Kapitel 19



Stephen.

Die Ketten rieben an meinen Handgelenken, brannten sich tief in die Haut, während ich mich zum hundertsten Mal vergeblich dagegen warf.
Mein Atem ging stoßweise.
Schweiß rann mir über die Stirn.
Meine Muskeln brannten.
Aber ich konnte nicht aufhören.
Nicht, nachdem ich Doves letzte Worte gespürt hatte.

Etwas hatte sich verändert.
Ich hatte es gefühlt.
Ihre Angst.
Ihre Verzweiflung.
Wie ein kalter Dolch mitten durch mein Herz.
„Verdammt", knurrte ich, riss mit aller Gewalt an den Fesseln.
„Dove... bitte...", meine Stimme brach.

Ich schloss die Augen, presste die Stirn gegen die eiskalte Metalllehne des Stuhls, an den sie mich gefesselt hatten.
Verlor mich für einen Moment in Bildern von ihr.
Ihr Lächeln.
Ihre Wärme.
Ihr Licht.
Und dann – die Tür öffnete sich.
Ich riss den Kopf hoch. Und da war er. Varéne.

Mit seinem selbstgefälligen, ekelhaften Grinsen.
Und in seinen Händen... Dove. Ich schnappte nach Luft.
Sie hing leblos zwischen zwei Wachen, ihr Körper gezeichnet von blauen Flecken, Blutspuren, zerfetzter Haut.
Ihre Haare hingen strähnig in ihr Gesicht, ihre Lippen zitterten. Ein Geräusch entwich meiner Kehle – roh, gebrochen, fast tierhaft.
„Lass sie los!", brüllte ich, stemmte mich gegen die Fesseln, spürte, wie sie sich tiefer in mein Fleisch schnitten.

Varéne lachte leise, wie jemand, der ein besonders schönes Geschenk auspackt. „Ach, Stephen", sagte er sanft, während er eine Hand ausstreckte und Dove unter dem Kinn anhob, ihr Gesicht zwang, sich zu erheben.
„Sieh sie dir an. Dein Meisterwerk. Deine Schwäche." Dove keuchte schwach, als seine Finger sie berührten.
Ich sah den Schmerz, der durch ihren Körper zuckte. Und ich schwor mir in diesem Moment:
Ich würde ihn töten. Egal, was es kostete.
„Fass sie nicht an!", keuchte ich, verzweifelt.
„Nimm mich! Lass sie gehen!" Varéne wandte sich mir zu, seine Augen funkelten vor Vergnügen.

„Oh, aber das wäre zu einfach, Stephen.
Was ist ein Schmerz schon wert, wenn du ihn nicht siehst?
Wenn du ihn nicht spürst?" Er nickte den Wachen zu.
Und dann –
begann die Hölle.

**

Sie warfen Dove brutal zu Boden, direkt vor der Glaswand, die uns trennte.

Ich brüllte auf, stemmte mich gegen die Ketten, die mich hielten, zerrte so heftig, dass ich Blut spürte.
„NEIN! DOVE!!"
Varéne trat langsam zu ihr hinüber.
Er kniete sich nieder, griff in ihr Haar und zog ihren Kopf hoch. „Sag ihm auf Wiedersehen", raunte er ihr ins Ohr.
Dove öffnete die Augen.
Nur für einen Moment.
Und sah mich an. Ihre Lippen formten wortlos meinen Namen. Ein Blick, gefüllt mit Liebe. Mit Entschuldigung.

Mein Herz riss in tausend Stücke. Dann kamen die Schläge. Brutal. Skrupellos.
Fäuste krachten auf sie nieder, Tritte in ihre Rippen, ihre Seite, ihr Gesicht.
Ich brüllte, schrie mich heiser.
Riss und zerrte an meinen Fesseln, bis die Ketten knackten und schnitten. Ich sah, wie sie versuchten, sich zu schützen, wie sie ihre Arme hob – und wieder niedergeschlagen wurde.

Blut spritzte gegen das Glas. Mein Glas. Mein Herz.
„AUFHÖREN!", schrie ich, die Stimme rau von Verzweiflung.
„BITTE, HÖRT AUF!!" Aber sie lachten nur. Taten weiter.
Härter. Einer der Männer packte sie an den Haaren, riss sie hoch, während ein anderer sie ins Gesicht schlug.
Ihr Körper sackte in sich zusammen.
Ihre Beine gaben nach.
Sie hing wie eine zerbrochene Puppe.
Ich sah ihre Augen – glanzlos. Leer.
Und ich wusste: Sie gaben ihr keine Pause. Sie gaben ihr keine Chance.

Varéne sah zu mir, lächelte und trat dann selbst auf sie zu.
Er strich sanft über ihre geschwollene Wange, als wäre sie etwas Kostbares.
Ein Moment krankhafter Zärtlichkeit. Dann beugte er sich zu ihr hinunter und flüsterte:
„Sag deinem Zauberer Lebewohl." Ein letzter Schlag –
ein harter Tritt gegen ihre Seite. Dove sackte zusammen.
Reglos.
Ich brüllte auf.
Ein Schrei, der die Mauern erschütterte.
Ein Schrei, der meine Seele zerriss.

„ICH BRINGE DICH UM, VARÉNE!!", donnerte ich.
„ICH SCHWÖRE BEI ALLEM, WAS ICH BIN!!" Er drehte sich langsam zu mir um, sein Gesicht von grausamer Freude verzogen. „Dann beeil dich, Strange", murmelte er kalt, „bevor sie stirbt."

**

Sie schleppten Dove wieder hinaus. Ihr Körper hing leblos in den Armen der Wachen. Blut tropfte aus ihren Haaren.
Aus ihren offenen Wunden. Ihre Lippen waren aufgesprungen, ihr Gesicht völlig entstellt von Schlägen.
Und ich –
konnte nichts tun.
Nichts, außer zusehen.
Der Glasboden zwischen uns war der dünnste, grausamste Abgrund, den ich je gekannt hatte.

Als die Tür hinter ihr zufiel und ich allein zurückblieb, sackte ich zusammen.
Meine Stirn presste sich gegen das Glas, auf dem ihr Blut verschmiert war.

Tränen brannten in meinen Augen, rannen heiß über mein Gesicht. „Dove...", flüsterte ich heiser.
Mein Herz, mein Leben –
lag da draußen, zerbrochen,
und ich war nichts als ein Schatten meiner selbst.
Und ich schwor mir:
Egal, was es kostete.
Egal, wie tief ich fallen musste. Ich würde sie retten.
Oder bei dem Versuch sterben.

Die Stunden vergingen.
Ich wusste es nicht mehr wie lange wir schon hier drin gefangen waren.
Zeit hatte hier drinnen keinen Sinn.
Alles verschwamm in einer endlosen Spirale aus Schmerz, Schuld und unerträglicher Hilflosigkeit. Ich kauerte auf dem kalten Boden, die Fesseln um meine Handgelenke zerschnitten, blutverkrustet.
Meine Stirn ruhte an der Glaswand, dort, wo einst ihr Blut getropft war.
Getrocknet.
Ein Mahnmal meiner Schwäche.

„Dove...", flüsterte ich wieder.
Nur ihr Name.
Wie ein Gebet.
Wie ein letzter verzweifelter Versuch, sie irgendwie zu erreichen. Ich sah sie vor mir – ihr Gesicht, gezeichnet von Schmerzen. Ihre Augen, bevor sie das Bewusstsein verloren hatte. Und es schnürte mir die Kehle zu. Ich hätte sie beschützen sollen. Ich hätte bei ihr sein müssen. Stattdessen hatte ich sie in die Hölle geführt.

**

Etwas in mir – tief, dunkel, uralt – regte sich.
Eine Wut, die ich kaum zu kontrollieren vermochte.
Eine brennende Entschlossenheit, die selbst die stärksten Siegel sprengen konnte. Varéne glaubte, mich gebrochen zu haben. Aber er hatte nur etwas freigesetzt, das er besser niemals berührt hätte. Ich hob den Kopf. Sperrte jeden Schmerz, jede Angst, jede Träne aus. Nur eines zählte noch: Sie.

Ich würde sie nicht hier sterben lassen. Ich würde sie zurückholen. Mit jedem Funken Magie, der noch in meinen zitternden Fingern glühte.
Mit jeder Faser meines gebrochenen Körpers.
Mit jedem Stück meiner zerschmetterten Seele. Langsam schloss ich die Augen. Versuchte, mich zu sammeln.
Atmen.
Nur atmen.
Ich spürte die Überreste meiner Kraft, tief in mir vergraben, begraben unter Schichten aus Schmerz und Verzweiflung.

Aber sie waren da.
Wie eine letzte Glut. Ich musste... ich musste einen Weg finden. Die Fesseln um meine Handgelenke waren verzaubert. Magie, alt und mächtig. Aber nichts war undurchdringlich. Nicht für jemanden, der bereit war, alles aufzugeben. Ich flüsterte alte Worte, kaum hörbar.
Schnitzte die Runen in die Luft, nur mit meinen Gedanken. Schweiß rann mir über das Gesicht.
Jede Bewegung brannte wie Feuer.
Meine Magie flackerte – ein stotternder, erbärmlicher Funken. Aber es reichte. Ein Klicken. Ein leises Sirren.

Die Fesseln an meiner rechten Hand lösten sich, sackten klirrend auf den Boden.

Mein Herz schlug wild. Ich wagte kaum zu atmen. Ich befreite die linke Hand, dann meine Beine. Langsam, zitternd, tastete ich mich auf die Füße. Meine Beine drohten nachzugeben.
Aber ich zwang sie. Ich zwang mich. Dove brauchte mich. Mit letzter Kraft schleppte ich mich zur Tür meiner Zelle.
Legte die Handfläche dagegen. Magische Symbole leuchteten auf, rot und giftig. Ich knirschte die Zähne zusammen. Schloss die Augen. Stieß die Magie, die ich noch hatte, dagegen. Schicht um Schicht. Es war, als würde ich einen Berg versetzen wollen.

Die Tür zitterte. Risse begannen aufzubrechen. Noch nicht genug. Noch nicht. Ich grub tiefer. Gab ihr meinen Schmerz. Meine Schuld. Meine Liebe. Alles.
Und dann – Ein Kreischen. Ein Bersten. Die Tür explodierte in tausend Splitter. Keuchend taumelte ich nach draußen, in die düsteren Gänge.
Ich wusste nicht, wo ich war.
Nicht, wo Dove war. Aber ich fühlte sie.
Irgendwo in diesem Albtraum schlug ihr Herz noch.
Und ich würde sie finden. Ich würde sie retten.
Oder mit ihr sterben.

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