Ein letztes Mal heiße ich euch alle im Jahre 2015 für ein weiteres Kapitel willkommen :)
Ich hoffe, dass ihr alle gut ins neue Jahr kommt und sich eure Wünsche erfüllen!
Wie verbringt ihr Silvester?
Ich wünsche euch jetzt viel Spaß beim Lesen und freue mich wie immer über Kommentare und Votes!
Love u guys :)
Soulwriter721
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„Lily, bist du krank?"
Meine Mutter musterte mich skeptisch, während ich schlurfend in die Küche kam. Glücklicherweise hatte ich es geschafft, mich unbemerkt wieder in mein Zimmer zu schmuggeln. Als ich auf meinem Bett saß, konnte ich hören, wie keine fünf Minuten später Leben in das Haus kam.
Ich wartete noch etwas und ging dann duschen, wobei ich beinahe eingeschlafen war. Die Müdigkeit machte sich mehr als bemerkbar und noch hatte ich keine Ahnung, wie ich den heutigen Schultag überstehen würde.
Und dabei war erst Donnerstag...
„Mir geht's nicht wirklich gut.", antwortete ich und ließ mich auf den freien Platz nieder.
Meine Mutter musterte mich weiter und sagte schließlich: „Du gehst wieder ins Bett. Momentan geht die Grippe herum und falls du krank wirst, müssen wir es ja nicht noch weiter provozieren."
Erstaunt schaute ich auf, protestierte aber nicht. Mir war bewusst, dass ich nur wegen der Müdigkeit so krank aussah, aber das erwähnte ich natürlich nicht. Stattdessen ging ich wieder in mein Zimmer, zog mir meinen Schlafanzug an und keine Minute später war ich bereits tief und fest eingeschlafen.
„...aufwachen."
Eine Stimme weckte mich und langsam öffnete ich meine Augen. Meine Mutter stand vor meinem Bett und sah mich an.
„Geht es dir besser?", fragte sie mit einem Lächeln und ich nickte, zu müde zum Sprechen.
„Das ist gut. Ich muss leider schnell los. Mir ist gerade aufgefallen, dass ich nicht alle Zutaten für das Abendessen habe. Du kommst zurecht?"
Erneut nickte ich und mit einem Kuss verabschiedete sich meine Mutter. Ich drehte mich auf die andere Seite und beschloss, noch etwas zu schlafen. Entfernt hörte ich, wie die Haustür ins Schloss fiel.
Jetzt war ich also alleine...alleine!
Blitzartig richtete ich mich auf und für einen Moment drehte sich alles in meinem Kopf. Ich stand auf und schaute auf die Uhr. Es war halb zwölf.
Meine Mutter würde mindestens eine halbe Stunde weg sein. Das verschaffte mir genug Zeit, um auf den Dachboden zu gehen. Ich lief barfuß durch den Flur, bis zum Ende und erreichte schließlich die Tür, welche zum Dachboden führte. Etwas zögerlich öffnete ich diese und machte das Licht an. Die Treppe knarzte, als ich langsam hochlief.
Ich hatte keine Ahnung, wann ich das letzte Mal auf dem Dachboden war. Ich öffnete die zweite Tür und sofort schlug mir die stickige, heiße Luft entgegen. Ich atmete einmal tief durch und versuchte nicht an all die Spinnen zu denken, welche hier möglicherweise hausten. Meinen Blick ließ ich über die ordentlich sortierten Kartons schweifen. In diesem Moment war ich mehr als dankbar, dass meine Mutter ein mehr als ordentlicher Mensch war. Als ich über die Holzdielen lief, knarrten diese unter meinem Gewicht. Ich sah mir die Beschriftung auf den Kartons an.
Weihnachtsschmuck
Kinderkleidung
Altes Geschirr
Kinderspielzeug
Immer frustrierter ging ich von einem Karton zum nächsten, aber erfolglos. Als ich kurz davor war, einfach aufzugeben und alles zu vergessen, sah ich aus dem Augenwinkel einen Karton, der in der ganz weit hinten stand, beinahe versteckt hinter zwei weiteren Kartons. Hätte ich in meiner verzweifelten Wut vorhin nicht alle Kartons hin und hergeschoben, dann wäre mir dieser Karton wohlmöglich nie ins Auge gefallen. Mit ein bisschen Kraftaufwand zog ich den Karton aus der Ecke und sah mir die Beschriftung an.
MP
Verwirrt versuchte ich, eine Verbindung herzustellen, aber diese Buchstaben sagte mir nichts. Als ich den Karton öffnen wollte, fiel mir auf, dass er mit Klebeband zugeklebt war. Seufzend rannte ich nach unten in die Küche und griff nach der Schere. Damit ließ sich der Karton problemlos öffnen und schließlich sah ich den Inhalt.
Doch im ersten Moment wurde ich kein bisschen daraus schlau.
Es waren viele Papiere.
Viele Fotos.
Und ganz auf dem Boden ein roter Haarreifen, mit einer großen Schleife. Langsam sah ich mir einige der Fotos an. Sie waren alle schwarzweiß, aber dennoch gut erkennbar. Das erste Foto zeigte ein Mädchen, welches mit großen Kulleraugen in die Kamera gestarrt hatte. Sie schien noch sehr klein zu wirken. Das nächste Foto zeigte erneut das Mädchen. Dieses Mal jedoch stand sie und ein kleiner Koffer stand neben ihr. Danach sah ich ein Foto mit einer streng wirkenden Frau, die das Mädchen an der Hand hielt, wobei das Mädchen sehr verängstigt wirkte. Das nächste Foto zeigte erneut das Mädchen und schließlich ein Ehepaar, welches mir zu bekannt vorkam. Immer schneller schaute ich die Fotos an, wobei mein Herz zu rasen begann. Die verbliebenen Fotos waren nicht mehr schwarzweiß, sondern in Farbe. Es zeigte immer wieder das gleiche Mädchen, meistens mit dem Ehepaar. Anscheinend waren einige Jahre dokumentiert worden, denn das Mädchen war größer auf jedem Bild. Irgendwann konnte ich nicht mehr und warf die Fotos zurück in den Karton. Ich war geschockt, denn in diesem Moment hatte ich mit all den Fotos meine eigene Kindheit durchgeblättert...
Langsam griff ich nach einem der Papiere und als ich las, was darauf stand, wurde mir beinahe schlecht. Taub und geschockt ließ ich das Papier zurück in den Karton fallen und starrte in die Luft. Für einen Moment hatte ich erwartet, dass ich weinen würde.
Aber meine Augen waren ganz trocken.
Ich fühlte nicht einmal etwas in mir.
Nur diese Taubheit.
Doch in diesem Moment konnte ich verstehen, dass meine Eltern mir nie Kinderfotos von mir gezeigt hatten.
Ich verstand nun, warum ich nie bei einem richtigen Arzt war.
Ich verstand nun, warum meine Eltern immer so beschützend waren.
Ich verstand nun vieles.
Ich verstand nur nicht wieso.
Komplett taub packte ich alle Dokumente wieder in den Karton und verschloss ihn sorgfältig. Ich fand sogar Klebeband, mit dem ich den Karton wieder zukleben konnte. Dann schob ich ihn zurück in die Ecke und versteckte ihn hinter den anderen zwei Kartons. Noch immer taub lief ich die Treppe herunter und schloss die Tür des Dachbodens hinter mir. Ich lief in mein Zimmer und legte mich in mein Bett.
Taub.
Teilnahmslos.
Verwirrt.
Irgendwann rasselten Schlüssel in der Eingangstür und ich hörte, wie meine Mutter das Haus betrat. Sie stellte die raschelnden Einkaufstüten ab und kurz danach fiel etwas scheppernd zu Boden.
Es war mir egal.
Meine Mutter fluchte und dann wurde der Staubsauger angemacht.
Taub.
Teilnahmslos.
Schritte erklangen auf der Treppe und ich schloss meine Augen. Meine Tür wurde geöffnet und ich konnte hören, wie meine Mutter in mein Zimmer kam. Als sie mich jedoch sah, ging sie wortlos wieder. Wahrscheinlich dachte sie, dass ich schlief.
Es war mir egal.
Meine Augen blieben geschlossen. Mein Mund blieb geschlossen, trotz des Schreis, der in meiner Kehle steckte.
Taub.
Teilnahmslos.
Mein Herz blieb geschlossen.
Es war mir egal.
Meine Kindheit hatte ich mit den Fotos und Dokumenten in dem Karton auf den Dachboden verstaut...
„Zum Glück ist endlich Freitag!", seufzte Sarah leidend auf und warf ihren Kopf in den Nacken.
Ich nickte und sagte: „Ich bin nicht nur reif fürs Wochenende, sondern eher für Sommerferien."
„Das dauert aber leider noch ein paar Monate.", meinte Sarah daraufhin und wir kicherten.
In diesem Moment befanden wir uns in Bio und versuchten die Tatsache zu ignorieren, dass es erst die zweite Stunde am Tag war.
„Warum warst du gestern eigentlich nicht in der Schule?", fragte Sarah, während sie mit ihrem Stift auf einem leeren Blatt Papier herumkritzelte.
Ich zuckte mit den Schultern und antwortete gespielt locker: „Mir ging es nicht so gut und meine Mutter hatte Angst, dass ich die Grippe kriegen würde."
Am Ende des Satzes schluckte ich einmal, ließ es mir aber nicht anmerken.
Nachdem ich gestern auf dem Dachboden war, hatte ich den restlichen Tag in meinem Bett verbracht. Weder auf mein Handy, noch auf das Haustelefon hatte ich reagiert. Außerdem war ich nicht zu den Mahlzeiten nach unten gegangen. Meine Mutter brachte mir irgendwann eine Suppe hoch, doch ich stellte mich schlafend.
„Deine Eltern sind so beschützend.", stellte Sarah fest: „Ich kenne kein Mädchen in unserem Alter, das nicht alleine in die Mall gehen darf."
Ich erwiderte nichts darauf und zuckte nur erneut mit meinen Schultern. Ich hatte mich mit der Zeit daran gewöhnt, dass meine Eltern einen größeren Beschützerinstinkt hatten, als andere Eltern. Doch seit gestern wusste ich nun, dass sie damit nie mich beschützen wollten. In meinem Kopf herrschte ein einziges Chaos und deswegen bekam ich kaum mit, wie der restliche Schultag einfach an mir vorbeizog. Ehe ich mich versah, endete die letzte Stunde und Mike holte mich von meinem Klassenzimmer ab. Wir liefen gemeinsam durch die Schule und hingen unseren eigenen Gedanken nach.
Während wir nach Hause fuhren, dachte ich daran, was Liam mir gestern Morgen gesagt hatte.
„Keine Sorge, Lily. Ich werde dir mit dem nächsten Schritt helfen."
Was meinte er damit?
Ich hatte bereits festgestellt, dass Liam unberechenbar sein konnte, aber dennoch würde selbst er Grenzen kennen...oder?
Schnell schüttelte ich meinen Kopf und verscheuchte diesen Gedanken, denn ich war mir sicher, dass Liam so etwas nicht tun würde.
Zuhause angekommen verlief alles wie immer, was mir ein kleines Gefühl von Sicherheit bereitete. Meine Mutter kochte das Abendessen, während ich mich mit meinen Hausaufgaben ablenkte und Mike zum Sport ging. Gegen vier Uhr nachmittags kam auch mein Vater und aus irgendeinem Grund war ich merkwürdig beruhigt, als die gesamte Familie wieder unter einem Dach war.
Der restliche Nachmittag verlief weiterhin ereignislos, bis es draußen langsam dunkel wurde. Grace spielte am Küchentisch mit ihren Puppen, während meine Eltern zusammen ein Glas Wein tranken und sich leise unterhielten. Ich saß im Wohnzimmer und zappte durch verschiedene Kanäle, nur um festzustellen, dass absolut nichts im Fernseher lief. Irgendwann hörte ich, wie ein Auto vorfuhr und dann näherten sich mehrere Schritte unserer Haustür.
Ein forsches Klopfen folgte und ich rief meinen Eltern zu: „Ich geh schon."
Mit schlurfenden Schritten ging ich zur Haustür, während ich die Blicke meiner Eltern in meinem Nacken spüren konnte. Als ich die Tür öffnete, wurde ich geblendet. Helles Licht schien mir entgegen und ich kniff meine Augen zusammen.
Dann schien auf einmal alles ganz schnell zu gehen.
So schnell, dass mein Gehirn die ganzen Eindrücke kaum verarbeiten konnte.
Meine Mutter schrie auf und Grace begann zu weinen, während mehrere Männer an mir vorbeistürmten und mich nicht zu beachten schienen.
„Polizei! Heben Sie ihre Hände!"
Geschockt stand ich an der Tür und beobachtete alles. Mike kam die Treppe heruntergerannt, blieb aber stehen, als er das Schauspiel sah. Auch ich stand wie festgefroren an meinem Platz, eine Hand noch immer auf dem Türgriff.
„Was ist hier los?", fragte Mike mich, aber ich zuckte nur mehr als hilflos mit den Schultern.
Meinen Eltern wurden Handschellen angelegt und plötzlich lief eine Frau an mir vorbei. Sie trug ebenfalls eine Polizeiuniform und lief auf Grace zu, die weinend am Tisch saß. Mütterlich kniete sich die Frau vor meine kleine Schwester, sprach kurz mit ihr und griff dann nach ihrer Hand.
„Lassen Sie meine Schwester in Ruhe!", rief Mike verzweifelt.
Meine Mutter weinte und mein Vater warf den Polizisten wütende Blicke zu, während er leicht gegen sie ankämpfte. Es sah beinahe so aus wie eine Szene aus einem schlechten Krimi.
„Bringen Sie die Kinder hier raus.", wies ein Polizist die Frau an, welche nickend der Anforderung nachkam.
Sie zog Grace mit sich und deutete auch Mike und mir an, ihr zu folgen. Doch mein Blick blieb an meinen Eltern hängen.
Wie konnte ich sie in so einer Situation alleine lassen?
Wie konnte ich jetzt einfach mit fremden Menschen mitgehen?
„Was ist hier los? Ich werde Sie verklagen!", rief mein Vater wütend.
Mittlerweile war die fremde Frau bei mir angekommen und sprach auf mich ein, aber ihre Worte erreichten mich nicht. Stattdessen war ich noch immer auf meine Eltern fokussiert, verzweifelter denn je wirkten.
Das war alles nicht real.
Das konnte alles nicht real sein.
„Mr. und Mrs. Martins, alles was Sie sagen kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet. Sie haben das Recht auf einen Anwalt und sollten Sie sich keinen leisten können, dann wird Ihnen einer zur Verfügung gestellt. Sie sind bis auf weiteres festgenommen und werden nun in Verwahrsam gebracht. Der Grund für Ihre Festnahme ist mutmaßliche und mehrfache Kindesentführung."
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