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Am nächsten Tag muss ich nach der Schule Mathe lernen, Zayn hat nachmittags Fußballtraining und wir verabreden um achtzehn Uhr am JuZe, um noch zwei oder drei Stunden dort mit unseren Freunden zu chillen.

Unruhig sitze ich an meinem weißen Schreibtisch in meinem Kinderzimmer. Heute kann ich mich irgendwie nicht auf den Lernstoff konzentrieren.

Meine Eltern, meine vier Geschwister und ich leben in einer geräumigen Sechs-Zimmer-Wohnung. Bis auf Kinan und Lounis, meine beiden ältesten Brüder, die sich auf eigenen Wunsch das größte Zimmer teilen, haben wir anderen alle unser eigenes Zimmer, was ich als absoluten Luxus betrachte.

Kinan ist 19 Jahre alt und macht eine Ausbildung zum Elektriker, Lounis ist der Älteste mit 22 Jahren und ausgelernter Kfz-Mechatroniker. Er hat sich Anfang des Jahres mit seiner langjährigen Freundin Ilayda verlobt und wird nach der Hochzeit im September ausziehen.

Unser Nesthäkchen und die Prinzessin der Familie ist unsere kleine Schwester Lamiya, die mit gerade mal fünf Jahren eine Nachzüglerin ist.

Die Vibration meines Handys reißt mich aus den Gedanken.

"Bist du schon fertig?", schreibt mein Bruder bei WhatsApp. "Fast, wieso?", antworte ich irritiert und runzele die Stirn. Kommt er nach dem Training doch nachhause?

"Habe mit Nael telefoniert. Geh schonmal runter, er holt dich ab, dann musst du nicht alleine laufen."

Ich lese die Nachricht erneut und beiße mir nachdenklich auf die Unterlippe. Was ist das für eine komische Nummer? Schickt Zayn mir jetzt einen Anstands-Wauwau?

Einen ausgeprägten Beschützerinstinkt hatte er schon immer, schlimmer als unsere älteren Brüder sogar, was vielleicht auch daran liegt, dass unsere Beziehung sehr eng ist. Wir waren zusammen im Kindergarten, in der Grundschule und auf der Realschule. Uns trennt nur etwas mehr als ein Jahr und wir verbringen viel Zeit miteinander.

Ihm ist nicht wohl dabei, wenn ich in den Abendstunden alleine durch Berlin laufe, das weiß ich, trotzdem kommt mir diese Aktion seltsam vor.

Kurz kommt mir der Gedanke, dass vielleicht nicht Zayn der Initiator war, sondern Nael, aber ich schiebe den Gedanken beiseite. Nael hat sich nie brüderlich mir gegenüber verhalten, wir waren immer auf Augenhöhe, deshalb gibt es keinen Grund, wieso er plötzlich meinen Bodyguard spielen wollen sollte.

Ich binde meine langen Locken lässig zu einem Dutt zusammen, trage noch ein wenig durchsichtigen Lipgloss auf, richte mein enges, weißes Top, welches ich in meine Jogginghose gesteckt habe und streife mir eine Jeansjacke über die schmalen Schultern.

Nael steht gegenüber unseres Wohnhauses an eine Straßenlaterne gelehnt, sein volles Haar unter einer schwarzen Baseballkappe versteckt und sein Körper in einen kuscheligen, grauen Jogginganzug gehüllt.

Als er mich auf sich zukommen sieht, schenkt er mir ein strahlendes Lächeln und umarmt mich kurz zur Begrüßung.

"Wie komme ich denn zu der Ehre?", hake ich nach und laufe an seiner Seite die Hauptstraße entlang.

"Ich komme doch eh hier vorbei, also können wir auch zusammen laufen", antwortet er schulterzuckend.

"Gib's zu, du hattest Angst um mich", feixe ich und grinse ihn selbstsicher an. "Natürlich, Shamsi. Ein schönes Mädchen wie dich lässt man nicht abends alleine durch die Gegend laufen."

Ich boxe ihm leicht gegen den Oberarm, woraufhin er seinen Arm um mich legt und mich lachend kurz an seine Brust drückt.

"Wie war dein Tag?", erkundigt er sich interessiert. "Ätzend, ich habe den ganzen Nachmittag Mathe gelernt - ohne Erfolg. Ich werde diese scheiß Formeln wohl nie verstehen. Wie war deiner?"

"Ich habe auch was für die Schule getan und ein bisschen Playstation gezockt", erzählt er. Es ist ein lauer Frühlingstag, die Sonne scheint auch zu dieser späten Stunde noch kräftig vom blauen Himmel und Naels Gesellschaft ist wie immer angenehm.

Am Jugendzentrum angekommen fasst er sich plötzlich suchend in seine Hosentaschen und zieht dann einen Schmollmund. "Ich habe meine Kippen zuhause vergessen. Ich hole mir eben welche am Späti. Willst du mitkommen oder gehst du schon rein?"

Ich überlege kurz und entscheide mich dafür im JuZe auf ihn zu warten, vielleicht sind Yara oder Zayn schon da. Außerdem ist der Spätkauf schräg gegenüber des Jugendzentrums, Nael wird also nur ein paar Minuten weg sein.

Ich sehe mich suchend im großen Saal des JuZe um, entdecke jedoch weder meinen Bruder noch meine beste Freundin. Kurzentschlossen setze ich mich auf dieselbe Couch wie gestern und will gerade mein Handy herausholen und Yara anrufen, als sich ungefragt ein junger Mann viel zu dicht neben mich setzt.

Fragend sehe ich ihn an.

Ich habe ihn hier schon öfter mal gesehen, kenne ihn aber nicht. Ich wüsste auch nicht, dass er ein Freund von Nael oder Zayn ist.

"Hi, ich bin Khalil und du?"

Irritiert mustere ich ihn. Schwarzer Undercut, schwarzes T-Shirt, Jeanshose, Turnschuhe, Bauchtasche. Sein rechter Arm ist tätowiert, sein Lächeln aufgesetzt.

"Ich bin nicht interessiert", antworte ich trocken. Wenn Zayn mitbekommt, dass ich mich von diesem wildfremden Typen anbaggern lasse, nimmt er mich nie wieder mit.

Abgesehen davon ist Khalil mir mehr als unsympathisch. Ich kann es gar nicht genau benennen, es sind vermutlich seine ungehobelte Art und sein falsches Grinsen, die bei mir die Alarmglocken läuten lassen.

Statt mich in Ruhe zu lassen, rutscht er jedoch weiter zu mir auf. "Mach mal nicht auf arrogant, ich will dich doch nur kennenlernen."

Hilfesuchend schaue ich mich um, als mein Blick in Naels düsteres Gesicht schaut. Er beobachtet die Szene aufmerksam und macht eine drehende Handbewegung, während seine Lippen lautlos "Shu?" formen. Sein Kiefer ist angespannt, seine Zornesfalte ausgeprägt und seine braunen Augen haben sich bedrohlich verdunkelt.

Er scheint mir auch aus zehn Metern Entfernung anzusehen, wie unwohl ich mich fühle.

Ich drehe mich wieder zu dem Typen neben mir. Mein Herz schlägt bereits schneller vor Aufregung und ich zwinge mich, einigermaßen gleichmäßig weiterzuatmen.

"Das ist nett, aber ich habe kein Interesse", wiederhole ich ernst.

Ich stehe auf, um mich durch eine Flucht aus der unangenehmen Situation zu befreien, da greift Khalil nach meiner Hand und hält mich am Handgelenk fest.

Ich will gerade herumfahren, lautstark protestieren und meine Hand wegreißen, da taucht Nael direkt vor mir auf. Sein süßlicher Geruch steigt mir in die Nase und umhüllt mich wie eine Kuscheldecke.

"Was ist hier los?", fragt er durch zusammengebissene Zähne, starrt jedoch an mir vorbei und fixiert Khalil mit einem vernichtenden Blick.

"Ich habe keine Ahnung", flüstere ich leise und schüttele den Kopf.

Nael ist mir so nah, dass ich seinen Atem an meiner Halsbeuge spüre und die Hitze, die von seinem Körper ausgeht, meine Haut brennen lässt.

"Was interessiert dich das? Ist sie deine Perle oder was?", knurrt eine tiefe Stimme hinter mir.

Naels sonst so weiches Gesicht verhärtet sich weiter. "Verpiss dich einfach, Khalil. Sie hat keinen Bock auf dich, okay? Und fass sie nie wieder an."

"Was juckt dich das, Nael? Misch dich doch einfach nicht ein", knurrt sein Gegenüber mit einem furchtbar provokanten Ausdruck im Gesicht.

Nael atmet schwer und ballt seine Hände zu Fäusten. In mir steigt die Angst auf, dass die beiden sich gleich meinetwegen prügeln. Sanft berühre ich Naels Hand und erwecke damit seine Aufmerksamkeit. "Khallas, Nael", flüstere ich leise. Er zieht scharf die Luft ein und für den Bruchteil einer Sekunde scheint es, als würde er sich in meinem Blick verlieren.

"Ach daher weht der Wind! Du stehst selbst auf sie, Jaziri", spricht Khalil Nael schadenfroh grinsend mit seinem Nachnamen an.

Bei seiner dreisten Behauptung bleibt mir beinahe die Spucke weg. Wie kommt er denn auf das schmale Brett?

Nun schiebt Nael sich entschieden an mir vorbei und bleibt nur wenige Zentimeter von dem übergriffigen Jugendlichen stehen. "Halt jetzt endlich dein verdammtes Maul", flucht er. "Das ist Zayns kleine Schwester und wenn du ihr noch einmal zu nah kommst, machen entweder er oder ich dich einen Kopf kürzer, hast du mich verstanden?"

Er starrt ihm fest in die Augen, schubst ihn dann ein wenig an den Schultern nach hinten und dreht sich wieder zu mir. "Komm mit, Shalia", fordert er mich auf und schiebt mich bestimmt an meinem Oberarm zum Treppenhaus.

Nael atmet schnell und unruhig, als er mir den Vortritt lässt und mir in den Keller folgt. Wir setzen uns in den Vorraum des kleinen Tonstudios auf ein dunkelblaues Sofa und er sucht meinen Blick.

"Alles okay bei dir?"

Ich schlucke. "Ja, schon okay", antworte ich und weiche seinem Blick aus. Sanft legt er seinen Daumen an mein Kinn, schiebt es leicht nach oben und bringt mich so dazu, ihn anzusehen. "Was ist los, Shalia?", fragt er mich liebevoll und seine honigbraunen Augen glänzen im künstlichen Licht der Wandlampe.

"Mir war diese Situation einfach super unangenehm. Wenn Zayn davon erfährt, wird er richtig Theater machen und mich bestimmt nicht mehr mitnehmen", erkläre ich traurig.

"Keine Sorge. Sollte er wirklich sauer auf dich sein, kläre ich das mit ihm, okay?" Er legt den Kopf schief und sieht mich durchdringend an. Nael hat diesen unverbesserlichen Optimismus und gibt einem immer das Gefühl, dass alles gut wird.

Ich beiße mir auf die Unterlippe und nicke schweigend, während ich ihn aus großen Bambiaugen ansehe.

"Mach nicht so", sagt er heiser und sieht auf meine vollen Lippen.

In meinem Bauch beginnt es zu kribbeln. Ich könnte schwören, dass die Entfernung zwischen uns immer kleiner wird, ohne dass einer von uns sich traut, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen.

Die Luft zwischen uns ist zum Zerreißen gespannt.

Was passiert hier gerade?

Mein Herz rast, meine Hände werden feucht und mein Mund trocken.

Ganz langsam, fast in Zeitlupe, schiebt Nael seine rechte Hand sanft auf mein Knie. Sofort beginnt die Haut unter meiner Jogginghose zu prickeln.

Ich wäge gerade ab, ob ich ihn zurückweisen soll oder einfach auf mich zukommen lasse, was nun geschieht, da wird mir die Entscheidung abgenommen. Die stählerne Brandschutztür wird schwerfällig aufgeschoben, das Metall kratzt wie immer leicht über den rauen Steinboden und Zayns Stimme ertönt lautstark durch die Stille des Kellerraumes: "Nael? Shalia?"

Erschrocken, fast schon panisch fahren wir auseinander und starren meinen Bruder beide erschrocken an.

Es ist Nael, der seine Sprache zuerst wiederfindet und antwortet: "Ja, Bruder, wir sind hier."

Ich weiß nicht, wie viel Zayn gesehen hat, aber er mustert uns mit düsterem Blick. Er scheint nicht einordnen zu können, wobei er uns gerade ertappt hat, aber er ist trotzdem misstrauisch. Dennoch ignoriert er den Elefanten im Raum und fragt stattdessen: "Was war oben los? Ich habe euch gesucht und Essad meinte, es gab Stress mit Khalil."

"Khalil hat Shalia angemacht und nicht in Ruhe gelassen, obwohl sie ihm unmissverständlich klargemacht hat, dass sie da keinen Bock drauf hat. Ich habe mir das kurz angeschaut und bin dann dazwischen gegangen", fasst Nael die unerfreulichen Ereignisse kurz zusammen.

Zayn nickt verstehend. "Dreckiger Bastard. Der weiß genau, dass Shalia meine Schwester ist. Das wird noch ein Nachspiel haben."

Abrupt stehe ich auf und schenke Nael kurz einen entschuldigenden Blick. "Ich gehe mal Yara suchen."

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Meine Lieben,

Hier ist das zweite Kapitel für euch.

Denkt ihr, das Ganze wird wirklich noch ein Nachspiel für Khalil haben, so wie Zayn droht?

Und was war das da gerade zwischen Nael und Shalia?

Alles Liebe,
A.

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