Zehn

Es war Montag - endlich.

Nicht, dass Stegi Montage an und für sich besonders gerne mochte, oder er das Wochenende nicht genossen hätte - aber jetzt würde er endlich erfahren, was ihn das ganze Wochenende über mal mehr, mal weniger beschäftigt hatte. Ob er zu Tim in die Klasse wechseln durfte.

Anstelle zu seinem Klassenraum ging er nun zu Beginn der ersten Stunde also zum Direktorat. Er war früh dran, pünktlich, aber wurde dann nochmal zu warten gebeten. Zumindest vermutete Stegi stark, dass es das gewesen war, was die Sekretärin ihm hatte mitteilen wollen, als sie mit einem Blick auf die Uhr auf die Stühle im Wartebereich des Vorzimmers gedeutet hatte. Nach wenigen Minuten winkte sie ihn schließlich wieder zu sich und deutete nun auf die letzte Verbindungstür, hinter der der Direktor saß - und die gerade, als Stegi sie öffnen wollte, von selber aufging. Direkt gegenüber stand der hochgewachsene Mann, der Stegi nun mit einem Handschütteln, einem Lächeln und ein paar (wahrscheinlich freundlichen) Worten begrüßte.

Dann nahm er wieder hinter seinem Schreibtisch Platz und bedeutete Stegi, sich ihm gegenüber auf einen der Stühle zu setzen. Stegi tat es und faltete seine leicht schwitzigen Hände. Er war echt nervös.

Der Direktor tippte etwas auf seinem Computer und im nächsten Moment gab es eine Bewegung hinter ihm. Aus dem Drucker kam ein Blatt Papier. Der hochgewachsene Mann nahm es aus der Ablage und reichte es Stegi. Es war noch leicht warm, als Stegi zu lesen begann.

'Ich habe mich mit den Lehrkräften deiner Schule besprochen. Herr Kurzler, der Klassenleiter der Klasse ist, die auch Tim besucht, ist mit einem Wechsel einverstanden.' 

Das Lächeln, das sich mit jedem gelesenen Wort mehr auf Stegis Lippen geschlichen hatte, war nun so breit wie sein Gesicht - denn verdammt, das war gut, das war richtig gut!

'Er wird sich die kommenden Tage mit Herr Eichendorf austauschen und besprechen, um gemeinsam mit ihm ein Konzept zu entwickeln, wie du im Unterricht am Besten gefördert werden kannst. 

Aus pädagogischer Sicht ist es für alle von Vorteil, es zu fördern, dass du mit Tim einen Klassenkameraden hast, mit dem du dich gut verständigen kannst, der dir helfen kann, Anschluss an den Schulstoff zu finden und der im Zweifelsfall auch mal Vermitteln kann. Allerdings behalte bitte im Kopf, dass Tim kein Gebärdendolmetscher ist - auf weitere Informationen zu deinem Antrag zu diesem warten wir immer noch - sondern selbst nur Schüler und seine Zensuren nicht darunter leiden sollten.'

Sofort nickte Stegi, als er das las. Er wollte auf gar keinen Fall eine Last für Tim werden.

'Wenn ihr irgendwelche Anliegen habt, seid ihr jederzeit bei mir willkommen.'

Damit war der Text beendet und Stegi legte ihn zur Seite. Sein Grinsen war immer noch nicht von seinen Lippen gewischt und er freute sich innerlich wirklich wie ein übermütiger Welpe. Er konnte selbst noch kaum glauben, dass das tatsächlich geklappt hatte, auch wenn er es im wahrsten Sinne schwarz auf weiß vor sich liegen hatte.

Er gebärdete ein 'Danke'. Sein gegenüber würde es schon irgendwie verstehen. Anscheinend tat er das auch, denn er lächelte bloß und fragte, langsam und deutlich, sodass Stegi es tatsächlich relativ gut von seinen Lippen ablesen konnte: »Noch Fragen?«

Stegi schüttelte verneinend den Kopf und nun lächelte auch der Direktor.

»Dann ab in den Unterricht.« Er grinste, nickte mit dem Kopf in Richtung Tür und deutete auf die untere Ecke des Papiers, auf dem seine Nachricht gestanden hatte - wo die Zahl '221' stand. Die Raumnummer, in der Tims Klasse gerade war. Stegi schnappte sich den Zettel, faltete ihn ordentlich in der Mitte und steckte ihn in die Tasche. Dann stand er von seinem Stuhlt auf und ging in Richtung Tür. Er winkte noch einmal kurz zum Abschied, was der Direktor erwiderte, bevor er die Tür hinter sich vorsichtig schloss. Dann machte er sich auf den Weg durch die nun verlassenen Flure (Der Unterricht hatte vor wenigen Minuten begonnen) und zu dem Raum, der ihm genannt worden war.

Er freute sich jetzt schon - noch nie zuvor in seiner gesamten Schullaufbahn war er so motiviert in eine Unterrichtsstunde gegangen.

Er kontrollierte zwei Mal, ob die Zahl neben der Tür mit der auf dem Zettel übereinstimmte, bevor er klopfte. Auf ein »Herrein« konnte er ja schlecht warten, weshalb er die Tür nach zwei Anstands-Sekunden einfach öffnete. Es war tatsächlich die richtige Klasse. Der Klassenlehrer, ein relativ junger Mann in Jeans und Jacket, lächelte ihn an, als hätte er ihn bereits erwartet. Hatte er ja auch.

Sofort fand Stegi Tim in der Klasse, der bisher ja auch nicht gewusst hatte ob es klappte - und nun mindestens genauso breit grinste wie Stegi am Anfang. Stegi lächelte ihn zu und Tim wandte sich an seinen Sitznachbarn. Er sagte nicht viel zu ihm, also schien er das schon vorher abgeklärt zu haben, denn sein Sitznachbar (ebenfalls einer der Jungs, mit denen sie letztens Essen gewesen waren) rutschte sofort um einen Stuhl nach außen, sodass der Platz neben Tim frei wurde.

Der Lehrer hatte irgendetwas zu der Klasse gesagt und winkte Stegi nun mit einer Bewegung herein. Der fühlte sich auf einmal gar nicht mehr aufgeregt. Klar, es war eine neue Klasse, wieder neue Umstände und neue Leute, an die er sich erst gewöhnen musste und die sich erst an ihn gewöhnen mussten - aber Stegi hatte nicht den geringsten Zweifel, dass das klappen würde. 

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