Der Morgen der Welt - Das Volk der Savanne
Am Morgen des elften Tages ertönte eine laute, aber nicht unharmonische Melodie aus den Wolken auf die Welt herab und weckte die ersten Vertreter der Rassen.
…
Aranqui erwacht als erster der Rasse in der Steppe, dies war das Zeichen, dass er als Anführer ausersehen war. Er lag unter einer Gruppe von Affenbrotbäumen. Ansonsten umgaben ihn nur dürres und trockenes Gras und kleine Sträucher, in der Ferne glitzerte außerdem ein Wasserlauf. Die ersten Strahlen der Sonne spiegelten sich in dem schnell fließenden Wasser und der Himmel war in ein kräftiges rot getaucht, das die Farbe von Blut hatte. Doch diese Welt kannte noch kein Blut und alles schien friedlich.
Aranqui machte sich auf den Weg zu einer kleinen Gruppe von Sträuchern, dort hatte er sechs Männer und sieben Frauen liegen sehen. Wie seine Haare wiesen auch ihre ein Leopardenmuster auf. Er weckte sie mit dem Befehl: „Steht auf und folgt mir!" Und sie erwachten und folgten ihm, ohne seine Autorität anzuzweifeln.
Aranqui führt seine neue Gefolgschaft zu dem Platz, wo er das Licht der Welt erblickt hatte. Hier blieb er stehen. „Lasst uns Äste und Sträucher nehmen und uns eine Bleibe bauen!", schlug er vor. Sofort begannen alle seinem Vorschlag Folge zu leisten.
„Herr, wie soll diese Bleibe werden?", fragte einer der Männer, der den Namen Toquinir trug. "Groß genug für uns und unsere Nachfahren. Wir werden eine Stadt errichten, so mächtig und stark, dass sie nie vergehen wird, zunächst jedoch werden einige Hütten aus Holz für uns genügen, diese können wir dann später mit Lehm auskleidet und ausbauen“, antwortet Aranqui. Auch wenn die Ersten dieser Rasse noch nie etwas gebaut hatte, wussten sie jeden einzelnen Handgriff. Sie sangen bei der Arbeit ein Lied, das ihnen allen plötzlich in den Sinn kam:
„Gras und Busch ist unser Reich,
Uns're Kraft steigt Streich für Streich.
Wir beugen nicht, wir knicken nicht,
Froh und stark, seit dem ersten Licht.
Niemand wird uns wagen zu nehmen,
Was wir bau'n aus Holz und Lehmen.
Gras und Busch gehört uns allein,
Für immer wollen wir hier sein“
Der Gesang schallte über die Steppe und im Schatten eines nahen Felsen erwachten sechs weitere Menschen, drei Frauen und drei Männer, die den kehligen und beherzten Stimmen entgegen eilten und wenig später vor der halb fertigen Hütte auftauchten. Die Bauenden hießen die Neuankömmlinge herzlich willkommen. Diese wollten direkt anfangen mitzuhelfen, doch Aranqui hielt sie davon ab, da ihm einfiel, dass sie noch nichts zu essen hatten. „Wir brauchen Nahrung“, sagt er. „Toquinir wird mit euch mitkommen, geht jagen. Dort drüben liegen einige dicke Knüppel.“ „Ja Herr“, antwortete Sequina, eine der neuen Frauen. „Redet mit mir, wie ihr untereinander sprecht", erwiderte Aranqui etwas beschämt, als ihm auffiel wie ehrerbietend alle mit ihm sprachen. Sequina begann sich zu entschuldigen, aber Aranqui unterbrach sie mit einer wegwerfenden Handbewgung und schickte die Jäger los.
Als die Sonne unterging und die Schatten immer länger wurden standen drei einfache Holzhütten und die Jäger kehrten zurück. Sie schleppten zwei große Antilopen in die Mitte der drei Hütten. Dort bauten gerade zwei Männer eine Feuerstelle. Die anderen gruben einen kreisrunden Graben in den lehmigen Boden und schütteten dahinter eine Mauer aus Lehm auf. Nur zwei Stellen ließen sie in dem Wall frei, dort legten sie Bretter als Brücke über den Graben, welche sie mithilfe von scharfen Feuersteinen zurecht gehackt hatten. Als die Sonne vollständig verschwunden war und nur noch die Sterne und die beiden Monde auf das kleine Dörfchen schienen, nahmen Aranqui und sein Volk ihre erste Mahlzeit zu sich. Sie tranken das Blut der Antilopen und brieten danach ihr Fleisch. Dann legten sich alle, außer Aranqui, zum Schlafen in den Hütten nieder.
Der junge Häuptling streifte im Schein der Monde abseits des Dorfes durch die hohen Gräser, seine filzigen Haare wehten im leichten und kühlen Wind. Sein leichtes Gewand, in welchem er und seine Anhänger erwacht waren, wärmte ihm nicht. Plötzlich zeriss ein lauter, gebieterischer und etwas wütender Schrei die Stille der Nacht und Aranqui empfand ein Gefühl welches er noch nicht kannte; die Angst. Um sich selbst etwas mehr Sicherheit zu vermitteln, griff er sich einen festen und ziemlich graden Stock, aber anstatt zu fliehen, rannte Aranqui in die Richtung, aus der der Schrei kam.
Nach wenigen Schritten ins Dickicht stand er fast Nase an Nase mit einem riesigen Leoparden, mit einem Stockmaß ähnlich dem eines größeren Ponys. In den funkelnden gelben Augen schien ein unendlich heißes Feuer zu lodern, das Maul war voller zackiger, scharfer Zähne und die Krallen länger als Aranquis Finger. Diese Bestie war ein Schock für den jungen Mann, da diese Welt bisher noch so friedlich und ungefährlich gewirkt hatte, doch diese Illousion war eben nur eine Illusion und jetzt sah er der Realität in die Augen. Das Biest setzte zum Sprung an, um Aranqui zu Fall zu bringen. Dieser wich jedoch flink wie ein Eichhörnchen zurück und schlug dem Leoparden das eine Ende seines Stockes auf die Nase, das etwa die Fläche von Aranquis Hand hatte. Der Leopard wich zurück. Allerdings nur, um danach erneut anzugreifen. In seinem zweiten Sprung riss er mit seinen Krallen drei tiefe Wunden in Aranquis rechten Unterarm. Aranqui stolperte zurück und konnte nur noch seinen Stock schützend vor sich halten. Das war sein Glück, da er so den nächsten Angriff der Raubkatze abblockte, die sich mit aufgerissenem Maul auf Aranqui stürzen wollte. Der Stock schlug ihr direkt in den Rachen, zeitgleich versetzte Aranqui dem Leoparden einen festen Tritt in den Bauch. Es war das erste Mal, dass der Leopard erleben musste, wie sich seine vermeintliche Beute wehrte und ihm erheblichen Schmerz zufügte. Verblüfft wich der Leopard zurück, um sich kurz darauf mit noch größerer Gewalt auf Aranqui zu werfen. Doch dieses Mal war Aranqui schneller, er nahm Anlauf und sparte nicht an Kraft, als er seinem Gegner den Knüppel ins Gesicht schmetterte. Als der Leopard kurz taumelte, setzte Aranqui erneut zum Sprung an. Er nutzte alle Kraft die er noch hatte und schlug mit der Geschwindigkeit eines herabstoßenden Falken und der Wucht eines heran galoppierenden Bullen ein weiteres mal auf den Schädel des Leoparden nieder. Mit einem gut wahrnehmbaren Knacken sank der Leopard zu Boden und blieb regungslos im Gras liegen.
Erst jetzt bemerkte Aranqui das Ausmaß seiner Wunden und der Schmerz zwang ihn für einen Moment in die Knie. Es war wieder Stille und nichts rührte sich.
Als Aranqui sich auf den Rückweg machen wollte, blickte er ein letztes Mal zu dem Tier herüber und entschied sich den Leoparden mitzunehmen, da zumindest das Fell und die Zähne für irgendetwas von Nutzen sein würden. Also nahm er seinen Stab zwischen die Zähne und legte sich die Vorderbeine der toten Raubkatze über die Schultern. So zog er seine Beute zum Dorf, je weiter er sich schleppte, desto müder wurde er und desto stärker wurden die Schmerzen in seinem Arm. Letztlich brach er vor der Brücke seines Dorfes zusammen und blieb bis zum Morgen dort liegen.
Dort fand Sequina den Ohnmächtigen. In den ersten Morgenstunden war sie aufgewacht und wollte zu der Stelle gehen, an der sie erwachte, denn dort standen einige Dattelpalmen und Kakteen mit zahlreichen Früchten. Aus Gräsern und Gestrüpp hatte sie zwei große Körbe geflochten. Als Sequina ihren Häuptling verletzt vor der Brücke liegen sah, vergaß sie ihr eigentliches Anliegen. Sie riss ein Stück ihres Gewandes ab und verband damit Aranquis Wunden. Dabei rief sie seinen Namen doch Aranqui blieb weiter regungslos, erneut rief sie: „Aranqui wach auf, wir brauchen dich! Ich brauche dich!“ Doch sie erhielt keine Antwort, da begann sie jämmerlich zu weinen. Sie weinte leise und lange, bis sie die anderen erwachten und sie so fanden. Der bewusstlose Aranqui wurde in das größte Haus getragen und auf Gras und die Felle der Antilopen gebettet. Sequina bat einige von denen, die erwacht waren, die Früchte an ihrer Stelle zu sammeln und ihr etwas Wasser zu bringe, um Aranquis Wunden zu säubern. Sie blieb als einzige neben ihm sitzen und sobald sie alleine waren fing sie wieder an zu weinen, jeder der im Dorf war hörte sie aber niemand wagte sie anzusprechen. Sequina vergoss die ersten Tränen ihres Volkes. Während sie weinte und Aranqui anflehte aufzuwachen, zog eine Schar von Männern aus, um geeignetes Material für Waffen zu sammeln. Der Vorfall mit dem Leoparden hatte ihnen vor Augen geführt, dass sie nicht in einer Welt ohne Gefahr leben. Als die Sonne den höchsten Punkt überschritten hatte kamen die Sammler mit vollen Körben zurück und verteilten einen Anteil des Obstes an die Bewohner und legten den Rest in die Sonne, damit sie trockneten und dadurch haltbar wurden. Kurz darauf trafen auch die restlichen Männer ein. Aus langen massiven Ästen, die Aranquis ähnelten, hatten sie mithilfe von Feuersteinen Speere geformt. Auch ein paar kleinere, dünnere Stöcke mit einer Spitze hatten sie zurecht geschnitzt, diese waren Wurfspeeren sehr ähnlich. Toquinir und drei weitere Männer gingen noch los, um zu jagen, bevor es dunkel wurde. Mit Einbruch der Dunkelheit kamen sie mit einer Gazelle ins Dorf zurück. Außerdem hatten sie eine Menge Holz mitgebracht. In dieser Nacht stellten die Steppenbewohner Fackeln auf dem Wall auf und Toquinir und zwei weitere Männer nutzten das Holz und die Seile, die einige Frauen aus Gräsern und anderen Pflanzen gefertigt hatten, um aus den Brücken Zugbrücken zu konstruieren, diese sollten das Dorf besser schützen. Nachdem diese hochgezogen worden waren und mehrere Wachen mit Speeren bewaffnet auf dem Wall Position bezogen hatten gingen alle anderen schlafen.
Nur Sequina saß noch immer neben dem regungslosen Aranqui, mittlerweile waren ihre Tränen versiegt, aber hin und wieder schluchzte sie leise auf und flüsterte seinen Namen. Solange Aranqui nicht erwachte, aß und trank sie nichts, sie tat nichts anderes, außer neben ihm zu sitzen und hin und wieder nach seinen gesäuberten Wunden zu schauen. Ihre sonst so klaren, schwarzen Augen waren nun rot und geschwollen und ihre Wangen wiesen unzählige Tränenspuren auf. Schon seit Mittag saß sie neben Aranqui und immer noch wagte es keiner sie anzusprechen.
Am dunkelsten Zeitpunkt der Nacht konnte Sequina sich vor Müdigkeit und Erschöpfung nicht mehr aufrecht halten. Deshalb legte sie ihren Kopf auf Aranquis Brust und schlief ein. Ihre wenigen noch nicht getrockneten Tränen saugten sich in sein staubiges Gewand. Während sie schlief zog ein heftiges Gewitter auf. Das Regenwasser sammelte sich in dem Graben und schädigte den Wall. Wolken verdeckten Monde und Sterne, Blitze zerrissen den schwarzen Himmel, Donner rollten über die Savanne. Als ein Blitz einen mächtigen Akazienbaum in der Nähe des Dorfes erfasste, ihn der Länge nach spaltete und die Steppe wegen dem darauf folgenden Donner besonders stark zu beben schien, erwachte Aranqui. Er schlug seine Augen auf uns wollte aufspringen und hinaus rennen, um nachzusehen was geschehen war, doch Sequinas Kopf, der auf seiner Brust lag, hinderte ihn. Außerdem wurde ihm einen Augenblick später klar, dass er sowieso nicht weit gekommen wäre, da sein Kopf und seine Wunde zu schmerzen begannen. Als er sanft über Sequinas Haare Strich, erwachte sie und fing erneut an zu weinen, während sie ihre Arme um seinen Hals schlang. „Endlich bist du wach, ich dachte du würdest sterben“, wisperte sie mit rauer Stimme. „Warum hast du dir solche Sorgen gemacht und bist immer noch hier?“, wollte Aranqui wissen. Da blickte Sequina ihm direkt in die Augen. Sie wurde etwas rot und flüsterte: „Weil ich dich liebe Herr.“ Aranqui blickte sie überrascht an und wusste nicht so recht, wie er damit umgehen sollte. Etwas verlegen schaute er weiter in Sequinas Augen. Ohne weiter abzuwarten küsste sie ihn auf den Mund, ihr war es egal wie er reagieren würde. Es brannte eine Glut in ihrem Herzen und nichts konnte diese erlöschen, doch durch diesen Kuss sprang der Funken aus ihrem Herzen über und entflammte auch Aranquis Herz und er begann sie ebenfalls zu lieben. Dies war der erste Kuss ihres Volkes. Als sich ihre Lippen berührten, endete das Gewitter und kurz darauf kehrte die gewohnte Ruhe der Nacht ein.
Die anderen schliefen nicht, sondern sahen nach den Hütten und dem Wall und besserten die durch das Unwetter verursachten Schäden aus. Als sie nahezu fertig waren, trat Aranqui zu ihnen und schilderte den Kampf. Alle hörten ihm gebannt zu. Zum Schluss schlug einer der anderen vor, dass er sie doch lehren könnte so mit dem Stab zu kämpfen. Er stimmte zu und sie gingen wieder schlafen. Nur die Wachen standen weiter regungslos auf den Wällen und es begann leicht zu nieseln.
Zum schlafen wollte Aranqui sich neben sein Bett aus Gras und Fellen legen und Sequina anbieten, darin zu schlafen. Da diese nicht auf dem weichen Untergrund liegen wollte, während Aranqui auf dem harten Boden schlief, schoben sie die Felle und Gräser etwas weiter auseinander, sodass sie beide gut darauf passten.
Am nächsten Morgen hatten sich riesige Pfützen gebildet, deshalb ließ Aranqui eine Zisterne am Rand des Walls errichten um Trinkwasser zu sammeln. Außerdem war noch genügend von dem gesammelten Obst für alle da. Nachdem alle etwas gegessen und getrunken hatten, gingen sie alle los um ihren Aufgaben nachzugehen. Die Frauen gingen außerhalb des Dorfes Obst pflücken, und Vorräte anzulegen. Ein Teil der Männer zog los um Bäume zu fällen, aus deren Holz sie ein Gatter und Zaun bauten und als diese fertig waren, trieben sie eine Herde Gazellen hinein. Diese züchteten sie fortan mit geschickter Hand. Das Gehege der Gazellen stand außerhalb des Walls, deshalb mussten einige Männer dort Wache halten, um die Gazellen vor Raubtieren zu schützen. In den folgenden Tagen wurde mit dem Bau einer deutlich größeren Wallanlage begonnen. Diese sollte ebenfalls kreisrund werden und ihr bisheriges Dorf sollte die Mitte bilden. Ähnlich wie der erste Wall wurde auch der neue Wall durch einen Graben nach außen hin zusätzlich geschützt. Allerdings verfügte er über vier Tore mit Zugbrücken.
Ungefähr einem Monat später standen im äußeren Ring mehrere Häuser und der Bereich innerhalb des innere Walls, wurde zum Bereich des Häuptlings. In diesen Tagen feierten Aranqui und Sequina ihre Hochzeit. Mit ihnen heirateten Toquinir und eine Frau namens Equiana und noch drei weitere Paare.
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