2. Kapitel
Für einen Moment standen wir beide wie erstarrt einfach nur da und schauten uns gegenseitig an. Der Fremde hatte verwaschenes blondes Haar, das in alle Richtungen abstand, als wäre er sich eben erst durch die Haare gefahren. Seine Augen waren von einem Graublau – zumindest meinte ich das, in dem flackernden Licht der Lampe zu erkennen. Und wenn mich nicht alles täuschte, übersäten zarte Sommersprossen sein Gesicht.
Unwillkürlich wanderten meine Gedanken zu meinen eigenen Sommersprossen, an denen nichts Zartes war. Im Gegenteil – mein Gesicht sah aus, als wäre eine Kaffeetasse darüber explodiert. Und ich wollte mir gar nicht erst vorstellen, was die feuchte Luft draußen wohl mit meinen roten Locken angestellt hatte. Natürlich nahm mein Gesicht, diese Gedanken zum Anlass, rot anzulaufen.
Wenn ich eine Sache an mir hasste, dann war es wohl, dass mein Gesicht jede Kleinigkeit zum Anlass nahm, die Farbe zu wechseln. Und weil ich mal abgesehen von meinen Sommersprossen eine sehr blasse Haut hatte, hob sich die Röte in meinem Gesicht auch immer deutlich ab, sodass wirklich jeder Idiot es mitbekam, dass ich leuchtete wie eine fucking Christbaumkugel. Wieso machte ich mir eigentlich Gedanken über mein Aussehen, wenn es doch eindeutig wichtigere Dinge gab? Nur weil der Typ gut aussah, musste ich in meinem Kopf doch nicht gleich eine Liebesgeschichte zwischen uns entwickeln. Obwohl ich den Fremden vielleicht als Vorlage für einen Buchcharakter verwenden könnte...
Mein Gegenüber schien sich gefangen zu haben und erwachte aus seiner Starre: "Ich fürchte einer von uns Beiden ist im falschen Wagen", sagte er und lächelte mich dabei schief an.
Es war nur eine Kleinigkeit und es sollte eigentlich selbstverständlich sein, aber dass er nicht automatisch annahm, dass ich es war, die im falschen Wagen war, machte ihn mir sympathisch. Mein Gehirn war immer noch überfordert damit, dass meine Pläne auf einmal über den Haufen geworfen worden waren und so realisierte ich nicht gleich, dass er auf eine Antwort wartete. Erst als er erwartungsvoll den Kopf zur Seite neigte, löste ich mich auch aus meiner Starre.
"Äh, ja... Also mein Ticket – ich habe eben extra nochmal draufgeguckt. Ich glaube nicht... Also da steht die Nummer von hier drauf. Wagon 9, 34 A. Also ich meine, ich kann es dir gerne zeigen, wenn du mir nicht glaubst".
Ich brabbelte. Na toll, ich war ja wirklich die Eloquenz in Person. Kein Wunder, dass ich in meinem Manuskript festhing, wenn ich ganz offensichtlich keine Ahnung hatte, wie man mit Sprache umging.
Doch anstatt mich auszulachen sagte der Fremde: "Keine Sorge, ich glaube dir. Es würde mich wirklich nicht wundern, wenn ich irgendwelche Nummern vertauscht hätte. Ich bin ziemlich fertig". Erneut ließ er dieses schiefe Lächeln aufblitzen und trat dann richtig in das Zimmer ein.
"Darf ich mal kurz vorbei?". Ich spürte, wie mein Gesicht erneut rot anlief, als ich merkte, dass ich mitten in dem kleinen Raum stand und komplett den Weg versperrte. Schnell wich ich zur Seite, doch der Raum war so winzig, dass seine Schulter mich trotzdem streifte.
Zielstrebig ging er zu dem schwarzen Koffer, den ich beim Eintreten bereits gesehen hatte und zog ein Ticket aus der Seitentasche. Nachdem er einen Blick darauf geworfen hatte, runzelte er die Stirn und reichte es mir schweigend weiter. Ich konnte nicht verhindern, dass mein Blick erst zu dem Namen wanderte, der auf dem Ticket stand: Dean Corey.
Dean – der Name passte zu ihm. Doch dann wanderte mein Blick weiter zu dem angegebenen Schafabteil und meine Stirn legte sich ebenfalls in Falten. Denn Dean hatte sich nicht verlesen. Wagon 9, 34 A stand da in Schwarz auf Weiß. Aber wie konnte das sein? Ich wusste, dass ich extra ein Schlafabteil für mich alleine gebucht hatte. Außerdem wurde immer streng nach Geschlecht sortiert, selbst wenn man mit jemandem ein Schlafabteil teilte – das hatte ich selbst beim Buchen noch gelesen. Ich hielt Dean ebenfalls mein Ticket hin.
"Vielleicht ein Systemfehler?", spekulierte ich und ließ mit einem Seufzer meine Laptoptasche von meiner Schulter gleiten, da ich das Gefühl hatte, es würde noch etwas länger dauern, bis diese Situation sich auflöste.
"Vermutlich", stimmte Dean mir zu. "Ich bin sicher, das lässt sich alles klären, sobald wir jemanden vom Personal finden".
"Es tut mir unglaublich leid, ich kann mir nicht erklären, wie diese Doppelbuchung passieren konnte. Leider sind alle Schlafabteile restlos bis auf den letzten Platz ausgebucht, sonst würde ich einem von euch einen neuen Schlafplatz anbieten. Die einzigen anderen Plätze, die ich anbieten kann, sind leider nur Sitzplätze", erklärte uns die Frau mit einem entschuldigenden Lächeln.
"Natürlich wird Ihnen ihr Geld zurückerstattet und als Entschädigung für die Unannehmlichkeiten sind das Essen und die Getränke in unserem Bordrestaurant für sie kostenlos".
Die vage Hoffnung, dass sich dieses Missverständnis einfach von selbst lösen würde und es eine einfache Lösung dafür gab, löste sich in Luft auf. Oh, wie ich öffentliche Verkehrsmittel liebte. Während die Frau weiterhin ein unverbindliches Lächeln zur Schau stellte – ernsthaft war das irgendwie angeboren? – förderte sie aus einer kleinen Bauchtasche an ihrer Seite zwei Tickets zutage.
"Mit diesen Tickets dürft ihr euch in den Schlafabteilen mit den Sitzplätzen auf jeden Platz setzen, der nicht reserviert ist und wenn ihr es im Bordrestaurant vorzeigt, können Sie dort ihre Entschädigung in Anspruch nehmen. Wenn wir sonst noch etwas für Sie tun können, dann zögern Sie nicht uns Bescheid zu geben".
Niemand aus meinem direkten Umfeld würde mich wohl konfrontativ nennen, weil ich nichts mehr hasste, als einen Streit von Zaum zu brechen. Harmonie war nicht gerade ein Wort, das ich in meiner Jugend gekannt hatte, weshalb ich mich jetzt umso mehr danach sehnte. Von daher wusste ich nicht woher diese Welle der Wut kam, die mich mit einem Mal überrollte, aber ich wollte plötzlich nichts lieber, als dieser Frau meine Meinung zu geigen. Mir war kalt, ich war müde und ich war unterwegs zu einem Ort, der nur schlechte Erinnerungen für mich barg. Alles in allem nicht die beste Kombination. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, holte tief Luft und – wurde von Dean unterbrochen.
Da man mir jede meiner Emotionen zu jeder Zeit vom Gesicht ablesen konnte, hatte Dean wohl geahnt, dass ich kurz davor war auszubrechen und sagte deshalb: "Okay, danke für ihre Hilfe. Ich denke wir Beide werden schon eine Lösung finden". Die Frau belohnte ihn mit einem weiteren nichtssagenden, freundlichen Lächeln und rauschte davon. Doch die Wut, die sich in mir aufgebaut hatte, war immer noch da und schlug heiße Wellen in mir drin und deshalb fauchte ich: "Wir beide werden schon eine Lösung finden? Hast du etwa vor auf einem der Sitzplätze zu schlafen oder was?".
"Ja, genau das hatte ich vor tatsächlich".
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Und da sind wir auch schon beim zweiten Türchen angekommen. Erstes Kennenlernen der beiden ist ja schon mal optimal verlaufen, würde ich sagen 😅.
Wer liebt es noch im Winter auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen zu sein? 🥲. Es funktioniert irgendwie nie ,wie es soll.
Euch einen wunderschönen Samstag ❤
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