5. Kapitel

"Ich kann nicht glauben, dass du keine Weihnachtsmusik magst".
Dean sah ehrlich entgeistert aus.
"Jedes Weihnachtslied klingt absolut gleich. Es ist ja nicht, dass ich sie gar nicht mag, aber ich muss mir nicht unbedingt fünfzehn Lieder anhören, die sich alle gleich anhören. Und das Schlimmste ist, dass von diesen Songs auch immer nur die fünf gleichen im Radio laufen. Und weil in Kaufhäusern und anderen Läden diese Lieder quasi in Dauerschleife abgespielt werden, während Menschen noch damit beschäftigt sind ihren Halloweenschmuck abzuhängen, hängt es mir zur Adventszeit immer schon aus dem Hals raus".

Ich wollte noch einen Schluck nehmen, doch als ich die Tasse an meine Lippen hob, fiel mir wieder ein, dass ich meine zweite Tasse Tee nun auch schon vor geraumer Zeit geleert hatte. Auch Deans Tasse war mittlerweile leer, doch keiner von uns machte Anstalten das Gespräch zu beenden. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal, so lange mit einem praktisch Fremden ein Gespräch geführt hatte, ohne mich unwohl zu fühlen oder zu hinterfragen, ob ich gerade irgendwelche ungeschriebenen Regeln der Gesellschaft zu brechen, die jeder zu kennen schien außer mir. Doch mit Dean war es irgendwie so einfach zu reden. Vielleicht weil er mir nicht das Gefühl gab, seltsam zu sein, wenn ich seine Frage, welches Buch ich denn gerade las mit einer detaillierten Inhaltsangabe, anstatt dem Titel des Buches beantwortete. Oder wenn ich ihn bat, eine Frage weiter auszuführen, weil ich sonst nicht wusste, wie ich sie beantworten sollte. Nicht nur, dass er mich nicht sofort als seltsam abstempelte, war eine Besonderheit, sondern dass er zusätzlich auch noch wirklich interessiert zuzuhören schien. Als er sich den Titel des Buches in seine Notizapp geschrieben hatte, hatte ich mich eventuell ein kleines bisschen schockverliebt.

"Offensichtlich hast du noch nie eine gute Weihnachtsplaylist gehört, wenn du glaubst, dass auch nur eine Funken Wahrheit in deinen Worten steckt", riss Dean mich aus meinen Gedanken. Er hielt inne und legte den Kopf schief, bevor er zugab: "Okay, vielleicht steckt wirklich ein kleiner Funke Wahrheit in deinen Worten. Manche Weihnachtslieder klingen wirklich so als hätte jemand nur copy and paste betrieben, aber es gibt auch wirklich gute Weihnachtslieder".
Wenig überzeugt sah ich ihn an. Beim Schreiben versetzte ich mich gerne mit Musik in die richtige Stimmung und es war nicht so, als hätte ich noch nie eine weihnachtliche Playlist beim Schreiben auf Shuffle angehabt.
"Nee, das können wir definitiv nicht so stehenlassen. Gib mir mal dein Handy", sagte Dean entschieden und streckte mir auffordernd seine Hand entgegen. Ich hinterfragte besser nicht, warum ich kommentarlos mein Handy entsperrte und es ihm reichte, ohne mir Gedanken zu machen, was er eventuell damit anstellen könnte. Dean tippte zuerst noch etwas auf seinem eigenen Handy ein, bevor er auf meinem Handy Spotify öffnete und etwas in die Suchleiste eintippte.

Kurze Zeit später gab er mir mit einem zufriedenen Grinsen mein Handy wieder. Eine Playlist war auf meinem Handy geöffnet die Dean schon mit einem Herzen markiert und so zu meiner Bibliothek hinzugefügt hatte. Auf dem Coverbild der Playlist, war ein kleiner Weihnachtswichtel abgebildet, der mich zum Schmunzeln brachte. Neugierig tippte ich auf sein Profil und ließ vor Überraschung fast mein Handy fallen. "Du bist ja wirklich Musiker", stieß ich überrascht hervor und schlug mir dann die Hand über den Mund. Was war das denn für eine dämliche Aussage? Denn sein Profil offenbarte, mehrere Alben und Singles, die er veröffentlicht hatte. Natürlich war er Musiker. Weil er ja nicht schon attraktiv genug war, musste er auch noch musikalisch sein. Das war doch wirklich unfair. Plötzlich erschien mir sein Scherz, einen Song über mich zu schreiben, noch einmal in einem anderen Licht. Wahrscheinlich konnte man mir meine Realisation am Gesicht ablesen, denn Dean hatte erneut dieses spitzbübische Funkeln in seinen Augen, als er sich zu mir herüberbeugte und raunte.
"Hat es dir die Sprache verschlagen, Mystery Girl?". Ich starrte Dean einfach nur an, weil es mir anscheinend wirklich die Sprache verschlagen hatte. Ich senkte meinen Blick erneut auf das Profil und verschluckte mich fast an meiner eigenen Spucke, als ich sah wie viele monatliche Hörer er hatte. 1,8 Millionen. 1,8 Millionen Leute hörten seine Lieder und er scherzte darüber, einen Song über mich zu schreiben. Ich schluckte und sah Dean erneut an.

"Das alles sieht beeindruckender aus, als es ist. Es ist jetzt nicht so, als wäre ich berühmt". Dean kratzte sich, nun scheinbar doch ein wenig verlegen, an seinem Nacken.
"Ich bin aktuell auf dem Weg in meine Heimatstadt, die wenn ich das anmerken darf winzig ist, um dort ein kleines Konzert zu geben und größer werden meine Konzerte auch in der Regel nicht".
Das machte die Sache um ehrlich zu sein, nicht weniger beeindruckend oder einschüchternd. Aber das Gespräch mit Dean war bis hierher so schön gewesen, dass ich es nicht davon zerstören lassen wollte.

"Es ist wirklich tragisch, dass wir heute Nacht im selben Raum schlafen", sagte ich. Unsicherheit flackerte in Deans Gesicht auf und er spielte mit einem Ring an seiner linken Hand und ich sprach schnell weiter: "Ich würde mir heute Nacht so gerne alle Songs anhören, aber das kann ich unmöglich machen, wenn du dich im selben Raum befindest".
Dean entspannte sich wieder ein wenig. "Ich halte dich ganz sicher nicht davon ab".
"Äh, doch tust du. Es ist seltsam, das erste Mal die Songs von jemandem zu hören, der mit dir im Raum ist. Das fühlt sich so an, als würde ich in deinen Kopf gucken, während du mich dabei beobachtest. Ich würde auch nicht gerne, danebensitzen, wenn jemand ein Buch liest, das ich geschrieben habe. Also, ich meine es ist natürlich schön Leute zu sehen, die meine Bücher lesen, aber es ist auch fucking seltsam zu realisieren, dass sie gerade Worte lesen, die aus meinem Kopf stammen", erklärte ich und fragte mich warum ich das überhaupt erklären musste.

Erst als ich die Überraschung in Deans Augen sah, die sofort durch Interesse abgelöst wurde, realisierte ich, was ich gerade offenbart hatte.
"Du bist Autorin?". Es erschreckte mich, dass meine instinktive Reaktion war, es abzustreiten. Vielleicht lag es daran, dass man als Autorin, besonders als Romanceautorin oft nicht ernstgenommen wurde. Viele Menschen nahmen es nicht als Beruf wahr, sondern taten es als einfaches Hobby ab und fragten, ob ich denn auch einen richtigen Job hatte. Denn um ein Buch zu schreiben, musste man ja offensichtlich kein Talent besitzen, außer Wörter aneinanderzureihen.
Solange ich schon schrieb, hatte ich immer verteidigen müssen, was ich tat. Deswegen fiel es mir nicht immer leicht, anderen Menschen von meinem Beruf zu erzählen. Die Scham, die so viele Menschen versucht hatten mir einzureden, weil ich mein Hobby nun einmal zum Beruf gemacht hatte, ließ sich nicht an allen Tagen vertreiben. Dazu kam noch, dass man als Autorin in jede Geschichte ein Stück seiner selbst hineinsteckte. Und wenn jemand sich über die Geschichten, in die so viel Herzblut geflossen war, lustig machte, sie belächelte oder schlechtredete, tat das verdammt weh. Deswegen zögerte ich für eine Sekunde, bevor ich nickte und wachsam Deans Reaktionen überprüfte. Doch da war nichts, als Interesse und Wärme in seinem Blick. "Okay, jetzt musst du mir auch verraten, wie ich deine Bücher finde. Du hast irgendwie einen unfairen Vorteil mir gegenüber. Du kennst meinen vollen Namen, mein Künstlerprofil und meinen Lieblingsfilm...".

Dean schob eine Unterlippe nach vorne und obwohl es keine Berechtigung hatte bei einem erwachsenen Mann gut auszusehen, stand ihm das Schmollen. Ich räusperte mich und wand mich auf meinem Stuhl. Gott, wieso war das bloß so schwer?
"Ich schreibe unter einem Pseudonym", gab ich zu. Das lag hauptsächlich daran, dass ich nicht wollte, dass meine Familie, herausfand, was ich dieser Tage so trieb, aber das musste ich Dean jetzt wirklich nicht erzählen.
"Mir gefällt das Funkeln in deinen Augen allerdings nicht, das mir verrät, dass du mein Pseudonym auch googeln würdest, bevor wir überhaupt vom Tisch aufgestanden sind".
Deans Gesichtsausdruck verriet mir, dass ich mit meiner Einschätzung nicht gerade Unrecht hatte.
"Deshalb gebe ich dir mein Pseudonym erst, wenn ich mir sicher bin, dass ich dich nicht mehr wiedersehe".

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Mag mir irgendjemand gute Weihnachtsmusik empfehlen,  die nicht unbedingt im Radio rauf- und runterläuft? Brauche neue Songs zum Schreiben, aber ich kann schon nachvollziehen, was Mara meint, wenn sie sagt, dass alle Weihnachtslieder gleichklingen 🥲.

Lasst gerne eure Meinung zum Kapitel da 🥰
Wir lesen uns <3

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