06

Harrys POV:

Als ich mit Nia und Niall um kurz vor acht in Altsachsenhausen aufschlug, pochte meine Nase noch immer und  meine Augen waren mittlerweile komplett blau angelaufen, sodass mich einige Passanten sogar argwöhnisch betrachteten. Um den Schmerz zu betäuben, trank ich billiges Dosenbier und  teilte mir mit meiner Freundin eine Kippe.

Niall, der die Flugblätter für die Gegendemo nächstes Wochenende in den Händen hielt, deutete relativ schnell auf eine kleine Eckkneipe, aus der irgendwelcher Rechtsrock dröhnte und einige Männer mit kahlgeschorenen Köpfen hervor traten, um sich ebenfalls eine Kippe anzustecken. "Ich bin dafür, dass wir ein bisschen schlechte Laune verbreiten", sagte mein bester Freund mit vorwitzigem Unterton und nahm gespannt seine Zunge zwischen die Lippen, woraufhin ich schmunzeln musste,

"Jedes Mal, wenn Ärger droht, freust du dich mehr als jedes Kind an Weihnachten", scherzte ich, wofür ich bloß einen Stinkefinger seinerseits kassierte und er schnurstracks auf die Neonazis zusteuerte. Diese verfolgten mit Misstrauen unser Näherkommen und stellten kampfbereit ihre Bierflaschen auf dem Boden ab, weshalb Niall seinen Schritt nur verschnellerte.

"Ist es wirklich eine gute Idee, uns nach dem heutigen Tag nochmal mit denen anzulegen?", sprach die Brünette neben mir ihre Bedenken aus und warf mir einen scheuen Blick zu. Doch auch wenn die Müdigkeit in meinen Augen biss und mich die Schmerzmittel leicht benebelten, umschlang ich einfach ihre Hand, um sie hinter mir herzuziehen.

Kaum hatten wir den herunterkommenden Schuppen erreicht, trafen mich die ersten Pöbeleien am Kopf und aus der Bar krochen noch andere Typen, die wahrscheinlich dachten, sie könnten uns mit ihren breiten Schultern und finsteren Mienen ernsthaft Angst einjagen. Niall allerdings ließen die Beleidigungen völlig kalt, und statt auf sie einzugehen, bahnte er sich einfach nur einen Weg zu der riesigen Fensterscheibe durch, durch die man ins Innere der Kneipe sehen konnte.

Ein paar Kerle beiseite schubsend gesellte ich mich zu ihm und begann, die einzelnen Flyer an die Scheibe zu kleben, bis mir durch das Dreck verschmierte Glas ein Tisch auffiel, an dem drei mir sehr bekannte Gestalten hausten. Über ihren Köpfen hing eine Deutschlandfahne und vor ihnen auf der Holzplatte standen drei mächtige Bierkrüge, um die sich ihre klobigen Finger legten.

"Ach du Scheiße", entwich es mir und ich hielt schlagartig in meiner Bewegung inne, während ich beobachtete, wie einer der drei sein Handy zückte und garantiert den vierten in ihrem Bunde anrief. Prompt gab ich im Geiste meiner Freundin Recht und fragte mich, warum Niall ausgerechnet heute so auf Krawall gebürstet war, begnügten wir uns normalerweise damit, die Zettel an Ampeln und Straßenlaternen zu befestigen. Vielleicht fehlte es ihm zu seinem Glück, auch noch die Nase gebrochen zu bekommen.

Aber was auch immer sein Grund dafür gewesen war, ich ignorierte ihn und zerrte den Iren wortlos hinter mir her. "Ja, genau, verpisst euch!", schrie uns eine Blondine hinterher, die meiner Erinnerung nach heute schon Louis' Anhängsel gewesen war.

"Ey, lass mich los!" Empört schlug Niall um sich, sobald wir um die nächste Straßenecke verschwunden waren, und er sich frustriert seinen Irokesen richtete. "Da waren die Brüder von diesem Louis und ich hab echt keinen Bock, heute nochmal im Krankenhaus zu hocken", zischte ich, als auch Nia zu uns stieß und sich sofort an meinen Arm klammerte. "Und die wirken echt wütend. Wenn wir Pech haben, laufen sie uns nach", fügte sie hinzu, weshalb ich stöhnend die Augen verdrehte.

"Ich hätte zuhause bleiben sollen", grummelte ich missmutig, während ich die Hände in der Bauchtasche meines selbst gemachten "Treat People With Kindness" Pullis vergrub. Allerdings blieb mir nicht lange Zeit, mich selbst zu bemitleiden, da sich Nias Prophezeiung bewahrheitete und ein ganzer Pulk Nazis plötzlich auf der anderen Straßenseite auftauchte, die abgerissenen Flugblätter uns entgegen werfend.

"Euren Müll könnt ihr behalten!"

"Der einzige Müll, den ich hier sehe, seid ihr!", konterte Niall, was ich mit einem missbilligenden Blick quittierte. "Ist das dein verfickter Ernst?", fauchte ich, woraufhin er jedoch bloß unschuldig mit den Schultern zuckte. "-Punch a Nazi.- Schon vergessen?" Gerne hätte ich erwidert, dass ich dazu liebend gern immer und überall bereit war, sofern meine Nase nicht im Arsch war, aber noch bevor ich überhaupt Luft holen konnte, stürmte mein bester Freund los und das fröhliche Bepöbeln ging weiter.

Mittlerweile entdeckte ich auch Louis in der Menge, dessen Visage mindestens ebenso ramponiert war, wie meine, und der eher halbherzig die Schnipsel einzelner Flugblätter anzündete und anschließend auf den Asphalt fallen ließ.

Nach einer Weile allerdings bemerkte er mein Starren und ließ fassungslos sein Feuerzeug sinken. "Wie war das mit dem 'Nie wieder sehen'?" Seine Stimme bebte, während er die Straße überquerte und auf mir immer näher kam, bis ich abermals spürte, wie sein Atem an mir abprallte.

Ich überlegte kurz, ob ich ihm die Genugtuung geben wollte, zuzugeben, dass ich mir mit einer Mischung aus Ibuprofen und Bier eigentlich gerade das Hirn weg geblasen hatte, entschied mich dann aber doch dagegen und schüttelte nur missbilligend den Kopf.

"Wenn du in deiner Rattenhöhle geblieben wärst, hätten wir das Problem nicht", entgegnete ich und taxierte das eingenähte Hakenkreuz auf der Innenseite seiner verdreckten Bomberjacke, die durch den offenen Reißverschluss zu sehen war.

Jetzt überkam mich eine Welle von Wut und ich biss unwillkürlich die Zähne aufeinander. "Und ich empfehle dir, dorthin wieder zurückzukehren. Sonst werden wir wieder kuscheln, und ich  verspreche dir, dieses Mal nicht so freundlich zu sein."

Diese Drohung bloß mit einem Schnauben quittierend verringerte er den Abstand zwischen uns nochmal um einige Zentimeter. "Du hast auch nur so eine große Klappe, weil dir jemand ins Hirn geschissen hat, oder?"

"Ich geh wenigstens nicht auf ein Festival zu Ehren von Adolf Hitler, nenne es großspurig SS und fühle mich wie der geilste Hengst, obwohl ich irgendeinen gequierlten Scheiß von mir gebe."

"Die Scheiße fabrizierst wohl eher du mit deinen Affenfreunden, nur um einen auf Gutmensch machen zu können."

Noch ehe ich darauf antworten konnte, ertönte mit einem Mal ein lauter Pfiff und ließ uns abrupt auseinander fahren. Der Kneipenbesitzer war dem Lärm auf der Straße gefolgt und keifte uns an, wir sollten uns alle verziehen, wenn er nicht die Bullen rufen sollte.

Tatsächlich ließ das allgemeine Gedränge nach, Louis verschwand blitzartig, und ich schnappte mir Nia, die etwas abseits mit dieser Lena gestritten hatte, und mich nun dankbar umarmte. Sanft küsste ich ihre Stirn, denn ich wusste, dass sie trotz all ihres Engagements von physischen Auseinandersetzungen gern Abstand hielt und deshalb immer wieder Schutz bei mir suchte.

Ganz im Gegensatz zu Niall, der noch ganz aufmüpfig ein "Scheiß Faschistenpack!", hinterhersetzte und erst danach zu uns stieß. Triumphierend grinste er mich an, wohingegen ich bloß den Kopf schüttelte. "Ich hab erst nächsten Freitag wieder Kraft für dieses Bündel Dummheit", seufzte ich und war froh, als der Eiserne Steg in Sicht kam und im schillernden Licht der, sich über dem Main erstreckenden, Abendsonne die Ruhe versprach, die ich nach einem solchen Hammertag bitter nötig hatte.


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