Kapitel 2

Mit einem To-Go-Kaffee in der Hand verließ ich am nächsten Morgen den Fahrstuhl und steuerte zielstrebig mein Büro an. Um mich herum verstummten alle immer, sobald ich mich ihnen näherte.

Am Tisch meines alten Sekretärs saß niemand. Nixon hatte also noch keinen Ersatz gefunden. Genervt stellte ich mich auf mehr Stress als nötig ein. Aber als ich mich gerade in meinen Sessel fallen lassen wollte kam eine ältere Dame in mein Büro. Ich musterte sie von oben bis unten, hatte sie aber noch nie in meinem Leben gesehen.

"Wer sind Sie?", fragte ich hart.

"Ruth Miller. Ihre neue Sekretärin, Ma'am", stellte sich die Dame vor.

"Wer hat Sie geschickt?"

"Nixon Montgomery, Ma'am. Er meinte, Sie würden fragen und ich sollte Ihnen dann sagen, dass er immer sein Wort halten würde und es nur zwei Tage wären."

Ich nickte nur und setzte mich dann endlich hin.

"Hat man Sie schon eingewiesen?", wollte ich wissen.

"Ich weiß wo alles ist, aber ich musste eben noch ein paare Termine richtig legen. Mein Vorgänger hat ein kleines Chaos hinterlassen. Deswegen war ich nicht an meinem Tisch. Sonst werden Sie mich dort aber immer finden."

"Mrs. Miller-"

"Bitte, nennen Sie mich Ruth", unterbrach sie mich. Ich musste mir einen Kommentar dazu verkneifen, aber zog meine Augenbrauen trotzdem merklich zusammen.

"Nun gut, Ruth", fing ich erneut mit Nachdruck an zu sprechen, "Es ist mir egal wo Sie sind, aber wenn ich Sie brauche, müssen Sie zu erreichen sein. Ihre Mittagspause ist gleich mit meiner von 12 bis 13 Uhr. In dieser Zeit betritt niemand dieses Büro und ich werde durch keine Anrufe oder Fragen gestört. Nixon hält Sie für kompetent, beweisen Sie es. Ich brauche keinen Kaffee, kein Essen, keine Zeitung, keine Kleidung aus der Reinigung oder sonstigen Scheiß. Ich möchte, dass Sie sich nur um meine Termine kümmern. Legen Sie die Termine sinnvoll. Ich habe keine Lust Stunden im Auto zu verbringen, weil ich drei Mal am Tag quer durch die Stadt gondeln muss. Für Termine außerhalb der Stadt oder auch dem Land haben Sie uns zu begleiten. Lassen Sie sich nicht von den Männern da draußen um den Finger wickeln. Niemand bekommt irgendwelche privaten Gespräche, wenn es nicht wirklich notwendig ist. Soweit alles klar?"

"Ja, Ma'am", meinte sie ernst. Dann huschte ein kleines süßes Lächeln über ihre Wangen, das ihre kleinen Lachfältchen noch mehr zur Geltung brachte. "Jetzt verstehe ich es", grinste sie.

"Jetzt verstehen Sie was?", fragte ich herausfordernd.

"Warum alle Sie nur Boss nennen. Ich hatte mich gewundert, dass es eine junge und hübsche Frau es innerhalb nicht einmal einem Jahr geschafft hat nur noch Boss genannt zu werden."

Ein leichtes Schmunzeln wanderte jetzt auch über mein Gesicht. Sie hatte keine Angst vor mir, aber Respekt und das war alles was ich brauchte. Angst war nur ein Mittel zum Zweck. Ehrlicher Respekt, war viel mehr wert und konnte mir besser helfen.

"Ich sehe, wir verstehen uns", meinte ich lächelnd, "Bitte schicken Sie mir meinen heutigen Terminplan. Außerdem müssen wir die Designer aus Mailand zu einem Wochenende einladen. Suchen Sie ein passendes heraus. Ich muss meine gesamte Zeit für die Designer aufbringen können. Fahren Sie alles auf. Das beste Hotel, die besten Restaurants und Aktivitäten, die wir bieten können. Wir müssen die Herrschaften davon überzeugen für uns zu arbeiten. Machen Sie einen Termin im Le Bernardin für Freitagabend. Drei Personen. Sie werden sagen, dass sie ausgebucht sind. Regeln Sie das. Gestern sollten eigentlich schon die Berichte der Finanzabteilung vorliegen. Erinnern sie Mike bitte daran, dass ich Sie heute Abend habe oder er braucht morgen nicht wieder zu kommen. Die Marketingabteilung. Wir brauchen spätestens am Donnerstag ein Treffen für die online Kampagne. Legen Sie einen Termin dafür ein."

Ruth machte sich einige Notizen und das erste Mal seit einem Jahr hatte ich das Gefühl all meine Anweisung würden perfekt ausgeführt werden. Aufmerksam sah die 50 jährige mich an.

"Das wars. Sie können sich wieder Ihren Aufgaben widmen", winkte ich sie raus. Ich war schon dabei mich an meinem Laptop anzumelden, um meine neuen Mails zu checken und noch mehr Mitarbeiter an ihre Arbeit zu erinnern. Aber Ruth bewegte sich nicht.

"Ma'am?", räusperte sie sich entschuldigend. Auffordernd sah ich wieder zu ihr auf. "Die Presseabteilung erinnert daran, dass Sie endlich ihr Gesicht zeigen müssen. Sie wollen nächste Woche einen Pressetermin ansetzen. Was soll ich ihnen dazu sagen?"

"Sie können ansetzen, was sie wollen, ich werde nicht erscheinen. Nixon soll als Stellvertreter für mich gehen oder Carson, den kennen sie Medien schon. Und im selben Atemzug teilen sie David dann doch bitte mit, dass ich seine Gehaltchecks unterzeichne und wenn ihm sein Job lieb ist, dann wird er nicht ein weiteres Mal versuchen mich zu einem öffentlichen Auftritt zu zwingen. Weitere Fragen?"

"Das Essen am Freitag. Um wie viel Uhr soll es stattfinden?"

"Das ist mir einerlei. Schauen Sie, dass ich keinen Stress habe, um von der Arbeit dort hin zu kommen. Und informieren Sie Mr. Davis und seinen Mann von der Uhrzeit. Dann entgehe ich vielleicht einer erneuten Befragung zur Firma bis Freitag. Noch etwas?"

"Ihr nächster Termin ist in fünf Minuten. Eine Telefonkonferenz mit Mr. Williams von der Niederlassung an der Westküste. Es geht um die neue Produktlinie und wie sie dort ankommt", erinnerte mich Ruth. Ich wusste jetzt schon, ich musste mich bei Nixon entschuldigen und bedanken. Ruth würde ich niemals wieder verlieren wollen.

Nickend ließ ich Ruth mein Büro verlassen und griff nach dem Hörer, um Mr. Williams den Anruf zu ersparen.

*

"Ma'am, es ist fast neun Uhr", hörte ich halb abwesend die Stimme von Ruth. Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah ich auf. Ich schwankte immer noch zwischen den Unterlagen der Firma und denen des Kartells. Verwundert sah ich auf meine Armbanduhr und dann nach draußen in die pechschwarze Nacht, die nur von den unzähligen hell erleuchteten Fenstern der Hochhäuser durchbrochen wurde.

"Wieso sind Sie noch da? Sie müssen nur bis sechs hier sein", sagte ich ernüchternd.

"Wenn Sie hier sind, bin ich es auch", stellte Ruth ruhig, aber bestimmt klar.

"Nein, Sie werden um sechs nach Hause gehen, egal ob ich hier bin oder nicht. Ich möchte Sie hier nicht noch einmal so spät sehen, es sei denn ich bitte Sie darum. Aber trotzdem vielen Dank. Ihnen einen schönen Abend."

Lächelnd verließ Ruth das Büro.

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