17. Kapitel

Ich wusste nicht ob es besser oder schlechter war Rücken an Rücken mit Dean vor dem Kamin zu sitzen. Es stimmte schon, es war einfacher Dinge über mich zu offenbaren, wenn Dean dabei nicht die Verletzlichkeit in meinen Augen sehen konnte.
Andererseits konnte ich seine Reaktionen genauso wenig sehen. Wusste nicht, ob Mitleid oder Abscheu oder andere nicht gerade wünschenswerte Reaktionen an seinem Gesicht abzulesen waren.
Und ja sein intensiver Blick konnte mich nicht mehr aus dem Konzept bringen, aber da war dafür jetzt das Gefühl von seinem Körper an meinem, das seltsame Dinge mit meinem Hormonhaushalt anstellte. Sein fester Rücken, der sich gegen den meinen presste, erdete mich und ließ zugleich mein Herz einen Höhenflug veranstalten.
War dieses Gefühl die echte Verliebtheit, von der immer alle sprachen?
War das Vertrauen, wenn man Angst hatte zu fallen und doch tief in sich drin wusste, dass jemand einen auffangen würde?
Funktionierten so gesunde Beziehungen, dass man nicht ständig damit rechnen musste, dass offenbarte Verletzlichkeiten später gnadenlos gegen einen verwendet wurden?

Die Stimmung zwischen Dean und mir war deutlich umgeschlagen. Statt spielerischer Leichtigkeit lag nun eine erwartungsvolle Spannung in der Stille, die uns umgab. Nur das Geräusch unserer Atemzüge war zu hören und ich spürte wie sich Deans Rücken leicht bewegte, wenn sich sein Brustkorb beim Einatmen ausdehnte.
„Kannst... Kannst du anfangen?", bat ich Dean nervös und umklammerte in einer vertrauten Bewegung mein Handgelenk und presste die Handfläche meiner rechten Hand gegen meinen Brustkorb, als könnte ich mein Herz so daran hindern, mir aus der Brust zu springen. „Ich bin ein offenes Buch, Mystery Girl", bemerkte Dean und ich konnte das Grinsen quasi hören, als er mit den Schultern zuckte.
„Aber natürlich kann ich das. Was willst du denn wissen, hm? Was in meiner polizeilichen Akte über Vandalismus steht? Die Farbe meiner Boxershorts? Oder doch warum ich in meiner Schulzeit fünf Jahre den Spitznamen Froschkönig nicht losgeworden bin?".

Ich stieß Dean einen Ellbogen in die Seite, worauf dieser sich unter Lachern theatralisch zusammenkrümmte, konnte mir jedoch selbst ein Grinsen nicht verkneifen. Ich wusste, dass Dean versuchte die Stimmung zu lockern, damit ich mich wohler damit fühlte, ihm Dinge anzuvertrauen und das schätzte ich sehr.
„Ha! Netter Versuch. Auch wenn, das natürlich interessante Fragen sind, deren Antworten mich brennend interessieren, spare ich mir meine Frage doch für etwas Bedeutungsvolleres auf. Zumal ich glaube, dass ich die Antworten auf zwei dieser Fragen mit Vergnügen von jemand anderem hier aus dieser Stadt beantwortet bekommen würde".
„Ah, diese verdammten Kleinstädter! Du hast uns durchschaut".
Mit einem dramatischen Seufzer, ließ Dean sich wieder ein Stück zurücksinken, bis sein Rücken wieder meinen berührte.
„Okay, Mystery Girl. Dann bin ich mal gespannt was du unter einer bedeutungsvollen Frage verstehst".

Ich ließ einen Moment verstreichen, indem ich an meiner Frage feilte und die Stille kurz auf uns einwirken ließ. „Wovon handelt dein erster Songtext, den du geschrieben hast, Dean?".
Es war vielleicht das erste Mal, dass ich Dean mit seinem Namen ansprach und ich spürte Deans Überraschung über meine Frage und Ernsthaftigkeit daran, wie sich sein Rücken versteifte und er scharf die Luft einsog.
„Oh, du gehst ja wirklich direkt ans Eingemachte", entgegnete er mit leiser Überraschung in der Stimme.
Auch bei ihm war die Ernsthaftigkeit wieder eingekehrt und er schwieg einen langen Moment, bis ich dachte, dass ich vielleicht eine unsichtbare Grenze überschritten hatte.

Wenn das Einzige, dass du in der Dunkelheit wahrnehmen konntest, die regelmäßigen Atemzüge von jemandem waren, bekam die Stille plötzlich eine neue Bedeutung. Es war verrückt, aber ich hatte das Gefühl die feinen Nuancen in Deans Atmung unterscheiden zu lernen, die mit einem Mal schwerer zu sein schien. Ich war kurz davor mich zu entschuldigen und dann wegzurennen, als Dean schließlich doch die Stille durchbrach.

„Du, als Autorin, weißt wahrscheinlich besser, als jeder andere, wie viel von einem selbst man in Texte und Worte steckt", setzte er an und da war eine Rauheit, eine Scharfkantigkeit in seiner Stimme, die ich zuvor so noch nicht bei ihm wahrgenommen hatte.
„Künstler wird man in der Regel nicht, weil man das große Geld wittert oder weil man unbedingt will, dass die ganze Welt deinen Namen kennt. Künstler wird man, weil die Worte so nah unter der Haut sitzen, dass es wehtut sie nicht rauszulassen. Geschichten müssen erzählt werden, egal ob durch Musik, Malerei oder auch durch Bücher. Diesen Job sucht man sich nicht aus, sondern er sucht einen aus. Und auch wenn nicht alle Kunst aus Schmerz geboren wird, so sind es doch die stärksten Gefühle, die einen Menschen dazu bringen, eine Geschichte zu teilen. Mein erster Songtext ist in einer dunklen Phase eines Lebens entstanden. Mein Dad ist an Krebs erkrankt, als ich 15 war. Ich weiß, dass ich eine ziemlich gute Kindheit hatte. Und so behütet, wie ich aufgewachsen bin, war die Krankheit meines Vaters das Erste, was mich so richtig hart aus der Bahn geworfen hat. Das erste Mal, dass ich mit den dunklen Seiten des Lebens konfrontiert wurde. Es war eine beschissene Zeit, vollgestopft mit Krankenhausbesuchen, schlaflosen Nächten, während Operationen anstanden und hilflosen Gebeten an wen auch immer mir zuhören mochte. Mein Vater hat den Krebs letztendlich besiegt, aber diese Zeit hat mir einen ziemlichen Realitätscheck verpasst und mich meine Prioritäten überdenken lassen. Musik war eine Rettungsleine damals. Und in dem ersten Songtext, den ich damals geschrieben habe, ging es um diese existenzielle Angst, die man empfindet, wenn man eine so wichtige Person vielleicht verliert. Es geht um Erinnerungen, die wir teilen und um welche, die ich vielleicht nie das Glück habe, mit ihm zu machen. Um all diese Dinge, die einem durch den Kopf gehen, wenn man mit dem potenziellen Tod konfrontiert wird. Vielleicht ist es klischeehaft, dass so ein Ereignis, mich letztendlich zu dem gemacht hat, wer ich heute bin, aber... I don't care".

Dean verstummte und holte tief Luft, nachdem er so lange ununterbrochen geredet hatte und ich nutzte die Gelegenheit, um mir verstohlen die stummen Tränen aus dem Gesicht zu wischen, die Deans Geständnis in mir hervorgerufen hatte. Dann wischte ich meine Hand an der Hose ab und tastete dann zögerlich hinter meinem Rücken mit meiner Hand nach seiner.
Der erste Kontakt sandte ein Prickeln durch meine Haut, das meinen Arm hoch und von da aus direkt in mein Herz schoss. Ich schloss die Augen und atmetet tief ein und aus, ließ meine Hand jedoch lose auf seiner liegen, um ihm die Entscheidung zu überlassen, ob er nach ihr greifen wollte. Ein Augenblick verging und dann spürte ich wie seine Finger meine umschlossen und ich atmete zittrig wieder aus. Nicht ganz aus eigenem Antrieb spürte ich, wie meine Hand seine stärker umklammerte. Ich hatte geahnt, dass meine Frage vielleicht etwas emotionaler sein könnte, doch ich hatte nicht gewusst, wie tief Dean graben würde.

„Dean, nur weil deine Geschichte vielleicht wie ein Klischee auf manche Menschen wirken mag, macht es sie nicht weniger persönlich oder valide. Niemand erfährt den Schmerz auf die gleiche Weise und wie auch immer man damit umgeht... Es ist wichtig seinen Weg zu finden damit fertigzuwerden. Und dass du dadurch zur Musik gefunden hast, ist wunderbar".
Ich verstärkte meinen Griff um seine Hand - dieses Mal mit voller Absicht - um ihn wissen zu lassen, dass ich da war. Dean drückte zurück und ich spürte, wie ein wenig der Anspannung nachließ, die seinen Körper im Griff hatte. Er räusperte sich, wie um die letzten Reste der Vergangenheit zu vertreiben, die er mit seiner Erzählung in den Raum geholt hatte. „Ich glaube, jetzt bin ich an der Reihe mit Fragenstellen, nicht wahr?".

..................................................................

Oh, das ging ja jetzt ziemlich tief in die Vergangenheit. Glaubt ihr Mara ist bereit dafür sich selbst so verletzlich zu zeigen?
Oder bessere Frage, seid ihr bereit zu erfahren, was damals passiert ist und aus welchen Grund Mara nach so langer Zeit wieder nach Hause zurückkehrt?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top