Kapitel 17

Wippend sitzt Mai auf der hölzernen Bank, mit dem Klemmbrett auf dem Schoß und beobachtet das Geschehen auf dem Spielfeld aufmerksam. Schon einige Notizen hat sie sich zur Verbesserung jedes einzelnen gemacht, denn das ist schließlich eine der vielen Aufgaben einer Managerin.

Sehr strukturiert ist die grauhaarige und deshalb hat sie vorbildlich für jeden Spieler eine Seite angelegt, auf der sie Stärken und Schwächen verzeichnet. Auf jeder Seite hat das Mädchen etwas geschrieben, außer auf einer, nämlich der des Kapitäns. Oikawa scheint nahezu perfekt zu sein, noch keinen einzigen Fehler hat der Zuspieler sich erlaubt und seine Bälle und Aufschläge sind immer perfekt gespielt worden. Wie soll sie denn dort etwas auf seiner Seite vermerken?

Nachdem das Spiel zu Ende ist und die Mannschaft sich um die hölzerne Bank, auf welcher Mai und die beiden Trainer sitzen, versammelt hat, beginnt die Besprechung und Analyse des vorigen Trainingsspiels. Während alle Spieler gespannt den Worten von Coach Irihata folgen, geht die grauhaarige durch die Reihen und überreicht jedem der Jungen ihre angefertigte Analyse und unterhält sich kurz knapp mit jedem. Nur Oikawa bleibt aus und argwöhnisch beobachtet er Mai dabei, wie sie allen einen Zettel in die Hand drückt, außer ihm, anscheinend hat sie keine Lust mit ihm zu reden. Schmollend verschränkt Tooru seine Arme vor der Brust und starrt ins Leere, dem Trainer nur halb zuhörend.
Verspürt er gerade etwa etwas wie Eifersucht?

Warum gibt die grauhaarige jedem einen Zettel, außer ihm? Oikawa muss sich eingestehen, dass es ihn sogar einwenig verletzt, dass er als einziges ausgelassen wird. Aber wenn Mai meint, ihn ignorieren zu müssen, dann wird auch er sie jetzt nicht mehr beachten.

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Müde reibt das Mädchen sich die Augen und lässt sich auf ihr Bett fallen. Insgesamt hat ihr der heutige Trainingstag sehr viel Spaß bereitet, doch muss die grauhaarige zugeben, dass sie unglaublich fertig ist. Am liebsten möchte sie sich einfach nur in die kuschlige Decke mummeln und sofort einschlafen, doch vorher muss Mai sich noch umziehen.

Nachdem sie schnell in ihren Schlafanzug geschlüpft ist und sich im Bad einwenig frisch gemacht hat, liegt die blauäugige nun in ihrem Bett und starrt an die Decke. Aufhören kann sie nicht damit, an Oikawa zu denken, welcher sich den ganzen Tag schon total komisch gegenüber ihr verhalten hat. Nicht einmal beim Abendessen hat er sich zu ihr und Iwa gesetzt, wie er es doch noch beim Mittag getan hatte. Irgendetwas muss passiert sein mit dem Zuspieler, doch komplett ratlos ist das Mädchen, denn sie hat überhaupt keinen blassen Schimmer. Tooru ist der grauhaarigen nämlich ein totales Rätsel.

Gähnend dreht das Mädchen sich einmal in ihrem Bett um und versucht jegliche Gedanken an den Zuspieler zu verdrängen, um wenigstens etwas Schlaf und Ruhe zu finden. Nach etlichen Stunden, in denen Mai bloß stumm da liegt und über das Gefühlschaos, welches in ihr herrscht nachgedacht hat, schläft sie schließlich doch ein.

Kaum später schlägt die grauhaarige auch schon wieder ihre Augen auf und blickt verdattert im Raum umher. Ein lautes Knarren hat das Mädchen aus ihrem Schlaf gerissen und mit zusammengezogenen Augen mustert sie ihr Zimmer, welches sie vor Dunkelheit kaum wahrnehmen kann. Gerade als sich Mai wieder zu Bett begeben will, da sie sich sicher ist, dass all dies gerade nur Einbildung gewesen ist, packt sie etwas an ihrem Handgelenk.

Erschrocken fährt das Mädchen hoch und blickt in die geröteten Augen ihres eigenen Vaters, welcher seine Tochter feste gepackt hat. Der Atem des Mannes prallt der blauäugigen direkt ins Gesicht und sie kann den Alkohol förmlich riechen, mal wieder ist ihr Vater betrunken.

„Habe ich dich doch."

Nur ein leises Beben ist die verwaschene Stimme des Mannes und mit einem Mal hat er sein eigenes Kind vom Bett heruntergezerrt und auf den Boden geschmissen.

„Warum bist du bloß so eine Enttäuschung? So schwach und hässlich...du verdienst es erst gar nicht geliebt zu werden Mai. Nur deinetwegen ist deine Mutter gestorben, wärst du gut genug gewesen, dann wäre sie vielleicht noch hier."

Schluchzend presst das Mädchen sich die Hände auf die Ohren, um den scheußlichen Worten ihres eigenen Vaters keinen Glauben zu schenken. Zu weinen hat sie begonnen und langsam bahnen sich einzelne Tränen ihre geröteten Wangen hinunter.

Der ihr so fremden Mann hat sich inzwischen vom Bett erhoben und steht nun direkt vor seiner Tochter, um auf sie herabzublicken. Verächtlich schnaubt er einmal auf und mustert sein eigenes Kind angewidert.

„So schwach. Du verdienst keine Liebe, sondern nur Leid."

Mit diesen Worten holt Mai's Vater einmal aus und ist im Inbegriff auf seine einzige Tochter einzutreten, als diese panisch zu schreien beginnt.

Schweißdurchnässt sitzt Mai kerzengerade in ihrem Bett und blickt schweratmend im Raum umher. Ihren Vater kann die grauhaarige nirgends ausmachen und feststellen muss sie, dass all dies bloß ein Alptraum gewesen ist. Trotzdem schafft das Mädchen es einfach nicht sich zu beruhigen und rasend bahnen sich weitere Tränen ihre Wangen hinunter, welche hinab auf ihre Bettdecke fallen.

Zusammengekauert sitzt Mai eine Weile stumm auf ihrem Bett, bis sie sich entscheidet aufzustehen, denn einwenig frische Luft würde ihr jetzt gut tun. Durchgehend ist das Herz der grauhaarigen nämlich heftig am schlagen und schon immer hat ihr frische Abendluft geholfen, wenn sie sich beruhigen wollte.

Schlüpfen tut die blauäugige in ihre Trainingsjacke und einfache Adidas Latschen, denn lange will sie sich draußen nicht aufhalten. Leise öffnet das Mädchen ihre Zimmertüre und schlüpft hinaus in die erdrückende Stille. Vorsichtig tappst Mai die Treppen der Herberge hinab, bis sie schließlich am Ausgang angekommen ist und erleichtert die schwere Metalltüre aufdrückt.

Mit einem Mal wehen der grauhaarigen frische Winde ins Gesicht und stockend beginnen auch ihre Atmung und Herzschlag wieder normal zu werden. Nur weinen tut Mai immer noch, der Traum ist ihr so real vorgekommen und leichtfertig kann sie die Worte ihres Vaters nicht vergessen. Schon die ganze Zeit über trägt sie diese Last mit sich, verantwortlich für den Tod ihrer Mutter gewesen zu sein und auch wenn die grauhaarige weiß, dass es Blödsinn ist, kann sie die Schuldgefühle die sie plagen nicht loswerden.

Schniefend schlurft Mai hinüber zu einer Parkbank und lässt sich seufzend auf dieser nieder. Die Augen schließt das Mädchen und tief einatmen tut sie, um die Ruhe und Abend Luft zu genießen. Den Kopf legt die blauäugige in den Nacken und ruhig lässt sie ihre Beine von der Bank herunter baumeln, so als wäre sie frei und keine Last der Welt würde sie bedrücken.

Für einen klitzekleinen Moment scheint Mai all die Probleme ihres Lebens zu vergessen und entspannt richtig. Ihr alkoholkranker Vater, der Bruder der nie zuhause ist, die Misshandlungen und auch der Tod ihrer Mutter scheinen weit weg zu sein, so wie die Sonne von der Erde. Man weiß sie sind da, und doch nimmt man sie kaum wahr, denn selbstverständlich scheint all dies zu sein, sodass man keinerlei Beachtung zu schenken vermag.

Bei diesem Gedanken entgleitet Mai ein leises wimmern und mit ihrem Ärmel wischt sie sich einmal über das Gesicht, um die Tränen zu trocknen. Warum muss bloß alles so unglaublich kompliziert sein? Kann sie nicht einfach wie all die anderen sein und ein normales Leben führen, in welchem keine Misshandlungen stattfinden? In welchem die Familie nicht seit dem Tod der Mutter in Teile zersplittert ist? In welchem sie nicht Gefühle für den begehrtesten und noch dazu eingebildeten Arsch der Welt entwickelt, welcher sie seit heute auch noch ignoriert?

„Mai? Was machst du denn hier draußen?"

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Lots of love, bekki ☀️

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