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Harrys POV:
Zwei Wochen später stand ich Louis wieder gegenüber und obwohl es mir schier das Herz brach, merkte man ihm Alecs Einfluss ohne Umschweife an - an seinem Oberarm prankte ein neues Tattoo, das er unter einer Sweatjacke versteckt hielt.
Auf meine Frage hin, ob er es freiwillig gestochen bekommen hatte, gab er nur ein undefinierbares Brummen von sich, weshalb ich nicht weiter nachhakte, sondern ihm nur eine meiner Regenbogenflaggen reichte.
"Dir wird der Christopher Street Day gefallen, da bin ich mir sicher", versicherte ich ihm, da er die Flagge mit kritischem Blick beäugte und unsicher an seiner Unterlippe nagte. "Und was, wenn ich von irgendwem entdeckt werde?", entgegntete er, die Stirn gerunzelt und Mundwinkel nach unten gerichtet.
"Ich passe auf dich auf, versprochen. Dir wird nichts passieren. Da treiben sich nur Menschen rum, die so sind wie du und ich, die darauf warten, endlich sie selbst sein zu dürfen."
Zwar fand sich noch ein kleiner Funken Widerwillen in seiner Miene wieder, aber dennoch folgte er mir ohne weitere Einwände aus der Wohnung hinaus. Wir liefen zum Bahnof und stiegen in die nächstbeste Bahn, um kurz darauf an der Konstabler Wache zu stehen, wo bereits reges Treiben herrschte.
Auf dem riesigen Platz mitten auf der Einkaufsmeile, wo sonst immer Markt stattfand oder Obdachlose sich zu kleinen Grüppchen versammelten, befanden sich an diesem Wochenende mehrere Stände und eine kleine Bühne, auf der später am Tag einige Künstler und Redner auftreten würden.
An den einzelnen Buden hatten sich Leute versammelt, die bei lauter Hintergrundmusik Softgetränke aus Plastikbechern schlürften und sich angeregt unterhielten. In der nächsten Querstraße wurde ein kleiner Basar veranstaltet, der nach der Parade garantiert von etlichen Besuchern gestürmt werden würde, jetzt jedoch noch in beinahe vollkommener Stille dalag.
Louis, der schon auf der Herfahrt plötzlich verstummt war, sah sich nur leicht überfordert um und kaute nervös an seinen Fingernägeln, was mich unwillkürlich schmunzeln ließ. Es freute mich, dass er mir trotz der Aufregung, die dieses bunte Neuland für ihn mit sich brachte, vertraute.
Also umklammerte ich seine linke Hand mit meiner rechten und schenkte ihm ein warmes Lächeln. "Das wird super!", verkündete ich betont fröhlich, woraufhin er erst eine Grimasse zog, bevor er das Lächeln erwiderte.
"Ja, das glaube ich auch", sagte er, bedacht darauf, möglichst überzeugt zu klingen.
Eine Weile noch verharrten wir einfach vor der Bühne, bis schließlich mein Handy aufleuchtete und eine neue Nachricht von Niall anzeigte. Dieser war soeben am Römer, dem alten Rathaus Frankfurts, eingetroffen und wartete auf uns.
"Komm, wir gehen runter zum Römer, da wird die Parade dann starten." Ich zog Louis hinter mir her, und recht bald stießen wir auf weitere Wanderer, die auf dem Weg zur Parade waren. Anmutige Dragqueens in schillernden Kleidern schritten mitten über die Straße und einige Männer in schwarzen Hundekostümen rannten über den Bürgersteig und hinterließen bei Louis einen misstrauischen Gesichtsausdruck.
"Was ist das denn?", wollte er abfällig wissen, was mich innerlich enttäuscht seufzen ließ. Aber was hatte ich erwartet? Seine Toleranz wurde jahrelang mit Füßen getreten, bis davon augenscheinlich nicht mehr viel übrig geblieben war. Ich musste Geduld mit ihm haben. Und Aufklärung war der erste Schritt.
"Das ist eine sexuelle Vorliebe. Diese Männer unterwerfen sich ihrem Partner oder ihrer Partnerin und sind im Rahmen des sexuellen Kontakts ein Haustier. Sie laufen auf allen Vieren, trinken meist aus Näpfen und spielen mit Bällen und Knochen."
Louis klappte die Kinnlade hinunter und er schüttelte sich einmal. "Das ist ja krank", entfuhr es ihm. "Genauso wie diese albernen Daddyspielchen." Das ließ mich abprupt stehen bleiben, sodass er gegen meinen Oberkörper knallte und er mich verwirrt ansah.
"Louis, das ist nicht krank. Nur weil du einen Fetisch nicht verstehst, darfst du ihn nicht verurteilen. Diese Leute sind hier, um Respekt und Anerkennung zu bekommen. Sie wollen sie selbst sein dürfen, ohne sich dumme Sprüche anhören zu müssen", erklärte ich ihm mit bebender Stimme, wodurch er prompt rot anlief und betroffen zu Boden blickte.
"Sorry", nuschelte er, wofür ich seine Hand drückte. "Schon okay. Du wirst das alles noch verstehen. Frag einfach immer nach, wenn du was nicht kennst."
Kaum dass wir wenig später auf Niall trafen, deutete Louis auf dessen Flagge, die in schwarz, grau, weiß und lila erstrahlte. "Und wofür steht das?" Niall schien sich über Louis' ehrliche Neugier zu freuen, denn er outete sich ohne Umschweife vor ihm, ein breites Grinsen im Gesicht.
"Ich bin asexuell."
In Louis' Hirn schien es zu rattern, bevor er den Kopf schief legte. "Aha. Und was soll das sein?"
"Ich verspüre keinem Geschlecht gegenüber eine sexuelle Anziehung", erläuterte Niall, was Louis erst stutzen ließ, ehe er weiterfragte. "Heißt das, du bist abstinent?" Der Ire lachte verhalten auf. "Nein, ich verzichte nicht. Ich habe einfach nicht das Bedürfnis, mit jemandem zu schlafen." "Ekelst du dich davor? Und hast du es schon ausprobiert? Warst du noch nie verliebt?", bohrte der Braunäugige weiter und ich spürte, wie ich mich allmählich entspannte. Die Aufklärung schien zu funktionieren.
"Weder noch. So wie du dich nicht vor Frauen ekelst, aber trotzdem nicht mit ihnen schlafen möchtest, geht es mir mit allen Menschen. Und ich verliebe mich trotzdem in Frauen, kann mit ihnen Beziehungen führen. Nur eben ohne Sex", sagte Niall ruhig, danach einen Arm um Louis legend. "Und jetzt sollten wir uns einen Platz am Straßenrand suchen. Die Parade geht gleich los."
Tatsächlich wurde gerade per Lautsprecher verkündet, dass die Wagen nun losziehen würden - sämtliche Zuschauer, die sich auf dem Kopfstein gepflasterten Platz zwischen dem mächtigen Römer, der alten Nikolaikirche, deren rot-weißer Turm aus Sandstein mit kupferner Spitze über unseren Köpfen thronte, und dem Dom, der hinter der nächsten Ecke versteckt war, versammelt hatten, setzten sich in Bewegung.
Ich hakte mich bei Louis ein und wir suchten uns ein Stück freien Bürgersteig, damit wir eine gute Sicht hatten.
Ich merkte, wie angespannt Louis war und mit großer Skepsis die Wagen beobachtete, die sich schwerfällig in Bewegung setzten, während auf ihren Dächern bereits die wildesten Partys gefeiert wurden.
Laute Musik schallte von überall her und Menschen schwenkten ihre bunten Regenbogenflaggen, einige warfen sogar Kondome und Konfetti auf die Straße. Zwischen den einzelnen Wagen liefen immer wieder einzelne Leute in tollsten Verkleidungen, auf hohen Pumps, in Einhornkostümen oder engen Ledershorts. Sie sangen aus vollster Seele mit und hielten teilweise Transparente und Plakate hoch, die preisgaben, für was sie heute demonstrierten: Toleranz, Respekt, Liebe und Vielfalt.
Auch wenn ich selbst so ergriffen war von all den bunten Eindrücken, taxierte ich immer wieder Louis, dessen Anspannung glücklicherweise mit jeder Sekunde löste. Stattdessen entdeckte ich irgendwann Tränen, die klammheimlich über seine Wangen rannten. Ihm schien klar zu werden, was er all sein Leben verpasst hatte, weswegen ich ihn enger zu mir zog und in sein Ohr flüsterte, wie stolz ich auf ihn war.
Augenblicklich erhellte sich seine Miene und er kuschelte sich vorsichtig an mich. "Danke, dass du mich mitgenommen hast."
Nachdem wir einige Wagen hatten vorbeiziehen lassen, reihten wir uns ein in den Zug und marschierten mit durch die Straßen Frankfurts. Von einigen Balkonen aus jubilierten Menschen uns zu, machten Fotos und schwenkten ebenfalls ihre Flaggen. Niall, der neben mir lief, tanzte ausgelassen und hielt sein Gesicht in den Nieselregen, der inzwischen eingesetzt hatte - wodurch die Hitze Gott sei Dank einen Dämpfer erhielt und es etwas erträglicher war, über den Asphalt zu schweben.
Louis hingegen hatte Mühe, nicht über seine eigenen Füße zu stolpern, da er immer wieder den Blick schweifen ließ und aus dem Staunen nicht rauskam.
Als er ein männliches Paar erkannte, das vor einer Häuserfassade eng umschlungen in einem Kuss versunken war, stellte er sich auf die Fußspitzen und drückte mir einen Kuss auf die Wange, der mich erröten ließ.
"Danke", wiederholte er wispernd, dann beschleunigte er seinen Gang und bewegte seine Hüften zum Takt der Musik - zumindest ein kleines bisschen. Plötzlich umfasste er meine Hand und forderte mich somit auf, mit ihm zu tanzen - passend dazu lief Whitney Houstons "I Wanna Dance With Somebody". "Ich liebe dich!", rief ich ihm irgendwann zu, was er strahlend erwiderte.
Dadurch war ich so in Trance gefangen, dass ich die Reporter erst zu spät bemerkte, die wie aus dem Nichts auftauchten, ihre Kamera voll auf Louis drauf hielten und ihm sogar ein Mikrophon entgegen streckten. "Wie heißt du?", schrie die Frau mit feuerroten Haaren ihm zu, woraufhin er stolz antwortete: "Ich bin Louis!"
"Hi Louis! Ich bin Sarah. Wir machen eine kleine Dokumentation über die Pride. Warum bist du heute hier?"
"Ich bin mit meinem Freund hier!"
So sehr mich der Titel erfreute und prompt die Schmetterlinge in mir regte, schaltete sich zeitgleich mein innerer Alarm ein. Das durfte auf keinen Fall veröffentlicht werden - denn obgleich Alec momentan in Chemnitz bei Freunden war und sich wohl kaum eine Doku über den CSD anschauen würde, war es nichtsdestotrotz ein zu hohes Risiko.
Glücklicherweise erwischte ich Sarah noch am Ärmel und konnte ihr das Versprechen entlocken, Louis' Part rauszuschneiden. "Kein Problem", versicherte sie mir freundlich. "Wir wollen doch nicht, dass jemand in Schwierigkeiten gerät." Mit einem Augenzwinkern zogen sie und der Kameramann weiter.
Sobald ich mich wieder Louis und Niall zuwandte, sah ich, wie traurig ihn das machte. "Fuck. Da habe ich eine Sekunde nicht mitgedacht", murmelte er betroffen, weshalb ich ihm aufmunternd einen Arm um die Schultern legte.
"Das macht nichts. Doch so ist es einfach sicherer. Und jetzt komm, bald haben wir unser Ziel erreicht und dann können wir uns was zu essen holen. Ich bin förmlich am verhungern!"
meinungen? all the love, meine hasen. xx
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