the woman who went away

7 Jahre zuvor

Fröstelnd schlang eine sieben Jahre jüngere Kaelin ihre Arme um ihre Schultern und stieß zögernd die kalte Winterluft aus. Wie die anderen Wartenden war ihr in der Kälte und dem viel zu knappem Kleid elendig kalt und langsam begann sie an der ursprünglichen Idee, sich in den Club zu schmuggeln, zu zweifeln.

„Das wird toll," sagte ihre beste Freundin Annabel, aber selbst in ihrer Stimme hörte Kaelin Zweifel und alleine der Gedanke an ein warmes Bad, an eine heiße Tasse Tee und warmen Socken, ließ sie fast vor lauter Sehnsucht weiche Knie bekommen.

„Ann, da sind noch circa 100 Leute vor uns, wir kommen da vor Mitternacht sowieso nicht mehr rein. Und ich sollte lernen, ich habe einen wichtigen Test morgen."

„Ach komm schon," erwiderte diese nur und griff mit ihren kalten Fingern nach Kaelin Hand, doch diese zuckte zurück. Langsam aber sicher ging ihr die Geduld aus und auch wenn sie wusste, dass ihr vom Tanzen und der Bewegung, von der Hitze der Menschen und der abgestandenen Luft warm wurde, war das in noch so weiter Ferne, dass die 18 Jährige aus der Schlange trat.

„Nein, Ann, das ist es mir nicht wert. Ich geh lieber nächstes Wochenende nochmal aus, bevor ich mir hier den Tod hole. Wir warten schon seit zwei Stunden und ich habe keinerlei Zeit für eine Blasenentzündung," erwiderte sie heftig und fühlte sofort eine eigenartige Zufriedenheit, als sie die Worte endlich aussprach. Sie wollte nicht hier sein.

„Ach komm schon, Kaelin. Kaelin?! Kaelin!"

Doch diese zuckte nur mit den Schultern und atmete tief durch, sah mittleidig die anderen frierenden Mädchen an, die all ihre Sorgen wegtanzen und eine schöne Zeit haben wollten und bog in eine Gasse ab. Sie wusste, dass das hier eine Abkürzung zu ihrem Apartment am Campus war, die sie schon oft genommen hatte, doch jetzt in der Nacht, alleine im ersten Studienjahr in New York, sah alles ganz anders aus. Jeder Schatten wirkte bedrohlich und jedes kleinste Geräusch, das nicht von Autos kam oder in die nächtlichen Geräusche der Stadt passte, machte sie fertig.

„Jetzt rechts, noch zehn Minuten," murmelte sie leise zur Beruhigung vor sich hin und atmete tief durch, beobachte ihren Atem, der in weißen Wölkchen aufstieg. Sie war ruhig, alles war ruhig oder zumindest redete sie sich das ein.

Bis sie auf einmal in einer Sackgasse stand. Stirnrunzelnd und ziemlich verwirrt drehte sich Kaelin um die eigene Achse, ehe sie mit zögernden Schritten wieder den Weg zurück ging.

Ihr Herz klopfte wie verrückt in ihrer Brust und obwohl ihre Haut so kalt war, dass sie das eisige Brennen, die eisigen Stiche des Windes nicht mehr spürte, hatte eine Angst sie befallen, die alle Kälte aus ihren Adern trieb. Adrenalin.

Sie bog um die Ecke und atmete auf, als sie sich wieder auskannte, die Schwere in ihren Gliedern wurde langsam wieder vertrieben und sie zwang ihren Atem sich zu beruhigen, indem sie tief ein und ausatmete. Alles war gut.

„Stehen bleiben," rief auf einmal jemand hinter ihr. „Im Namen der New Yorker Polizei." Jemand lief an ihr vorbei, und aus dem Augenwinkel sah sie nur einen jungen Mann, dessen blaue Augen sich für einen Moment in die ihren bohrten. Ein schwarzer Kapuzenpulli versteckte größtenteils seine Gesichtszüge, aber dennoch erkannte Kaelin, dass er nicht recht viel jünger sein konnte, wie sie.

Innerhalb weniger Sekunden war er an ihr vorbei gelaufen, drehte sich noch einmal um, ein bübisches Lächeln auf seinen Lippen, als sich seine Miene veränderte. Zu Entsetzen, zu Unglaube, zu Angst, doch er sah nicht sie an, sondern sah an ihr vorbei.

Langsam drehte sie sich um und sah, wie ein Polizist um die Ecke bog, seine Waffe erhoben und direkt auf sie gerichtet. Instinktiv versuchte Kaelin ihm zu entkommen, warf sich zur Seite, als sie hörte, wie sich ein Schuss löste, der nicht für sie gedacht gewesen war, sondern für den Flüchtigen.

Aber dennoch war sie es, die von der Wucht der Kugel getroffen worden war.

Kaelin war es, die zu Boden flog und erst wenige Sekunden später, als ihre Hände bereits zu der Wunde geflogen waren, kam der Schmerz.

Sie sah das Blut auf ihren Händen, sah, wie ihre Finger zitterten und ihre Sicht verschwamm. Ihr Herz hämmerte wie wild in ihrer Brust und verwirrt sah sie auf, verwirrt versuchte sie zu verstehen.

Kaelin wusste, dass sie angeschossen worden war, sie wusste, dass sie gerade verblutete, sie wusste, dass sie Hilfe brauchte. Aber es schien alles so surreal, so unwirklich. Was hatte sie denn getan?

Der brennende Schmerz, der von ihrer Brust aus abstrahlte, breitete sich langsam aus, machte ihre Glieder taub, ihr Denken langsam und sie wusste instinktiv, dass ihre Zeit ablief. Und als sie dort am kalten Boden lag, den brennenden, alles verzehrenden Schmerz wahrnahm und den Polizisten, der mittlerweile seinen Fehler bemerkt hatte und in ein Telefon brüllte, wusste sie, dass sich von diesem schicksalhaften Moment alles verändert hatte.

Und Kaelin schloss die Augen, hieß die Dunkelheit willkommen und spürte nichts, als sie endlich diesem Schmerz, der so übermächtig war, dass er schon wieder leer wirkte, entkam.

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