Kapitel 1 - Strickleiter
„Du willst was tun?"
Fassungslos starrte Jughead Jones seinen besten Freund an. Dieser sah kurz beiseite, seufzte dann auf und erwiderte den Blick fest.
„Ich nehme am Schüleraustausch nach Europa teil", wiederholte Archie, und schüttelte entschuldigend den Kopf. „Jug, das ist doch keine Trennung für immer. Ich bin bloß ein Jahr lang nicht hier."
Aber jede Sekunde ohne dich ist die pure Hölle, schoss es Jughead durch den Kopf. Er schwieg, bevor er nickte. „Natürlich", trotzig schnaubte er auf, „Scheinst ja wirklich sehr an unserer Freundschaft zu hängen."
Archie wollte etwas sagen, doch der Serpent hob abwehrend die Hände hoch: „Nene, wirklich, hab verstanden. Viel Spaß in Europa. Vielleicht lernst du da ja, was Liebe bedeutet."
Er drehte sich um, und verließ das gemütliche Zimmer seines besten Freundes. Archie blieb zurück, starrte die Tür an, die mit einem lauten Knall zugefallen war. Jugheads Geruch hing noch immer in der Luft, seine Worte hallten in Archies Kopf wieder.
Unten hörte er seine Mutter, sie sprach mit Jughead, und lud ihm zum Abendessen ein. Wenig später wurde die Haustür geschlossen.
Die Augen des Northsiders glitzerten verdächtig, doch er hielt die Tränen zurück. Er wollte jetzt nicht weinen, immerhin hatte er das seit knapp einem halben Jahr nicht mehr getan, und nur wegen einer Meinungsverschiedenheit würde er das auch nicht ändern. Schlussendlich hatte Archie sich schon oft mit Jughead gestritten, und bisher hatten sie sich immer wieder vertragen, so aussichtslos es auch schien.
Mit einem Seufzen ließ er sich auf sein Bett sinken. Heute Mittag hatten sie hier noch gemeinsam gesessen. Sie hatten über völlig belanglose Dinge gesprochen, was Jughead nur bei wenigen Leuten tat.
Über die Kindheit hatten sie geredet, über ihre Jugend, die jäh zerstört worden war durch den Mord an Jason Blossom, über die Serpents, die sich längst von jeglichen Rückschlägen erholt hatten, über Fred Andrews.
Jughead hatte vorgeschlagen, das Grab mal wieder zu besuchen, in dem Glauben, Archie sei schon länger nicht mehr dort gewesen. Die Wahrheit war allerdings, dass er jeden Tag dort war, jeden Abend in der Woche und jeden Morgen am Wochenende.
Archie sprach mit seinem verstorbenen Vater über alles, was so geschah. Als er sich von Veronica Lodge getrennt hatte, hatte er bei Fred Andrews Schutz gesucht, und ihn auf eine Art und Weise, die er selbst nicht verstand, auch gefunden. Früher war Fred immer für ihn dagewesen, hatte ihn und nahezu jeden Bürger Riverdale so gut es ging unterstützt. Jeder kannte ihn und bis auf ein paar wenige Ausnahmen schätzte ihn auch jeder.
Doch schlussendlich war das Karma eben doch wie ein Ghoolie, unberechenbar und unfair und obendrauf extrem brutal.
Das empfand Jughead nicht anders, als er die Straße entlanghastete. Mit seinen Fingern umklammerte er die Riemen seiner Ledertasche, in der sich neben einem Collegeblock und einem Etui nur ein Laptop befand. Ein Laptop, auf dem sich alles befand, was Jughead beschäftigte. Er wusste nicht, wohin genau seine Füße ihn trugen, doch er wusste, dass er noch nicht heimgehen würde.
Erst, als er die Innenstadt hinter sich gelassen hatte, und sich dem nahegelegenen Wald näherte, verlangsamte Jughead sein Tempo.
Die Straße wurde erst sandiger, dann löste Erde den letzten Rest Asphalt ab. Der Boden war noch schlammig vom letzten Gewitter, und Jughead hatte Mühe, nicht auszurutschen. Seine schwarzen Sneaker waren hoffnungslos verdreckt, als er an dem Ort ankam, wo er sich früher in jeder freien Minute aufgehalten hatte. Er stand nun vor einem alten, kräftigen Baum, abseits des Waldweges.
In der Baumkrone, kaum sichtbar für unwissende Spaziergänger, war es noch immer: Das alte Baumhaus.
Es hatte die letzten Jahre scheinbar überstanden, und wirkte noch sicher. Die Strickleiter, die sonst immer am Stamm gehangen hatte, lag allerdings am Boden. Blätter bedeckten sie zum Teil, das Holz schien völlig durchweicht. Jughead zögerte, sah an sich herunter. Eigentlich waren seine Klamotten ihm viel zu wichtig. Andererseits war die Southside-Serpent-Jacke mittlerweile völlig abgenutzt, und eine Hose weniger würde ihm auch nicht das Herz brechen.
Ohne weiter darüber nachzudenken zog er den Verschluss der Jacke zu, und griff nach einem tief hängenden Ast. Zentimeter um Zentimeter kämpfte er sich herauf. Ein Zweig bohrte sich schmerzhaft in seine Wange, als wäre er ein Dorn, doch das ignorierte Jughead. Erst, als er das Baumhaus erreichte, und sich vorsichtig vortastete, zum Haus, wischte er sich mit einem Ärmel über die Wange. Er blutete, doch das interessierte ihn nicht besonders. Ein wenig Blut zu verlieren ängstigte ihn nicht - es war viel mehr die Angst, seinen besten Freund zu verlieren, die ihn nun endlich packte.
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