Kapitel 4

"Ruth", meldete ich mich über den Intercom bei meiner Sekretärin vor der Tür, "Schick bitte Nixon und Carson zu mir rein, so schnell es geht.

Ich hatte das gesamte Wochenende mit Grübeln verbracht. Natürlich hatte ich mich auch bei meinen Brüdern und unseren Eltern gemeldet, sehr zur Freude von allen, von ihrer kleinen Principessa zu hören. Natürlich verstand ich warum sie mich immer noch als ihre kleine Prinzessin ansahen, aber das musste sich endlich ändern. Denn ich war 25 und definitiv keine Prinzessin mehr. Ich war der Boss. Und das war alles, was zählte. Immer wieder musste ich mir einreden, dass ich mittlerweile der Boss war. Wie sollte ich also ein Kartell führen, wenn meine gesamte Familie und mein Freundeskreis mich immer noch als ihre kleine Prinzessin ansahen. Genau das war der Grund für mich, warum ich nicht den Kontakt zu ihnen suchte.

"Was können wir für dich tun?", fragte Carson, der nach einigen Minuten zusammen mit Nixon vor meinem Schreibtisch stand.

"Ihr beide seid meine zwei Repräsentanten. Carson du für die Firma. Nixon du fürs Kartell. Ihr wisst beide, das ich nirgendwo mein Gesicht sehen möchte. Keiner soll wissen wer hier wirklich das Sagen hat. Deswegen muss ich euch darüber in Kenntnis setzen, dass ihr bald eine Zeit lang alleine arbeiten müsst. Das bedeutet für euch ich werde nicht da sein."

"Was soll das heißen?!", fragte Carson schon leicht panisch.

"Wo willst du denn hin? Es ist deine Aufgabe das Kartell zu führen nicht unsere. Wir können das nicht ohne dich", auch Nixon schien sichtlich überfordert zu sein, mit der neu anvertrauten Aufgabe.

"Ihr werdet das Kartell nicht allein führen müssen, ich werde nicht für immer weg sein. Ich werde nur einfach nicht hier hinterm Schreibtisch sitzen. Es geht euch zwar eigentlich nichts an, aber mein Onkel hat mich auf eine sehr gute Idee gebracht. Wir müssen irgendwie die Biker loswerden. Da es leider Gottes niemand von euch geschafft hat, mir irgendwelche Informationen zu besorgen, muss ich das wohl alleine in die Hand nehmen."

"Was soll das denn jetzt bedeuten? Wir haben alles versucht, um an Informationen zu kommen. Wir können doch auch nichts dafür das die Biker einfach niemanden aufnehmen", versuchte Nixon mich zu beschwichtigen.

"Das ist genau das Problem. Die Biker werden keinen Mann aufnehmen, das hat mir mein Onkel klar gezeigt. Aber sie werden eine Frau aufnehmen. Ich werde allerdings niemanden aus meinen Reihen irgendwo hin schicken, wenn die Person nicht gut genug dafür ausgebildet ist. Und da ich nicht davon ausgehe, dass irgendeine Frau besser ausgebildet ist als ich, muss ich diese Aufgabe wohl übernehmen."

Mittlerweile hatte ich mich in meinem Sessel umgedreht, so dass ich mit dem Rücken zu ihnen saß. Sie konnten also meinen Gesichtsausdruck nicht sehen. Und auch nicht die angespannten Hände, die auf meinem Schoß lagen. Ich verkrampfte meine Hände ineinander, denn das war eine komplett ungewohnte Situation. Ich sollte mich in die Gefahr bringen nicht nur enttarnt, sondern auch umgebracht zu werden.

"Das ist Selbstmord!", stieß Carson noch ängstlicher, als zuvor aus.

"Ich habe euch nicht um Erlaubnis gefragt", antwortete ich ernst, "Ich schicke keine von meinen weiblichen Mitgliedern in das Wespennest. Ich mache es selbst. Carson, du kümmerst dich um die Firma und Nixon, du um das Kartell. Ich werde mich bei euch melden. Einmal am Tag. Wenn ich mich nicht mehr melde, dann schickt ihr Leute, um mich zu holen. Aber wir müssen alles über diese Biker wissen und so ist nunmal der einfachste und auch der einzige Weg."

Nicht zufrieden mit meiner Aussage sahen die beiden älteren Männer auf mich herab. Ich war der Boss und sie konnten mir nicht widersprechen, aber ich war in ihren Augen auch noch ein Kind. Ein kleines Mädchen, auf das sie aufpassen mussten. Sie fühlten sich Alex immer noch verpflichtet und ich war nunmal Alex Nichte und auch Patenkind.

"Wie stellst du dir das vor?", fragte Nixon erschlagen nach. Mit einem erschöpften Seufzer setzte er sich auf den Stuhl vor mir.

"Wie können wir dir helfen?", wollte jetzt auch Carson wissen und setzte sich neben seinen Freund. Jetzt wo sie endlich saßen, war ich diejenige, die aufstand. Größe ist immer etwas schönes, um Macht zu demonstrieren.

"Es freut mich, dass ihr dabei seid", meinte ich mit einem selbstgefälligen Lächeln auf den Lippen, "Ich brauche frische Wunden. Ich muss aussehen, als wäre ich misshandelt worden. Blaue Flecken an den Armen. Würgemale am Hals. Ein blaues Auge sowas. Die Biker haben eine Bar. Sie wird von einer ihrer älteren weiblichen Mitglieder geführt. Ich werde mich als eine geflüchtete ausgeben. Egal ob ein Mann oder eine Frau. Irgendwer hat immer Mitleid mit einer verprügelten Frau, die vor ihrem Ex flüchtet. Ich brauche eine Unterkunft und einen Job. Damit werde ich mich bei ihnen einschleichen. Sobald ich es geschafft habe für sie in der Bar zu arbeiten, ist es ein einfaches viel herauszufinden."

"Was ist der Exitplan? Wie willst du wieder rauskommen?", hakte Nixon nach.

"Es gibt zwei. Wenn ihr mich rausholen müsst, weil sie wissen woher ich komme und ich mich nicht mehr gemeldet habe. Könnt ihr alles machen. Wenn es sein muss, schießt sie alle zusammen. Ich bin immer noch der Boss und unser Kartell geht vor. Das ist unsere Familie. Und wir beschützen sie, auch wenn ich lieber meine Angelegenheiten gewaltfrei löse. Deswegen wäre die zweite Variante meine bevorzugte. Mein gewalttätiger Ex taucht auf und fragt nach mir. Hat mich also gefunden. Ich werde eine Flucht vor ihm initiieren. Niemand wird sich wundern, warum ich so schnell weg will."

"Du brauchst genügend Distanz zu ihnen. Wenn die Verbindung eng wird, werden sie dich beschützen wollen. Deinen Ex umbringen oder sowas. Also pass auf, dass die dich nicht zu ihrer Familie zählen", meinte Carson. Ich nickte ihm zu. Er hatte recht. Ich konnte nicht in Kauf nehmen, dass sie dann doch einen meiner Männer umzubringen, der mich rausholen sollte und nicht zuließen, dass ich vor ihm "flüchtete".

"Wann soll es denn losgehen?", fragte Nixon jetzt nach.

"So schnell wie möglich. Ich habe noch einiges zu erledigen, aber dann geht es los. Also. Werdet ihr es unterstützen oder muss ich neue Stellvertreter suchen?"

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