10. Kapitel

Das Haus vor dem wir standen, sah ein bisschen aus, wie aus einer Postkarte entsprungen.  Es stand im Schutze einer riesigen Tanne, deren schneebeladene Äste sich unter dem Gewicht nach unten bogen. Ein Stück davor stand ein kleines Vogelhäuschen, auf dem man eine verblasste Zeichnung von Vögeln auf einem Baum erkennen konnte. Das Grundstück war mit einem Gartenzaun umzäunt, der auch eine Garage miteinschloss, die an das Haus grenzte.

Um die Streben des Zauns wand sich seine Lichterkette, die jedoch nicht eingeschaltet war. Es war wunderschön. Dean hatte mir die ganze Fahrt über nicht verraten wollen, was er vorhatte, weshalb ich mich jetzt fragend an ihn wandte: "Wem gehört dieses Haus?".
Er streckte die Arme in einer einladenden Geste aus und lächelte. "Willkommen bei mir zuhause", verkündete er und öffnete das Gartentürchen, um hindurchzugehen. Wie auf Autopilot geschaltet, folgte ich ihm, bevor mein Gehirn registrierte, was er gerade gesagt hatte und ich stehenblieb.
"Das ist dein Haus?", hakte ich nach, nur um sicherzugehen, dass ich mich nicht verhört hatte. "Jep", erwiderte Dean, ohne sich umzudrehen und marschierte unbeirrt auf die Tür zu.
"Aber... wieso sind wir hier?".
Zugegeben – das war nicht unbedingt die intelligenteste Frage, die jemals meine Mund verlassen hatte.
"Weil ich noch ein Bett frei habe und es gleich anfängt richtig ungemütlich zu werden. Ich an deiner Stelle würde ja lieber ins Warme kommen, aber wenn du willst, kannst du natürlich auch weiter wie angewurzelt auf der Stelle stehenbleiben. Ich hatte sowieso überlegt mir einen Gartenzwerg anzuschaffen".

Deans Worte hatten den erwünschten Effekt, denn sie rissen mich tatsächlich aus meiner Erstarrung und ich setzte mich in Bewegung. In die entgegengesetzte Richtung des Hauses. Nope, ich hatte zu viele Bücher gelesen, als dass ich nicht wüsste, dass diese Sache nicht gut ausgehen konnte.
"Danke für deine Hilfe, aber ich glaube ich gehe dann doch nochmal woanders auf die Suche", rief ich Dean zu.
"Dafür ist keine Zeit mehr. Hast du dir mal den Himmel angeschaut? Jetzt schwing deinen Hintern hierher, sonst komme ich dich holen".
Ich erstarrte erneut und warf einen hilfesuchenden Blick zu Winnie rüber, der gerade unser Gepäck auslud.
"Schau mich nicht so an. Ich bin ausnahmsweise mal der Meinung des Jungen. Und glaub mir, wenn ich dir sage, dass er auch keinerlei Probleme damit hat, seinen Worten Taten folgen zu lassen", brummte dieser. Verräter. "Kommst du jetzt oder willst du, dass ich dich über die Schwelle trage, Mystery Girl?", hörte ich Deans Stimme hinter mir und ich drehte mich ergeben um und stapfte wieder auf das Haus zu.

Als ich näherkam, erkannte ich, dass auf den Stufen, die zum Haus hochführten ein Bienenhotel stand. Und dieses Detail passte so sehr zu Dean, dass ich mich wunderte, nicht direkt die Verbindung zwischen Dean und dem Haus hergestellt zu haben. Dean hatte die Tür zum Haus bereits aufgeschlossen und das Licht eingeschaltet, als ich die stufen erklomm. Alles sah super einladend aus, also wunderte ich mich über das kurze Gefühl der Kälte, das mich überkam, als ich den Flur betrat. Ich brauchte einen kurzen Moment, um herauszufinden, dass es an dem fehlenden Geruch des Hauses lag. Dean schien eine Weile nicht mehr hier gewesen zu sein, denn sein typischer Eigengeruchhing nur ganz schwach an den Stellen in der Luft, an denen er schon vorbeigegangen war. Es war seltsam ein Haus zu betreten, dass nicht nach seinen Bewohnern roch. Wieso dachte ich darüber nach. Ich straffte mich und schüttelte den Kopf, und machte mich daran meine aufgeweicht Schnürsenkel aufzuknoten.

Dean hatte ein Feuer in seinem Kamin entzündet, um ein wenig der Kälte zu vertreiben, die sich in unseren Knochen festgesetzt hatte. Draußen fiel der Schnee jetzt in so dicken Flocken, dass Weiß meine Sicht verblendete, sobald ich aus dem Fenster schaute. Dean hatte mir bereits das Gästezimmer gezeigt, in dem ich heute Nacht schlafen konnte und ich hatte mir die Zeit genommen in etwas gemütlichere Klamotten zu schlüpfen, da vor allem meine Hose von dem ganzen Schnee durchnässt worden war.

Jetzt da ich hier vor dem Feuer saß, fühlte ich langsam ein wenig die Anspannung des Tages von mir abfallen. Zu meiner Entspannung trug sicher auch die Gestaltung des Wohnzimmers bei. Überall wo ich hinsah war ein Teil von Deans Persönlichkeit verankert. Am besten gefiel mir natürlich der Bücherschrank, der fast eine komplette Wand einnahm. Es juckte mir in den Fingern, die Regale entlangzugehen und nach bekannten Titeln zu suchen. Eine komfortabel aussehende Couch stand an der angrenzenden Wand, die einen Teil des Bücherregals verdeckte. Gegenüber von der Couch stand ein Fernseher, aber viel interessanter fand ich die Fotos, die die Wand hinter dem Fernseher pflasterten. Da ich nicht wollte, dass mich Dean dabei erwischte, wie ich seine Fotos anstarrte, hatte ich mich bisher noch nicht getraut, sie mir genauer anzusehen, aber ich konnte erkennen, dass es sich scheinbar um viele Familienbilder handelte.

Ich selbst saß wohl auf dem absoluten Klischee eines Lesesessels, der unfassbar gemütlich war und war so nah wie möglich an den Kamin herangerutscht wie es ging, ohne dass die Hitze unerträglich wurde. Rechts von mir öffnete sich ein breiter Durchgang zur anderen Hälfte des Wohnzimmers. Den Mittelpunkt dieser anderen Hälfte bildete ein großer Holztisch. An den Wänden standen verschiedene Schränke und ganz rechts waren große bodentiefe Fenster in die Wand eingelassen.
In einer Ecke hatte Dean seine Musikerecke eingerichtet, wie es mir schien. Mehrere Gitarren standen dort in Ständern und anderes technisches Equipment, von dem ich nicht wusste, wofür es gut war. An den Wänden hingen Schallplatten und Auszeichnungen.
Am besten gefiel mir dort aber die Pinnwand, die über einem der Schränke hing. Dort waren Zettel gepinnt mit Notizen und angefangenen Songtexts. Haftzettel in allen möglichen Farben, abgerissene Notizbuchseiten, Konzerttickets, beschriebene Briefumschläge und sogar Taschentücher waren dort zu finden. Es erinnerte mich ein wenig an mein Zettelchaos, dass ich veranstaltete, wenn ich plottete. Nicht, dass es meine Charaktere jemals interessieren würde, dass ich eigentlich einen Plan hatte.

In der Regel erstellte ich mir zwar einen Kapitelplan, nur um nach ein paar Kapitel festzustellen, dass die Geschichte sich in eine völlig andere Richtung bewegte, als ursprünglich geplant. Weshalb sich aus dem ordentlichen Kapitelplan auf meiner Pinnwand irgendwann immer ein Chaos entwickelte, wenn ich Szenen durch die Gegend schob oder nachträglich noch hinzufügte. Doch jetzt fürchtete ich, dass vielleicht diese Unordnung dafür sorgte, dass ich in der Geschichte festhing. Was mich daran erinnerte, dass meine Schreibblockade auch noch ein Problem war, um das ich mich dringend kümmern musste.

Die Atmosphäre gerade wäre eigentlich perfekt, um noch mal zu versuchen, in mein Projekt reinzukommen, aber ich war mir nur allzu deutlich bewusst, dass ich nicht alleine in diesem Haus war. Ich konnte Dean ja schlecht anschweigen und an meiner Geschichte schreiben. Mal abgesehen davon, dass ich mich immer ein wenig seltsam dabei fühlte zu schreiben, wenn ich mich mit einer einzelnen anderen Person im selben Raum befand. Es war eine beinahe intime Sache, all diese Gefühle auf Papier zu bringen und ich fühlte mich total beobachtet, wenn jemand mit mir im Raum war. Dass hieß nicht, dass ich nicht schon oft in Cafés gearbeitet hatte oder mich mit anderen Autorinnen zum Schreiben verabredet hatte. Aber das war etwas vollkommen Anderes.

"Worüber zerbrichst du dir deinen Kopf, Mystery Girl?". Deans Stimme holte mich in die Gegenwart, als dieser aus der Küche ins Wohnzimmer rüberkam. Er drückte mir eine dampfende Tasse Tee in die Hand, die himmlisch roch. "Roiboos Erdbeer-Orange", beantwortete Dean meine unausgesprochene Frage, bevor ich sie überhaupt stellen konnte. Da der Tee noch zu heiß zum Trinken war, stellte ich ihn erst einmal zur Seite und beantwortete wiederum seine Frage: "Über nahende Deadlines". Ich zog eine Grimasse, führte meine Gedanken jedoch nicht weiter aus. "Ahhh", sagte Dean und nickte verständnisvoll.
"Lust auf etwas Ablenkung?".

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