Kurzgeschichte/Zeilenqueen25

Ich trommelte mit meinen Fingern über, die von Narben übersäte Tischplatte.

Jede einzelne erinnerte mich daran, wie viele ich selbst besaß. Einmal auseinander gefallen und wieder zusammen geflickt.

Meine Hand faltete sich langsam zu einer Faust zusammen. Es schmerzte. Mehr als das. Die Narbe war frisch und brannte, wie der Rauch es in meiner Lunge getan hatte. Der Schmerz war nur eine reine Erinnerung an den Tag, wo die Ungerechtigkeit überhandgenommen hatte.

Nachdem ich die Hand wieder geöffnet hatte, konnte ich nur noch erahnen, wo einmal die Narbe gewesen sein musste.

Es drehte mir den Magen um, als ich auf die kleine Blutlache schaute. Doch wie bei so vielen schrecklichen Dingen, gelang es mir nicht den Blick abzuwenden.

Schon oft hatte ich an diesem Tisch gesessen und dem gleichen Spektakel zugeschaut. Jedes Mal wurde mir übel. Es war nicht mein Blut. Es war das vergossene Blut meiner Freundin an jenem Tag.

Eine Träne mischte das Blutbad und ließ es noch düsterer wirken. Ich wusch meine Hand nicht. Denn ein Tropfen des Bluts meiner Freundin war wertvoller als meine gesamten fünfeinhalb Liter, die in meinem Körper transportiert wurden.

Meine Augen verfolgten das Glitzern, welches sich dunkel widerspiegelte. Bewegungen. Alle, die ich ausführte, fühlten sich surreal an. Auch nur das Blinzeln mit den Augen gab mir die Erinnerung an die mächtigen Gegenspieler Tod und Leben, Leute, die es nicht verdienten zu leben, lebten und Leute, die ein Leben verdienten, starben.

So war das Leben und für viele war es kein Problem. Denn jeder sollte für das Leben dankbar sein. Dankbar, dass man eine zweite Chance bekam. So waren andere Leute. Aber nicht ich. Ich wusste wie kostbar das Leben war und genau aus diesem Grund verstand ich nicht, warum ich lebte und sie tot unter der Erde lag. Vermutlich auf dem Weg in den Himmel.

Diese Ungerechtigkeit wollte einfach nicht in meinen Kopf. Ich sollte Tod sein - nicht sie.

Es war schon eine große Ungerechtigkeit, dass sie mit mir befreundet sein musste. Sie hätte etwas Besseres verdient gehabt. Jemand loyalen, netteren und schlaueren. Würde ich auch nur einer dieser Eigenschaften besitzen, wäre ich nie in diese Notlage gekommen, einen toten, Blut überbadeteten Körper zu sehen und das gequetschte Lächeln, dass ihre Lippen bei der Annahme, sie würde sterben hervorbrachten.

Ein Schauder durchfuhr meinen Körper. In meinem Kopf nahm ich jedes einzelne Geräusch, jede Bewegung und jede Anzeichen, dass sie lebte, wahr. Letzteres war wohl das Schlimmste.

Ich wünschte, ich könnte vergessen. Leben. Aber so war dem nicht. Ein Leben lag, würde mich diese Erinnerung an den Abgrund treiben. Alleine.

Ich hatte keine Angst. Es war eher mein Wille, niemanden je wieder so weh zu tun. Denn ich wusste, dass ich nicht mit dem Leben bezahlen musste. Ich würde leben. Mit allen Erinnerungen. Das war die Strafe, die ich mit mir trug. Für immer. Ich würde mit dem Leben bestraft werden. Was für andere ein Segen scheint, war für mich ein Fluch.

»Entschuldigen sie, aber sie bluten an der Hand.« Mein Kopf neigte sich zu Seite und ich hatte fast Schwierigkeiten den Mann, der mir dies mitteilte, überhaupt zu sehen. Wie sich herausstellte, gab es sowieso nicht wirklich etwas anzuschauen.

Der Junge - wie sich herausstellte - hatte seine schwarze Kapuze in sein Gesicht gezogen. Die Haare waren in dem Schatten nur schwer zu vernehmen. Doch ich vermutete, dass sie Schwarz mussten.

Mit meinem gleichgültigen Gesicht versuchte ich seinen Augen, die sich wie Feuer in meine brannten, standzuhalten. Feuer. Überall waren Erinnerungen. »Ich weiß.« Meine Stimme bohrte sich in mein Gehör. Es wären vermutlich dieselben Wörter, die ich auch dafür verwenden würde, wenn ich starb.

Irgendetwas an dem funkeln ließ mich nicht in ruhe. Es war vertraut.

Meine Augen verfolgten alle Bewegungen seiner Hände. So entging ihnen auch nicht, wie er seine gebräunte Hand in den Taschen verschwinden ließ und sogleich ein Tuch hervorholte.

Er reichte es mir, während seine Augen fokussiert auf meinen lagen. »Enna?« Die grauen Augen bohrten sich in ihren Kopf. Immer wieder rutschte ich auf ihrem Stuhl umher, während ich versuchte wegzuschauen.

Als ich jedoch nicht reagierte, drückte er eigeninitiativ das Tuch auf, den vor mir liegenden Tisch.

Ich konnte weiterhin nur auf sein Gesicht schauen. Lange Zeit hatte ich es bewundert.

☆☆☆

Ich lächelte, während ich in sein Sonnen gebadetes Gesicht schaute. Der Sonnenuntergang spiegelte sich in den grauen Augen wider.

Seine rechte Hand lag auf meinem Rücken, während die linke sich leicht mit meiner verwob. Es war der krönende Abschluss zum Ende der Schulzeit. Eine Zeit, auf die sich jeder gefreut hatte. Einschließlich mir.

Mein Instinkt sagte mir, dass ich ihn wieder sehen würde. Dass wir in Kontakt bleiben und einander nicht vergessen würden. Auch, wenn etwas schiefging.

☆☆☆

»Ja und ich vermute, dass ich nicht falsch liegen werde, wenn ich sage, dass dein Name Elia ist.« Die Stimme war fest. Fester, als ich es beabsichtigt hatte.

Seine Mundwinkel zuckten bei dem Ton meiner Stimme und es löste etwas in mir aus. Verständnislosigkeit. Nicht gegenüber ihm. Gegenüber mir. Warum tat ich so, als wäre er irgendjemand? Ein Niemand.

Die Antwort lag in mir. Und ich wusste sie. Damit ich ihn nicht leiden sehe. »Du erinnerst dich noch an mich. Sehr gnädig. Ist ja auch das mindeste.« Seine Augen funkelten. Loderten. Weitere Erinnerungen.

Ich zuckte nicht. Zeigte nicht einmal eine kleinste Regung. Denn es war mir egal. Alles. Mein Leben war sowieso schon beschissen genug. Eine Tragödie mehr, änderte nichts. Nur, dass es weniger Leute gab, die ich verletzen konnte.

Elia streckte mir versöhnungsvoll die Hand entgegen. »Ich will nicht so sein. Vielleicht können wir das ganze Drama, dass du veranstaltet hast, mal kurz vergessen.« Innerlich musste ich lachen. Er wollte nicht so sein. Trotzdem hatte er die kleine Ohrfeige mit dem Drama wohl nicht lassen können.

Meine Hand glitt in die seine, doch anstatt, dass er sie einfach nur schüttelte - wie ich erwartet hatte - hielt er sie fest und schnappte sich das Tuch.

Behutsam strich er dieses über meine blutende Hand. Mit seiner freien Hand holte er ein weiteres heraus und drückte es in meine Hand. Im Austausch dafür nahm er das Blutbefleckte in die Hand und stopfte es in die Tasche.

Meine Augen hatten das Geschehen gespannt mit verfolgt und nun schaute ich ihm wieder ins Gesicht. Seine Grübchen verliehen seinem Lächeln etwas Besonderes.

Ich war gerade dabei meine Hand wieder wegzuziehen, da sich sein Griff gelockert hatte, doch er war schneller und zog mich hoch. »Hattest du noch etwas bestellt?«, fragte er mit einem Seitenblick zu dem leeren Glas Bier.

Als Antwort schüttelte ich einfach nur meinen Kopf. Bedacht nickte er ebenfalls. »Erinnerst du dich noch an den See, wo wir damals so oft waren.«

Ein Grinsen breitete sich über meinem Gesicht aus. »Klar. Dort gibt es die besten Sonnenuntergänge.« Ihr Kopf wanderte zum Tresen, wo immer noch das einzelne Glas stand.

Aus meiner Tasche holte ich einen Zehn Dollar Schein heraus und legte ihn darauf. »Passt so.« Manche würden meinen, die Euphorie würde mir nicht guttun und ich würde lediglich Geld verschwenden. Doch für mich war es eine letzte Würde, die ich meiner Freundin jedes Mal erweisen konnte.

Denn sie hatte es geliebt, die glücklichen Gesichter der Menschen zu sehen. Ich wünschte auch, ich würde diese Freunde ebenfalls verspüren, doch ich verdiente es nicht. »Ist alles in Ordnung?« Ich musste zu ihm hochschauen, um mich zu vergewissern, dass er das Nicken sah. Jetzt schon.

»Ich bin mit dem Motorrad hier. Ich hoffe, das ist in Ordnung. Ansonsten ...« Weiter kam Elia nicht, da ich ihn unterbrach: »Nein, es passt.«

Als wir draußen auf der Straße ankamen und mir der Wind entgegen peitschte, bemerkte ich nicht, wie Elia einen zweiten Helm hervorzauberte und ihn mir gab.

Vorsichtig zog ich ihn auf und setzte mich hinter ihn. Meine Arme schlangen sich um ihn, während er losfuhr. Der Wind zerzauste meine Haare. Aber es tat gut. So konnten alle meine Gedanken wegfliegen, die nichts mit dem jetzt zu tun hatten.

Ich musste an nichts denken.

☆☆☆

Die Sonne glitzerte über den türkisfarbenen See, während sie langsam zwischen zwei Wolken hinter dem Horizont versank.

Meine Füße berührten leicht das zitternde Wasser. Neben mir spürte ich seine Anwesenheit. Er starrte auf die gleiche verträumte Weise auf die See.

Meine Mundwinkel zuckten nach oben und sie formten sich zu einem Lächeln. Einem, welches sagte, dass alles perfekt war. Für diesen Moment. Mir war die Vergangenheit und die Zukunft egal. Zumindest für diesen Tag. Denn es war einfach schön wieder bei ihm zu sein.

Sein Kopf wandte sich zu mir. Er lächelte, wie ich es tat. Es war das schönste, was ich in meinem Leben sehen durfte.

Ich wollte mich bei ihm bedanken. Für alles. Aber meine Lippen brachten keine Worte hervor. Ich glaubte, das mussten sie nicht einmal. Er hatte mir gezeigt, wie man wieder leben konnte. Glücklich.

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