Kapitel 4

"Du hast keine zweite Chance einen ersten Eindruck zu hinterlassen."

Lara;

Die Liste, Gründe, wieso ich meine Mutter manchmal am liebsten umbringen würde, hatte gerade einen neuen Punkt bekommen. (Ja, diese Liste existiert wirklich):

- hat mich gezwungen ein furchtbares schwarzes Kleid zu dem ersten Treffen mit ihrem neuen Freund und meiner Stiefschwester anzuziehen

Ich hatte mir eine hübsche Hose herausgelegt. Zusammen mit einer Bluse. Sogar eine Bluse und kein Hemd. Aber nein, ich musste ja ein schwarzes Kleid anziehen. Beleidigt saß ich neben ihr im Auto und starrte auf die Straße, wieso durfte ich nur noch nicht selbst Auto fahren...

"So schlimm ist dieses Kleid doch auch nicht", versuchte mich meine Mutter zu beruhigen. "Du sieht gut darin aus."

"Doch ist es", fauchte ich wütend. "Wieso muss ich denn ein Kleid anziehen? Ist ja nicht so, als würde es dich sonst interessieren, was ich anhabe."

"Wieso willst du denn kein Kleid anziehen? Du siehst doch so süß darin aus...", erwiderte sie, total verwirrt von meiner Antwort.

"Weil ich Kleider hasse und ich nicht süß aussehen will", erklärte ich genervt und wandte mich demonstrativ meinem Handy zu. Es war eindeutig besser mit Philip zu schreiben...

Philip [19:01]: Komm schon, Süße, diesen Abend überlebst du irgendwie <3 Ich glaube ganz ganz fest an dich :3

Lara [19:03]: nein echt jetzt also wirklich, ich bin so nah dran dieses Kleid einfach zu verbrennen... ich weiß nicht mal mehr, wo das in meinem Kleiderschrank hervorkam...

Philip [19:04]: wenn du das machst... Krieg ich dann ein Bild? bitte!! Für deinen aller besten Freund auf der ganzen Welt

Lara [19:06]: du darfst es gerne mit verbrennen

Philip [19:07]: hast du es wenigstens geschafft dich gegen make up zu wehren?

Lara [19:08]: jap, das hab ich geschafft, sonst wäre ich richtig ausgerastet

Philip [19:09]: manchmal verstehe ich deine Mutter nicht...

Lara [19:10]: ich nie... ich meine wieso muss sie das tun?!? Hat sie irgendwie Spaß daran, mir immer alles zu ruinieren?!

Philip [19:11]: du überlebst das !! ich glaub an dich <33

Lara [19:12]: danke ;33

"Lara, leg dein Handy weg!", wies mich meine Mutter an. "Du hängst immer nur die ganze Zeit am Handy."

"Wieso?!", fragte ich störrisch. "Ich schreib nur mit Philip."

"Was soll das?", hakte sie nach. "Wieso machst du es mir und Marc so schwer? Kannst du nicht akzeptieren, dass es einen neuen Mann in meinem Leben gibt?"

"Ich mache es euch nicht schwer, dass einzige, was ich tue ist, dir klar und deutlich zu sagen, was ich von deiner Kleiderauswahl für mich halte", antwortete ich schnippisch. "Ich bin 16, ich kann mir alleine meine Klamotten aussuchen."

"Können wir bitte nicht jetzt darüber streiten?", bat sie mich und klang resigniert.

"Und wann dann? Wenn dein toller neuer Freund und du euch endlich wiedergesehen habt?! Oder am besten nachdem ihr beschlossen habt, zusammen zu ziehen?!", gab ich genervt zurück.

"Lara, atme mal tief ein und aus und dann lass uns heute Abend weiterreden oder morgen", schlug sie so energisch vor, dass ich mich nicht traute noch irgendetwas zu sagen. Meistens waren meine Mutter und ich ein richtig gutes Team, nur bei manchen Themen stritten wir uns total.

Die restliche Autofahrt war komplett still. Ich starrte störrisch aus dem Fenster, während meine Mutter starr auf die Straße schaute.

-

Als wir auf den Parkplatz des Restaurants fuhren und schließlich anhielten, sprang ich so schnell wie möglich aus dem Auto. Die Luft war für einen Abend am Ende des Septembers erstaunlich warm. Ich sah zu meiner Mutter und verschränkte meine Arme vor meiner Brust.

"Komm jetzt und sei nett", meinte sie nur und wir steuerten auf den Eingang des Restaurants zu. Immerhin würden wir Italienisch essen, wenigstens etwas...

Wir betraten das Restaurant, wobei mir sofort die warme Luft und ein Geruch nach gutem Essen entgegen schlug - jetzt hatte ich schon Hunger. Meine Mutter fragte einen Kellner nach der Reservierung auf den Namen 'Weiß'.

Also hoffentlich kamen die nicht darauf uns einen Doppelnamen aufzuzwingen. Bauer-Weiß klang ja mal richtig bescheuert - Weiß-Bauer übrigens genauso.

Ich sah mich um und mein Blick fiel ziemlich schnell auf einen Tisch, der etwas Abseits stand und an dem bereits ein Mann Mitte oder Ende vierzig mit einem blonden Mädchen, das ich nur von hinten sehen konnte, saß.

"Schau dahinten sind sie", meinte meine Mutter lächelnd und sagte kurz zu dem Kellner. "Ich glaube, wir haben sie schon gefunden." Zu mir meinte sie anschließend freundlich. "Komm, Lara, die beiden warten bestimmt schon."

Mir war klar, dass sie mich beschwichtigen wollte, sonst konnte sie einen guten ersten Eindruck gleich vergessen. Ich setzte ein Lächeln auf, während ich mich mental daran erinnerte, dass ich nie wieder in meinem ganzen Leben ein Kleid tragen würde.

"Hallo", lächelte meine Mutter die beiden an. Der Mann stand auf um sie mit einem Kuss - wohlgemerkt auf die Lippen - zu begrüßen. Die beiden waren ja fast wie verliebte Teenager.

"Das ist meine Tochter Lara", stellte mich meine Mutter stolz vor, mit einem Blick auf das blonde Mädchen, sagte sie. "Ich bin Marie, freut mich dich kennenzulernen. Marc hat schon viel von dir erzählt - natürlich nur gutes."

Dabei fragte ich mich, ob meine Mutter Marc auch so viel 'gutes' über mich erzählt hatte - doch irgendwie bezweifelte ich das sehr. Vermutlich hatte sie ihm nur das nötigste von mir erzählt...

"Hallo, Lara. Ich bin Marc", meinte er freundlich und wir gaben uns die Hand. Auch wenn Marc zumindest nicht unsympathisch war.

"Ich bin Kay", stellte sich schließlich seine Tochter vor und stand sogar auf, um mich in eine Umarmung zu ziehen. Also... Das war jetzt irgendwie ungewohnt... Als sie mich wieder losließ, schaute ich sie interessiert an. Kay war - wie wäre es anders möglich - größer als ich. Sie hatte lange blonde Haare und sah perfekt aus. Also wirklich perfekt. Alles an ihren Klamotten harmonierte perfekt - und ihr Lidstrich war erst einmal genial.

"Du siehst nett aus, Lara", meinte sie lächelnd. "Und dein Kleid ist auch hübsch, woher hast du es denn?"

"Aus der Hölle, da wo ich auch gerade herkomme und beabsichtige bald wieder hinzugehen", antwortete ich ohne zu Zögern und nahm mit einem Achselzucken neben ihr platz.

Sie lachte nur - fand sie das etwa lustig? Zudem war ihr Lachen richtig schön und klang einfach perfekt. Gab es denn irgendetwas an ihr was nicht perfekt war?!

"Der ist gut, muss ich mir merken", erwiderte sie, nachdem sie aufgehört hatte zu lachen. "Du bist schlagfertig, das gefällt mir." Normalerweise konnte ich Menschen leicht aus dem Konzept bringen, allerdings schien das bei Kay nicht gut zu funktionieren. Das verunsicherte mich ehrlich gesagt sehr – abgesehen davon, dass ich an Kay bis jetzt nichts negatives gefunden hatte, war sie auch noch humorvoll.

Meine Mutter seufzte, während Marc einfach nur lachte und meinte. "Lara, ich glaube, wir verstehen uns gut."

"Es freut mich so euch endlich kennenzulernen", erklärte Kay. ...das schlimme daran, sie meinte es aller Anschein auch so. Dieses Mädchen war ein verdammter Engel.

"Ich freue mich auch", meinte ich gezwungen. Nein, ich freute mich überhaupt nicht auf dieses Kennenlernen. Es fiel mir unter diesen ganze Umständen - Kay war zu freundlich, genauso wie Marc, meine Mutter war eindeutig zu begeistert von Kay - sehr schwer, nicht komplett genervt rüberzukommen.

"Ja, dann würde ich sagen, bestellen wir doch mal?", schlug Marc vor. "Das Essen soll hier richtig richtig gut sein."

-

Ich hatte Hunger - und außerdem schon wieder Regelschmerzen... Und das vegetarische Essen in diesem Restaurant klang auch nicht so besonders.

"Ich geh mal kurz auf die Toilette", entschuldigte ich mich und stand auf. Ich hatte mich geweigert meine Jacke auszuziehen, wofür meine Mutter mir übrigens einen tadelnden Blick zu geworfen hatte. Da war nämlich mein lebensrettendes Handy drinnen. Genauso wie meine Tampons - also beides sehr essentiell.

"Ich begleite dich", meinte Kay freundlich und stand mit mir auf. Ihr Ernst jetzt?!

"Okay", erwiderte ich nur und ging vor zu den Toiletten. Wie immer stellte ich mir die gleiche Frage... Wieso gab es keine geschlechtsneutralen Toiletten?

Kay ging hinter mir her und ganz ehrlich.... Dieses Mädchen war nicht normal, sie lief einfach mal so auf gefühlt zehn Zentimeter Absätzen und lief damit besser und sicherer als ich auf keinen Absätzen. Ich schaffte es auch barfuß zu stolpern.

"Ich finde es so schön dich endlich kennenzulernen", meinte sie nochmal und legte mir einen Arm um die Schulter. "Mein Vater hat so viel über dich erzählt... Also was eben Marie ihm erzählt hat."

"Ich freue mich auch wahnsinnig", erwiderte ich nur halb-glaubhaft und verschwand schnell in die Kabine. Meine Mutter hatte Marc tatsächlich etwas von mir erzählt?

Nach einigen Minuten war ich fertig und ging wieder raus, um mir die Hände zu waschen. Es war verdammt creepy sich die Hände zu waschen, während jemand, den man kaum kannte, einen beobachtete.

"Du bist jetzt sechzehn, oder?", fragte sie freundlich. Bei jedem anderen würde es sich nach einem kläglichen Versuch nach Smalltalk anhören, doch bei ihr klang es einfach nur freundlich.

"Ja, seitdem vierzehnten achten", erwiderte ich ziemlich genervt und trocknete meine Hände ab.

"Dafür bist du aber klein", meinte sie nur grinsend. Dieser Kommentar war sowas von ungefragt, weswegen ich sie nur kurz wütend anstarrte. Schließlich fügte sie noch mit einem entschuldigenden Lächeln hinzu. "Dann bist du ja älter als ich. Also meine große Schwester in diesem Sinne." Wirklich, wieso musste sie so freundlich und nett sein? Wieso einfach nur? Denn so konnte ich sie gar nicht nicht mögen...

"Danke, dass du mich auch noch daran erinnerst, dass ich klein bin," erwiderte ich sarkastisch und rollte mit den Augen.

Kay lachte nur und warf ihre langen blonden Haare nach hinten, als sie vor mir herging. Alles an ihr war wirklich perfekt. Ihr Rücken, ihr Arsch, ihre Klamotten. Ihr Lachen. Außerdem rochen ihre Haare nach einem wahnsinnigen tollen Shampoo. Ich glaubte, es war Erdbeere.

"Also, du bist in der elften Klasse, oder?", fragte sie interessiert, als wir uns wieder hinsetzten - warum war sie nur so... perfekt?

"Jap", antwortete ich ziemlich knapp und versuchte nicht allzu genervt zu klingen.

"Weißt du schon, was du danach machen willst?", hakte sie nach und schien wirklich ehrlich an mir interessiert zu sein.

"Medizin, wenn ich den Schnitt schaffe", antwortete ich bemüht freundlicher und beschloss, sie nun auch etwas zu fragen. "Aber genug von mir... Was kannst du mir über dich erzählen?"

Sie lächelte. "Ich hab' nach diesem Jahr meinen Realschulabschluss und werde vermutlich eine Ausbildung mit irgendetwas in Richtig Technik. Also wahrscheinlich Kfz-Mechatroniker. Ich liebe Autos oder Motorräder."

Okay... Das kam jetzt überraschend. "Das klingt cool", meinte ich und lächelte - nicht mehr nur gespielt. Vielleicht sollte ich Kay eine bessere Chance geben und ihr das alles nicht so schwer machen, sie bemühte sich ja wirklich und ihr Freundlichkeit wirkte auf mich nicht aufgesetzt.

"Gegen Medizin komm ich sowieso nicht an", antwortete Kay und ich wusste nicht ganz, ob sie es ernst meinte oder nicht.

"Ich weiß ja nicht mal, ob ich in das Studium überhaupt reinkomme", erwiderte ich. "Und der Medizinertest ist auch nicht wirklich die beste Alternative."

"Wenn du an dich glaubst, dann schaffst du das auch", meinte Kay nur. "Alles ist einfach, wenn man es nur will."

"Das ist ein Zitat aus einem Anime, oder?", fragte ich plötzlich. Phillip hatte es irgendwann geschafft mich dazu zu kriegen, Anime mit ihm anzusehen. Allerdings besonders schauten wir zusammen entweder Yuri oder Yaoi. Phillip schaffte es immer wieder neue auszugraben.

"Jap", antwortete Kay. "Find ich gut, dass du Anime kennst, macht dich gleich hundertmal sympathischer."

Ich lächelte und dann fiel mir wieder, was das für ein Anime war, aus dem ich das Zitat kannte - ein Yaoi. Er war zwar nicht schlecht, aber naja... irgendwie war in dem zu viel Sex... wie eigentlich jeder Yaoi für meinen Geschmack.

"Lass mich raten, du hast Bilder gesehen, die du nie wieder aus deinem Kopf bekommst?", fragte Kay leise, sodass es ihr Vater und meine Mutter nicht mitbekamen.

Ich nickte nur. "Irgendwann bring ich Philip dafür um", murmelte ich mit einem leichten Lachen - bedacht darauf leise zu sprechen.

"Dein Freund?", hakte Kay nach und sah mich interessiert an.

"Nein!", antwortete ich schärfer als beabsichtigt und erklärte hastig. "Er ist mein bester Freund und wir beide als Paar... Das wäre einfach abartig. Das mit uns wird nie passieren."

"Ach so, ja dann", meinte Kay nur darauf.

"Lasst uns anstoßen", unterbrach meine Mutter unser Gespräch, weil unsere Getränke - endlich - kamen.

Auch wenn ich gerne einmal Alkohol trank, hatte ich es diesmal gelassen und mir nur ein Glas Wasser bestellt. Kay hatte ebenfalls nur ein Glas Wasser bestellt. (Vielleicht hatte ich mir auch deswegen ein Wasser bestellt.)

"Cheers", meinte meine Mutter glücklich und wir stießen an. Natürlich jeder mit jedem und dem anderen immer schön in die Augen schauen.

Während Kay neben mir leise mit einem Lachen flüsterte. "Oans, zwoa, g'suffa."

Ich kicherte leise.Vielleicht war doch nicht alles so schlecht, wie ich zuerst dachte...

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