kurzgeschichte // contest abgabe #7

Flammenblte
Themen:
•Hauptcharakter -> Junge
•Emotion -> Trauer
•Ort -> Wald

Ich lehnte mich zurück. Mein Rücken fand Halt an einem Baumstamm, dessen Rinde sich an meinem Shirt festkrallte. Ich war bereits in einen Halbschlaf verfallen, als mich eine zarte Melodie zurück in die Relität holte. Ich öffnete meine Augen - und sah in ihre. Mir war bewusst, dass die Melodie nicht mehr als der Wind war, der durch die Baumwipfel strich und damit ein eigenes, ganz neues Lied komponierte. Aber diese Tatsache wollte ich im Moment nicht wahrhaben. Das einzige was ich wollte, war sie in den Arm zu nehmen, ihr alles zu erzählen, während sie mir tröstend die Tränen von den Wangen wischte. Ich streckte meine Hand aus, um ihr das widerspenstige Haar aus dem Gesicht zu streichen, das ich so viel mehr liebte, als sie es getan hatte. Doch meine Hand griff ins Leere. Ein schmerzhaftes Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Sie öffnete ihren Mund, doch statt Worten ertönte erneut diese zarte Melodie, die ihn Wahrheit nicht einmal von ihr stammte. Wie gerne würde ich ihre Stimme hören. Nur noch einmal. "Mathilda..." Der Name klang so vertraut und zugleich so fremd. Aber es tat unglaublich gut, ihn auszusprechen. "Mathilda", sagte ich etwas lauter und lächelte. Ich wusste, dass sie mir keine Antwort geben würde, egal wie oft ich nach ihr rufe. Aber allein der Klang ihres Namens machte diese Welt für mich schon ein kleines bisschen besser. Manchmal verurteilte ich sie dafür, dass sie einfach so gegangen war und mich hier allein gelassen hat. Obwohl ich kein Recht dazu hatte. Sie hatte so viel durchmachen müssen.
Trotzdem blieb sie immer glücklich und war immer da, für andere, für mich, für alle. Aber nie für sich selbst. Vielleicht war das ja ihre große Schwäche. Sie meinte einmal, wenn andere ihr ihre Probleme anvertrauten, musste sie sich weniger Gedanken über ihre eigenen machen. Es war eine relativ plausible Erklärung, deshalb hatte ich damals nichts darauf erwidert. Aber das hätte ich tun sollen. Die Zeit vergeht so schnell und manchmal reicht sie einfach nicht aus, um alles zu sagen, was man sagen wollte.
Ruckartig stand ich auf. Ich schüttelte mich, wie ein Hund, der versuchte die vielen einzelnen Wassertropfen aus seinem Fell zu kriegen. Nur waren es bei mir nicht die Wassertropfen die ich so dringend loswerden wollte, sondern die Gedanken die selbst schon die hinterste Ecke meines Gehirns ausfüllten. Wie lange habe ich jetzt da gesessen und mit sinnlosem Nachdenken meine Zeit verschwendet? Eine Stunde? Anderthalb? Ich hatte keine Ahnung, und es war mir eigentlich auch herzlich egal. Mein Blick suchte den Platz ab, auf dem ich mich gerade befand. Meine Füße hatten mich nicht enttäuscht. Selbst wenn ich gerade nicht denken konnte, haben sie mich an den richtigen Ort gebracht. Mir stieß eine Blume in die Augen. Löwenzahn.
Mathilda hatte schon immer etwas besonderes für Blumen übrig, aber diese hatte sie besonders geliebt. "Sie mag für manche vielleicht Unkraut sein, aber sie ist unglaublich stark, denn selbst wenn man mal darauf trampelt, wächst sie weiter. Außerdem ist sie wunderschön. Sie verblüht nicht, sondern wechselt einfach ihr Kleid und fliegt dann davon, um ein ganz neues Leben anzufangen!" So hatte sie die Blume beschrieben. Vorsichtig bückte ich mich hinab und fing an zu graben. "Immer schön die Wurzeln ausgraben! Wenn wir die Blume schon unbedingt aus ihrer Heimat nehmen, dann lassen wir sie wenigstens noch weiterleben!" Auch das hatte ich von Mathilda.
Nachdem ich den Löwenzahn ausgegraben hatte, schüttelte ich sanft die Erde von den Wurzeln. Dann stand ich auf und folgte einem Trampelpfad, der mich quer durch die Wiese und anschließend an einem kleinem Bach vorbeiführte. Schließlich blieb ich stehen. Die Lichtung, auf der ich angekommen war, wurde normalerweise von niemandem, außer den Vögeln und Eichhörnchen besucht. Doch heute war da jemand. Eine Person, die knieend und mit gefalteten Händen am Boden saß, umhüllt von einem braunen Mantel, drehte sich langsam zu mir um. Ihr Gesicht war blass und ihre Augen leer, aber die markanten Wangenknochen und das Haar, das zu allen Seiten abstand, kam mir bekannt vor. Der Mann schien genauso verwirrt zu sein wie ich, hier jemanden zu treffen. Nach einer kurzen Weile Stille lächelte er. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Dieses Lächeln. Ich wollte es nicht wahr haben, aber es war ihrem so unglaublich ähnlich. Sofern man mal von der Tatsache weg sah, dass ihr Lächeln viel wärmer und lebensfreudiger gewesen war. Einen Moment lang blickten wir uns an. Keiner wagte ein Wort zu sagen, die Stille legte sich wie ein Mantel über uns und verband uns auf eine seltsame Art und Weise. Der Mann räusperte sich. "Du bist Lion, richtig?", sagte er. In seiner Stimme lag weder Hass, noch Freundlichkeit. Er schien nicht auf eine Antwort zu warten, sondern redete einfach weiter. "Das war ihr Lieblingsplatz. Ach was, das weißt du bestimmt schon." Ich schenkte ihm ein Lächeln, doch meine Augen behielten ihren trüben Schleier aus Trauer und Seelenschmerz bei. Ich setzte mich neben den Mann, doch noch immer wollte kein Wort über meine Lippen kommen. Mathildas Vater war mir noch nicht überaus oft begegnet und die Gelegenheit, mir ein Urteil über ihn zu geben hatte sich noch nicht ergeben gehabt. Doch zu wissen, dass er sich ebenfalls in seine Verzweiflung stürzte wie ein Taucher in ungewisses Gewässer verlieh mir eine seltsame Art von Zuversicht. Er stand auf, langsam und träge. Seine Beine schienen gehen zu wollen, wegrennen, weg von der grausamen Realität und hinein in eine neue, heile Welt. Doch sein Herz wollte bleiben und auch die Worte, die sich in seinem Kopf herum drückten wollten bleiben, das erkannte ich an seinem zwiegespaltenem Gesichtsausdruck. "Danke.", sagte er schließlich. Ob das Dank an mich gerichtet war oder an Mathilda, war mir unklar. Schließlich hob er seine Hand in der er eine Pusteblume hielt, welche mir bis jetzt noch nicht aufgefallen war. Er führte die Pusteblume vor seinen Mund und lächelte schmerzhaft. "Auf Mathilda.", murmelte er und ließ die Schirmchen mithilfe seines Atems durch die Luft segeln. Sie verstreuten sich und eines landete auf meiner Hand. Ich spürte, wie mir die Tränen über die Wange liefen, wie kleine salzige Regentropfen. Ich wollte nicht weinen, doch das Wasser in meinen Augen war wie eine nicht zu stoppende Überschwemmung. Schließlich gab ich dem Schirmchen auf meiner Hand einen kleinen Stups und wiederholte die Worte des Mannes. "Auf Mathilda. Auf dass sie ihr Kleid wechselt, davonfliegt und ein neues Leben beginnt."

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