Kapitel 38

"Verzeihen. Loslassen."

Lara;

"Warte, was?", fragte ich entsetzt als mich Philip, um 1 Uhr in der Nacht angerufen hatte, wo ich gerade eigentlich ins Bett gehen wollte (ich hatte meinen Orange is the new black Marathon gerade erfolgreich beendet). Morgen fielen bei uns die ersten beiden Stunden aus, weswegen ich ein bisschen länger aufbleiben konnte, ohne morgen in der Schule komplett zu sterben. Kay hatte diesen Luxus leider nicht, deswegen schlief sie bestimmt schon.

"Timon und ich haben uns geküsst", wiederholte er seine Worte und ich konnte die Aufregung in seiner Stimme hören.

"Hättest du mir das nicht morgen in der Schule erzählen können?", erwiderte ich scherzhaft desinteressiert und gähnte. War ich davor auch nur etwas müde, war ich jetzt hellwach. "Ich wollte gerade eben einschlafen und mal einen normalen Schlafrhythmus zu bekommen und dann kommst du. Also wirklich..."

"Aber das ist wichtig!! Ich habe Timon geküsst... und zwar mehrfach und seine Lippen sind so weich und angenehm. Also heißt das jetzt, dass er mich auch mag und irgendwie bin ich grad voll aufgedreht," erzählte Philip und kicherte. "Das Leben ist so schön gerade."

"Bist du auf Drogen?", fragte ich sarkastisch und musste dann aber auch lachen. "Also seid ihr jetzt zusammen oder nicht? Ich freue mich so für euch!"

"Ich... ich denke schon... warte ich frage ihn kurz", antwortete Philip. Irgendwie kannte ich ihn so gar nicht, meistens war er eher schüchtern, wenn es darum ging andere Leute etwas zu fragen, aber jetzt schien er zumindest bei Timon (und selbstverständlich mir) kein Problem mehr damit zu haben.

Nur ca. eine Minute später, meinte Philip. "Ja, wir sind jetzt zusammen, ich bin auf alle Fälle voll happy..." Einige Sekunden war Ruhe, was mir ein wenig Angst einjagte, bis er trällerte. "Das ist der beste Tag meines Lebens."

"Okay, du musst ins Bett und ich auch, weil gerade im Moment bist du einfach nur komisch", antwortete ich darauf mit einem Lachen und fügte etwas ernster hinzu. "Aber ich bin wirklich glücklich für dich, du hast das verdient, ich wünsche euch beiden alles, alles Gute für die Zukunft."

"Werde bitte nicht sentimental, Lara, das passt nicht zu dir", erwiderte Philip mit einem Lachen. "Okay, dann ich bin jetzt wieder zu Hause... wünsche mir Glück, ich muss irgendwie meiner Mutter erklären, wieso ich erst so spät nach Hause gekommen bin...ich hätte eigentlich um acht da sein müssen."

"Dann viel Glück, ich plädiere auf ein oder zwei Wochen Hausarrest", sagte ich daraufhin und fügte dann noch hinzu. "Gute Nacht, wir sehen uns morgen in der Schule."

"Schlaf gut, Lara und bis morgen", erwiderte Philip und legte auf.

Mit einem Lächeln hing ich mein Handy zum Laden (ich hatte noch ca. 15 Prozent übrig) hin und wollte mich nun endlich in mein Bett kuscheln, als die Tür zu meinem Zimmer geöffnet wurde. Im Türrahmen stand Kay, die so aussah, als ob ich sie gerade aufgeweckt hatte. Trotzdem sah sie so wunderschön aus wie immer.

"Habe ich dich aufgeweckt?", fragte ich sanft und setzte mich in meinem Bett auf, während ich Kay ansah. Ihre langen blonden Haare waren wie immer in einem Zopf zusammengebunden und sie trug einen weiß-rosafarbenen Schlafanzug, der bestimmt nur an ihr nicht komplett kitschig aussehen konnte.

"So in etwa", antwortete Kay mit einem Lächeln. "Ich habe nur mitgekriegt, dass du mit Philip telefoniert hast... wieso ruft er dich denn um ein Uhr in der Nacht an?"

"Er und Timon sind jetzt zusammen und das musste er mir gleich mitteilen", erklärte ich mit einem Lachen. "Auch wenn ich mich echt gefragt habe, wieso er mir das nicht morgen hätte erzählen können. Ich wollte meinen Schlafrhythmus endlich wieder hinbekommen."

"Ich hoffe die zwei werden glücklich miteinander", meinte Kay daraufhin nur. "Ich werde dich jetzt mal schlafen lassen, gute Nacht."

"Warte kurz", rief ich ihr leise nach, als sie sich schon umgedreht hatte und wieder in ihr Zimmer zurück gehen wollte, woraufhin sie sich nochmal zu mir umdrehte.

Ich stand kurz auf, nahm ihre link Hand in meine und küsste sie sanft auf die Lippen. Je länger wir zusammen waren, desto mehr gewöhnte ich mich daran, dass wir wirklich und wahrhaftig zusammen waren - allerdings kam damit auch jedes Mal das Gefühl, dass unsere Liebe niemals von der Gesellschaft akzeptiert werden würde. Nicht dass ich, da ich 100% lesbisch war, überhaupt jemals von der gesamten Gesellschaft akzeptiert werden würde - zumindest nicht in der nahen Zukunft.

"Gute Nacht", flüsterte ich ihr zu, nachdem ich mich wieder von ihr gelöst hatte. "Und träum was Schönes, mein Engel."

"Du auch", murmelte sie zurück und machte sich nun wirklich auf den Weg zurück in ihr Zimmer, während ich mich in mein Bett legte.

Am nächsten Morgen saß ich auf der Couch und trank meinen Kaffee, weil ich immer noch Zeit hatte bis ich zur Schule musste - besonders da Philip's Bruder so nett war, uns zur Schule zu fahren, weswegen ich nicht den unnötig frühen Bus nehmen musste.

Während ich noch meinen Toast aß, scrollte ich durch meinen Instagram Feed, der größtenteils aus lgbt+ posts bestand, als eine Nachricht von Anika Liefers ankam - etwas, was mich sehr schockierte.

Nach einigen Minuten und vergeblichen Ablenken öffnete ich schließlich ihre Nachricht und war zuerst erstaunt wie lange diese war. Am liebsten wollte ich sie nicht lesen.

Anika Liefers [8:25]: Timon und Philip haben gestern über dich und Kay geredet... und da habe ich eben mitbekommen, dass ihr jetzt zusammen seid... Und naja ich weiß nicht viel über Kay, aber sie scheint eine gute Person zu sein, deswegen wollte ich dir nur sagen, dass du nicht deine Selbstsüchtigkeit und komische Moralvorstellungen zwischen euch kommen lassen sollst. Ihr seid weder verwandt, noch habt ihr den gleichen Nachnamen, also gibt es da kein Problem. Du bist kein schlechter Mensch, aber manchmal willst du den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Wie, dass du mich Kay vorgezogen hast, weil es einfacher war. Also tue mir einen Gefallen und kämpfe für das, was du mit Kay hast, das ist es wert. Von was ich gehört habe, passt ihr gut zusammen. Kay hat jemanden verdient, der alles für sie tun würde und ich weiß, dass du das sein kannst, aber sei diese Person für sie.

Anika Liefers [8:27]: Btw ich habe dich nicht mehr blockiert :D

Anika Liefers [8:28]: das heißt nicht, dass ich irgendwas mit dir zu tun haben will, aber wir verdienen alle unseren Frieden und dazu gehört nun mal mit der Vergangenheit abzuschließen und aufhören zu hassen.

Auch wenn ich es hasste, es mir einzugestehen, hatte Anika teilweise Recht - oder mehr oder weniger mit allem Recht. Trotzdem hatte ich mit dem was sie mir gerade geschrieben hatte, ein bisschen weniger Schuldgefühle. Anika war viel zu gut für mich.

Lara [8:35]: Ich werde das mit Kay nicht vermasseln... also hoffe ich zumindest. Und danke, dass du mir verziehen hast, das ist nicht selbstverständlich.

Anika Liefers [8:36]: es bringt dir nichts, dass ich dir verziehen habe, es ist wichtig, dass du dir selbst verzeihst. Verzeihe dir selbst und lass uns beide diese ganze Sache ruhen lassen, wir werden nicht wieder befreundet sein, aber wir können immerhin unsere Frieden finden.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass für sie das Gespräch damit beendet war. Nichtsdestotrotz verspürte ich das Bedürfnis ihr in irgendeiner Weise zu antworten - vielleicht aber auch einfach nur, weil ich immer das letzte Wort haben wollte.

Lara [8:37]: okay.

Auch wenn ich es davor nicht so gespürt hatten, fiel mir jetzt eine Last von den Schulten, als ob mich die ganze Sache mit Anika mehr bedrückt hätte als ich wahrgenommen hatte. Bevor ich allerdings zu sehr in meinen Gedanken zu diesem Thema versinken konnte, schrieb mir Philip, dass sie jetzt gleich bei mir sein würden.

Deswegen stand ich von der Couch auf und ging in den Flur, um mich anzuziehen. Ich war generell schon kein Fan vom Winter, allerdings hasste ich es meistens die ganze Kleidung immer an und wieder auszuziehen. Besonders sahen meine Haare immer so hässlich aus, wenn ich eine Mütze aufhatte.

"Philip ist jetzt bald da, also dann ciao", rief ich in die Küche, wo meine Mutter bereits an ihrem Laptop saß und arbeitete.

"Viel Spaß in der Schule", erwiderte meine Mutter und ich schloss die Tür hinter mir.

Draußen war es so kalt, dass mein Atem gefror, außerdem war mir jetzt schon kalt. Ich konnte nur hoffen, dass Philip und sein Bruder mich bald abholen würden. Anscheinend wurde meine stille Bitte erhört und das Auto von Stephan, Philip's Bruder, fuhr in unsere Einfahrt ein.

Ich öffnete hintere Tür auf der Beifahrerseite und setzte mich auf den Sitz. Neben mir auf der Rückbank saß Timon. "Hallo und danke für's mitnehmen."

"Kein Problem, ich fahre ja eh in die Richtung... und Philip hat mich auch schon dazu gezwungen bei Timon vorbeizufahren und ihn mitzunehmen", erwiderte Stefan und fuhr wieder rückwärts aus der Einfahrt heraus.

"Wieso soll ich denn nicht den Fahrservice von dem Bruder meines Freundes nicht ausnutzen?", meinte Timon dazu nur verwirrt und zuckte mit den Schultern.

"Apropos... hast du jetzt eigentlich Hausarrest, Philip?", hakte ich nach.

"Nein, und weißt du warum?", antwortete Philip, redete aber schon weiter bevor ich überhaupt Luft holen konnte. "Weil meine Mutter gesagt hat, das würde nichts bringen und stattdessen muss Timon zum Essen kommen und sollte ich noch einmal zu spät kommen, wird sie bei ihm anrufen und seinen Eltern erzählen, dass ich nicht rechtzeitig zu Hause gewesen bin. Anscheinend findet sie es besser mich zu blamieren, als zu bestrafen."

"Du hast ihr angesehen, wie sehr sie sich gefreut hat, dass sie Philip bei den Eltern seines ersten Freundes bloßstellen kann", fügte Stefan mit einem Lachen dazu.

"Eure Mutter hat eindeutig ihre genialen Momente", meinte ich dazu nur und fing auch das Lachen an. "Ich wusste immer, dass sie toll ist."

"Mein Vater würde einfach lachen und die ganzen peinlichen Geschichten über mich auspacken", sagte Timon dazu, der sich gerade erst wieder von seinem Lachanfall erholt hatte. "Das würde einfach nur darin enden, dass die beiden zusammen einen Plan schmieden werden, uns zu blamieren."

"Immerhin hängst du dann mit drinnen", antwortete Philip dazu nur mit einem Achselzucken und grinste Timon an.

"Du bist ein schrecklicher Mensch", erwiderte dieser darauf nur lachend. "Du bist ein von Grund auf schrecklicher Mensch."

"Ihr beide seid jetzt schon dieses nervige alte verheiratete Paar, was sich dauernd streitet", bemerkte ich mit einem Augenrollen.

"Danke", sagten Philip und Timon genau gleichzeitig und gaben sich dafür ein Highfive.

Und ich seufzte genervt. Das konnte ja was werden.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top