Das Diamanten Mädchen
Teil 1
Leise legte ich mein Mathematikbuch und meinen Block in meinen blauen Spinnt, um gleichdarauf tief auf zu seufzen. Endlich Schule aus. Nach zwei Mathestunden, die sich wie Kaugummi zogen, hatte ich einen weiteren Tag in der Hölle jedes Schülers überstanden! Erschöpft schloss ich meine Augen. Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zu getan, weil es so heiß gewesen war.
Plötzlich wurde meine Spinnttür laut zugeknallt, sodass der Hebel quietschend in seine Verankerung fiel und ich vor Schreck gleichzeitig zusammen zuckte. Schüchtern schaute ich nach links.
Vor mir stand Allen Walker. Bad Boy, Arschloch hoch zehn, Nervensäge des Jahrhundert, Mädchenschwarm der ganzen Schule, alles Könner, Sänger und zu guter letzt mein alles verhasster Nachbar. Ich stöhnte innerlich in mich hinein. WARUM ICH? Warum konnte er nicht jemanden anderen Nerven?
"Hallo Moon", grinste er mich an, während er sich lässig, mit seinem Unterarm, an dem benachbarten Spinnt lehnte. Seine Beine waren überkreuzt.
"Was willst du?", fragte ich genervt.
"Da hat aber jemand schlechte Laune", neckte er mich. Ich stöhnte genervt auf und drehte mich zum Gehen um. Dafür hatte ich jetzt echt keine Nerven!
"Jetzt warte doch mal", sagte er etwas lauter und ging mit schnellen Schritten hinter mir her. Viele Schüler, die auf dem Flur standen, sahen uns verwirrt an. Stur starrte ich gerade aus. Jetzt bloß nicht reagieren, sonst war es das mit dem nicht auffallen für diesen Tag!
"Mein Gott", rief er genervt, griff nach meinen beiden Schultern und drehte mich an diesen zu sich herum. "Ich will dich doch nur um was bitten. Das du immer direkt weg laufen musst!" Seine Augenbrauen waren verärgert zusammen gezogen. Immer noch hielt er mich an meinen Schultern fest.
Schnell schlug ich seine Hände weg, da mir seine Berührungen unangenehm waren, und schaute auf den alten grün, grauen Fliesboden. Einzelnd wiesen die quadratischen Steine Risse auf.
"Was willst du?", fragte ich erneut, aber dieses mal leiser.
Er seufzte ergeben auf und fuhr sich mit seiner linken Hand durch seine schwarzen Haare.
"Ich habe meiner Mutter gesagt, dass ich heute bei dir penne. Wenn sie also anruft, denk dir irgendeine Ausrede aus."
"Und was springt für mich dabei heraus?", grinste ich nun und sah zu ihm auf.
"Nichts", zuckte er mit den Schultern. Ich zog skeptisch eine Augenbraue nach oben. Er glaubte doch nicht ernsthaft, dass ICH etwas für IHN machte ohne Gegenleistung! Nun beugte er sich zu mir nach vorne, die Hände in seinen Hosentaschen gesteckt, und flüsterte mir ins Ohr: "Entweder du machst es, oder ich verrate dein kleines Geheimnis der ganzen Schule."
"Das würdest du nicht machen", stieß ich geschockt hervor.
Langsam stellte er sich wieder gerade hin und grinste fies. "Doch!"
"Arschloch", zischte ich und sah ihn wütend an.
"Hach, wie schön es ist von dir Komplimente zu bekommen", lächelte er breit. "Ich sehe das mal als ein ja." Er streckte sich und verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf. Gut konnte man nun seine Muskeln sehen. "Es war mir wie immer eine Freude mit dir Geschäfte zu machen", zwinkerte er mir zu und spazierte an mir vorbei. Ich sah ihm mit zusammen gebissenen Zähnen hinterher.
"So ein...", knurrte ich und drückte meine Ellbogen an meinen zu großen, Bordeaux roten Kaputzenpulli. Meine Hände waren zu Fäusten geballt.
"Was will er denn von dieser Looserin?", hörte ich es neben mir flüstern. "Sie hat noch nicht mal Geld, um sich richtige Kleider zu kaufen. Schau doch mal, wie ausgewaschen ihre Jeans ist. Echt alles von gestern!"
Mein Ärger verflog und machte Trauer Platz. Locker hingen meine Arme neben mir. Warum konnte ich nicht, wie jedes andere Mädchen sein und ein ganz normales Leben führen? Warum hatte mich Gott nur mit diesem blöden Schicksal bestraft?
"Was wollte ER denn von dir?", fragte mich Fiona mürrisch, als sie neben mir stehen blieb, und schaute ihm hinter her. Sie war meine einzige und zugleich beste Freundin.
"Nichts", nuschelte ich in meine braunen Haare hinein, welche mir bis zu den Schulter gingen. Würde ich es ihr sagen, würde sie automatisch fragen, welches Geheimnis er meinte. Und das durfte nicht passieren. Normalerweise sollten es nur die Lehrer dieser Schule und meine Eltern kennen, doch irgendwie hatte Allen es heraus gefunden. Wer weiß woher. Vielleicht wusste er es auch nicht und legte mich damit nur herein, weil ich darauf ansprang!
Ich seufzte wohl zum hundertsten male an diesem Tag auf.
"Lass uns nach Hause gehen", sagte ich und ging auf die Ausgangstüren zu. Fiona lief neben mir her und schielte fröhlich zu mir hinüber.
"Nur noch ein Tag und dann haben wir Sommerferien", hüpfte sie auf. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Sie war immer so optimistisch.
Aus den Türen hinaus getreten, erschlug mich fasst die Hitze, weshalb ich kurz stehen blieb.
"Diesen Sommer wird es geil warm. Weißt du was das heißt?", fragte mich Fiona breit lächelnd. Ich schüttelte den Kopf. Wir spazierten zu den großen Schultoren.
"Freibad", rief sie glücklich und sprang auf. Ich schmunzelte in mich hinein.
Vor den Toren verabscheidete ich mich, mit einem Winken, von meiner Freundin und spazierte langsam nach hause. Die Sonne stand hoch am Himmel. Keine einzige Wolke war zu sehen. Ungehindert knallte sie mir auf meine glatten Haare, weshalb ich unter dem Pulli mächtig anfing zu schwitzen. Autos rauchten an mir vorbei. Der Asphalt strahlte die Hitze ab und ließ mich somit verschwommen Fahrzeuge sehen, welche mir entgegen kamen. Aus den Augenwinkeln sah ich Streifen der Autos in den verschiedesten Farben an mir vorbei huschen. Auspuff Geruch kratze in meinem Hals, als auf einmal Motorräder zischten an mir vorbei rasten. Einer blieb stehen. Verwirrt sah ich auf. Der Mann zog seinen Helm aus und schaute zu mir nach hinten. Augen verdrehend ignorierte ich sein Grinsen und marschierte an ihm vorbei. Die anderen vier Fahrer blieben etwas weiter entfernt stehen und warteten.
"Willst du mitfahren?", fragte mich Allen und rollte neben mir her. Er hatte seine Motorradsachen an, die eng an seinem Körper an lagen und somit seine breiten Schultern und die durchtrainierten Beine betonten.
"Nein", antwortete ich knapp und ging schnell weiter.
"Ach komm schon. Ich hab einen Platz hinter mir frei. Und außerdem müsstest du noch eine halbe Stunde zu deinem Haus laufen. Und da mir direkt nebeneinander wohnen..."
"Ich habe nein gesagt", herrschte ich ihn genervt an, blieb dabei stehen und schaute ihn grimmig an.
"ALLEN! NUN KOMM ENDLICH UND LASS DAS MARSHMALLOW STEHEN. ICH WEIß SOWIESO NICHT, WARUM DU IMMER MIT DER LOOSERIN REDEST", brüllte Heyden, ein weiterer Bad Boy in Allens Clipue, der seinen Helm in seinen Händen hielt. Hinter jedem der anderen Fahrer saß eine schlanke Person. Ich ging von den Zicken der Schule aus. Julia, Louisa, Saskia und zum krönenden Abschluss Gigi, die in Wirklichkeit Chiara hieß, und die Anführerin der Gruppe war.
Allen brüllte "HALTS MAUL", zurück und sah mich wieder an. "Also?"
Ich schüttelte still den Kopf.
"Na gut. Wenn du in der prahlen Sonne laufen willst", zuckte er mit den Schultern und startete wieder den Motor. "Beschwere dich nur nachher nicht bei mir!"
Ich wägte meine Vor- und Nachteile ab. Wenn ich nicht aufsteigen würde, würde ich verschwitzt zu Hause ankommen und mich danach duschen müssen. Wenn ich aber aufstieg, war ich schneller zu hause und hätte kühlen Fahrtwind... Und würde sein Ego puschen und ihm gleichzeitig etwas schulden.
"Warte", sagte ich schnell. Er drehte sich zu mir um. Wie ich ihm das Grinsen doch jetzt gerne aus dem Gesicht schlagen wollte!
"Doch nochmal anders überlegt?", wackelte er mit seinen Augenbrauen. Ich brummte zustimmend und setzte mich hinter ihm auf das Motorrad.
"Denke jetzt ja nicht, dass ich dich mag. Das ist sowas wie ne Entschädigung, dass ich immer deine Mutter anlügen muss", sagte ich und umschlang seinen Körper mit meinen Armen.
"Wie du meinst", meinte er murmelnd. Schnell zog er seinen Helm an und rollte sein Motorrad an.
Während der Fahrt, setzte ich mich gerade hin, sodass mein Kopf nun über Allens Schulter schwebte, und streckte mein Gesicht dem Wind entgegen. Genüsslich schloss ich meine Augen. Ich liebte den Wind, wie er meine Haare zerzaust und durch die Fasern meiner Kleidung ging. Würde ich fliegen dürfen, würde ich es jeden Tag machen. Aber leider durfte ich nicht. Das Risiko war zu groß, dass ich entdeckt wurde.
"Schön, nicht wahr?", brüllte Allen durch seinen Helm. Nur schwer konnte ich ihn verstehen, da der Wind laut in meinem Ohr zischte. Das Leder seiner Jacke fühlte sich angenehm kalt unter meinen Händen an.
"Ja", brüllte ich zurück.
"Da haben wir wohl eine Gemeinsamkeit", lachte er. Schmunzelnd schaute ich auf seinem schwarzen Helm. Als Windwesen musste man den Wind einfach lieben. Ob man wollte oder nicht. Es war unvermeidlich.
"Ja. Die erste und einzigste", schrie ich. Er fuhr langsamer. Wir waren angekommen.
Als er vollständig stehen blieb, kletterte ich von seinem schwarzen Motorrad hinunter und versuchte meine Haare etwas zu ordnen, was sich aber als etwas schwierig heraus stellte. Ohne Kamm ging bei meinen dichten Haaren gar nichts. Allen schaltete in der Zeit seine Maschine aus, stieg ab, zog den Helm aus und klappte die Halterung des Motorrades hinunter. Seine Freunde machten es ihm gleich. Und wie ich vermutet hatte, waren es wirklich die Zicken unserer Schule. Herablassend schauten sie an mir herunter, als sie abstiegen. Irgendwann! Irgendwann riss ich ihnen die Augen aus, sodass sie sich selber nicht mehr betrachten konnten und aus Selbstmitleid starben.
"Na dann", trat mein Nachbar neben mich. "Vergess unsere Abmachung nicht", klopfte er mir auf meinen Rücken und ging mit seinen Freunden in das große, weiße Haus hinein. Grummelnd zog ich meinen Pulli, der während der Fahrt nach oben gerutscht war, über meinen Po und spazierte nach links. Als ob ICH so etwas vergessen würde! Neeeeiinn!
Ich war noch gar nicht richtig im Haus drin, als meine Mutter schon hinaus stürmte und meine Brust besorgt betrachtete.
"Geht es dir gut?", fragte sie und fasste über mein Dekolleté.
Ruckartig schlug ich ihre Hand weg und murmelte ein genervtes "Ja." Sie machte sich nicht Sorgen um mich, sondern um den weißen Diamanten, der unter meinen Schlüsselbeinen steckte. Und so etwas nannte ich Mutter! Pfhh. Wohl eher geld- und machtgierige Frau!
"Fräulein. Rede nicht so mit mir. Du weißt ganz genau, was auf dem Spiel steht!", tadelte sie mich mit erhobenem Finger, während sie die andere Hand in die Seite gestützt hatte. Ich verdrehte die Augen. Jetzt ging die Leier schon wieder los! "Wenn du nicht mehr bist-"
"Sind wir alle verloren. Ja ich weiß", vollendete ich Augen verdrehend ihren Satz und spazierte an ihr vorbei.
Vor mir erstreckte sich ein zwei stöckiges Haus, das in einem Pastell grün gehalten wurde. Der untere Teil war Antrazitgrau und passte sich somit perfekt dem gepflasterten dunkel grauen Steinboden an, der mitten durch meinen eingezäunten Vorgarten ging. Warum meiner? Weil nur ich ihn pflegte und stolz sagen konnte, dass er sehr schön aussah, mit seinen bunten Blumen.
"Was habe ich nur bei dir falsch gemacht, dass du mich so behandeln tust. Du hast doch alles! Geld, Kleider, Schmuck, ein schönes Zuhause... Was brauchst du denn noch?", fragte sie verzweifelt. Ich blieb stehen. Sie hielt mir nun schon seit über zehn Jahren jeden Tag den selben Vortrag. Und nie hatte ich auf diese Frage geantwortet. Doch jetzt, da ich achtzehn geworden war, sollte ich es ihr sagen? Was würde es nützen? Nichts! Es würde aber auch nichts verändern! Was hatte ich also zu verlieren?
Tief atmete ich ein. Jetzt oder nie!
"Seit zehn Jahren...", nuschelte ich und ballte meine Händen zu Fäusten. Langsam drehte ich mich zu ihr um.
"Seit verdammten zehn Jahren hältst du mir immer wieder den selben Vortrag. Tag ein Tag aus", flüsterte ich und starrte in ihre grauen Augen.
"Ja. Weil ich keine Antwort von dir erhalte", meinte sie beleidigt.
"Und hast dich nicht mal selber gefragt, was du falsch machst", sagte ich nun lauter und wütend.
"Ich", lachte sie auf und zeigte auf sich. "Ich habe nichts flasch gemacht!" Wütend zogen sich meine Augenbrauen zusammen. Wie konnte man nur so eingebildet von sich sein?!
"DU SORGST DICH DOCH GAR NICHT UM MICH, SONDERN UM DIESEN BLÖDEN STEIN IN MIR", brüllte ich und zeigte auf meine Brust. Tränen liefen meine Wangen hinunter. "Ich sehe doch, wie du immer wieder auf ihn starrst, wenn du mich fragst, ob es mir gut geht", schrie ich sie weiter an. Die ganze Wut und Verzweiflung, die sich die Jahre über angestaut hatten, kamen nun zum Vorschein. Abfällig betrachtete ich sie. "Du bist nicht meine Mutter! DU bist eine geldgierige und machtsüchtige Frau, die ihr einziges Kind nicht mal mehr als Person, sondern als ein Gegenstand, ein Objekt ansieht!", spie ich ihr zornig entgegen.
"Was ist denn hier los?", kam Frau Walker, gefolgt von den Jugendlichen, aus dem Haus hinaus gelaufen.
Das Gesicht meiner Mutter war vor Wut verzerrt.
"Du undankbares Kind", schrie sie. 'Platsch', hallte es gegen die Wände der umstehenden Häuser, als sie mir eine heftige Ohr feige verpasste. Fassungslos hielt ich mir meine rote Wange und sah sie an. Sie hatte mich noch nie geschlagen. Geschweige denn angebrüllt!
"Melinda", rief Frau Walker fassungslos aus und hielt sich die Hand vor den Mund.
"Ich habe dir alles geboten, was sich ein Kind nur wünschen kann. Und du! Du bist undankbar, unverschämt und obendrein noch unerzogen. Hättest du diese blöde Gabe nicht, hätte ich dich schon längst irgendwo in einem einsamen Waldstück ausgesetzt", brüllte sie. Meine Augen wurden vor Fassungslosigkeit groß. "Sieh dich doch nur an", lachte sie gehässig auf und schaute abfällig an mir hinunter. "Noch nicht mal hübsch bist du!"
Ich taumelte zurück, als sie das sagte. Es war wie ein Schlag in mein Magen. Plötzlich wurde mir eins klar.
"Du bist nicht meine Mutter", flüsterte ich erstickt. So etwas würde eine Mutter niemals zu ihrem Kind sagen. Eltern fanden ihre Kinder immer hübsch. Auch wenn sie es in Wirklichkeit nicht waren!
Ich stolperte zwei Schritte zurück, drehte mich dann ruckartig um und stürmte in unser Haus hinein. Hastig holte ich meinen Rucksack und schmiss mein Kräuterbuch, Kleider, Uhr, Kompass, meine gesparten vierhundert Euro und meine Wanderschuhe hinein. Nichts hielt mich hier. Ich hatte keine Familie, keine richtigen Freunde, außer Fiona, die mich aber bald sowieso vergessen wird, und auch nichts Materielles, das mich hier bindete.
Mit meinem Rucksack auf dem Rücken lief ich aus der Haustür heraus und stürmte an Frau Walker und meiner Mutter vorbei, die wild miteinander diskutierten.
"Moon", rief Allen, als er mich erblickte. "Warte doch mal!"
Ich rannte schneller. Nun hörte ich Flügel, die kräftig schlugen. Allen landete vor mir. Wind peitschte Dreck vom Boden auf.
"Lass mich durch", sagte ich mit fester Stimme.
"Wohin willst du?", fragte er irritiert.
"Weit weit weg von hier, sodass mich keiner findet und ich mein Leben so leben kann, wie ich es will!"
Für Sekunden starrten wir uns in die Augen.
"Ich wünsche dir viel Glück bei deinem neuen Leben", murmelte er, faltete seine braunen Flügel zusammen und trat einen Schritt zur Seite. In dem Moment war ich ihm so dankbar.
"Danke", flüsterte ich und konnte meine Tränen nicht mehr unterdrücken. In Bächen liefen sie an meiner Wange hinunter, als ich an ihm vorbei rannte. Endlich frei! Frei von meinen Pflichten. Frei von diesem ewigen Versteckspiel!
Fortsetzung folgt...
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