3. Kapitel

Genauso schnell wie die Wut mich überkommen hatte, genauso schnell war sie auch wieder verraucht und ich schämte mich dafür, Dean so angefahren zu haben. Er hatte genauso wenig Schuld an der Situation wie ich und hatte es nicht verdient, Opfer meines kleinen Wutausbruches zu werden. Und wenn ich ehrlich war, genauso wenig hätte es die Frau verdient gehabt, die nur versuchte ihren Job zu machen. Es war ja nicht so, als hätte sie persönlich das Schlafabteil doppelt bebucht.

Ich presste mir einen Handballen auf die Stelle wo meine Nasenwurzel in die Stirn überging und massierte sie, um die pochenden Kopfschmerzen zu lindern, die sich dort ausgebreitet hatten. "Entschuldigung, ich wollte dich nicht so anfahren", entschuldigte ich mich und obwohl ich es hasste anderen Menschen länger in die Augen zu sehen, versuchte ich Augenkontakt mit Dean zu halten, um ihm zu zeigen, dass ich es ernst meinte.
"Es war ein sehr langer Tag für mich, aber das ist noch lange keine Entschuldigung dafür jemanden anzugiften, der überhaupt nichts für die Situation kann".

Er sah mich einen Augenblick lang ernst an und ich musste mich zwingen, meinen Blick nicht abzuwenden. Vielleicht waren es seine grauen Augen, die seinen Blick so tief wirken ließen, als könnte er tatsächlich hinter die Worte blicken, die ich äußerte, aber ich fühlte mich entblößt.
Schließlich seufzte Dean und sagte: "Entschuldigung angenommen. Ich kann das mit dem langen Tag nachvollziehen. Heute war für mich ebenfalls anstrengend".

Er lächelte schief, doch dieses Mal konnte ich die Erschöpfung in seinem Gesicht deutlich sehen. Sein Gesicht war ausgezehrt und unter seinen Augen bildeten sich bereits Augenringe. Seine Schultern waren eingesunken, als würden bleischwere Gewichte daran hängen und als er erneut zu seinem Koffer rüberging, schien keinerlei Energie mehr in seinen Schritten stecken.

Das schlechte Gewissen erwischte mich mit voller Breitseite. Ich konnte ihn doch nicht ernsthaft aus der Kabine schmeißen und ihn eine Nacht voller schlechtem Schlaf in einem der unbequemen Schlafsessel verbringen lassen. Ich verzog mein Gesicht zu einer Grimasse, atmete tief ein und aus und sagte mir Fuck it.

"Weißt du, dieses Schlafabteil hat zwei Betten", begann ich in möglichst gleichgültigen Ton.
"Und du kommst mir nicht gerade wie der Typ Mensch vor, der mich kaltblütig im Schlaf ermorden würde. Jetzt wo wir beide schon einmal hier sind, können wir genauso gut uns für die eine Nacht die Kabine teilen, oder?".
Ich zuckte möglichst nonchalant mit den Schultern und vermied es Dean direkt ins Gesicht zu schauen und starrte stattdessen auf meine Schuhspitzen.

Dean hatte innegehalten und ich spürte seinen Blick auf mir liegen.
"Du willst mit einem fremden Typen, über den du praktisch nichts weißt, eine Schlafkabine teilen? Hast du keine Selbsterhaltungstriebe?".
Er klang beinahe entrüstet, aber auch eine Spur von Amüsement schwang in seiner Frage mit.

Nein, ich hatte keinerlei Selbsterhaltungstriebe und offensichtlich den Verstand verloren. Aber anstatt das Dean auf die Nase zu binden, erwiderte ich: "Erstens stimmt es gar nicht, dass ich gar nichts über dich weiß. Dein Name ist Dean Corey und alleine, dass du nicht sofort angenommen hast, dass die Schuld bei mir liegt, verrät dass du kein komplettes Arschloch sein kannst. Außerdem könnte ich ab diesem Punkt wahrscheinlich eine ziemlich akkurate Personenbeschreibung von dir bei der Polizei abgeben. Und zweitens, wenn es dich beruhigt, wenn ich mich morgen nicht bei meiner besten Freundin melde, wird sie wahrscheinlich die Polizei alarmieren. Ich bin nicht vollkommen unvorsichtig".
Ich unterstrich meine Worte, indem ich energisch meine Finger in die Luft stach. Das das zweite eine blanke Lüge war, musste Dean ja nicht wissen.

Nala würde wahrscheinlich vermuten, dass ich meine Schreibblockade überwunden hatte und mich in einem Schreibrausch befand, der mich vergessen ließ, dass die Welt um mich herum existierte. Es war nicht so, als wäre das nicht schon oft genug vorgekommen. Wenn Nala eine nachtragende Person wäre, wären wir wahrscheinlich nicht mehr befreundet, weil ich sie schon oft ausversehen geghostet oder versetzt hatte. Normalerweise tauchte sie dann einfach irgendwann bei mir zuhause auf und erinnerte mich daran zu essen. Das war natürlich jetzt nicht möglich, weil sie nicht in der Nähe war, aber es würde wahrscheinlich eine Weile dauern, bis Nala ernsthaft anfangen würde sich Sorgen zu machen.

Jetzt spielte ein richtiges Lächeln um Deans Lippen und er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen einen der Bettpfosten des Hochbettes.
"Erstens bin ich jetzt wirklich neugierig woher du meinen Namen kennst, weil ich mich nicht erinnere, dass ich ihn dir gesagt habe, was im Übrigen fürchterlich unhöflich von mir ist".
Das Letzte sagte er mit einem entschuldigenden Lächeln im Gesicht und imitierte mich, indem er einen Finger in die Luft hob.
"Und zweitens bringen dir diese Informationen auch wenig, wenn du - wie hast du es ausgedrückt? - kaltblütig im Schlaf von mir ermordet werden würdest".
"Ich kann nicht glauben, dass du mit mir über meine Sicherheit diskutierst, wenn ich dir anbiete, die Nacht nicht in einem ungemütlichen Sessel zu verbringen", sagte ich leicht fassungslos und zog dann mein Handy aus der Tasche.
"Aber wenn es dich beruhigt - sag Cheese - dann schicke ich dieses Foto jetzt an meine Freundin, damit sie ein Fahndungsfoto hat, wenn meine Leiche irgendwo auftaucht". Ich schoss ein Foto von dem verdutzten Gesicht von Dean und tippte eine schnelle Nachricht an Nala.

Mara
Wenn meine Leiche irgendwo auftaucht,
dann war dieser süße Typ wahrscheinlich
doch nicht so süß :).

Dann stellte ich mein Handy auf lautlos, weil ich wusste, dass diese Nachricht wahrscheinlich eine wahre Flut an Nachrichten auslösen würde und steckte es wieder in meine Hosentasche. "Zufrieden?", fragte ich herausfordernd und verschränkte ebenfalls meine Arme vor der Brust.
"Nicht einmal annähernd", erwiderte Dean, doch er lächelte dabei immer noch.
"Du hast mir immer noch nicht gesagt, woher du meinen Namen kennst. Und deinen Namen hast du mir auch noch nicht verraten. Ich bekomme langsam das Gefühl, ich bin derjenige der sich vor dir in Acht nehmen muss. Wer sagt mir, dass du nicht die kaltblütige Mörderin bist?".

Ich verdrehte die Augen, musste aber selber grinsen. Würde er die Frage immer noch mit einem Grinsen stellen, wenn er meinen Suchverlauf sehen würde?
"Mein Name ist Mara und dein Name steht auf deinem Ticket drauf, das du mir eben in die Hand gedrückt hast. Es ist natürlich sehr wahrscheinlich, dass ich dich mit meinen 1,65 m überwältigen könnte - aber bitte, wenn es dich beruhigt, mache ich dir einen Vorschlag: Wir holen uns mit unseren Sondertickets ein warmes Getränk im Bordrestaurant und lernen uns ein kleines bisschen kennen und wenn du danach immer noch Angst hast, dass ich dir heute Nacht ein Kissen aufs Gesicht drücke, können wir immer noch eine andere Lösung finden. Was hältst du davon?".
"Mara", wiederholte er, als würde er austesten, wie sich der Name anfühlte und mir lief ein Schauer über den Rücken. Er streckte mir seine Hand entgegen und nach einem kurzen Zögern ergriff ich sie.
"Deal", sagte er und sah mir fest in die Augen.
"Dann erzähl mir mal alles, was dich zu einer guten Mitbewohnerin macht".

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Einen schönen 1. Advent euch allen. Bei mir schneit es heute zum ersten Mal so richtig. Draußen ist ne Winterwunderlandschaft 😍. Wir haben heute noch Last-Minute-Adventskranzbinden gemacht und ich bin ziemlich fertig, also wünsche ich euch an dieser Stelle schon mal eine gute Nacht 😅
Wir lesen uns 🥰

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