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Harrys POV:

„Er geht nicht ran", stellte ich verzweifelt fest und ließ mein Telefon resigniert sinken, woraufhin Nia mitleidig ihre Unterlippe nach vorne schob.

„Vielleicht muss er nur seinen Rausch ausschlafen", mutmaßte sie, was ich bloß mit einem Achselzucken beantwortete, weil ich ein ganz mieses Gefühl bei der Sache hatte. Er war gestern Nacht nicht wegen Trunkenheit nicht wiedergekommen, das hatte ich im Blut.

Deshalb stürzte ich auch recht missmutig meinen Kaffee hinunter, ehe ich mich vom Esstisch erhob und mich ohne ein weiteres Wort ins Schlafzimmer verzog.

Zwar war das nicht unbedingt fair gegenüber Nia, die ich somit mit den Vorbereitungen für Sophies Geburtstagsfeier heute Abend alleine ließ, aber irgendwie war mir das gerade egal.

Doch auch der erneute Versuch, Louis zu erreichen, scheiterte, sodass das Handy kurz darauf in hohem Bogen von meinem Bett aus gegen die Wand flog und dort in tausend Teile zersprang. Schöne Scheiße.

Einen frustrierten Schrei ins Kissen lassend vergrub ich mich unter der Bettdecke und raufte mir die Haare.

Eine ganze Weile starrte ich lediglich an die Wand und spürte, wie sich mein Herz langsam zusammenzog. Ein Mix aus Eifersucht und Sorge überschwappte mich und ich fragte mich instinktiv, ob ich ihn vom Gehen hätte hindern können, wenn ich die Nacht über nicht bei Nia sondern bei ihm geschlafen hätte.

Allerdings wischte ich diesen Gedanken relativ schnell wieder beiseite und presste stattdessen mein Gesicht ins Kissen, abermals genervt aufstöhnend.

Ich hätte wahrscheinlich den ganzen Tag in Selbstmitleid gebadet, wenn nicht irgendwann Sophie aufgetaucht wäre, die prompt mit strenger Miene neben mir stand.

„Trauerklöße kann ich an meinem Geburtstag nicht gebrauchen", stellte sie bestimmt klar, weshalb ich die Augen verdrehte. „Ich mach mir aber Sorgen um Louis", entgegnete ich, was sie jedoch kalt ließ.

„Louis ist ein erwachsener Mann und wird sich schon melden."

Mit diesen Worten bugsierte sie mich zurück in die Küche, wo Nia mittlerweile den Kuchen in den Ofen geschoben hatte. Als sie mich sah, warf sie mir ein aufmunterndes Lächeln zu, das ich halbherzig erwiderte, ehe ich mich auf einem der Stühle fallen ließ.

Mit einem Seufzen schlüpfte sie aus ihrer Schürze, dann verabschiedete sie sich ins Wohnzimmer. „Ich muss noch ein paar Mails beantworten und geh später duschen", murmelte sie, bevor sie die Tür hinter sich schloss und ich mit einer wütend aussehenden Sophie zurück blieb.

„Du hast sie nicht mehr alle, oder?", wollte sie aufgebracht wissen und warf ausdrucksstark die Arme nach oben.

„Was denn?", fragte ich verständnislos zurück, wofür sie mir nur einen finsteren Blick schenkte. „Denk mal nach", bellte sie und obwohl ich die Stirn nachdenklich in Falten legte, fiel mir nichts ein.

„Weißt du, wie scheiße du gerade Nia behandelst?"

Erschrocken weiteten sich meine Augen. „Wieso behandle ich sie scheiße? Das stimmt gar nicht!", wollte ich mich wehren, doch sie legte bloß eine Hand auf meinen Unterarm, der mir bedeutete, zu schweigen.

„Harry, ich verstehe deine Sorge um Louis, aber nur deswegen kannst du nicht deine Freundin vernachlässigen", tadelte sie.

„Nur weil ich ihr einmal nicht beim Kuchenbacken helfe?" Misstrauisch hob ich eine Augenbraue- immerhin hätte ich sowieso nur die Küche in Mehl ertränkt.

„Der Kuchen ist mir in dieser Hinsicht scheißegal."

„Dann weiß ich nicht, was du meinst."

Regelrecht fassungslos schüttelte sie den Kopf. „Hör mal, Niall mag Dir in dieser Hinsicht vielleicht nicht die Augen öffnen, aber dafür bin ich jetzt da. Und ich werde dich nicht mit Samthandschuhen anfassen. Denn Nia ist meine beste Freundin und ich merke, wie sehr sie leidet."

Langsam dämmerte mir, worauf sie hinaus wollte, weshalb ich betroffen den Blick sank.

„Ich mag Louis, das weißt du. Und Nia mag ihn auch und würde dir nie einen Strick daraus drehen, dass du ihn bei dir aufgenommen hast. Aber als sie mir vorhin erzählt hat, was so in den letzten Tagen bei euch passiert ist, ist mir fast das Herz stehen geblieben. Ich verstehe das, wenn man sich verliebt und plötzlich auf Wolke 7 ist. Nur gibt dir das nicht die Berechtigung, deiner Freundin weh zu tun. Und im Grunde auch Louis."

Inzwischen hatten meine Finger zu zittern begonnen und ich merkte, wie sich das schlechte Gewissen durch meinen Körper fraß.

„Aber... ich.. ich dachte, ich hätte das im Griff", flüsterte ich, während ich Sophie dabei beobachtete, wie sie die Kaffeemaschine anschmiss und einen kurzen prüfenden Blick in den Ofen warf.

Sobald sie wieder mir gegenüber saß, fuhr sie fort: „Na ja. Du hast zumindest Hände ringend nach einer Legitimation gesucht, mit einem anderen Kerl zu schlafen und ihm deine Liebe zu gestehen. Dass Nia das vielleicht mehr verletzt, als sie zugeben würde, und auch Louis das ein bisschen viel wird, daran hast du nicht gedacht."

Die Wahrheit jetzt so unverblümt ins Gesicht geklatscht zu bekommen, brachte mich dazu, erstmal kräftig zu schlucken. Danach raufte ich mir einige Zeit die Haare, bis ich erkennen musste, dass ich keine Rechtfertigung parat hatte.

„Louis kommt aus einem Umfeld, in dem ihm fast tagtäglich eingetrichtert wurde, dass er nichts wert ist. Und da verlangst du von ihm, dass er dich sofort teilen muss, ohne die Angst zu haben, ins Aus gekickt zu werden? Und Nia? Natürlich ist sie verständnisvoll und weiß, dass du sie liebst, aber wenn da auf einmal ein anderer Mann neben dir steht, der dich zum Lachen bringt, muss auch sie fürchten, irgendwann aussortiert zu werden."

Plötzlich kochte in mir eine unbändige Wut auf und ich ballte meine Hände zu Fäusten. „So wie du das formulierst, klingt das, als sei ich ein Arschloch. Das stimmt nicht. Ich würde Nia nie aussortieren, das weiß sie!"

Das Wort Aussortieren setzte ich extra in Anführungszeichen, damit Sophie checkte, wie scheiße das klang.

Tatsächlich lockerten sich ihre Gesichtszüge und sie umschloss meine Faust, um sanft über meinen Handrücken zu streichen.

„Ach Harry... es tut mir leid, dass ich so hart war, aber irgendjemand musste mal die Wahrheit sagen. Ich weiß, dass du Nia nicht verlassen würdest, aber Angst ist irrational."

Ich nickte langsam und merkte, wie ich mich allmählich wieder entspannte. „Und was soll ich jetzt machen? Ich hab Angst um Louis."

„Wir alle haben das. Aber ich würde vorschlagen, wir feiern nachher erstmal meinen Geburtstag und morgen überlegen wir uns einen Schlachtplan. Vielleicht ist er bis dahin ja wieder aufgetaucht."

Doch als ich wenig später in Sophies Wohnung auf der Toilette hockte und mein Prepaid-Handy fest umklammert hielt, fehlte nach wie vor jegliche Spur von ihm - dabei hatte ich ihm extra eine SMS geschrieben, dass das jetzt meine vorübergehende Nummer war und ich auf einen Anruf von ihm wartete.

Mit Tränen in den Augen erinnerte ich mich zurück an das Gespräch, dass Sophie, Nia und ich vorhin in der Bahn hatten.

Denn nachdem auch Nia endlich ihrer Wut freien Lauf gelassen und sogar geweint hatte, hatte Sophie ihr ein makelloses Make-up angelegt, mir bei der Hemdauswahl geholfen und uns anschließend Richtung Bahnhof dirigiert.

Sobald die S-Bahn eingetroffen war und wir einen Vierersitz ergattert hatten, hatte sie nochmal das Thema auf Louis gelenkt.

„Harry, du darfst mich jetzt gerne schlagen, aber kann es sein, dass... dass du es genossen hast, dich um jemanden zu kümmern und Louis es toll fand, endlich Beachtung zu bekommen, und ihr... ihr deshalb das Gefühl hattet, verliebt zu sein?"

In diesem Augenblick hatte ich darauf keine Antwort und auch jetzt war ich ratlos.

Mein Herz überschlug sich beim Gedanken an unser erstes Mal und wenn ich mir vorstellte, was bei Lena alles passiert sein könnte, wollte ich spontan losflennen. Irgendwas löste er bei mir aus, das ließ keinen Zweifel. Aber ob ich wirklich nur von Hormonen besoffen war, konnte ich nicht sagen, dazu war das Thema an sich zu sehr mit Emotionen behaftet.

Das Klopfen an die Badezimmertür riss mich abrupt aus meiner Trance und sobald ein schon angetrunkener Raúl mir gegenüber stand, der verkündete, er müsse dringend mal pissen, räumte ich den Platz.

Mit einem letzten wehmütigen Blick ließ ich das Handy in meine Hosentasche gleiten und machte mich anschließend auf die Suche nach meiner Freundin, die ich schließlich am Buffet traf.

Sobald sie mich bemerkte, drückte sie mir ein Bier in die Hand und wandte sich von ihrem eigentlichen Gesprächspartner ab, mir zu.

„Wollen wir tanzen?", schlug sie vor, und auch wenn ich nach wie vor noch in Gedanken war, stimmte ich dennoch zu.

Also schoben wir uns durch die Menschen hinüber ins Wohnzimmer, wo laute Musik aus großen Boxen schallte und Nia prompt begann, ihren Körper im Takt zu bewegen.

Meine eine Hand  wanderte immer wieder an ihren Kurven entlang, während ich in der anderen mein Bier hielt, dass ich nach und nach leerte. Mit jedem Schluck wurden meine Schritte beflügelter und mein Kopf ein bisschen leerer, zumal Sophie irgendwann zu uns stieß und Shots verteilte.

Meine Partylaune wurde jedoch jäh unterbrochen, als ich ein verräterisches Vibrieren an meinem Hintern spürte.

Sofort stolperte ich aus dem Raum hinüber in die Küche, wo ich einigermaßen meine Ruhe hatte.

„Louis?", schrie ich in den Hörer, in der Hoffnung, dass er mich auch wirklich verstand.

„Harry?'

Seine Stimme klang ungewöhnlich dumpf und obgleich ich schon ziemlich voll war, erkannte ich die Trauer dahinter.

„Wo bist du?"

„Bei Sa-"

Noch bevor er den Satz vervollständigen konnte, tauchte plötzlich eine betrunkene Sophie in meinem Sichtfeld auf, riss mir das Handy mit einem breiten Grinsen auf den Lippen aus der Hand und versenkte es volle Kanne in der Bowle, die hinter mir auf dem Tisch drapiert war.

„Quatschen kannst du auch noch später!", verkündete sie fröhlich, dann zerrte sie mich hinter sich her.

meinungen? alles liebe euch. xx

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