♡ Kapitel 14 ♡

"So help somebody who might be struggling. Spread a little love" Same Boat - Lizzy McAlpine

...

"Ja Mum..." Nervös spielte ich an den Ringen meiner rechten Hand herum, während ich das Handy zwischen Schulter und Ohr geklemmt hatte. "Er ist... er war... ein Prostituierter."

"Oh Schatz..."

Ich schwieg, wartete auf eine Reaktion, auf einen Kommentar. Aber am Ende der Leitung herrschte absolute Stille. Ich nahm mein Handy in die Hand, um zu sehen, ob meine Mum überhaupt noch dran war, doch das war sie.

Ich wollte gerade ansetzten, etwas zu sagen, als sie mir zuvor kam.

"Harry, ich finde das ganz toll, dass du ihm hilfst."

"W-was? Wirklich?"

"Natürlich... mein Gott der arme Junge..."

"Machst du mir keine Vorwürfe wegen Valerie? Dass es gefährlich und unverantwortlich ist?"

"Harry." Ihre Stimme klang tadelnd. "Wann habe ich dir denn jemals Vorwürfe gemacht? Du hast das im Blick, das weiß ich. Außerdem ist Valerie sehr klug, sie erkennt, ob ein Mensch lieb zu ihr ist oder nicht. Und wenn ihr beide diesem Louis vertraut und ihn gerne habt, welches Recht hätte ich denn dann, dich zu verurteilen und mich einzumischen?"

"Ich danke dir." Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen und ich spürte, wie das Gefühl der Nervosität und der Übelkeit in mir langsam nachließ. Allein der Gedanke daran, meiner Mum von Louis zu erzählen hatte mir Magenschmerzen bereitet. Es war das eine, wenn Liam mir Vorwürfe machte, aber bei meiner Mum wäre es... so viel schlimmer. "Ich wünschte, Liam würde auch so denken."

"War Liam wieder blöd zu dir?"

"Ja..." Mein Lächeln fiel, als ich an den Abend zurück dachte.

"Möchtest du darüber reden?"

"Ich... nein. Vielleicht morgen, da sehen wir uns ja eh ohnehin. Valerie freut sich übrigens schon total auf euch und ich mich auch."

"Wir uns auch. Wir haben gedacht, vielleicht gehen wir in den Garten und grillen dort?"

"Ohja, das ist eine schöne Idee."

Plötzlich klopfte es an meiner Bürotür und kurz darauf steckte Valerie ihren Kopf hinein. Sie trug bereits ihren Schlafanzug und hielt ihren Kuschelhasen fest an ihre Brust gedrückt. Ihr Blick fiel erst auf mich und dann auf das Telefon in meiner Hand.

"Stör ich dich, Papa?", flüsterte sie und wollte sich gerade wieder verkrümeln, als ich zu ihr hinüber ging, sie mir schnappte und über meine Schulter warf. "Papa!", lachte sie laut und strampelte wild mit den kurzen Beinchen. "Lass mich runter!"

Ich musste ebenfalls lachen und versuchte, zu verhindern, dass mein Handy Bekanntschaft mit dem Boden machte, als sie nun begann, an mir herum zu klettern. Nur einen Augenblick später klammerte sie sich mit ihrem Beinen um meinen Bauch und mit den Armen um meinen Hals, während sie huckepack auf meinem Rücken saß.

"Du kleiner Kletteraffe", grinste ich und stupste ihr auf die Nasenspitze. "Solltest du nicht eigentlich müde sein, so spät abends?"

"Nö!" Sie schüttelte mit dem Kopf. "Kannst du mir noch eine Geschichte vorlesen? Oder Louis? Kann Louis mir eine Geschichte vorlesen?" Bittend sah sie mich an, als es in ihrem Kopf plötzlich "pling" zu machen schien und ihre Augen größer wurden. "Könnt ihr beide mir eine Geschichte vorlesen?"

"Ja, gleich, mein Schatz. Ich telefoniere gerade mit Grandma, danach komme ich zu dir hoch. Hast du Louis denn schon gefragt?"

Valerie lehnte sich ein Stückchen in Richtung meines Handys. "Hallo, Grandma!", rief sie fröhlich. Ich nahm es vom Ohr und stellte es kurzerhand auf Lautsprecher. "Morgen sehen wir uns schon wieder, ich freue mich so!" Ihr Blick fiel auf die Uhrzeit auf meinem Handy. "Das ist in... in... in weniger als vierundzwanzig Stunden."

Wir telefonierte noch eine Weile zu dritt, ehe Valerie irgendwann tatsächlich müde wurde und sagte, sie würde Louis eben wegen der Geschichte fragen und dann schon mal in ihr Zimmer gehen.

"Lässt du Louis dann morgen den ganzen Tag alleine? Und die ganze Nacht?"

"Naja, ganz alleine ist er nicht. Ich habe ihm gesagt, er kann jederzeit zu Tamino hinüber gehen. Und außerdem war er schon öfter alleine."

"Auch über Nacht? Nicht dass er Angst bekommt, wenn er mitten in der Nacht aufwacht und niemand ist dort."

Erneut klopfte es an der Tür, doch dieses Mal war es Louis, der herein kam. Sofort machte mein gefühlsduseliges Herz einen Hüpfer und ich begann, wie bekloppt zu grinsen. "Hi!", begrüßte ich ihn und hob die Hand, um ihm kurz zu zu winken.

Er erwiderte die Geste, wenn auch nicht ganz so überschwänglich. Er kam zu mir hinüber getrottet und murmelte ebenfalls ein leises "Hi".

"Nimm ihn doch mit."

"Huh?", machte ich, weil ich mit den Gedanken gerade so sehr bei Louis gewesen war, dass ich gar nicht richtig zugehört hatte.

"Frag ihn doch, ob er auch mitkommen möchte."

Mein Blick glitt abermals auf ihn. Er sah müde aus. Sein Körper wirkte erschöpft und die Ringe unter den Augen bereiteten mir langsam wirklich Sorgen. Er schlief nicht genug. Und schon gar nicht erholsam. Vielleicht hatte Mum Recht, vielleicht wäre eine Nacht ganz alleine nicht gut. Was wenn er schlecht träumte, wenn er aufwachte, wenn er Angst hatte? Dann wäre niemand hier.

"Ich möchte dich gar nicht beim Telefonieren stören", murmelte Louis leise. "Ich wollte nur noch mal gucken... nach vorhin. Ob du... bist du okay?"

Oh Louis.

Er war so lieb. Er war so unglaublich lieb. Wie konnte er, nachdem er so gebrochen worden war immer noch so lieb sein?

Ein wenig unschlüssig stand er vor mir und starrte auf seine Fußspitzen.

"Mum, kann ich dich später zurückrufen?"

"Später ist schlecht. Robin und ich wollten gleich noch ins Kino. Aber frag ihn einfach und bring ihn mit. Oder auch nicht, ganz wie er möchte. Genug Bettwäsche haben wir auf jeden Fall. Schlaf schön, Schatz. Wir freuen uns auf euch."

"Schlaf schön, Mum."

Ich nahm das Handy vom Ohr und legte auf, ehe ich es in meiner Hosentasche verschwinden ließ.

War ich denn okay? Nein. Doch wenn ich mein Problem gegenüber stellte mit dem, was Louis hatte durchmachen müssen, kam ich mir furchtbar lächerlich vor.

"Kann ich dich nochmal umarmen?"

Ehe ich antworten konnte, war er schon näher gekommen. Kurz sah er mir fragend in die Augen und als ich kaum merklich nickte, vergrub er das Gesicht an meinem Nacken und schlang seine Arme um meinen Oberkörper.

Alles kribbelte.

"Louis, du musst das nicht tun. Es geht mir gut, ehrlich. Vorhin, das..."

"Aber ich brauche das gerade..."

Erneut machte mein Herz einen Hüpfer. Er brauchte meine Nähe. Er wollte meine Nähe.

"Kannst du mir etwas schönes erzählen?", flüsterte er kaum hörbar.

"Etwas schönes?", wiederholte ich und überlegte einen Moment lang. "Hmm..."

Er nahm das Kinn von meiner Schulter und sah mich nun abwartend an. Seine Arme waren noch immer um meine Taille geschlungen und die Schmetterlinge in meinem Inneren tobten. Mein Blick fiel auf den "treat people with kindness" Schriftzug auf dem schwarzen übergroßen Hoodie, den er trug. "Haben wir dir nicht vor kurzem eigene Klamotten besorgt?", fragte ich und zog eine Augenbraue hoch.

"Aber ich liebe diesen Hoodie", grinste er.

Mir fielen die Lachfalten, die sich dabei um seine Augen bildeten auf und die leichten Grübchen, auch wenn sie nicht so ausgeprägt waren, wie meine eigenen. Das braune Haar hing ihm mal wieder wirr in die Stirn und dieses Mal konnte ich das Verlangen, ihm hindurch zu fahren, nicht zurückhalten. Und als er nicht zurück wich, fuhr ich fort damit, vorsichtig seine Kopfhaut zu massieren. Er schloss die Augen und stützte das Kinn zurück auf meine Schulter.

"Etwas schönes..." Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und ich grübelte noch eine Weile, bis mir etwas einfiel. "Okay, ich weiß nicht, ob es schön ist, aber es hat mich auf jeden Fall einmal zum lächeln gebracht, weil es irgendwie total niedlich ist. Koalas haben ein sehr sehr kleines Gehirn, was auch so gut wie gar keine Struktur hat, das heißt eigentlich sind sie sehr dumme Tiere. Und weil sie so dumm sind, fallen sie andauernd vom Baum, aber sie haben eine ziemlich dicke Schädeldecke am Hinterkopf, damit sie sich nicht verletzen."

"Warum haben sie nicht einfach ein besseres Gehirn?"

Ich zuckte mit den Schultern und grinste. "Vielleicht gab es keine Gehirne mehr, aber es waren noch so viele Schädeldecken übrig, dass man sich gedacht hat, wenn man die drauf klatscht, passt das schon."

Louis lachte. "Das ist aber auch irgendwie gemein..."

Er nahm den Kopf wieder von meiner Schulter und sah mich an, ein leichtes Schmunzeln auf den Lippen.

"Aber du hast gelacht", grinste ich.

"Valerie hat mich gefragt, ob wir ihr etwas vorlesen", murmelte er, immer noch ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Er löste sich von mir, woraufhin ich auch meine Hand aus seinen Haaren nahm. "Kommst du?"

"Ja, klar." Ich lächelte ebenfalls.

Gemeinsam gingen wir nach oben in Valeries Kinderzimmer. Sie lag bereits in ihrem Bett und hatte sich die Decke bis zur Nasenspitze hochgezogen. Ihre grünen Augen strahlten vor lauter Vorfreude, als ich mich auf die Bettkante setzte. Louis nahm neben mir Platz. Als sich unsere Knie für den Bruchteil einer Sekunde berührten, spürte ich wieder dieses Kribbeln in meinem Inneren und musste automatisch lächeln. Schnell wandte ich den Blick ab, damit es niemand bemerkte.

"Lou, kannst du die Geschichte aussuchen?", fragte Valerie und deutete auf das Bücherregal an der Wand.

"Lou?", wiederholte er und schien ein wenig verwirrt.

"Mein Spitzname für dich", erklärte meine Tochter mit einem Grinsen im Gesicht. "Mein Spitzname ist Valli, so nennen mich meine Freunde alle und Taminos Freunde nennen ihn Mino und weil wir beide ja auch Freunde sind, brauchst du auch einen Spitznamen. Und der ist Lou."

"I-ich... danke?", stammelte er. Erneut lächelte er, jedoch glitzerten seine Augen dabei leicht. Als ich meinen Blick senkte, sah ich seine Hände, die er in seinem Schoß hielt und von denen ein leichtes Zittern ausging. Vorsichtig schob ich meine Hand zwischen seine und verschränkte unsere Finger miteinander. Das Zittern ließ ein wenig nach.

"S-sorry..." Ich hob den Blick wieder und sah, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. "D-das ist... das ist nur so s-schön..."

"Lou." Valerie schlug die Decke zurück und krabbelte zu ihm, um ihn von hinten zu umarmen. "Ich hab dich lieb."

Jetzt brachen bei ihm endgültig alle Dämme und er schlug sich die freie Hand vor das Gesicht, während er begann, leise zu schluchzen.

Sofort ließ Valerie ihn wieder los und sah zu mir. Ihr breites Strahlen war verschwunden und sie wirkte verwirrt. "Ist das falsch?", fragte sie mich. "Weint Lou wegen mir?"

Ehe ich antworten konnte, drehte Louis sich ein wenig und zog meine Tochter an sich. Ganz vorsichtig hielt er sie fest, beinahe so, als hätte er Angst, sie irgendwie kaputt zu machen. "I-ich hab d-dich auch lieb...", schluchzte er kaum hörbar.

Ich spürte, wie mir ebenfalls Tränen in die Augen stiegen, als ich diese Szene beobachtete. Schnell wischte ich mir mit dem Ärmel über das Gesicht und blinzelte dagegen an. Es war einfach nur... schön.

"Okay...", schniefte Louis und schien sich allmählich wieder zu sammeln. "S-soll ich wirklich die Geschichte aussuchen? Nicht Papa?"

Valerie schüttelte den Kopf. "Papa war letztes Mal schon dran. Außerdem hast du noch nie eine Geschichte ausgesucht."

"Und wenn ich eine doofe Geschichte aussuche?"

"Das kannst du gar nicht. Meine Geschichten sind alle toll!"

Louis lachte unter Tränen und löste seine Hand wieder aus meiner, um aufzustehen und zum Bücherregal zu gehen. Währenddessen krabbelte Valerie zurück unter die Bettdecke und griff nach ihrem Stoffhasen, den sie fest an sich drückte.

Kurz darauf kam er zurück mit einem Buch dessen Titel "Prinzessinen Geschichten" lautete. Er setzte sich zurück auf die Bettkante und schlug das Buch auf. Kurz überflog er das Inhaltsverzeichnis, bis er eine Geschichte fand und auf die entsprechende Seite blätterte.

"Ich kann aber nicht so gut lesen", murmelte er.

"Wieso kannst du nicht gut lesen?", fragte Valerie. "Hattest du einen doofen Lehrer? Wenn meine Lehrer manchmal doof sind, verstehe ich auch nichts. Aber Papa erklärt es mir dann Zuhause immer noch einmal. Vielleicht kann Papa dir ja auch mal helfen."

"Nein, es lag nicht am Lehrer. Ich bin gar nicht auf eine Schule gegangen, sondern habe versucht, es mir irgendwie selbst anzueignen. Das hat aber eher weniger gut funktioniert."

"Du bist nie zur Schule gegangen?" Valerie schien fassungslos. "Warum nicht?"

"Ich... durfte nicht. Ich habe mit meinem Onkel zusammen gelebt und mein Onkel hatte einen... Laden. Aber wir haben nicht so viel verdient und es ist teuer, wenn man sich Leute besorgt, die für einen arbeiten in... dem Laden. Deshalb sollte ich dort arbeiten, weil mein Onkel mich nicht bezahlen musste, weil ich dafür bei ihm leben durfte."

Gedankenverloren betrachtete ich ihn. Nicht jeder machte sich die Mühe, Valerie alles so gut wie möglich zu erklären. Und ich selbst wusste auch, dass es schwierig war, ihr Dinge zu erzählen, die sie einfach nicht verstand, weil sie noch zu jung war. Tamino trieb sie oft an den Rand seiner Verzweiflung, weil sie ihn manchmal einfach nicht verstand, wenn er über "Erwachsenendinge" sprach. Und egal, wie gut er versuchte, es ihr zu erklären, manchmal brachte es einfach nichts, woraufhin dann beide oft frustriert waren.

Das war auch einer der Gründe, warum das Thema "Kinder" für Tamino immer irgendwie ein schwieriges zum Reden war. Ich wusste, dass er immer welche haben wollte und Christopher auch. Aber manchmal war er zu mir gekommen und hatte mir erzählt, dass ihn das alles irgendwie überforderte und dass er nicht wüsste, ob er wirklich der Typ dafür wäre. Er meinte es sei die eine Sache, öfters mal Zeit mit Valerie zu verbringen aber eine ganz andere, wirklich ein eigenes Kind rund um die Uhr bei sich zu haben, dass man erziehen und dem man Dinge beibringen müsste.

Plötzlich erschien ein anderer Gedanke in meinem Kopf und riss mich aus meinen Überlegungen.

"Hast du mir nicht erzählt, dass du erst arbeiten musstest, als du alt genug warst? Volljährig?"

Wenn er nicht zur Schule gehen durfte, weil er hatte arbeiten müssen, dann... dann war er deutlich jünger gewesen, als er angefangen hatte. Viel zu jung.

Louis antwortete mir nicht, doch sein Blick reichte aus, damit ich begriff.

Ich spürte, wie sich mir der Mageninhalt umdrehte. Am liebsten hätte ich geschrien oder geweint. Alles in mir tobte. Ich war zu sprachlos, um etwas zu sagen, viel zu... mir fehlten die Worte.

"Hast du deinen Onkel lieb, Lou?", fragte Valerie, die von all dem nichts mitbekommen hatte.

"Nein." Louis schüttelte zur Bekräftigung seiner Aussage den Kopf. "Nein, ich habe ihn nicht lieb. Ganz und gar nicht."

"Hätte ich auch nicht. Also manchmal ist die Schule doof, aber stattdessen zu arbeiten... das ist gemein. Außerdem habe ich alle meine Freunde in der Schule kennen gelernt. Hast du überhaupt Freunde, wenn du nicht zur Schule gegangen bist?"

"Ja." Auf Louis Miene erschien ein Lächeln. "Ich habe dich und deinen Papa. Und... die Leute aus der Bäckerei und... Tamino und Charlie."

"Und Anton!" Valerie kicherte und streckte Louis ihren Kuschelhasen entgegen.

Er lachte. "Genau. Und Anton."

"Weißt du was? Wenn du nicht lesen kannst, kann Papa auch alleine lesen und du hörst zu, wenn du möchtest."

"Ich kann lesen. Ich kann nur nicht so gut lesen. Also nicht so flüssig und manchmal stottere ich ein wenig. Aber wenn dich das stör-"

"Nein, das stört mich nicht", unterbrach Valerie ihn. "Überhaupt nicht. Außerdem sagt Papa immer, wenn man Dinge nicht übt, dann kann man sie auch nicht lernen."

"Dein Papa ist ein ziemlich weiser Mann", grinste Louis und sah zu mir.

Ich erwiderte sein Lächeln, wenn auch nur halbherzig. Die Erkenntnis von eben saß mir noch viel zu sehr in den Knochen. Während Louis begann, zu lesen lag mein Blick die ganze Zeit über auf ihm. Ich war so unglaublich froh, ihn damals gefunden zu haben. Ich war so unglaublich froh, dass er weggelaufen war. Ich mochte mir überhaupt nicht vorstellen, wie verstört er wäre, wenn er noch weitere Jahre dort gearbeitet hätte.

Und ich war so unglaublich wütend auf Liam. Er hatte keine Ahnung. Er hatte überhaupt keine Ahnung. Er wusste überhaupt nicht, wie wundervoll Louis war und was er alles hatte durchstehen müssen. Er verurteilte ihn wie einen Schwerverbrecher und er hatte nicht das geringste Recht dazu.

Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch, als Louis mir das Buch reichte. "Abwechselnd", erklärte er. "Eine Seite ich, eine Seite du." Er warf einen Blick auf Valerie und grinste sie an. "Ganz so, wie die Prinzessin das möchte."

Es kostete mich alle Mühe, zu lesen, ohne dass meine Stimme zitterte. Louis schien es trotzdem zu merken, denn irgendwann griff er nach meiner Hand und hielt sie mit seinen beiden ganz fest, während sein sorgenvoller Blick auf mir lag.

"Alles okay?", flüsterte er kaum hörbar, als Valerie irgendwann eingeschlafen war und wir zur Zimmertür gingen.

Draußen auf dem Flur hielt ich es schließlich nicht mehr aus und fiel ihm um den Hals.

"H-harry... woaa", stieß er erschrocken aus. Doch er klang nicht panisch, nicht ängstlich, nicht so, wie noch vor einiger Zeit. Sein Körper war auch nicht angespannt, seine Atmung nicht hektisch.

Er vertraut mir. Ich darf ihn berühren. Ich darf ihn berühren, ohne dass er Angst bekommt.

"Shh... es ist doch alles okay...", murmelte er leise und kraulte mir vorsichtig über den Rücken.

"Es tut mir so leid. Es tut mir so unglaublich leid", nuschelte ich immer wieder in seinen Hoodie, bis er mich irgendwann von sich weg schob und mir tief in die Augen sah. Ich glaubte, mich in diesem Blau zu verlieren.

"Was tut dir denn leid?", fragte er und wirkte ein wenig verunsichert. "Ich wüsste nichts, was du falsch gemacht haben könntest."

"Ich hätte dich früher finden müssen. Du hast das alles überhaupt nicht verdient. Niemand hat das. Was dir passiert ist, das ist so furchtbar und ich wünschte, ich könnte etwas dagegen tun, aber das kann ich nicht. Ich kann dir nicht helfen, weil ich nicht weiß wie und-"

"Harry, hör auf." Er zog mich wieder an sich und umarmte mich ganz fest. "Nichts, überhaupt nichts von dem, was passiert ist, ist deine Schuld, okay? Du... du kanntest mich doch noch gar nicht. Niemand kann Dinge ungeschehen machen und du bist der letzte, der irgendetwas dafür könnte. Du hilfst mir. Du hilfst mir so sehr und das obwohl ich dir gar nichts dafür bieten kann. Du bist das beste, was mir je passiert ist. Und ich bin dir unglaublich dankbar."

...

2927 Wörter - Ivy

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