und du hast mich nie gesehen
„Harry!" Fizzy schnipste vor Harrys Gesicht herum und Harry zuckte leicht zusammen und riss seinen Blick von Louis los.
„Hm?"
Die beiden saßen auf zwei Strohballen, die Liam vor dem Stall hatte liegen lassen. Das Wetter war heute wieder einigermaßen schön, es kamen sogar vereinzelt Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke, aber es wirkte ein bisschen wie die Ruhe vor dem Sturm. Oder eher die Ruhe vor dem großen Sturm, es war ja schon die ganze Woche lang am stürmen. Aber es wirkte nicht als ob es schon vorbei wäre.
Louis saß zusammen mit Ernest und Doris auf dem Boden vor der Reithalle und malte mit Straßenkreide auf nassen Boden.
Fizzy seufzte. „Hörst du mir überhaupt zu? Ich rede seit locker drei Minuten von Mikey."
„Was? Ja, ich hab dir zugehört."
Fizzy seufzte leise, warf einen Blick hinter sich und legte leicht grinsend den Kopf schief.
„Ist ja wirklich schön, dass du dich gerade in meinen Bruder verliebst, aber könntest du dich für eine Sekunde auf mich konzentrieren?"
„Was?", fragte Harry überrumpelt. „Ich verliebe mich überhaupt nicht in Louis!"
Fizzy riss die Augen auf. Dann begann sie zu grinsen. „Oh mein Gott", sagte sie. „Das war eigentlich nur als Witz gemeint, jetzt sag mir nicht du hast ernsthaft Gefühle für ihn!"
„Nein", sagte Harry. „Hab ich doch gerade gesagt."
„Du bist grauenhaft im Lügen", gab Fizzy zurück, rückte dann begeistert näher und nahm seine Hände. „Erzähl mir alles."
Harry seufzte. „Da gibt's nicht wirklich was zu erzählen. Er bringt mir reiten bei und...und wir reden viel. Das war's." Er zuckte mit den Schultern.
„Oh fuck, Harry", meinte Fizzy leise, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. „Du magst ihn ja echt richtig."
Harry stöhnte und ließ seinen Kopf gegen Fizzys Schulter fallen. „Ja", murmelte er dann. „Ja, ziemlich."
Fizzy tätschelte seinen Kopf. „Na na", sagte sie und das brachte Harry zum Lachen. Also entweder lag Trösten nicht so in Fizzys Blut oder sie war sehr sehr gut darin.
„Das wird schon. Um ehrlich zu sein hab ich noch nie über Lous Sexualität nachgedacht, aber er und Zayn standen sich damals schon irgendwie verdächtig nah. Und du bist ja noch über eine ganze Woche hier."
Wie aufs Stichwort steckte Gemma in diesem Moment den Kopf zur Haustür hinaus.
„H?", rief sie. „Ich hab eben erfahren, dass es irgendwie einen Wasserschaden in dem Studentenwohnheim gibt und ich erst eine Woche später einziehen kann. Ich hab gerade Mum am Telefon, ich bleib noch eine Woche länger hier. Willst du auch? Du musst nicht, Mum meinte du kannst auch wieder nach Hause kommen, Niall vermisst dich sicher schon und außerdem wäre das deine letzte Ferienwoche, aber ich hab das Gefühl es gefällt dir auch ganz gut hier, oder?"
Fizzy grinste ihn an. Er biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu stark zu grinsen.
„Er bleibt auch", rief Fizzy an seiner Stelle und Harry nickte zustimmend und gab seiner Schwester eine Daumen hoch.
Noch eine Woche länger als geplant mit Louis...und auch mit den anderen Tomlinsons...ja. Das klang ziemlich gut.
Nur sollte er Niall vielleicht mal anrufen.
_____
Es war spät abends als Harry zum ersten Mal alleine galoppierte und keine Panik mehr hatte.
Er und Louis wollten es an diesem Tag noch ausnutzen, dass es nicht regnete und sie draußen sein konnten, deshalb waren sie nach dem Abendessen wieder auf den Reitplatz hinten gegangen.
Und Harry hatte es geschafft und es war sogar echt okay gewesen und er war einfach nur froh keine Angst mehr vorm Reiten zu haben. Um ehrlich zu sein machte ihm das Galoppieren sogar ein bisschen Spaß. Er würde trotzdem kein Reiter werden. Das war einfach nicht sein Ding. Er blieb da lieber bei der Musik.
Nichtsdestotrotz ließ er sich bestimmt zwei Minuten lang von Louis umarmen, nachdem er abgestiegen war und vergrub seine Nase in dessen weichen, braunen Haaren.
Mann, Harry war echt so fucked.
Louis sah ihn an und Harry konnte den Stolz und die Freude in seinen Augen sehen.
Aber auch die Angst. Denn er wusste was das hieß. Harry hatte seinen Teil ihres Deals erfüllt. Und dementsprechend musste Louis jetzt wieder auf ein Pferd aufsteigen. Er hatte zumindest gesagt er wollte es versuchen.
„Harry, ich-" Seine Finger waren in Harrys Jacke gekrallt. „Ich weiß nicht ob ich das kann."
„Du kannst", sagte Harry aber und nickte mit Nachdruck. „Louis, du wirst es nie wieder lernen oder wissen ob es geht, wenn du dich nicht überwindest und es ausprobierst."
Louis seufzte und Harry nahm vorsichtig sein Gesicht in die Hände. Es war eine intime Geste und seine Nervosität stieg sofort, aber Louis' Blick zeigte nichts als Unsicherheit und er musste das irgendwie ändern.
„Hör mir zu, Louis. Du. Schaffst. Das. Okay?"
„Okay", hauchte Louis, nicht besonders überzeugt, aber zumindest ein bisschen hoffnungsvoller und Harry nickte.
„Gut. Wir gehen jetzt Kartoffel wegbringen, dein Pferd holen und dann machen wir einen Spaziergang ganz weit weg, damit wir ungestört sind, okay?"
Tiefes Einatmen. Dann: „Okay."
Und damit brachten sie Kartoffel zurück in den einen Stall und gingen rüber in den Anderen. Louis öffnete Nordlichts Box und strich seinem Pferd über den Hals, als es langsam zu ihm rauskam.
„Wir können noch nicht sofort los", sagte Louis und nahm Harry das Halfter aus der Hand, um es Nordlicht anzulegen. „Du wirst jetzt erstmal gesattelt, mein Lieber."
Um ehrlich zu sein hatte Harry langsam die Theorie Louis konnte wirklich mit Pferden sprechen, oder zumindest mit Nordlicht, denn das Pferd legte fast schon fragend den Kopf schief und Louis führte ihn zu einer Stelle, an der noch ein Strick an der Wand hing. Er hakte ihn in Nordlichts Halfter ein und griff noch nach der Putzbox, die vor seiner Box stand.
In der Zeit, die Harry inzwischen mit Louis verbracht hatte, hatte er auch oft daneben gesessen, wenn Louis sein Pferd geputzt hatte, aber das war meistens einfach in der Box gewesen und dieses Mal war es anders.
Vor allem für Louis. Ihm fielen die Striegel und Bürsten fast aus der Hand, so sehr zitterte er.
„Hey", sagte Harry irgendwann und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Mach dir keinen Druck."
Louis nickte. Dann lächelte er sanft. „Kannst du...ähm...kannst du schonmal seinen Sattel holen?"
Harry nickte und machte sich auf den Weg in die Sattelkammer. Er fand den richtigen ziemlich schnell, obwohl es zwei verschiedene Sättel gab, die mit Nordlicht gekennzeichnet waren, Louis hatte ihm vor ein paar Tagen mal erzählt, welchen er für was benutzte. Benutzt hatte. Wie auch immer.
Und dann als Harry den Sattel über den Armen hatte und die Kammer wieder verlassen wollte...kam Liam herein.
Er trug tatsächlich mal Kleidung (gut, das hatte er aufgrund des schlechten Wetters eh in letzter Zeit gemacht) und sah aus als hätte er schon längst Feierabend gemacht, nur etwas vergessen. Sein erster Griff ging auch nach einem Handy, das auf dem Regalbrett neben der Tür lag, aber dann hielt er in der Bewegung inne, weil er Harry sah.
Er musterte ihn verwirrt von oben bis unten. „Wir haben fast elf", sagte er und runzelte die Stirn. „Und das ist der Sattel von Nordlicht."
Harry biss sich auf die Unterlippe. Wieso musste er auch immer auf Liam treffen, wenn er irgendeinen Sattel holte? „Ich weiß", sagte er dann und hob das Kinn an. „Und du hast mich nie gesehen." Damit schob er sich einfach mitsamt Sattel an Liam vorbei und machte sich auf den Weg nach draußen zurück zu Louis.
Der strich gerade mit irgendeiner Bürste, dessen Namen Harry sich nie merken konnte sanft über Nordlichts Schnauze und redete leise mit ihm.
„Hey", sagte Harry leise. „Ich bin wieder da."
Louis drehte sich zu ihm um. „Hi", sagte er leise. Dann besann er sich, kam zu Harry und nahm ihm den Sattel ab.
Und nur ein paar Handgriffe später war Nordlicht gesattelt. Dann holte Louis noch die Trense und zwei Minuten später liefen die drei nebeneinander aus dem Stall und vor Hof.
Sie gingen ziemlich weit, bis auf die hinterste Koppel, die gerade frei stand und dort blieben sie dann irgendwann stehen.
„Okay." Louis atmete tief durch. „Okay, alles klar, ich werde jetzt wieder auf ein Pferd steigen, ich werde jetzt..." Er schwang die Arme vor und zurück. „Wieder auf ein Pferd steigen."
Harry nickte. Und lächelte aufmunternd. „Du kannst das, Louis", sagte er. „Ich glaube an dich."
Louis lächelte etwas verzweifelt zurück. „Ich hoffe das reicht", sagte er.
Und dann warf er Nordlichts Zügel über den Hals. Er warf Harry einen letzten ängstlichen Blick zu, dann griffen seine Hände nach den Zügeln und dem vorderen Teil des Sattels. Harry nickte ihm nochmal langsam und - wie er hoffte - beruhigend zu. Louis holte tief Luft, stieg mit seinem linken Fuß in den Steigbügel und Harry beobachtete gespannt, wie Louis mit einer eleganten Bewegung sein Bein über das Pferd schwang und im Sattel saß.
Harry hielt die Luft an.
Louis' linke Hand fuhr wie von selbst kurz über Nordlichts Hals und klopfte dann sanft dagegen, seine rechte Hand begann allerdings schon sich um die Zügel zu verkrampfen. Harry schluckte.
Louis hob seinen Kopf, starrte nach vorne und biss sich fest auf die Unterlippe. Er schien zu versuchen, sich zu beruhigen und weiter gleichmäßig zu atmen, aber er begann am ganzen Körper zu zittern und in seine Augen stiegen Tränen. Er warf Harry einen verzweifelten Blick zu.
„Ich kann nicht", hauchte er leise, schüttelte hektisch den Kopf und löste seine Füße wieder aus den Steigbügeln. Bevor Harry sich versah war er wieder von Nordlichts Rücken gerutscht.
Selbst das hatte genauso elegant ausgesehen wie das Aufsteigen.
Harry war mit zwei Schritten bei ihm und zog Louis gegen seine Brust.
„Es tut mir so Leid", flüsterte er leise in seine Haare und presste ihn an sich. „Es tut mir so Leid, Louis, ich hätte dich niemals dazu überreden sollen." Er küsste Louis' Schläfe und hielt den bebenden Jungen fest in seinen Armen. „Es tut mir so Leid", sagte er immer wieder, fast wie ein Mantra und hoffte, dass es irgendwie beruhigend auf Louis wirkte, der sich an Harry festhielt als würde er sonst versinken.
„Ich kann einfach nicht", schluchzte er und Harry verfestigte seinen Griff noch mehr, trotz der Gefahr Louis vielleicht die Luft abzuschnüren, wenn er so weitermachte.
„Es tut mir so Leid", wiederholte Harry nochmal und nach ein paar Minuten, gefüllt mit Louis' leisem Weinen und Harrys brechendem Herzen löste Louis irgendwann sein Gesicht von Harrys Brust und sah zu ihm hoch.
„Harry?", hauchte er und Harry sah ihn ganz genau an.
„Ja?" Er legte seine Hände vorsichtig an Louis' Wangen und strich zwei Tränen weg.
„Küss mich."
Harry blinzelte. „Was?", fragte er, weil er sich nicht sicher war, ob Louis das gerade wirklich gesagt hatte.
„Küss mich", wiederholte Louis. „Bitte. Lenk mich ab, irgendwie, ich kann einfach nicht weiter darüber nachdenken, ich-" Er brach ab, weil seine Stimme brach und Harry sah ihn eindringlich an.
„Louis", begann er. „Das hier ist nicht die richtige Situation, dir geht es nicht gut, du solltest nicht...ich meine, du bist gerade nicht im Stande-"
„Bitte", wiederholte Louis mit Nachdruck und das legte irgendeinen Schalter in Harry um. Louis war am Ende. Er war so gebrochen, so kaputt, alle seine Hoffnungen waren wieder zerschmettert worden und wenn Harrys Lippen da irgendwie helfen konnten, dann, mein Gott, natürlich würde er sie Louis geben.
Er strich nochmal sanft mit seinen Daumen über Louis' Wangen.
Und dann beugte er sich herunter und küsste ihn.
Harry hätte ehrlich gesagt nicht so wirklich gedacht, dass es jemals dazu kommen würde. Klar, er hatte irgendwie Signale von Louis' gespürt, aber so ganz sicher war er sich nicht gewesen und außerdem hatte er gedacht, dass Louis vielleicht noch zu sehr an Zayn hing, auch wenn dessen Tod jetzt drei Jahre her war.
Aber dieser Kuss...mein Gott, dieser Kuss zeigte ihm ganz genau, dass Louis auch irgendetwas für ihn fühlen musste. Und nicht an Zayn dachte. Sondern nur an ihn.
Harry küsste Louis sanft, aber leidenschaftlich, zog ihn näher, spürte Louis' Hände auf seinem Rücken und in seinen Haaren.
Heilige Scheiße.
Harry war ihm so verfallen. Und er würde es irgendwie schaffen seinen Schmerz besser zu machen.
Egal wie.
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