Kapitel 44
"When two people really care about each other, they always find a way to make it work. No matter how hard it is."
Kay;
Die Stimmung war komisch als wir am Esstisch saßen. Normalerweise redeten wir über alles, doch jetzt schwiegen mein Vater bereits das gesamte Abendessen lang. Etwas, was normalerweise definitiv nicht seine Art war. Auch Lara hatte diese merkwürdige Stimmung gespürt und sah mich bereits immer wieder verwirrt an – als könnte ich irgendwelche Antworten darauf geben. Lara war in der Regel die Person, die solche Sachverhalte besser durchschauen konnte. Doch in dieser Situation waren wir beide überfragt. Selbstverständlich gingen meine Gedanken immer sofort zu unserer Beziehung. Was ist, wenn alles ans Licht gekommen war?
"Dein Vater weiß jetzt auch Bescheid und er weiß auch, dass Kay Marc's Stieftochter ist, also gibt es keinen Grund mehr für die Lügen", meinte Marie und durchbrach damit die unangenehme Stille, doch danach machte sich erneut eine Stille breit, nur dieses Mal voller Angst. Lara hatte mir, bevor wir zu ihrem Vater gefahren sind, mehrfach zugesichert, dass er auch falls unsere Beziehung rauskommen würde, darauf sehr liberal reagieren würde. Sonst hätten wir unsere Beziehung auch vor ihm geheim gehalten.
Lara schaute mich nach Marie's Worten leicht alarmiert an, doch ihr Gesichtsausdruck veränderte sich sofort, als sie meinem schockierten sah. Sie versuchte mich sichtlich zu beruhigen, allerdings funktionierte das nur begrenzt. Mir war vor lauter Angst bereits schlecht und brachte keinen einzigen Bissen mehr herunter – egal, wie gut das Essen immer schmeckte.
"Das ist aber schön", brachte Lara mühsam heraus und jeder, der sie auch nur etwas kannte, würde sofort wissen, dass sie log. Immerhin war ihr der Appetit nicht komplett vergangen. Allerdings vermutete ich, dass sie sich nur weiter aß, um nichts sagen zu müssen. Was, wenn man noch weiter essen konnte, wirklich eine sehr gute Strategie war. Mir wurde mittlerweile übel und am liebsten wollte ich einfach nur aufstehen, mich in mein Bett verbragen und so tun, als wäre nicht gerade meine komplette Beziehung kaputt gegangen.
Lara sah mich eindringlich an. Anscheinend war sie der Meinung, dass ihr Vater unsere Beziehung niemals öffentlich machen würde und wir deswegen nichts zu befürchten hatten. In diesem Punkt vertraute ich ihr selbstverständlich, meine Angst war, dass unsere Eltern unabhängig davon draufkommen würde. Wir wussten schließlich nicht, ob Lara's Vater davor etwas angedeutet hatte. Wie waren wir nur in diese Situation gekommen?
"Sag mal, Lara, wie geht es dir und Anika? Wir haben sie solange nicht mehr gesehen", fragte mein Vater mit einem Lächeln und warf Marie davor einen bestimmten Blick zu. Beim Erwähnen von Anika's Namen wurde mir noch übler – auch wenn ich nicht sicher war, ob das überhaupt möglich war. Eigentlich sollte das definitiv nicht möglich sein.
"Wir haben uns getrennt", erwiderte Lara wie aus der Pistole geschossen und wandte sich dann sehr schnell wieder ihrem Essen zu. Sie wollte definitiv nicht weiter über dieses Thema reden. Mich beruhigte ihre schnelle Antwort jedoch, auch wenn ich mir keine Sorgen wegen ihr und Anika machte, das war in der Vergangenheit.
"Oh nein, willst du darüber reden, hat Anika irgendwas dummes gemacht?", fragte mein Vater sofort besorgt. Am liebsten würde ich mich in dieser Situation schützend vor Lara stellen, doch das musste sie leider allein klären. So sehr ich Lara's Vater auch vertrauen wollte, ich war mir sicher, dass unsere Beziehung nicht mehr lange geheim bleiben würde. Irgendetwas mussten wir dagegen unternehmen, wieder weniger miteinander unternehmen – alles zurück auf Anfang.
"Unsere Gefühle haben einfach nicht ausgereicht", erwiderte Lara kurz und ihr Tonfall machte klar, dass sie darüber nicht reden wollte. "Sie hat nichts falsch gemacht." Als sie den Satz ausgesprochen hatte, war ich erneut erleichtert, dass sich Lara so klar darüber äußerte – auf der anderen Seite konnte ich Marie's Gesichtsausdruck nicht wirklich deuten. Wenn Marie das Falsche sagen würde, dann wusste ich, dass Lara's ganze aufgestaute Aggressionen mit einem Mal rauskommen wurde.
Ich verstand mich gut mit Marie, allerdings glaubte ich, sie wollte Lara das Gefühl geben, dass sich das alles noch ändern könnte. Lara damit ein Stück Ernsthaftigkeit zurück zu nehmen, doch das war leider das Falscheste, was sie sagen konnte. Ich versuchte Marie zu signalisieren, dass sie Lara nichts sagen sollte – besonders nicht in diesem Moment. Doch ich war zu spät.
"Vielleicht war das ja alles nur eine Phase", meinte Marie ermutigend und lächelte Lara an. "Vielleicht hattest du deswegen keine Gefühle für Anika."
Nach diesen zwei Sätzen war mir klar, dass nur noch Schadensbegrenzung möglich war und nichts Weiteres. Meine Hand war bereits auf dem Weg zu Lara's, dann zog ich sie zurück. Ich konnte in dieser Situation ihre Hand nicht nehmen – so gerne ich es in dieser Situation machen würde. Auch wenn ich nicht gläubig war, hatte ich das Bedürfnis zu beten und zwar dafür dass Lara nicht ausrastete und damit alles gefährdete. Beziehungsweise damit wir, wenn wir unsere Beziehung öffentlich machten, wenigstens darauf vorbereitet wären. Leider sah ich diese Möglichkeit gerade nicht, vermutlich wäre heute Abend alles vorbei.
Ich versuchte Lara in die Augen zu schauen, aber leider ignorierte sie mich gerade vollkommen und ich konnte es in ihr brodeln sehen. Auf der einen Seite wollte ich sie nicht zurückhalten, weil ich wirklich glaubte, dass er ihr helfen würde, auf der anderen Seite wollte ich mich schützend vor sie stellen und das für sie klären.
"Was hast du nur mit deiner bescheuerten Phase?", antwortete Lara und ihre Stimme bebte vor Wut. "Kannst du nicht einfach akzeptieren, dass ich nie so sein kann wie Kay? Ich weiß seit ich fünf bin, dass ich auf Mädchen stehe und du denkst immer noch, dass das Ganze eine Phase ist? Hast du vielleicht mal überlegt, warum ich dir in diesen 10 Jahren nie gesagt habe, dass ich lesbisch bin? Nein, das musst du nicht beantworten, denn ich kann es dir beantworten. Weil du mich nie akzeptiert hast, wie ich bin. Ich durfte nicht Fußball spielen, ich durfte nicht meine Haare abschneiden, bis ich sie mir selbst abgeschnitten habe, ich hatte immer Phillip's Klamotten an, weil du mir nur Kleider gekauft hast. Aber jetzt hast du ja alles, was du jemals wolltest mit Kay!"
Langsam verstand ich, warum Lara am Anfang so ein Problem mit mir gehabt hatte, wenn sie diese Meinung die gesamte Zeit gehabt hatte. Jetzt wollte ich noch mehr ihre Hand nehmen und sie ganz festdrücken und all diese Negativität von ihr wegkuscheln. Leider konnte ich nichts davon tun, stattdessen sagte ich nichts, stocherte in meinem Essen herum.
"Manchmal wünschte ich, ich würde einfach bei Papa wohnen, statt bei dir!", meinte Lara daraufhin. "Ich bin nur hier, weil ich hier sein muss und ich die Schule nicht wechseln durfte. Das einzig Gute, was hier passiert ist, ist Kay. Und jetzt entschuldigt mich, ich gehe lieber dahin, wo mich jemand akzeptiert."
"Lara Rosalie Bauer", sagte Marie mit einem sehr bestimmten Unterton. "Du bleibst hier und wir reden darüber, wie Erwachsene."
Mein Instinkt, Lara in den Arm zu nehmen und sie ganz fest zu drücken, wurde immer größer. Ich wollte ihr zeigen, dass ich bei ihr war, ohne unsere Beziehung öffentlich zu machen. Leider fiel mir nicht wirklich ein, was ich tun konnte. Auf der anderen Seite, was gab es Wichtigeres, als dass es Lara gut ging? Mit klopfendem Herzen legte ich meine Hand auf ihre Schulter. Ich spürte wie sich Lara unter meiner Berührung sofort entspannte und Teile ihrer Wut entwichen. Allerdings spürte ich auch den Blick von Marie und meinem Vater auf uns, konnten sie etwas zwischen uns sehen?
"Über was sollen wir noch reden? Ich kann in deinen Augen nichts richtig machen, alles was ich mache ist nur eine Enttäuschung für dich. Ich sehe keinen Sinn in diesem Gespräch und es tut mir wirklich leid, dass du mich noch solange ertragen musst", erwiderte Lara. Das einzige, was ich fühlte für sie, war Mitgefühl. Wie schlimm musste es sich anfühlen, diesen Hass zu spüren. Unabhängig ob es objektiv wirklich so schlimm gewesen war, war es Lara doch einfach nur die Hölle mit dieser Stimmung jeden Tag zu leben.
Ohne wirklich nachzudenken zog ich Lara in meine Arme. Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Marie und ich waren immer gut ausgekommen, doch wenn ich Lara so hörte, bekam ich so eine Wut auf jeden, der ihr das Gefühl nicht genug zu sein, nicht geliebt zu sein. Was mich noch mehr aufregte, war, dass ich all das in diesem Moment nicht so wirklich zeigen, ohne dass ich unsere Beziehung verriet. Doch was war wichtiger?
"Jetzt beruhigen wir uns bitte alle mal wieder", meinte mein Vater ruhig und schaute mich fragend an. Ich wusste nicht genau, was dieser Blick bedeuten sollte. Deswegen schaute ich ihn nur fragend zurück an. "Jetzt lasst uns das Ganze mal etwas weniger emotional angehen. Lara, deine Gefühle sind selbstverständlich komplett berechtigt. Wir akzeptieren dich beide hundert Prozent so wie du bist. Bitte mach dir diesbezüglich keine Gedanken. Es gilt genau dasselbe für dich, wie was ich Kay damals gesagt habe. Du kannst jede Person ohne Angst mitbringen, mit der du zusammenkommst. Das Geschlecht ist total egal."
"Schau, wieso kannst du nicht so sein wie Marc", giftete Lara Marie erneut an. Allerdings beruhigte sie sich nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte schnell. "Ich meine, Marc sagt dasselbe, was du sagen wollte nur, besser verpackt und gibt einem das Gefühl, dass man keine Angst haben muss. Doch ich sehe nur wie du reagiert hast, als ich Anika mitgebracht habe und dann habe ich echt Panik, meine Freundin mitzubringen."
"Ach Lara, ich habe einfach solche Angst um dich. Es gibt so viele Menschen, die dir wegen deiner Art böses wollen. Im Kindergarten haben die Eltern über dich gelästert und wollte ihre Kinder nicht mit dir spielen lassen. Ich dachte, wenn ich dir Optionen geben, dann wird es leichter für dich. Du warst immer so traurig, dass keiner Zeit hatte, aber das lag nur daran, weil es die anderen verboten hatte. Außer Phillip's Eltern waren die meisten nicht tolerant. Du hast doch schon normal schwer im Leben und jetzt hast du es noch schwerer und ich kann dich nicht beschützen", antwortete Marie und ich sah, wie Tränen in ihren Augen standen. "Beim letzten Elternabend habe ich einige böse Kommentare über dich und Anika gehört, das tut mir einfach weh."
"Und du meinst, es tut nicht weh, wenn man nicht mal mehr von seiner eigenen Familie akzeptiert wird. Ich wusste einfach, dass du niemals meine Beziehung akzeptieren wirst. Wie soll ich mich denn fühlen? Und dein einziger Grund dafür ist, dass du ein besseres Image willst. Es ist mir egal, was andere von mir denken", erwiderte Lara. "Ich habe keine Lust mehr auf diesen Scheiß."
"Lara, nein", meinte ich sofort und griff nach instinktiv nach ihrer Hand. "Ich bin bei dir." Ohne einen Gedanken zu verlieren, fiel sie in meine Arme und ich spürte Tränen auf meiner Schulter.
Ich beobachtete mit einem Auge Marie und meinem Vater. Marie hatte definitiv einen verwirrten Gesichtsausdruck. "Ihr habt eine Beziehung." Ihr Satz war nicht als Frage formuliert. "Kay, du bist die Freundin von der Alex gesprochen hatte."
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