♡ Kapitel 7 ♡
"So I'll use my voice, I'll be so fucking rude. Words they always win, but I know I'll lose" Another Love - Tom Odell
...
Ich nickte. "Natürlich, immer."
"Warum tust du das für mich? Du musst mich nicht vor Liam verteidigen. Er ist doch dein Freund oder?" Louis sah noch immer auf unsere Hände und wirkte mit einem Mal sehr nachdenklich. "Mich zwischen dich und deine Freunde zu drängen ist das letzte, was ich möchte."
"Nein." Ich seufzte leise, woraufhin er den Kopf hob und unsere Blicke sich trafen. Ein angenehmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus und ließ meinen Körper kribbeln. Ich schloss die Augen, um es zu verdrängen, doch es wurde nicht weniger, ganz im Gegenteil.
Als Louis seine Hand aus meiner löste, öffnete ich die Augen wieder, nur um zu sehen, dass er aufgestanden war und mich musterte. "Ist alles okay, Harry?"
"Ja..." Ich fuhr mir durch die Haare und lächelte. "Ja, klar." Dann fiel mir seine eigentliche Frage wieder ein. "Liam und ich, wir sind... keine Freunde, nicht direkt. Er war der beste Freund von Valeries Mum, aber er und ich..." Ich schüttelte den Kopf. "Er gehört irgendwie zur Familie, aber Freundschaft würde ich das zwischen uns nicht nennen." Louis nickte. "Aber selbst, wenn er mein bester Freund wäre... das was er zu dir gesagt hat war nicht okay. Überhaupt nicht."
"Ich mag das Wort Nutte nicht."
Er hatte die Hände in einander verschränkt und spielte unsicher an seinen Fingern herum, während er den Blick wieder auf seine Füße gesenkt hatte.
Oh Louis.
Ich fragte mich oft, wie sein Leben bis jetzt wohl verlaufen war, doch mir wurde wieder einmal bewusst, dass die Realität tausend Mal schlimmer sein musste als meine Vorstellungskraft. Und ich fragte mich, ob das alles nicht doch eine Nummer zu groß für mich war. Vielleicht brauchte Louis professionelle Hilfe. Hilfe, die ich ihm nicht geben konnte.
"Ist es okay, wenn ich hier oben bleibe?", fragte er.
Ich runzelte die Stirn, bis ich begriff und langsam nickte. "Natürlich. Du musst nicht in Liams Nähe sein, wenn du dich dabei nicht wohlfühlst. Geh in mein Schlafzimmer, wenn du möchtest, du kannst... machen, was du willst. Im Regal sind Puzzle und Bücher..." Mir fiel wieder ein, dass er nicht gut lesen konnte. "Ich habe auch Hörbücher... möchtest du noch etwas essen?"
Er schüttelte den Kopf. "Ich habe keinen Hunger."
"Aber du musst etwas essen." Ich lächelte ihn vorsichtig an. "Bitte, für mich."
Er nickte. "Okay."
Am liebsten wollte ich ihn gerade umarmen. Das wollte ich andauernd, um nicht zu sagen eigentlich immer. Irgendwie hatte ich das Verlangen, ihn in meine Arme zu schließen und ihm das Gefühl zu geben, dass er sicher war. Doch mit einer Umarmung würde ich nur das Gegenteil bezwecken. Ich würde ihn einschüchtern und er würde vermutlich in Panik geraten. Keinesfalls wollte ich ihn noch mehr überfordern. Und so lächelte ich bloß noch einmal aufmunternd, bevor ich wieder hinunter zu Valerie und Liam ging.
Die beiden saßen bereits am Esstisch in der Küche und unterhielten sich gerade über Valeries Lieblingsserie Yakari. Ich konnte nicht verhindern, dass ich lächeln musste, als Valerie Liam voller Tatendrang erzählte, dass Kleiner Donner ihr absolutes Lieblingspferd war. Doch als Valerie mich sah, schwand ihr Strahlen sofort. "Geht es Louis gut? Hat er sich weh getan?"
Ich setzte mich neben sie und drückte ihr einen Kuss auf die Haare. "Es geht ihm gut."
"Ist er sauer auf mich? Es tut mir leid."
"Nein." Ich schüttelte den Kopf. "Er ist nicht sauer auf dich. Es war ein Unfall, das passiert." Valerie nickte, schien jedoch nicht wirklich überzeugt von meinen Worten. "Hey." Ich gab ihr einen Stups auf ihre winzige Nase. "Ihr seid doch Freunde oder? Freunde sind nicht sofort böse aufeinander, nur weil ein Missgeschick geschieht."
"Weil sie sich lieb haben, stimmts?" Ein vorsichtiges Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Ich nickte. Nun begann sie wieder, zu strahlen und fing an, ihr Brot zu schmieren. "Kommt Louis nicht zum Essen?"
"Nein, er..." Ich sah zu Liam, dessen Blick sich wieder verfinstert hatte, seitdem wir begonnen hatten, über Louis zu reden. "Er wollte eine Weile alleine sein... du weißt ja, dass er manchmal ein bisschen schüchtern ist. Und er kennt Liam nicht, das hat ihm etwas Angst gemacht."
Valerie zuckte mit den Schultern. "Ich bin auch schüchtern, wenn ich Leute nicht kenne. Und die aus deinem Studio machen mir manchmal auch Angst. Kann ich denn später noch zu ihm, bevor ich ins Bett gehe?"
"Ja klar. Er freut sich bestimmt."
Mir entging nicht der Blick, den Liam mir zu warf, doch keiner von uns beiden sagte etwas. Ich musste vor ihm kein Geheimnis daraus machen, dass Louis sich vor ihm fürchtete. Er sollte ruhig wissen, was er für einen Eindruck auf ihn gemacht hatte, auch wenn mir klar war, dass er den Fehler wohl kaum in seinem eigenen Verhalten sehen würde.
Was Valerie anging, so war ich eigentlich immer ehrlich zu ihr. Klar, den genauen Grund, weshalb Louis Angst vor Liam hatte, konnte ich ihr nicht nennen, aber ich wollte trotzdem nichts beschönigen und lügen wollte ich auch nicht. Selbst wenn sie Dinge manchmal nicht verstand, versuchte ich, sie ihr zu erklären. Denn die Welt war nicht immer fröhlich und mir war wichtig, dass sie mit der Realität aufwuchs. Dass sie mit dem Gedanken aufwuchs, dass es okay war, nicht immer fröhlich zu sein. Dass es okay war, Angst zu haben. Und dass es okay war, seine Gefühle zu zeigen und dazu zu stehen. Das war auch der Grund, weshalb ich ihr offen zeigte, wenn es mir nicht gut ging, wenn ich durcheinander war, traurig oder wütend. Trotzdem erwischte ich mich oft genug dabei, meine Gefühle vor ihr zu verstecken, weil ich auf sie nicht schwach wirken wollte, doch jedes Mal wieder rief ich mir ins Gedächtnis, dass ich für sie da war, wenn sie traurig war und dass sie es auch für mich war.
Während des Abendessens lockerte sich die Stimmung zwischen Liam und mir wieder ein wenig auf, was hauptsächlich Valeries verdienst war. Sie war einfach durch und durch ein Sonnenschein und schaffte es jedes Mal aufs Neue, dass ich ihn ihrer Gegenwart all meine Sorgen vergaß. So war auch der Spieleabend im Allgemeinen ein Erfolg und ich schaffte es, meinen Ärger über Liams Worte zu vergessen. Was er gesagt hatte war nicht okay, ganz und gar nicht, doch ich wusste, dass er es wahrscheinlich nicht einsehen würde und dass eine Diskussion mit ihm nur im Streit enden würde. Als es später wurde, machte Valerie sich bettfertig und verabschiedete sich von Liam, bevor sie schlafen ging.
"Denkst du wirklich, es ist eine gute Idee, sie mit diesem Prostituierten alleine zu lassen?", fragte Liam mich, während er sich die Schuhe anzog.
"Dieser Prostituierte hat einen Namen. Und ja, ich kenne ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er Valerie niemals auch nur ansatzweise Schaden zufügen würde. Du warst doch vorhin dabei, er hat sie ohne Zögern davor bewahrt, dass sie sich weh getan hat."
"Ach und jetzt ist er ein Held oder wie?" Er zog eine Augenbraue hoch.
Ich seufzte. "Du willst mich doch sowieso nicht verstehen oder?"
"Mensch, darum geht es doch überhaupt nicht." Er schüttelte verächtlich den Kopf, während er seine Jacke anzog. "Es geht darum, dass du deine Tochter, deine siebenjährige Tochter, mit einem Kerl alleine lässt, der sich durch die halbe Weltgeschichte hat ficken lassen. Und das ist nicht okay."
"Ich möchte nicht, dass du so in meinem Haus redest", zischte ich. "Und was du vorhin zu ihm gesagt hast, war wirklich unter aller Gürtellinie. Wenn du es nicht hinbekommst, dich angemessen zu verhalten, dann tut es mir leid, aber dann kann ich nicht verantworten, dass du Valerie weiterhin siehst."
"Bitte? Du kannst mir nicht verbieten, dass ich mich mit meiner Patentochter treffen." Er sah mich fassungslos an. "Hat er dir das eingeredet, als ich vorhin alleine wart? Oh mein Gott." Er stieß ein ironisches Lachen aus. "Bist du wirklich zu blind um zu kapieren, wie sehr er dich ausnutzt und dich beeinflusst? Er hat sich von mir bedroht gefühlt und jetzt versucht er, uns beide auseinander zu bringen und das wo er doch-"
"Er versucht überhaupt nichts!", unterbrach ich ihn. "Er hat dir nichts getan, überhaupt nichts. Und du redest über ihn, als wäre er ein Schwerverbrecher. Er hat mir gar nichts eingeredet. Ich kann selbst erkennen, wann sich jemand unangemessen verhält und wann nicht."
"Ach er ist kein Schwerverbrecher?", fauchte Liam. "Weißt du wie viele Anzeigen es täglich gibt wegen sexueller Belästigung, wegen Vergewaltigung? Und das sogar an Kindern? Und weißt du, wie viele furchtbare Menschen es da draußen gibt, die alle von dort kommen, wo er herkommt? Du bist so leichtsinnig, so unglaublich leichtsinnig, Harry. Diese Leute verdienen es, dass man sie einsperrt, aber nicht, dass man sie bei sich wohnen lässt. Und wenn Louis Valerie auch nur ein einziges Mal falsch anfasst, dass glaub mir, schicke ich dich in die Hölle!"
"Aber Louis ist doch überhaupt nicht-"
"Was würde Nora dazu sagen, hm?"
Es fühlte sich an, als würde er mir einen Pfahl mitten durch mein Herz rammen. Als würde sich alles in mir zusammen ziehen. Mein Kopf war plötzlich wie leer gefegt, mein Körper wie gelähmt.
"Lass sie da raus."
"Nein. Valerie ist auch ihre Tochter und sie hätte das hier sicher nicht gewollt. Sie hätte das alles nicht gewollt." Er schüttelte den Kopf. "Sie wäre so enttäuscht von dir."
Ich musste mich bemühen, meine Tränen zurück zu halten. "Das ist nicht fair."
"Warum bist du bloß immer so leichtsinnig?", schrie er plötzlich und ich zuckte zusammen. "Warum, Harry? Das alles wäre nicht passiert, wenn du nicht so leichtsinnig gewesen wärst!"
"Hör auf." Meine Stimme war nicht viel mehr als ein Flüstern. Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und Tränen stiegen mir in die Augen.
"Nein, ich habe ein Recht darauf, wütend zu sein! Du hättest es verhindern können, wenn du einfach nachgedacht hättest. Wenn du dich nicht so voll laufen lassen hättest, dann wäre sie niemals schwanger geworden, dann würde sie jetzt noch leben. Du bist Schuld, Harry, du bist Schuld!"
"Hör auf!", rief ich unter Tränen und schubste ihn heftig von mir weg. "Hör auf damit und verschwinde von hier! Verpiss dich!"
"Fass mich nicht an!", zischte Liam und schubste mich so sehr zurück, dass ich das Gleichgewicht verlor und auf dem Boden landete. Verächtlich sah er auf mich herab und schüttelte den Kopf, bevor er sich zum Gehen um wandte. "Du hättest es verhindern können. Und jetzt bist du wieder genauso leichtsinnig und lässt zu, dass das einzige was sie dir zurückgelassen hat auch noch kaputt geht."
Er knallte die Haustür so stark zu, dass ich zusammen zuckte, ehe ich in mich zusammensacke und begann, heftig zu weinen. Mein Körper bebte und die Tränen schienen gar nicht mehr aufzuhören, in Strömen über meine Wangen zu laufen.
Ich wusste nicht, wie lange ich dort auf dem Boden gekauert hatte, aber es fühlte sich an, wie eine halbe Ewigkeit, ehe ich mich wieder aufraffen konnte und hinauf ging, um nach Valerie und Louis zu sehen. Inständig hoffte ich, dass Valerie nichts mitbekommen hatte, doch als ich in ihr Zimmer trat, wurde mir das Gegenteil bewiesen.
Sie lang eng zusammengerollt auf ihrem Bett, die Wangen feucht vom Weinen und ihren Kuschelhasen fest an ihre Brust gedrückt. Es lief ein Hörspiel und die Nachttischlampe brannte. Louis saß an ihren Füßen und sah zu mir auf, als er mich entdeckte.
"Sie schläft", murmelte er und stand auf, um zu mir hinüber zu kommen. "Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Tut mir leid, ich hätte dich holen müssen, aber ich wollte sie nicht alleine lassen. Sie hat so sehr geweint, sie wollte gar nicht mehr aufhören."
"Danke", flüsterte ich kaum hörbar. Meine Stimme zitterte noch immer und meine Knie waren so wackelig, dass ich dachte, ich würde jeden Moment umfallen.
Ich konnte spüren, wie Louis mich musterte, ehe er zum Kassettenrecorder hinüber ging und das Hörspiel ausschaltete. Er löschte das Nachtlicht und schob mich hinaus in den Flur, bevor er leise hinter uns die Tür schloss. Sein Blick schien mich zu durchbohren.
"Was ist los Harry?"
Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf. "Nichts, alles okay."
"Du hast geweint, das sehe ich doch." Ich öffnete die Augen wieder und sah direkt in sein besorgtes Gesicht. "Komm mit, komm." Er griff nach meiner Hand und zog mich in Richtung meines Schlafzimmers, wo er sich auf meine Bettkante setzte. "Setzt dich, du bist ja völlig durcheinander."
Ich ging seiner Bitte nach und ließ den Kopf in meine Hände sinken. Eine ganze Zeit saßen wir stumm nebeneinander, bis ich irgendwann die Stille brach und zu ihm sah. "Du musst nicht hier bleiben. Es geht mir gut, ehrlich. Verglichen mit deinem Leben sind meine Probleme... lächerlich."
"Das heißt nicht, dass sie weniger wichtig sind."
Trotz der Umstände musste ich lächeln. Obwohl Louis schon eine ganze Weile hier war, hatten wir nie wirklich miteinander geredet. Wir hatten eher... aneinander vorbei geredet. Er mied mich die meiste Zeit und wenn es zu einem Gespräch gekommen war, hatte dieses nie lange angedauert. "Hast du schon etwas gegessen?"
"Nein." Louis schien ein bisschen irritiert von meinem Themenwechsel. Ich seufzte und fuhr mir durch die Haare, ehe ich den Kopf wieder in meine Hände sinken ließ. "Iss bitte etwas." "Fühlst du dich dann besser?" Ich nickte.
"Okay", murmelte er leise und stand auf. Er hielt inne bevor er zur Tür ging und dann spürte ich seine Hand auf meiner Schulter. Verwirrt sah ich zu ihm hoch. Er lächelte mich aufmunternd an, während sein Daumen vorsichtig über den Stoff meines Pullovers fuhr und ein warmes Gefühl in meinem Inneren hinterließ.
Doch genauso schnell, wie diese kleine Geste entstanden war, so schnell zog Louis seine Hand wieder zurück und räusperte sich leise, ehe er den Raum verließ. Ein paar Sekunden saß ich einfach nur da und starrte geistesabwesend auf die Stelle, an der er eben noch gestanden hatte. Dann überkam mich plötzlich wieder dieses Gefühl und alles in mir zog sich zusammen. Ich glaubte, mich übergeben zu müssen, während einzelne Wortfetzen aus meinem Streit mit Liam in meinem Kopf umher schwirrten.
Sie wäre so enttäuscht von dir.
Das alles wäre nicht passiert, wenn du nicht so leichtsinnig gewesen wärst!
Du bist Schuld, Harry, du bist Schuld!
"Hey, hey, hey", riss mich Louis Stimme plötzlich aus meinen Gedanken und brachte mich ins hier und jetzt zurück. "Wein doch bitte nicht", bat er und stellte den Teller, den er in den Händen hielt auf meinen Nachttisch, ehe er sich wieder neben mich auf die Bettkante setzte.
Ich wollte ihm antworten, ihm sagen, dass er nicht hier sein müsste, doch alles, was aus meinem Mund kam war nur lautes Schluchzen. Ich schlug mir die Hände vor die Augen, damit er mein verheultes Gesicht nicht sehen musste, auch wenn er es sowieso schon längst hatte.
"Harry..." Seine Stimme klang mit einem Mal so anders. So unglaublich weich und einfühlsam. Diese Seite von ihm kannte ich überhaupt nicht. "Soll ich Tamino holen?"
"W-was?" Ich sah zu ihm und wischte mir mit dem Ärmel die Tränen von den Wangen.
"Ich bin nicht blöd." Er lächelte vorsichtig. "Du... musst umarmt werden, wenn du traurig bist, genau wie Valerie. Ich weiß, ich... ich rede nicht viel mit dir, aber... ich bekomme eine Menge mit. Also... komm, gib mir dein Handy, ich rufe ihn an."
Ich nickte kaum merklich und fischte mein Handy aus meiner Hosentasche, ehe ich es entsperrte und ihm reichte. Kurz schien er überfordert, fand dann allerdings anscheinend das, wonach er suchte und hielt sich das Handy kurz darauf ans Ohr.
Ich bekam kaum mit, was er sagte, denn meine Gedanken ließen mich einfach nicht in Ruhe. Erneut begann ich, zu weinen und fühlte mich gleichzeitig schlecht deswegen, weil Louis all das hier abbekommen musste. Doch plötzlich spürte ich eine Berührung und sah zu ihm. Er hatte aufgehört zu telefonieren und saß nun wieder neben mir. Ganz vorsichtig legte er seine Arme um meine Schultern und lehnte seinen Kopf gegen meinen. "Er ist sofort hier", flüsterte er leise und löste damit ein warmes Kribbeln in meiner Brust aus.
"Ich möchte dir nicht wehtun."
"Shh..." Sein Griff um mich wurde fester. Ich schloss die Augen und genoss seine Umarmung, die mich langsam ruhiger werden ließ. "Das lass mal meine Sorge sein, okay?"
Wir verharrten lange in dieser Position, solange, bis ich aufgehört hatte zu weinen und das Zittern weniger geworden war. Und selbst dann hielt Louis mich noch fest und ließ mich auch nicht wieder los, bis Tamino in den Raum kam und ihn ablöste. Ich stand auf und fiel meinem besten Freund sofort um den Hals. Ich vergrub das Gesicht an seiner Schulter und krallte meine Finger in seinen Pullover, während er ebenfalls die Arme um mich legte und mir liebevoll über den Rücken strich.
"Magst du mir erzählen, was los ist?"
Ich schüttelte den Kopf. "Nicht, wenn... wenn Louis..."
"Ich bin schon weg", hörte ich ihn sagen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er nach seinem Teller griff und dann das Zimmer verließ.
"Ich bin Schuld", wimmerte ich kaum hörbar, als ich mir sicher war, dass Louis außer Hörweite war. "Ich bin an allem Schuld, ich habe... ich habe alles kaputt gemacht. Wenn ich nicht... Ich... ich... ich habe sie umgebracht..."
"Nein, oh Gott Harry, nein", widersprach Tamino sofort und wog mich sanft hin und her. "Das ist nicht wahr. Niemand ist Schuld, okay?"
"Aber wenn sie nicht schwanger geworden wäre, dann... dann hätte sie nicht so viel Blut verloren und dann... dann wäre sie... dann wäre sie noch hier..." Erneut liefen mir Tränen über die Wangen und mein Körper begann wieder, zu zittern. "Ich war so... ich war so leichtsinnig, ich habe vergessen zu verhüten und dann..." Ich unterbrach mich selbst durch mein Schluchzen und schlang meine Arme noch fester um Tamino, während ich den Tränen freien Lauf ließ.
"Du warst vielleicht leichtsinnig...", flüsterte Tamino und brachte mich dadurch noch mehr zum Schluchzen. "Aber das war doch nicht der Grund für ihren Tod. Das war der Grund dafür, dass sie schwanger geworden ist, ja, aber ihr hättet doch sowieso irgendwann Kinder haben wollen, oder nicht? Das, was passiert ist... daran hat niemand Schuld. Das war ein Unfall, das war... darauf hatte niemand Einfluss, nicht einmal die Ärzte. Okay? Manchmal... manchmal passieren schlimme Dinge, Harry, aber dagegen können wir nichts tun. Und dir selbst die Schuld dafür zu geben wird sie nicht zurückbringen. Ich weiß, ich kannte sie nicht, aber ich bin mir sicher, dass sie wollen würde, dass du glücklich bist."
Tamino löste sich von mir und wischte mir die Tränen von den Wangen, ehe er mich vorsichtig anlächelte. "Und sie hat dir einen Engel hinterlassen. Valerie war doch kein Fehler, oder?"
Sofort schüttelte ich den Kopf. "Natürlich nicht. Sie... sie ist das beste, was mir je passiert ist."
"Na siehst du." Er nahm meine Hände in seine und drückte sie sanft. "Und du bist ein wundervoller Vater. Du hast so viel erreicht und immer alles getan, damit sie glücklich ist. Du kannst so stolz auf dich sein, Harry."
"Danke." Ich lächelte. "Ich danke dir, dass du hier bist."
"Ich komme immer, wenn irgendetwas ist, das weißt du doch." Er grinste. "Habe ich das vorhin richtig gesehen, hat Louis dich umarmt?"
"Ja." Bei dem Gedanken daran wurde mir ganz warm ums Herz. "Ja, das hat er... aber ich mache mir Sorgen um ihn, Tamino. Vielleicht... vielleicht sollte er eine Therapie machen. Vielleicht braucht er Hilfe, die ich ihm nicht geben kann. Er ist oft so... verstört."
"Aber er vertraut dir, Harry."
Irritiert sah ich zu ihm. "Nein, das tut er nicht."
Tamino wog den Kopf hin und her. "Nicht vollständig, aber auf seine Weise tut er es. Wenn ich im selben Raum bin, wie er, kriegt er immer Panik aber bei dir... Harry, er hat dich eben umarmt. Er sucht ständig deine Nähe, merkst du das denn nicht? Außerdem..." Er lächelte. "Keiner kennt ihn so gut wie du. Du weißt, wann du mit ihm reden kannst, wo du ihn berühren darfst und wie du dich in seiner Nähe verhalten musst. Frag ihn wegen einer Therapie, aber bitte lass ihn nicht fallen. Im Moment bist du alles, was er hat und das weißt du auch."
...
3272 Wörter - Ivy
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