louis kann reiten?

Schon nach zwei Tagen hatte sich irgendwie eine Routine entwickelt. Harry frühstückte meist mit Fizzy und Phoebe (Daisy ging weiterhin rüber ins Gästehaus, dieser Alex schien es ihr wirklich angetan zu haben), oft kam noch entweder Dan oder Jay mit den Zwillingen dazu, dabei hatten sie selbst aber meistens schon eine ganze Stunde vorher gefrühstückt. Gemma und Lottie waren auch nur einmal dabei, weil sie sonst immer ihren Morgensausritt machten.

Nach dem Frühstück machten die drei sich immer auf in den Stall, wo Daisy auf sie wartete und die beiden ihre Pferde fertigmachten, um zu trainieren. Fizzy machte manchmal selbst mit, meistens stand sie aber nur mit Harry am Rand und beobachtete die beiden, um ihnen Kritik geben zu können, sie würde an dem Turnier nämlich nicht teilnehmen.

Ab und zu sah Harry immer mal wieder wie Louis seine Schwestern ebenfalls kurz beobachtete, aber dann war er immer wieder weg.

Danach fing irgendwann die erste Reitstunde der Kleinen an, die Fizzy und Lottie abwechselnd gaben. Dabei sah Harry oft zu, manchmal spielte er auch mit einem der Zwillinge Karten oder holte seine Gitarre und spielte im Schatten der Bäume des an den Hof grenzenden Waldes ein wenig.

Irgendwann aßen sie dann im Gästehaus zu Mittag (dort war eine Köchin angestellt), die einzige Zeit des Tages, an der er seine Schwester wirklich sah, weil sie meistens mit Lottie unterwegs war oder am Reiten oder bei dem einen Pferd, das sie immer ritt und das für die zwei Wochen „quasi ihr gehörte" (Jays Worte, nicht Gemmas).

Die Nachmittage waren unterschiedlich. Er hatte schon oft mit Fizzy Spaziergänge gemacht, hatte anderen Leuten beim trainieren zugesehen und ab und zu bei Stallarbeiten geholfen (Liam hatte übrigens wirklich 75 % der Zeit kein Shirt an. Aber Harry konnte es schon verstehen, es war wirklich heiß draußen und wenn es sich jemand leisten konnte, dann Liam). Oft passte er auch auf die kleinen Zwillinge auf. Er liebte Kinder und die beiden schienen auch entschieden zu haben ihn zu mögen. Besonders Doris hatte einen Narren gefressen und wollte ständig von ihm auf den Arm genommen werden.

Und er konnte ihr mit diesen Augen absolut keinen Wunsch abschlagen.

Die beiden mochten es auch, wenn er Gitarre spielte (und obwohl es nach einer bestimmten Zeit etwas nervig wurde ständig The Itsy Bitsy Spider zu singen, weil es der einzige Song war, zu dem die beiden zumindest ansatzweise die Wörter kannten, er war einfach viel zu eingenommen von den beiden, als dass es ihn wirklich stören würde).

Die meiste Zeit verbrachte Harry aber eindeutig mit Fizzy. Wie sollte er auch nicht, sie verstanden sich einfach extrem gut. Obwohl sie sich erst ein paar Tage kannten hatte Harry das Gefühl es war viel länger. Auf ihren Spaziergängen (er verstand definitiv warum Gemma ständig ausreiten war, die Gegend war einfach wunderschön) erzählte sie etwas von einem Typen, den sie ganz gerne mochte und Harry von seinem merkwürdigen Ex. Und vieles mehr. Sie verstanden sich einfach gegenseitig.

Kurz gesagt: Harry genoss seine Zeit auf dem Hof. Und wenn Fizzy so weitermachte, kriegte sie es wirklich bald hin, ihn dazu zu bringen sich auf ein Pferd zu setzen. Sie hatte sogar versprochen ihm Privatunterricht zu geben, wenn er sich bereit erklärte.

Das Abendessen aß eigentlich die ganze Familie immer zusammen (meist kochte entweder Jay oder Dan, aber Harry war selbst nicht schlecht in der Küche und er wollte sich irgendwie nützlich machen, deshalb hatte er sich bereit erklärt die Aufgabe so lange er hier war so oft wie möglich zu übernehmen. Jay hatte nur gelächelt und ihm das Feld überlassen.) und es war eine der einzigen Zeiten des Tages an denen er Louis sah. Er sah ihn wirklich kaum, nur mal so ab und zu mal im Vorbeilaufen. Es wirkte fast als würde er gar nicht hier wohnen. Aber eigentlich war Harry darüber ganz froh, denn wenn Louis mal da war (zum Beispiel auch irgendeine Reitstunde beobachtete) machte er eigentlich immer nur irgendwelche Kommentare, die Harry wirklich gestohlen bleiben konnten.

Vor allem weil Louis Harry wirklich nicht leiden konnte. Die meisten seiner abfälligen oder sarkastischen Kommentare waren auf Harrys Kosten und es kotzte Harry an. Er war froh, dass er ihn kaum sah. Denn ihm ging es hier wirklich gut und er hatte keine Lust sich das von einem Pseudo-Badboy kaputt machen zu lassen (es half nur nicht, dass er wirklich heiß war. Als Harry ihn zum ersten Mal mit kurzen Ärmeln gesehen hatte hatte er kurz vergessen, wie Atmen ging, weil Louis' Arme über und über mit Tattoos übersät waren und - meine Güte, da stand Harry halt wirklich drauf. Fizzy meinte, dass Louis in den drei Jahren Volljährigkeit vermutlich mehr Zeit im Tattoostudio verbracht hatte als gesund wäre, aber Harry war das egal, es sah eindeutig heiß aus).

Heute war der fünfte Tag, seitdem Gemma und er angekommen waren und er sah mit Doris auf dem Arm gerade Phoebe und Daisy beim Trainieren zu, wie jeden Tag nach dem Frühstück. Er genoss es, wie die Sonne ihm ins Gesicht schien. Aus einem der Ställe drang leise Musik, die Liam sich beim Arbeiten angemacht hatte und ab und zu hörte man Wiehern, Schnauben und Hufe klappern und Harry hätte nicht gedacht, dass die Zeit hier so erholsam sein würde.

Leise sang er bei dem Song mit und Doris zog an seinen Haaren und sagte dann etwas wie „Awee gut singen" und Harry war so entzückt, dass er ihr lächelnd eine Strähne der roten Löckchen hinters Ohr steckte und dann ein paar Drehungen machte, woraufhin sie erfreut gluckste.

Fizzy kam von der Mitte des Platzes wieder zu ihm an den Rand und grinste als sie das sah. Sie schlüpfte durch das Geländer und lehnte sich dann daran. Harry kam zu ihr und wieder sahen sie einfach nur den Zwillingen beim Dressurreiten zu.

Phoebe gelang irgendwann etwas so perfekt, dass sogar Harry sehen konnte wie fehlerfrei es war und Fizzy lachte. „Ja", rief sie dann. „Genau so, Pheebs. Fast so gut wie Louis!"

Phoebe strahlte bei dem Kompliment und Daisy lenkte ihr Pferd zu ihr rüber, um ihrer Schwester ein High Five zu geben.

Harry runzelte die Stirn. Er biss sich auf die Unterlippe.

„Louis kann reiten?", fragte er und dabei fiel ihm selbst auf, wie dumm die Frage war, denn warum zur Hölle sollte er es nicht können, er war hier schließlich genauso aufgewachsen wie seine Schwestern. Aber irgendwie war Harry davon ausgegangen.

Und er hatte Louis auch in den letzten Tagen nicht mal so richtig auch nur in der Nähe eines Pferdes gesehen.

Fizzy sah ihn überrascht an und lachte dann leise. „Besser als wir alle", sagte sie und sah dann zurück auf Phoebe und Daisy. Sie schluckte. Und zuckte dann mit den Schultern. „Aber ich weiß nicht wann ich ihn das letzte Mal im Sattel gesehen habe."

Harry runzelte die Stirn.

Louis konnte reiten, er tat es nur nicht? War das nicht etwas merkwürdig? Und warum war Fizzys Gesichtsausdruck jetzt so traurig?

In dem Moment beanspruchte Doris aber wieder Harrys Aufmerksamkeit und kurz darauf hatte er das Thema wieder vergessen.

_____

An diesem Abend konnte Harry nicht schlafen. Er wusste nicht warum, eigentlich war er nämlich ziemlich müde gewesen, der Hahn weckte ihn schließlich jeden Tag um acht, aber jetzt war das irgendwie weg. Er wälzte sich hin und her und dachte über alles mögliche nach.

Als seine Gedanken irgendwann sogar zu Xander wanderten, mit dem er jetzt über ein halbes Jahr nicht mehr zusammen war und an den er wirklich nicht mehr denken wollte entschied er sich einen kleinen Nachtspaziergang zu machen.

Hier in der Gegend war das ziemlich ungefährlich, meinte Fizzy und außerdem könnte er ja auch einfach ein bisschen über den Hof laufen, vielleicht würde das ja schon helfen.

Also zog er sich wieder eine Jogginghose und Schuhe an und griff auch noch nach einem Pulli, weil es nachts doch relativ frisch wurde, obwohl es tagsüber so warm war. Es kühlte sich eh gerade wieder ein bisschen ab.

Dann verließ er leise sein Zimmer und machte sich auf den Weg zur Hintertür. Sie hatte so ein Schloss wie ein Toilettenkabine und Fizzy hatte ihm gesagt, dass er, falls er nochmal rausgehen wollte, einfach so abschließen sollte, dass er wieder reinkam.

Aber als er die Tür öffnen wollte stellte er aber fest, dass sie schon genauso angelehnt war. Er runzelte due Stirn, zuckte dann aber einfach mit den Schultern und schob sich nach draußen in die Nachtluft.

Draußen zog er sich relativ schnell seinen Pulli über und lief dann etwas ziellos über den Hof. Es war eine ruhige Nacht und der Himmel war ziemlich klar, Harry konnte unzählige Sterne sehen. Eine Weile blieb er einfach stehen und sah nach oben.

Dann irgendwann setzte er seinen kleinen Spaziergang fort und runzelte die Stirn, als er am Stalleingang der Privatpferde vorbeilief. Denn es brannte Licht. Die vordere Tür bei der er stand war ein kleines Stück auf und Harrys Neugier packte ihn. Es konnte ja sein, dass einfach jemand vergessen hatte, das Licht auszumachen, aber vielleicht war auch noch jemand da?

Als er sich in den ihm inzwischen ziemlich vertrauten Stall begab, lächelte er, weil er sofort irgendwie ruhiger wurde in Anwesenheit der Pferde und lief langsam den Gang entlang. Er hörte irgendeine Stimme in einer der hinteren Boxen und ging leise weiter. Jetzt lachte die Person und Harry runzelte die Stirn. Was war das? Irgendwer war hier, aber ja anscheinend nicht alleine.

Wurde er etwa Zeuge einer geheimen Reiterhof-Romanze? Waren etwa Daisy und ihr Typ hier?

Nein, die beiden wären ja eher bei Daisys Pferd oder? An der Box war Harry schon vorbei.

„Ich vermisse es auch", konnte Harry jetzt deutlich hören und biss sich auf die Unterlippe.

Es ertönte ein Kichern und leises Strohgeraschel.

„Aber ich kann einfach nicht." Die Person holte tief Luft und wieder hörte Harry Geraschel. Und dann schnappte er nach Luft.

Bildete er sich das etwa ein, oder war das Louis' Stimme? Die Tonlage war komplett anders, nicht feindselig, amüsiert oder süffisant, sondern irgendwie...liebevoll. Aber es klang nach Louis.

Nur...Louis und eine geheime Romanze? Das passte irgendwie nicht so wirklich.

„Aber immer wenn ich...", sprach die Stimme weiter, brach dann ab und jetzt war Harry sich sicher, dass es Louis war. Aber er klang irgendwie...gebrochen.

„Ich weiß es ist Jahre her. Aber ich schaffe es einfach nicht."

Harry erreichte die Kante der Box, spähte am Rand vorbei und hielt den Atem an.

Louis war zwar nicht allein, aber das hier war weit von einer geheimen Romanze entfernt. Er stand in der Box, seine ganze Körperhaltung anders als sonst, fast schon in sich gekauert, aber gleichzeitig schien er sich in dieser Umgebung so wohl zu fühlen, dass Harry sich auf die Lippe biss, um keinen Laut von sich zu geben.

Vor Louis stand ein majestätisches, großes Pferd, mit irgendwie dunkelgrauem Fell, im Gesicht heller, mit weißen Stellen dazwischen und hatte den Kopf so gesenkt, dass Louis seine Stirn dagegen lehnen konnte. Obwohl die beiden Mensch und Tier waren schien es, als würden sie sich gegenseitig halten.

Und Louis weinte. Nicht laut, ohne zu schluchzen und seine Augen waren geschlossen, aber Harry sah deutlich Tränen auf seinen Wangen.

Eine Weile standen sie einfach so da, beide komplett still, auch das Pferd war wie eingefroren. Dann hob Louis den Kopf, öffnete die Augen und strich über seine Schnauze.

„Dann wollen wir mal spazieren gehen, hm?" Er sagte das so leise, dass Harry es kaum hörte und dann musste er sich schnell hinter die Ecke ducken, denn Louis öffnete die Boxentür und wartete bis das Pferd an ihm vorbeigelaufen war. Es trug nicht mal ein Halfter, es hatte nur eine Art Kette aus weichem Stoff um den Hals und auch als Louis die Box wieder verschlossen hatte und sich (Gott sei Dank) nicht in Harrys sondern die entgegengesetzte Richtung entfernte, griff er nicht danach. Das Pferd schritt einfach gemütlich neben ihm her, wie ein treuer Hund.

„Sicher, dass du Lottie nicht auf dir reiten lassen willst?", fragte Louis und das Letzte was Harry von den beiden hörte war das leise Wiehern des Pferdes, als ob es Louis antwortete und seine klackenden Hufe, als die beiden durch die Dunkelheit den Hof verließen.

Harry war von Gefühlen und Gedanken überschwemmt. Dieser Louis hier gerade, nachts im Stall bei diesem Pferd...er hatte das Gefühl er hatte ihn noch nie gesehen. Er war wie eine andere Person. Fröhlicher, obwohl er geweint hatte.

Nicht so bitter. Mehr er selbst.

Dieses Pferd und Louis schienen eine ganz besondere Verbindung zu haben.

Und Harry wollte irgendwie mehr darüber herausfinden.

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