Neun
'Okay, vielleicht ein bisschen.'
'Was?'
'Ein ganz kleines bisschen.'
'Wovon sprichst du?'
Marc schien keine Ahnung zu haben, was Stegi meinte. Genervt verdrehte er die Augen.
'Tim.' Marcs Worte hatten ihn nachdenklich gestimmt und während immer mehr Alkohol geflossen war, hatte er sich den ganzen Abend Gedanken darüber gemacht. Irgendwie war Tim ja schon ... cool. Und nett und überhaupt.
Jetzt schien auch bei Marc der Groschen zu fallen.
'Oh. Also magst du ihn doch?'
'Vielleicht ein bisschen ... irgendwie. Aber ... ich kenne ihn ja noch kaum.'
'Aber das, was du kennst, magst du?'
'Hää?' Entweder lag es an Stegi, oder Marc hatte auch schon ganz schön vom Alkohol gehabt und redete einfach Mist. zumindest machte diese Frage irgendwie so gar keinen Sinn. Das schien er auch einzusehen, denn er formulierte sich nochmal.
'Also ... du magst ihn ... bisher.'
'Ja.'
'Und auch ... so?'
'Vielleicht?'
'Na dann ...' Marc schien zu überlegen. 'Das ist gut. Das ist doch gut, oder?'
'Ja?' Stegi wusste auch nicht so recht. Er war eindeutig zu betrunken für so ein Gespräch. Auf einmal kam ihm ein wichtiger Gedanke.
'Aber ... selbst wenn ich ihn so mögen sollte - woher soll ich wissen, ob er auch ...'
'Schwul ist?'
Stegi nickte und Marc schien zu überlegen.
'Hat er eine Freundin?'
'Nein?'
'Gut.'
Stegi musste grinsen. Ja, das war dann wohl gut. Wenn er Tim denn wirklich so mögen sollte. Konnte man das überhaupt schon sagen, wenn man jemanden erst so wenig kannte? Aber der Grundsatz dafür war auf jeden Fall schon da. Erschöpft ließ er sich auf das Wohnzimmersofa sinken. Die Anderen hatten gerade angefangen, am Esstisch eine Runde Bierpong zu spielen, weshalb sie diesen Teil des Zimmers erstmal ganz für sich hatten. Das war gut, denn Stegi wollte nicht unbedingt, dass gleich jeder Bescheid wusste über sein Liebes- oder auch Nichtliebesleben.
'Warte einfach ab erstmal.' Marc setzte sich zu ihm auf das Sitzmöbelstück. 'Schau, wie es sich entwickelt und wenn sich irgendetwas ergibt, irgendeine Gelegenheit, dann wirst du es schon merken. Und wenn nicht, kannst du immer noch versuchen, ihn danach zu fragen. Was oder ... wen er so liebt.'
Stegi nickte und ließ sich die Worte seines Freundes durch den Kopf gehen. Für seinen Pegel an Alkohol klang das erstaunlich vernünftig.
'Ja.'
'Ja?'
'Ja.' Stegi grinste.
'Und zur Not treffen wir uns mal alle zusammen, trinken was, wir füllen ihn geschickt ab, bis er seinen eigenen Namen nicht mehr gebärden kann und sperren euch dann zusammen ins Schlafzimmer. Das klappt schon.'
Nun musste Stegi wirklich und ehrlich grinsen. Auch, wenn Marc natürlich nur Witze machte (irgendwie zumindest), wusste er, dass das Angebot dahinter ernst gemeint war. Seine Freunde würden ihn unterstützen, wenn er Hilfe bräuchte - und sei es nur mentaler Beistand. Und irgendwie wollte er inzwischen wirklich, dass Tim sie mal kennenlernte. Und sie Tim. Und überhaupt er selbst Tim - also besser kennenlernte. Eigentlich so wirklich kannte er ihn ja noch gar nicht. Und dafür, wie wenig er ihn eigentlich kannte, fand er ihn schon verdammt gut - und vor allem war er gerade verdammt betrunken.
'Mir ist schlecht.'
Er ließ sich gegen Marcs Schulter sinken, der ihn besorgt ansah.
'So richtig schlecht? Musst du ins Bad?'
'Nee. Nur schlecht.'
Beruhigt nickte sein Freund. (Stegi konnte sich vorstellen, dass er es wenig angenehm gefunden hätte, hätte er ihm jetzt hier auf den Wohnzimmerteppich gekotzt)
'Mir auch.'
'Nie wieder Alkohol', beschloss Stegi, während er die Augen kurz schloss, damit sein Kopf sich beruhigen konnte. Als er sie wieder öffnete, stimmte Marc ihm zu.
'Nie wieder.'
Kurz schwiegen sie.
'Zumindest bis nächstes Wochenende.'
'Höchstens', stimmte auch Stegi zu.
'Willst du noch was?'
'Ja, bitte.'
Sie grinsten - so schlecht war es ja jetzt auch nicht. Und sie waren Teenager, es war ihr Job, sich hemmungslos zu betrinken. Da machte es überhaupt keinen Unterschied, ob sie hören konnten oder nicht - bloß dass sich bei ihnen noch nie ein Nachbar beschwert hatte, weil sie zu laut gewesen waren. Etwas betröppelt richtete Stegi sich auf, damit Marc ihnen neue Getränke holen konnte. Als er zurückkam stießen sie an und Stegi probierte - mehr Cola als alles andere. Das war gut. Allzu viel würde er wirklich nicht mehr vertragen.
'Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, hören zu können.'
'Wie kommst du jetzt darauf?'
'Keine Ahnung. Wie ist das?'
Marc zuckte mit den Schultern.
'Ich weiß es nicht mehr so recht. Auch nicht viel besser als das hier.'
Er selbst war erst mit acht Jahren ertaubt - und seit dann kannte Stegi ihn. Am Anfang war es verdammt schwer für ihn gewesen, dafür fühlte er sich aber zum Beispiel mit dem Sprechen sicherer - was er ja noch hörend gelernt hatte und nicht wie alle, die taub geboren oder sehr früh ihr Hören verloren hatten erst schwerfällig durch Sprachtherapie hatten lernen müssen. Wenn überhaupt - Stegi hatte das relativ schnell aufgegeben. Er hatte lange Zeit fast nur mit Gehörlosen und anderen, die die Gebärdensprache beherrschten, zu tun gehabt - und das Sprechen hasste er. Er konnte es nicht ausstehen, Laute von sich zu geben, die er selbst nicht hören konnte - und nie zu wissen, wie sehr er sich damit gerade blamierte. Und bisher war es auch immer irgendwie ohne gegangen. Er war nicht der Einzige Taube, der nicht sprach (nicht mit Worten), und es ging immer irgendwie. Grundsätzlich war es Stegi in seinem Leben schon immer so gegangen. Egal, was er sich vorgenommen hatte - es hatte immer irgendwie funktioniert. Und er hatte nicht vor, auch nur einen seiner Träume aufzugeben, nur weil er nicht hören konnte.
~~~
So, um mal langsam die zwei fehlenden Kapitel aufzuholen heute ein Doppel-Upload.
Marc ist übrigens eine real existierende Person, wie Tim und Stegi hier aber ooc (out of charakter = verhält sich nicht wie er es in echt tun würde). Er hat eine Zeit lang regelmäßig gestreamt und ist wie Umut ein Freund von Stegi.
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