Kapitel 5

Es war ein Monat vergangen und dem Plan stand nichts mehr im Weg. Mit schmerzenden blauen Flecken und einem geschwollenen blauen Auge saß ich in einem Reisebus in das kleine Kaff, das die Biker ihre Heimat nannten.

Vorsichtig tastete ich mein Auge ab. Erst wollte Nixon mir ums Verrecken keine blauen Flecken verpassen. Aber nach einige Diskussionen hatte er es dann doch getan. Es war hart mich verprügeln zu lassen, ohne mich zu wehren, aber es musste sein. Die Verletzungen mussten so echt wie möglich aussehen. Ich konnte mir nicht täglich blaue Flecken schminken. Das würde irgendwann auffallen. Und dann waren da noch Matteo und Alex gewesen. Matteo war komplett ausgerastet. Er wollte sogar meine Brüder und Eltern anrufen, damit die es mir ausreden. Aber alles hatte keinen Zweck. Es war die beste Lösung für unser Problem und das hatten sie zu akzeptieren.

Der Bus hielt an und mit meinem Backpack über der Schulter stieg aus.

Lasset die Spiele beginnen.

Mit zusammengezogenen Schultern und eingezogenem Kopf steuerte ich auf den einzigen Supermarkt in der Nacht an. Ich brauchte Essen. Und dann eine Unterkunft für den Anfang.

Es war ein ruhiger Ort. Wenn ich nicht genau wüsste, dass hier Biker wohnten, die eine gefährliche Gang hatten, die Waffen und Drogen schmuggelten, würde ich es als die perfekte Stadt, um seine Kinder aufzuziehen, bezeichnen.

Ich hatte mir vorher auf der Landkarte alles genau eingeprägt. Jeder Laden, jedes Geschäft, die Bar der Biker und auch die kleine Pension, die der Ort zu bieten hatte.

Ich hatte die Besitzerin der Bar ausspionieren lassen und wusste, dass die Mitte fünfzig jährige jeden Montagabend einkaufen ging. Ich hoffte, dass ich sie schon an meinem ersten Abend treffen würde. Das würde einiges einfacher machen.

Ziellos lief ich durch die Gänge des Supermarkts. Ein paar Lebensmittel schafften es sogar in meinen Einkaufswagen. Und plötzlich sah ich sie. Nicht Catherine Anderson, die Barbesitzerin, sondern Gangmitglieder. Es waren drei junge Männer in schwarzen Lederjacken. Große Totenkopfembleme mit dem Namen der Deathriders drum herum. Die flammenden Augen der Totenköpfe ließen mich erstarren. War es wirklich eine gute Idee mich unter diese Männer zu mischen?

"Die tun niemandem etwas", hörte ich plötzlich eine weiche Stimme neben mir. Erschrocken zuckte ich zusammen und ließ dabei die Konservendose in meiner Hand fallen. Mit einem lauten Scheppern landete die Dose auf dem Boden. Sofort drehten sich die Biker zu uns um, aber ich war schon in der Hocke, um die Dose aufzuheben. Die ältere Frau, die mich angesprochen hatte, war neben mir und griff ebenfalls nach der Dose. Beim Greifen rutschte mein Ärmel hoch und zeigte die deutlichen blauen Handabdrücke, um mein Handgelenk. Die blauen Flecken sahen auf meiner hellen Haut noch blauer aus.

Schnell zog ich meine Hand zurück, aber die Frau hatte mein Handgelenk schon gesehen. Als ich aufsah und ihr Gesicht erblickte, erkannte ich sie sofort Catherine Anderson. Mein Glück hätte nicht mehr auf meiner Seite sein können. So ein Auftritt und dann noch vor ihr.

Schnell griff ich nach der, mir hingehaltenen, Dose und stellte sie in meinen Einkaufswagen. Ich wollte hektisch den Wagen weiterschieben und den Gang verlassen, da hielt sie mich an der Jacke fest. Gespielt panisch zog ich den Kopf ein bisschen mehr ein.

"Ich habe dich hier noch nie gesehen, Mädchen", meinte Catherine freundlich.

"Bin gerade erst angekommen", antwortete ich leise.

"Wieso kommst du gerade in unsere kleine Stadt?", hakte sie weiter nach.

"Ich bin einfach in den Bus gestiegen. So weit weg, wie nur möglich. Hier bin ich ausgestiegen, weil ich Hunger hatte", sagte ich wieder fast schon flüsternd.

"Und wo willst du jetzt hin?" Catherine ließ nicht locker.

"Eine Nacht irgendwo schlafen und dann weiter in den Süden. Immer weiter."

"Wo willst du denn schlafen?"

Ich zuckte nur mit den Schultern und sah auf meine Schuhe. Es war lange her, dass ich mich wie ein kleines Mädchen verhalten konnte und auch seit dem ich einfache Sneaker getragen hatte. Ich musste mir ein fröhliches Grinsen darüber verkneifen.

"Zane!", hörte ich da Cathrine rufen. Erschrocken sah ich auf und merkte, dass sie einen der Biker zu uns winkte. Der junge Mann mit eisblauen Augen und blonden Haaren kam auf uns zu. Ich konnte überall Tattoos erkennen. Unter seiner Jacke. Auf Armen, dem Hals, sogar den Händen. Ich konnte nur vermuten, dass sein gesamter Körper mit Farbe bedeckt war. Eingeschüchtert wich ich einen Schritt vor ihm zurück.

Zane musterte mich von oben bis unten. Sein Blick blieb an meinem blauen Auge hängen. Ein wütender und gleichzeitig angewiderter Gesichtsausdruck huschte über die feinen Gesichtszüge.

"Mädchen, das ist mein Sohn Zane. Wie wäre es. Du kommst heute Nacht mit zu uns. Ich verspreche dir, es passiert dir nichts bei uns", versuchte Catherine mich zu ermutigen.

Schnell sah ich zu Zane. Ich wich noch weiter von ihm zurück. Und schüttelte dann energisch den Kopf.

"Nein", stieß ich panisch heraus, "Nein! Es ist in Ordnung. Ich warte auf den nächsten Bus. Ich kann nicht hier bleiben!"

Schnell manövrierte ich den Einkaufswagen an den beiden vorbei zur Kasse. So schnell ich konnte, bezahlte ich und stürmte förmlich aus dem Laden heraus.

Teil eins war geschafft. Catherine und auch Zane waren mir in die Falle gegangen. Sie würden mich suchen. Der Beschützerinstinkt war bei beiden durchgekommen. Matteo hatte recht gehabt. Eine Frau würde immer irgendwo reinkommen, wenn sie die richtigen Strippen zog.

Ich setzte mich an die Bushaltestelle und starrte einfach nur auf meine Füße. In der Distanz hörte ich, wie sich mir mehrere Fußpaare näherten. Sie blieben stehen und nur ein paar Füße lief weiter auf mich zu.

Ganz vorsichtig kniete Catherine sich vor mich.

"Mädchen, der nächste Bus kommt erst in einer Woche, wenn du weiter in den Süden willst. Du kannst doch nicht eine Woche hier sitzen bleiben", versuchte sie beruhigend auf mich einzureden.

Ängstlich sah ich zu ihr auf.

"Mein Sohn und seine Freunde werden dir nichts tun, aber bitte komm doch mit zu uns. Wenigstens für eine Nacht. Dann versuche ich dich wo anders unterzubringen, wenn du das möchtest."

Wieder schüttelte ich nur den Kopf.

"Es war ein Mann nicht wahr?", wollte sie wissen.

"Ich weiß nicht, was Sie meinen", versuchte ich mich dumm zu stellen.

"Lüg mich nicht an. Ich sehe doch deinen Hals und dein Auge. Und dein Handgelenk habe ich vorhin auch gesehen. Wir machen sowas nicht. Ich weiß nicht, in was für einer Gang oder Gruppe er war, aber hier bei uns gelten andere Regeln. Frauen werden mit Respekt behandelt. Immer!"

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