《• 11 •》

"Nael?", ruft eine männliche Stimme fragend in die Stille der Wohnung.

"Mein Bruder", zischt dieser mir zu und richtet sich abrupt im Bett auf. "Bleib einfach hier, ich gehe kurz raus und.."

Er kann den Satz nicht zuende bringen, denn während er einen Plan schmiedet, um das Schlimmste zu verhindern, reißt Faiz einfach die Zimmertür auf.

Der junge Mann, der Nael ziemlich ähnlich sieht, außer dass er einen halben Kopf größer und gut zwanzig Kilo schwerer ist, steht plötzlich in einem schwarzen Jogginganzug in Naels Kinderzimmer und starrt mich erschrockem an. Dass ihm nicht die Augen aus dem Kopf fallen ist alles.

"Shalia?", fragt er ungläubig, als würde er seinen eigenen Augen nicht trauen. Kurz frage ich mich, ob es Sinn macht, meine Identität einfach zu verleugnen und mich als jemand anders auszugeben.

"Ich habe Shalia bei einem Referat geholfen. Wir sind schneller fertig als geplant und wollten jetzt noch einen Film gucken", rechtfertigt Nael sich etwas zu schnell.

Faiz wendet seinen Blick von mir ab und beäugt nun seinen kleinen Bruder kritisch. "Referat", wiederholt er spöttisch. "Ist klar. Wo sind denn Shalias Schulsachen?"

Nael deutet mit einer Kopfbewegung auf meinen Rucksack.

"Und wo ist das Referat?"

"Auf meinem PC natürlich", blufft Nael selbstsicher.

"Worüber?", Faizal betrachtet nun wieder mich mit prüfendem Blick.

"Über.." Ich überlege fieberhaft, doch so schnell fällt mir nichts ein. Ich bin eine miserabele Lügnerin, erstrecht, wenn ich improvisieren muss.

Faiz lacht erneut auf und schüttelt den Kopf. "Weiß Kinan davon?"

Mir wird heiß und kalt zugleich.

Beschämt schüttele ich den Kopf.

"Zayn?"

Ich verneine wieder.

"Das heißt ihr trefft euch heimlich miteinander, Shalia ist alleine bei uns Zuhause, ihre Brüder und ihre Eltern wissen nichts davon, du lügst deinen besten Freund an, Nael.." Er macht eine bedeutungsschwangere Pause bevor er fragt: "Und jetzt hofft ihr wahrscheinlich auch noch, dass ich euer Spiel mitspiele, nicht wahr?"

Ich schaue Faizal nur aus großen Augen an, während Nael ihm wortlos nickend zustimmt. Wenn Naels Bruder uns verpetzt, sind wir beide am Arsch.

"Wie lange geht das mit euch schon?"

Ich senke meinen Blick. Zu groß ist meine Scham Faizal gegenüber. Ich wusste von Anfang an, dass es falsch ist, was wir tun, aber ich konnte mich gegen meine Gefühle für Nael einfach nicht wehren.

"Drei Monate", antwortet Nael leise und ich höre die Unsicherheit in seiner Stimme, auch wenn er sich gelassen gibt. Er weiß genauso gut wie ich, dass wir nun von Faiz' Wohlwollen abhängig sind, damit uns unsere heimliche Beziehung uns nicht mit einer gewaltigen Explosion um die Ohren fliegt.

Faiz schüttelt anklagend den Kopf. "Astaghfirullah. Al jahil adu nasfu", schimpft er, was soviel heißt wie: "Ich bitte Allah um Vergebung. Ein Dummer ist sein eigener Feind."

"Von dir hätte ich das niemals erwartet, Shalia", wendet er sich nun ausdrücklich an mich.

"Wir haben nichts Schlimmes getan, Faiz, wallah, wahayat Allah", schwöre ich und Tränen der Verzweiflung füllen meine Augen.

"Du weißt ganz genau, dass es schon schlimm genug ist, dass du hier bist", knurrt er.

Ich beiße mir auf die Unterlippe um nicht laut loszuschluchzen. Tränen stauen sich in meinen Augen und ich schäme mich so sehr.

"Was habt ihr euch dabei gedacht, verdammt? Wieso habt ihr euch in so eine beschissene Situation gebracht?" Seufzend rauft er sich durch seine dichten, schwarzen Haare.

"Weil wir uns verliebt haben", antwortet Nael leise.

"Inschallah habt ihr das. Das wäre auch der einzige Grund, den ich irgendwie zu einem Prozent nachvollziehen kann."

Eine Träne läuft mir über die Wange und ich schlage mir verlegen die Hände vors Gesicht.

"Khallas, Faiz", sagt Nael nun ernst zu seinem Bruder und legt mir sanft eine Hand auf den Rücken.

"Shalia, hör mir zu", fordert Faizal stattdessen. Als ich nicht reagiere, fragt er etwas weicher: "Shalia?"

Ich hebe den Kopf und sehe ihn verweint an. Es fällt mir schwer, Naels älterem Bruder überhaupt noch in die Augen zu schauen.

"Ich werde euch nicht verraten. Ihr wisst genau, was ihr da tut und welche Konsequenzen das schlimmstenfalls mit sich bringen kann. Aber ich werde euch auch nicht decken. Wenn Zayn oder Kinan mich direkt darauf ansprechen, werde ich meinen Freunden nicht ins Gesicht lügen, hört ihr?"

Mir fällt ein Stein vom Herzen und ich nicke eifrig.

"Und tut nichts, was man nicht rückgängig machen kann", wendet er sich nun an seinen Bruder und sieht ihm eindringlich in die Augen.

Jetzt wird das ganze Gespräch gleich auf einer weiteren Ebene unangenehm und ich spüre, wie mir die Schamesröte in die tränennassen Wangen schießt.

Er will uns klarmachen, dass wir bloß nicht miteinander schlafen sollen, aber davon bin ich eh noch meilenweit entfernt. Ich habe mir selbst vorgenommen, bis zur Ehe damit zu warten. So wurde ich aufgezogen und so halte ich es für richtig.

Nael verdreht die Augen. "Ist klar. Als ob es uns darum geht."

"Ich wollte nur sichergehen", verkündet Faiz mit Nachdruck und wendet sich zum Gehen. "Mama kommt übrigens in einer halben Stunde nachhause. Sie macht eher Feierabend, weil wir gleich einen Termin beim TÜV haben. Wenn euer Pensum an Überraschungen also für heute gedeckt ist, solltest du Shalia lieber langsam nachhause bringen." Dann zieht er Naels Zimmertür wieder hinter sich ins Schloss.

Ich atme tief durch und traue mich gar nicht, Nael in die Augen zu sehen, so unangenehm ist mir das alles.

"Es tut mir so leid, Shalia", beteuert Nael und greift nach meiner Hand.

"Ist doch nicht deine Schuld. Wenn wir ehrlich sind, war es nur eine Frage der Zeit, bis uns jemand erwischt und von allen möglichen Personen ist dein Bruder noch das geringste Übel."

Nael legt den Kopf schief. "Er wird uns nicht verraten, mach dir keine Sorgen. So link ist er nicht."

Nachdenklich nicke ich.

"Wir können unsere Beziehung auch beenden, wenn du dich damit unwohl fühlst", erklärt er fürsorglich, doch seine Stimme ist schwer wie nie zuvor.

Überrascht sehe ich ihn an.

"Können wir nicht", seufze ich leise.

"Wieso?", hakt er nach.

"Dafür ist es zu spät. Ich habe mich schon viel zu sehr in dich verliebt. Jetzt müssen wir das ganze hier durchziehen, damit es sich wenigstens gelohnt hat", lache ich halbherzig.

"Wir können uns auch einfach nicht mehr heimlich treffen und ich halte nächstes Jahr um deine Hand an?", schlägt er lösungsorientiert vor.

"Und auf das hier siebzehn Monate lang verzichten?" Ich lege meine schlanke Hand an seine Wange und küsse ihn. Unsere Lippen verschmelzen zu einer unzertrennlichen Einheit, bis Nael in den Kuss hinein wispert: "Hast Recht, das war 'ne ziemlich dumme Idee von mir."

"Wirklich sehr dumm", flüstere ich lächelnd an seine Lippen.

Er streicht mir liebevoll eine meiner dunkelbraunen Locken aus dem Gesicht. "Komm, ich bringe dich nachhause."

..

"Willst du noch ins JuZe?", erkundigt Nael sich auf dem Heimweg. Es ist kälter geworden, der Himmel nicht mehr strahlend blau wie noch im Sommer, sondern von morgens bis abends einheitlich grau und voller Wolken.

Ich schüttele entschieden den Kopf. "Ich muss den Schock jetzt erstmal verdauen. Außerdem ist morgen der Henna-Abend von Ilayda und ich habe Mama versprochen ihr noch ein wenig bei den Vorbereitungen zu helfen."

Der Henna-Abend beziehungsweise die Henna-Nacht ist ein türkischer Brauch, eine Art Junggesellinnenabschied für die Braut. An der Feier selbst nehmen nur Frauen teil, bei der Henna-Prozedur wird dann auch der Bräutigam dazu geholt. Die Familie der Braut organisiert den Abend, es wird getanzt und gegessen, bis der Teil kommt, an dem das Henna aufgetragen wird.

Die Braut trägt ein traditionelles Gewand und ein rotes Seidentuch über dem Kopf, es wird getanzt und gesungen und eine Zeremonie abgehalten, an deren Ende auf die Handinnenflächen der Braut und den kleinen Finger des Bräutigams das Henna aufgetragen wird. Das Hennapulver wird dafür von einer jungen, glücklich verheirateten Frau zu einer Paste vermischt. Man glaubt daran, dass sich ihr Glück auf das Paar überträgt. Die Braut ziert sich und öffnet erst dann die Hand, wenn die Schwiegermutter ihr ein Goldstück schenkt. Die Gäste bemalen sich ebenfalls die Handflächen um von dem Glück der Braut etwas abzubekommen. Nach diesem Teil wird die Feier bis in die Nacht fortgesetzt.

"Stimmt. Zayn hat mich auch gefragt, ob ich zu Lounis' Feier komme. Er wollte wohl einen richtigen Junggesellenabschied machen und sich hemmungslos betrinken, aber Ilayda hat ihm diesen Zahn gezogen", grinst Nael.

"Ich weiß", antworte ich und verdrehe die Augen. "Die Jungs wollen bei uns im Garten ein bisschen feiern. Sie haben einen Pavillon aufgestellt, Getränke en masse gekauft und grillen, bevor Lounis dann zum Henna-Abend von Ilayda kommt. Willst du nicht hingehen? Wird doch bestimmt lustig."

Er seufzt tonlos. "Ich weiß nicht. Ich habe irgendwie nicht so ein gutes Gefühl dabei, mit deinen drei Brüdern und deinem Vater den ganzen Abend im kleinen Kreis zu verbringen."

Ich verkneife mir ein Lachen und lege den Kopf schief. "Wird im Laufe deines Lebens nicht das letzte Mal sein, wenn du mich heiraten willst", erinnere ich ihn.

"Das ist was anderes. Dann muss ich nicht mehr allen ins Gesicht lügen."

Nahezu beiläufig streiche ich über seinen Arm. "Sieh es als Chance, dich mit allen gut zu stellen."

"Warte ab. Ich werde meine Mutter bei der Hochzeit am Wochenende zu dir schicken und dann kannst du mal selbst versuchen, dich mit ihr gut zu stellen. Mal gucken, wie unangenehm dir das dann ist", neckt er mich.

Eine Straße vor der unseren zieht Nael mich plötzlich in einen Hinterhof um mich ein letztes Mal zu küssen. "Danke für alles." Ich schaue auf das wunderschöne Armband an meinem Handgelenk. "Ich liebe dich, Nael."

"Ich liebe dich auch, Shalia", antwortet er lächelnd und küsst mich innig.

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Meine Lieben,

Wie fandet ihr Faizals Reaktion?

Und denkt ihr, es wird noch lange dauern, bis die nächste Person von den beiden erfährt?

Wart ihr eigentlich auch schon mal bei einem Henna-Abend? Ich leider noch nie..

Alles Liebe,
A.

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