sein Traum zu erfüllen.

Mittlerweile kennt gefühlt jeder in Berlin und weit darüber hinaus Næzir, die Aufmerksamkeit und der Hype sind riesig. Es fühlt sich alles an wie ein Traum.

Als er durch "Shamsi" das erste dicke Geld verdient, überrascht er mich mit einer ganz besonderen Geste: er kauft mir einen Verlobungsring. Und auch, wenn ich den Ring bis heute nicht gesehen habe, hat er mich bereits Rotz und Wasser heulen lassen. Dass er weiterhin so beständig an seinem Plan festhält, zu meinem bevorstehenden achtzehnten Geburtstag um meine Hand anzuhalten, rührt mich unendlich.

Als der Tag endlich gekommen ist, kann ich mein Glück kaum fassen.

- 2013 -

Der Tag, auf den Nael und ich so lange gewartet haben, ist endlich gekommen. Mein 18. Geburtstag. Die Luft riecht nach Geburtstagskuchen und frischen Blumen, als die Sonne langsam hinter den Häusern versinkt und den Himmel in ein sanftes Abendrot taucht.

Meine ganze Familie ist versammelt, um mich zu feiern: Mama, Baba, Kinan, Zayn, Lounis mit Ilayda, Lamiya und meine beste Freundin Yara.

Sie alle sind bester Stimmung, obgleich keiner von ihnen weiß, was Zayn, Yara und ich bereits wissen: inschallah werden wir heute nicht nur meinen Geburtstag feiern.

Ich bin nervös, meine Hände schwitzen und ich rutsche immer wieder unruhig auf der Couch hin und her. Im Minutentakt fällt mein Blick auf die große, verspiegelte Wanduhr. Wieso drehen sich die verdammten Zeiger nicht schneller?

Meine Aufregung ist fast greifbar, und meine Nervosität spiegelt sich in meinem unruhigen Verhalten wieder. Ich kann kaum stillsitzen und jeder Blick auf die Uhr verstärkt die Spannung, während meine Gedanken ständig abschweifen.

Ich versuche mich abzulenken, mich an den rege durcheinander geführten Gesprächen zu beteiligen, doch ich kann mich nicht konzentrieren. Meine Aufregung ist unermesslich.

"Ich kriege gleich einen Herzinfarkt, wenn er nicht endlich kommt", nuschele ich Yara zu und zupfe am Saum meines langen schwarzen Kleides, das ich für diesen Anlass extra gekauft habe. Mit dem enganliegenden Stoff schmeichelt es meiner schlanken Figur, festlich und elegant.

Als dann plötzlich endlich das grelle Schellen der Türklingel den Raum erfüllt, erstarre ich mitten in dem unruhigen Getümmel. Ein Moment der Stille legt sich über die versammelte Familie, während alle Köpfe sich gespannt zur Tür drehen. Das Herz pocht mir bis zum Hals, als ich mich langsam erhebe.

"Man hu dhalik?", fragt meine Mutter, überrascht, wer das ist.

Ich kann ihr nicht antworten, ich bin zu angespannt.

"Erwartest du noch jemanden, Shalia?", fragt mein Vater, der ebenfalls aufgestanden ist und mir in seinen dunkelbraunen Filzpantoffeln zur Wohnungstür folgt.

"Ehm.. La.. Eigentlich nicht..", antworte ich. So eine schlechte Lüge, aber mein Gehirn funktioniert einfach nicht mehr. Meine Hände schwitzen, mein Herz rast und meine Kehle ist trocken.

Mit zitternden Fingern drücke ich den Türöffner. "Komisch, ist doch schon so spät", murmelt mein Vater. Ich höre viele Schritte, die durch das Treppenhaus poltern und sich uns immer weiter nähern. Je höher sie kommen, desto höher schlägt auch mein Herz.

Mein Vater zieht seine buschigen Augenbrauen zusammen und ich muss mich daran erinnern zu atmen.

Es ist tatsächlich Nael selbst, der als erster im Treppenhaus erscheint. Er hat sich schick gekleidet, trägt eine schwarze Stoffhose, ein weißes Hemd und einen dunkelgrauen Wollmantel, aber er ist viel zu blass für seine Verhältnisse und ihm steht die Aufregung in dicken Lettern ins Gesicht geschrieben. Seine honigbraunen Augen glänzen vor Anspannung und er hält sich Hilfesuchend an einem riesigen Rosenstrauß fest.

"Nael?", fragt mein Vater überrascht.

Auch wenn er mit diesem Besuch nicht gerechnet hat, scheint er nicht allzu skeptisch zu sein. Sowohl wir Kinder, als auch Wafaa und Issa und meine Eltern sind seit Ewigkeiten befreundet, sodass er einfach anzunehmen scheint, die vier statten uns einen netten Besuch anlässlich meines Geburtstages ab.

Nael atmet tief durch, bevor er die letzten Stufen der Treppe erklimmt. Sein Blick wandert nervös umher und ein Hauch von Verlegenheit huscht über sein Gesicht, als unsere Augen sich treffen.

"As-salamu alaikum Ammo", begrüßt er meinen Vater und umarmt ihn herzlich, bevor er sich mir zuwendet.

Mit einem unsicheren Lächeln nehme ich den riesigen Rosenstrauß entgegen, den er mitgebracht hat, und atme den süßen Duft der dunkelroten Blumen ein. Nael zieht mich in eine kurze Umarmung. "Alles Gute zum Geburtstag, Shalia."

Auch Naels Bruder und seine Eltern treten in unseren hellen, weitläufigen Flur und begrüßen meinen Vater und mich, bevor sie uns ins Wohnzimmer folgen und vom Rest der Familie in Empfang genommen werden.

Kurz suche ich Yaras Blick. Die hübsche Blondine sitzt neben Zayn und nickt mir aufmunternd zu. Ich wische meine schwitzigen Hände an meinem Kleid ab und zwinge mich, ein Lächeln aufzusetzen.

"Wie schön, dass ihr gekommen seid, um Shalias Geburtstag mit uns zu feiern", frohlockt meine Mutter auf Arabisch zu Naels Mutter und küsst ihr freudig auf die Wange.

Nael räuspert sich sanft und mein Herz rutscht mir augenblicklich in die Hose.

"Ammo, Ammi," beginnt Nael, seine Stimme bebt leicht vor Aufregung und er tritt unruhig von einem Bein auf das andere. "Darf ich kurz eure Aufmerksamkeit haben?"

Er scheint wirklich keine Sekunde mehr warten zu wollen. Er hat sich noch nicht mal hingesetzt.

Alle Gespräche verstummen und die Augen meiner Eltern richten sich neugierig auf Nael.

"Natürlich, Nael," sagt mein Vater, sein Lächeln ermutigend.

Nael stellt den Rosenstrauß ab und tritt einen Schritt vor. "Ich... Ich bin heute nicht nur hier, um Shalia zu ihrem Geburtstag zu gratulieren," sagt er und seine Stimme wird fester. "Ich möchte auch um ihre Hand anhalten."

Ein Raunen geht durch den Raum. Meine Mutter legt eine Hand auf ihr Herz und mein Vater zieht überrascht die Augenbrauen hoch. Seine dunkelbraunen Augen wandern zwischen Nael und mir hin und her.

Ich spüre, wie mir die Hitze in die Wangen schießt und sich ein dicker Kloß in meinem Hals bildet. Alle Augen ruhen auf meinem Freund und mir, doch ich starre nur zu Boden. Jetzt noch einen von ihnen anzusehen, verkrafte ich nicht.

Die Atmosphäre im Raum ist gespannt und Naels Worte hängen in der Luft, während alle gespannt darauf warten, wie meine Eltern reagieren.

Aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, dass der Blick meines Vaters kurz auch zu Zayn schweift. Unter anderen Umständen wäre der vermutlich völlig ausgeflippt, so wie eben damals, als er von unserer heimlichen Beziehung erfahren hat, doch mittlerweile hatte er mehr als genug Zeit sich mit dem Gedanken abzufinden und seit dem gemeinsamen Urlaub gefällt es ihm glaube ich sogar, dass wir noch enger zusammen rücken.

Es vergehen quälend lange Sekunden, die sich anfühlen wie Stunden, bis mein Vater endlich reagiert. Sanft erhebt er seine Stimme: "Shalia?"

Ich nehme all meinen Mut zusammen und überwinde mich ihm in die Augen zu sehen. Sein Blick ist zärtlich, liebevoll, ungewöhnlich berührt.

Der sonst so ruhige und bedächtige Mann sieht mich prüfend an. "Binti, bist du damit einverstanden?", fragt er mich mit rauer Stimme. Ein Schauer läuft mir über den Rücken und plötzlich erfüllt mich neben der Aufregung noch ein weiteres, lähmendes Gefühl: Angst.

Was, wenn mein Vater das gar nicht gut findet? Wenn er uns für zu jung hält, oder noch schlimmer: wenn er Nael nicht für den Richtigen hält?

Tränen steigen mir in die Augen. Mit einem Kloß im Hals antworte ich ihm mit brüchiger Stimme: "Ja, Baba. Nichts würde mich glücklicher machen, als mit Nael mein Leben zu teilen." Die Tränen glänzen in meinen Augen, und als ich den tiefen Blick meines Vaters ewidere, kann ich nicht mehr verhindern, dass sie mir über die Wangen rollen.

Meine Mama, die stets eine Mischung aus Stärke und Sanftmut verkörpert, tritt neben mich und legt liebevoll und schützend ihren Arm um mich. Sie küsst meine Wange und wischt meine Tränen fürsorglich mit dem Ärmel ihrer lilanen Abaya weg.

Mein Vater blickt mich noch einen Moment lang an, dann wendet er sich ernst Nael zu. "Nael," beginnt er, seine Stimme fest, aber freundlich, "ich kenne dich seit du ein kleiner Junge bist. Ich habe zugesehen, wie du aufgewachsen und ich weiß, dass du ein guter Mann bist, aber es ist eine große Verantwortung, meine Tochter zu heiraten, und ich will, dass du dir dessen bewusst bist."

Nael nickt eingeschüchtert. "Natürlich, Ammo. Ich gebe dir mein Wort, immer für Shalia da zu sein, sie zu unterstützen und sie zu beschützen. Ich bin bereit, diese Verantwortung zu übernehmen."

Mein Vater hält Nael einen Moment länger im Blick, als wolle er tief in sein Herz sehen. Dann, endlich, entspannt sich sein Gesicht und ein kleines Lächeln bricht durch. "Gut," sagt er, seine Stimme weicher. "Wenn Shalia glücklich ist, dann bin ich es auch. Ich gebe euch meinen Segen."

Ein kollektiver Seufzer der Erleichterung geht durch den Raum. Ich kann hören, wie Nael erleichtert aufatmet.

Dann kommt er einen Schritt auf mich zu, greift in seine Hosentasche und zieht eine schwarze Schmuckschachtel heraus.

Der Verlobungsring, den Nael mir an den Finger steckt, ist schlicht und zugleich atemberaubend schön. Er besteht aus feinem Weißgold, in der Mitte des Rings thront ein funkelnder Diamant, perfekt geschliffen und makellos klar. Ein zeitloses Stück, das sowohl Wertigkeit als auch Zurückhaltung ausstrahlt – genau wie Naels und meine Beziehung.

Als der Ring an meinem Finger glänzt, kann ich es kaum fassen. Er ist ein Symbol unserer Liebe und unseres Versprechens füreinander, und der Anblick lässt mein Herz vor Freude und Stolz höher schlagen.

"Wir haben es wirklich geschafft", flüstere ich leise. Nael drückt liebevoll meine Hand. "Hab ich dir doch versprochen."

Meine Mutter umarmt mich fest, und auch Nael wird von meinen Eltern herzlich gedrückt. Die Anspannung löst sich, und der Raum füllt sich mit Glückwünschen und Freude.

Als sich die erste Aufregung ein wenig gelegt hat, bittet meine Mama mich, ihr in der Küche zu helfen Cay für alle zu kochen.

Sie schließt verschwörerisch die Tür hinter mir, greift nach meinen Händen und sieht mich aus großen Augen an. "Ich habe gespürt, dass da etwas zwischen euch beiden ist," sagt sie. "Ich habe gesehen, wie Nael dich anschaut, mit so viel Zuneigung und Bewunderung. Aber ich hätte nicht gedacht, dass er so schnell Nägel mit Köpfen macht."

Mir wird ganz warm ums Herz. "So schnell war das ehrlich gesagt nicht", gebe ich zu und weiche ihrem Blick aus.

"Was meinst du damit, binti?"

"Wir sind schon fast seit zwei Jahren ineinander verliebt, Mama", beichte ich.

"Oh", entfährt ihr und ihr Mund bleibt offen stehen. "Damit habe ich nicht gerechnet."

Ich nicke nur, dann zuckt sie plötzlich mit den Schultern. Sie küsst meine Stirn und streicht mir sanft über das Haar. "Und er macht dich glücklich, ja?", vergewissert sie sich.

"Und wie", entfährt es mir und ich sehe sie aus strahlenden Augen an. "Er hat in zwei Jahren nie seine Stimme gegen mich erhoben, wir streiten uns nicht mal wirklich. Er sorgt immer dafür, dass es mir gut geht, er stellt mich immer an die erste Stelle. Er würde alles dafür tun, dass ich glücklich bin. Nael ist mehr, als ich mir je von einem Mann gewünscht hätte."

Als ich bemerke, wie sehr ich ins Schwärmen geraten bin, beiße ich mir verschämt auf die Unterlippe, doch meine Mama lächelt mich glücklich an. "Das ist schön, Shalia. Inschallah seid ihr immer so glücklich miteinander."

Wir sitzen an diesem Abend noch bis in die frühe Nacht hinein zusammen, essen Torte, Früchte und Nüsse, trinken Cay und zelebrieren gleich zwei freudige Anlässe. Immer wieder blicke ich verstohlen auf den zauberhaften Ring an meinem Finger und kann mein Glück kaum fassen.

Ich bin Naels Verlobte.

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