Kapitel 10

Erst um vier Uhr morgens endete mein erster Arbeitstag in der Bar. Makenna und ich saßen auf dem Tresen und beobachteten den Fußboden beim Trocknen, während wir uns Pommes in den Mund stopften. Die Pommes hatte Makenna wohl tiefgefroren im Lager gebunkert, für Abende an denen sie noch einen Mitternachtssnack brauchte.

"Wie ist das eigentlich passiert?", wollte sie plötzlich aus dem Nichts wissen und zeigt dabei mit einer kreisenden Bewegung auf mein Gesicht und meinen Hals.

Traurig sah ich nach unten auf meine Hände und schwieg erst einmal.

"Also ich weiß dein Ex hat dir das angetan und deswegen bist du hier her geflüchtet, aber ich verstehe nicht, warum ein Mann seiner Freundin so etwas antun würde. Und schon gar nicht wie du sowas über dich ergehen lässt. Es war ja nicht nur einmal. Die Jungs haben erzählt dein Körper sieht noch schlimmer aus und du hast überall Narben."

Wie vom Blitz getroffen sah ich sie an. Nur Zane hatte mich gesehen. Er hatte es also den anderen weitererzählt. Schnell schüttelte ich den Kopf und sah auf den immer noch feuchten Boden.

"Beim ersten Mal hat er sich direkt danach entschuldigt. Er war so süß. Hat versprochen, es würde nie wieder passieren. Jedes Mal nachdem er mich verprügelt hatte, war er der beste und liebevollste Mann, den ich jemals kennenlernen durfte. Diese Liebe kannte ich so nicht wirklich. Aber dann hat er mir auch ganz ruhig und lieb erzählt, dass er ja gar keine andere Wahl hatte, als mich für mein Verhalten zu bestrafen. Irgendwann habe ich es einfach geglaubt. Ich weiß, dass es nicht stimmt. Man kann Schlagen nicht rechtfertigen. Und das wusste ich auch damals, aber immer verdrängt. Denn ich liebe ihn doch und er auch mich", sprach ich ganz leise vor mich hin.

"Aber das ist doch keine Liebe!", stieß Makenna entsetzt aus.

Ich konnte nur mit den Schultern zucken.

"Es war die Liebe, die ich bekommen habe. Die ich verdient habe", sagte ich und sah ihr dabei direkt in die Augen.

Ich fühlte mich dreckig und schlecht dabei so eine Geschichte vorzulügen. Sie war ein gutes Mädchen. Und ich nutzte sie nicht nur aus, sondern erzählte so eine fürchterliche Geschichte. Es gab wirklich Frauen, die unter so etwas litten und ich nutze einfach ihre Worte aus. Es war einfach nur fürchterlich.

Aber ich hörte sofort die Stimme meines Großvaters in meinem Kopf. Das Kartell ist die Familie und die Familie geht über alles. Und genau für diese Familie log ich jetzt, was das Zeug hielt.

"Du hast sehr viel mehr verdient", flüsterte Makenna mir zu. Freundschaftlich griff sie nach meiner Hand und drückte leicht zu.

"An dem letzten Abend er war so wütend und betrunken. Er hat mich so geschlagen und dann gewürgt. Ich wurde bewusstlos. Als ich wieder wach wurde lag ich auf dem Küchenboden. Er hat mich einfach liegen gelassen und ist ins Bett schlafen gegangen. Ich wusste, beim nächsten Mal würde ich das nicht mehr überleben. Deswegen habe ich all meine Sachen gepackt und bin einfach abgehauen. Ich wusste nicht wohin und dann war da der Bus. Ich bin einfach eingestiegen und gefahren und gefahren."

"Du erzählst nicht gerne von dir oder?", grinste Makenna mich an.

Verwirrt sah ich sie an. Aber dann wurde mir klar, sie wussten nichts außer meinen Vornamen, der eigentlich mein Zweitname war und dass ich vor meinem gewalttätigen Ex geflohen war.

"Ich kam aus New York her. Aufgewachsen und geboren, bin ich aber in Italien. Ich bin 25. Und ich habe zwei ältere Brüder, die ich sehr vermisse."

"Wieso bist du denn überhaupt hier nach Amerika gekommen?", fragte Makenna mich unverständlich.

"Für die Arbeit. Ich habe einen Abschluss in Management und Finanzen. In Amerika hat man die besten Chancen und wer nur ein Jahr hier arbeitet, dem stehen danach alle Türen offen. Aber ich  habe schnell Nixon kennengelernt. Und für ihn dann alles aufgegeben. Erst meine Arbeit. Dann meine Freunde und zum Schluss noch meine Familie. Er hatte mich komplett in der Hand. Ohne Job hatte ich kein eigenes Geld und ohne Freunde oder Familie auch keine Unterstützung von außerhalb. Also musste ich bei ihm bleiben. Für die Einkäufe und das Busticket ist fast mein gesamtes Geld, was ich noch bei mir hatte draufgegangen."

"Na ja, jetzt hast du ja uns", grinste Makenna mich an und legte einen Arm um meine Schultern. "Ich dachte übrigens du wärst jünger. Also du bist immer noch jünger als wir, aber trotzdem dachte ich irgendwie, du wärst erst 21 oder so."

Ich hörte das nicht zum ersten Mal. Dadurch wurde ich gerne Mal im Kartell, wie auch in der Firma nicht ernst genommen, einfach weil ich aussah, als wäre ich noch ein Baby, in ihren Augen.

"Ich bin 26, Zane und Jackson sind 27 und Rhys ist ein alter Sack mit seinen 28", sprudelte es weiter aus Makenna heraus, "Wir sind hier alle zusammen aufgewachsen. Unser Großväter und Väter waren schon Biker. Da blieb den Jungs nichts anderes übrig, als es auch zu werden. Ich habe aber Glück. Ich muss mich nicht auf diese Höllenmaschinen setzen. Als Frau bin ich eine von den Ladys. So wie Cathy. Wir werden beschützt. Und entweder sind wir, wie ich durch unsere Geburt eine Lady oder werden es durch eine Beziehung. Wenn man mit einem Biker zusammenkommt, ist man seine Lady und bleibt es bis zur Trennung oder Scheidung. Aber die wenigsten suchen sich eine Lady. Wer will schon ein Freundin mit in unsere Geschäfte bringen."

Ohne das Makenna es bemerkte, erzählte sie mir gerade ganz genau, wie die Strukturen in der Gang waren.

"Zane meinte, du wärst auch schon in einer Gang gewesen. Wie war das bei euch?"

"Ich war in Italien mit dabei", seufzte ich, "Aber es war nicht meine Entscheidung. Meine Brüder waren mit dabei. Und man folgt seiner Familie. Sie wollten mich damit beschützen, also wurde ich ein Teil davon. Ein Teil meiner Narben kommt auch daher und nicht nur von Nixon. Ich musste mich beweisen, aber auch dort hat man als Frau nicht so viel zu sagen. Als meine Brüder immer weiter aufstiegen, tat ich es mit ihnen. Aber es wurde mir immer gefährlicher. Ich wollte doch einfach nur ein normales Leben. Einen liebevollen Partner, eine normale Arbeit und vielleicht ein Haus mit Hund und Kindern. Also bin ich nach Amerika, um zu arbeiten. Den Rest kennst du ja, wie gut mein Plan aufgegangen ist."

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