Elf
Der erste Schultag, an dem Stegi neben Tim saß, wurde zugleich zu der unterhaltsamsten, den Stegi seit seinem Schulwechsel erlebt hatte. Vom Unterricht selber hatte er nicht allzu viel mitbekommen - sie hatten nur sehr wenig Zeit damit verbracht, wirklich mitzuarbeiten und umso mehr damit, sich zu unterhalten. Und dank lautloser Gebärdensprache störte sich auch kein Lehrer so wirklich daran - den Unterricht hielten sie damit ja nicht auf. Auch wenn Stegi stark vermutete, dass das Mal wieder sein Welpen-Bonus war - es war sein erster Tag in der Klasse und man wollte ihn sich erstmal einleben lassen. Die Minuten zwischen den Stunden verbrachte er mit Tims Freunden. Irgendwann begannen sie, sie nach einfachen Gebärden zu fragen - und Tim und Stegi hatten eine riesige Freude daran, ihnen ein paar davon zu zeigen. Sie amüsierten sich köstlich über ihre Versuche, ihre Bewegungen nachzumachen und Stegi war wirklich, wirklich glücklich, einfach über die selbstverständliche Alltäglichkeit der Situation. Als er Tims Blick einfing, fiel ihm sofort sein Lächeln auf - und irgendetwas daran fing seine Aufmerksamkeit ein.
'Was?'
Tim grinste einfach weiter.
'Dein Lachen.', erklärte er, und sofort presste Stegi die Lippen zusammen. Ja, er war glücklich gewesen, hatte einen Moment lang nicht nachgedacht - und gelacht, ja. Natürlich war Lachen eigentlich etwas schönes und gutes - aber Stegi hasste es, Geräusche von sich zu geben und sich selbst nicht dabei hören zu können. Klar, grinste er, klar lächelte - aber eigentlich lachte er nicht. Nicht laut. Nicht, wenn es sich vermeiden ließ.
Tim hatte seinen Stimmungswechsel natürlich mitbekommen und auch das Lächeln auf seinen Lippen wurde ernster. Er schien zu ahnen, was Stegi beschäftigte - man merkte einfach immer wieder, dass er wirklich Erfahrung im Umgang mit Gehörlosen hatte.
Tims Hand legte sich auf Stegis Unterarm, beruhigend und beschwichtigend. Mit einer Hand fuhr er die Umrisse seines Kinns nach, ohne aber sein Gesicht zu berühren - ein Bisschen so, als würde er einen imaginären Bart streichen. 'Schön.' Stegi zog die Augenbrauen hoch und sofort erklärte Tim sich.
'Dein Lachen. Es klingt schön.'
Irgendwie unsicher zuckte Stegi mit den Schultern. Er wandte das Gesicht ab, als er merkte, wie ihm die Hitze in die Wangen stieg und er eindeutig rot wurde. Er war wahnsinnig erleichtert, als der Lehrer zeitgleich den Unterricht fortfuhr und so Tims Aufmerksamkeit und die der Anderen wieder auf sich zog. Es musste jetzt nicht unbedingt jeder wissen, dass er wegen so etwas errötete - wobei »erröten« fast schon untertrieben war - er fühlte sich in etwa so rot wie ein Feuerwehrauto.
Vor allem wusste er nicht einmal, warum ausgerechnet diese Worte in ihm so etwas auslösten - war es, weil es Tim war, der sie gesagt hatte? Das war süß gewesen, ohne Frage.
Oder waren es die Worte selber? Ein Kompliment zu bekommen für so etwas privates, das ihm so nahe ging und mit dem er sich so unsicher war.
Und höchstwahrscheinlich war es ein Bisschen von beidem.
Obwohl Tim natürlich nicht wusste, was gerade in Stegi vorging, gab er ihm zum Glück genug Zeit, sich wieder zu beruhigen und zeitgleich, wie er merkte, dass die Hitze in seinen Wangen nachließ, konnte er sich auch wieder ein wenig entspannen.
Es dauerte nur ein paar Minuten, in denen Tim anscheinend wirklich dem Unterricht folgte, bis er wieder ein paar Gebärden an ihn richtete - die Stegi zum Grinsen brachten.
'Manchmal beneide ich dich ja. Ich würde gerade sehr viel geben, mir dieses Geschwafel da vorne nicht anhören zu müssen.'
'Hat auch Vorteile.'
Stegi lächelte nun wirklich wieder. Tim schaffte es so einfach, ihn irgendwie aufzuheitern - sich mit ihm zu unterhalten war so einfach, so selbstverständlich. Und Stegi mochte es, mochte es wirklich, dass er keine Angst vor dem Thema Taubheit hatte, keine Angst hatte, etwas falsches zu sagen oder ihn zu verletzen - dass er es wie den selbstverständlichen Teil in Stegis Leben behandelte, der es ja auch war.
Viele Taube umgaben sich bewusst nicht mit Hörenden - es war immer kompliziert, oft mühsam und häufig war die Distanz einfach doch zu groß, die Leben zu verschieden.
Stegi war noch nie so jemand gewesen - Distanzen waren dazu da, überwunden zu werden. Aber mit Tim war alles so einfach. Er war Hörend, aber er kannte Stegis Welt, war mit ihr aufgewachsen. Es war schön, es war angenehm und es war einfach, so einfach, dass Stegi kaum genug davon kriegen konnte.
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Entschuldigt bitte die ganzen fehlenden Updates - mich hat es leider erwischt, die Nachwehen meiner Mandelentzündung von diesem Herbst und mir ging es die letzten Tage echt beschissen. Jetzt aber gebe ich mein Bestes, das aufzuholen, was ich hier verpasst habe!
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