-September-

>>Geh schon mal, ich muss erst noch für kleine Adams<<, hatte er gesagt. So saß ich nun mit ausgestreckten Beinen auf der Wiese und ließ meine Haut von der Sonne schmeicheln. Hinter mir ragte ein gigantischer Felsvorsprung empor, der lange Schatten auf das Waldstück vor ihm warf. Sechs Meter ging er in die Tiefe, das hatte ich auf einer Infotafel gelesen. Solche zerklüfteten Brocken waren in dieser Gegend nicht ungewöhnlich.

Milane kreisten in der blauen See über mir. In meiner Vorstellung flog ich mit ihnen.
Mit ihm.
Wenn die Dämmerung die grauen Wolkenkissen verschlang, waren wir gemeinsam ein Hauch von Leben, der mit breiten Schwingen über allem wachte. Unabhängig und endlos.
Wir zwei konnten die Herren der Welt sein, nur für diese Nacht.

Bunte Blumen kitzelten meine Hand. Sie bedeckten die Fläche um mich herum mit einem wohltuenden Duft. Abertausende Insekten machten sich an ihnen zu schaffen. Ich wusste leider nicht, wie die zahlreichen Pflanzen, in denen ich den Sommer genoss, hießen. Damit kannte ich mich nicht aus.

Meine Interessengebiete hingegen waren Mythologie und Astronomie. Mich zogen Sagen über Götter und Helden in den Bann, die die Welt retteten, um darauf mit Drama und Qual unterzugehen. Hätte man mich gefragt, welcher Held je ein glückliches Leben geführt hatte, ich könnte keinen nennen.

Außerdem liebte ich das Weltall. Es war der Inbegriff von Unendlichkeit und Freiheit- jedoch auch Einsamkeit. Wenn es etwas gab, was mich seit meiner Kindheit faszinierte, dann die Galaxis. Ich hatte mir heute mit Adam vorgenommen, wachzubleiben, bis es dunkel wurde, damit ich ihm unsere Sternbilder zeigen konnte. Da sich das Vorlesen unserer Horoskope zum Insider entwickelt hatte, musste das sein. Bis Mitternacht war ein klarer Blick auf das All garantiert, dann durchkreuzten, wenn man dem Wetterbericht Glauben schenkte, dünne Wolkenfetzen unsere Sicht. Bis dahin hatten wir genug Zeit.

Apropos Adam: Er versuchte schon in den letzten Tagen immer wieder, sich zu rächen, weil ich ihn einmal erschreckt hatte. Er hatte auf mich im Park vor dem Krankenhaus gewartet, und ich war hinter einem Baum hervorgesprungen. Ziemlich schlechtes Versteck eigentlich, aber erstaunlicherweise funktionierte es. Sein Gesichtsausdruck war unbezahlbar gewesen.

Seine Augen, die sonst eine einzigartige Lockerheit ausstrahlten, waren fassungslos auf mich gerichtet gewesen, die feinen Linien in seinen Lippen hatten sich gekräuselt wie eine Aquarell-Zeichnung. Nur für einige Sekunden lang, nur für einen kurzen Moment, und ich hätte dennoch Lieder über diesen Augenblick schreiben können.

Es knackte im Gebüsch hinter mir. Ganz leise nur, und wäre es hier nicht so unheimlich still gewesen, hätte ich es mit Sicherheit überhört. Aber die Art, wie er sich heranschlich, war unverkennbar. Ein kleiner Schritt, dann noch einer. Zögern. Er setzte noch einen Fuß nach vorne, das Laub raschelte.

>>Buh!<<, rief es aus dem Dickicht.
Ich grinste in mich hinein und gab keinen Laut von mir. Fünf Sekunden blieb es still, dann gab er auf.

>>Haydan, du Spaßbremse<<, schmollte er gespielt. Er kam aus seinem Versteck und plumpste neben mir auf den Boden. >>Hast du mich schon bemerkt?<<
>>Ja. Ich habe diese Schritte gehört und wusste, das bist du.<<

Er zog halb interessiert und halb verwirrt eine Augenbraue hoch, wodurch ihm seine schwarze Beanie ein Stück weit über die Stirn rutschte. >>Wie meinst du das? Man kann mich doch nicht durch meine Schritten identifizieren.<<

>>Du bildest dir echt was ein<<, murmelte ich. >>Ich würde dich dadurch blind und am Ende der Welt erkennen.<<

>>Nichts ist für dich,
Nichts war für dich,
Nichts bleibt für dich,
Für immer.<<
-Rammstein// Adios

Ich verstehe nur nicht...
Warum hast du mir nicht gesagt, dass du so leidest? Warum hast du den gleichen Fehler wie ich gemacht und alles in dich hineingefressen, dich niemandem richtig anvertraut?

Warum hast du mir nicht gesagt, dass der Himmel so eine schwere Last ist?
Du hast ihn alleine getragen und niemand hat dich vor Schmerzen schreien gehört. Nicht einmal ich.

Es tut mir so leid. Ich mache mir deswegen unbeschreibliche Vorwürfe. Gleichzeitig muss ich mich damit trösten, dass du das nicht gewollt hättest.

Aber es... Es hätte doch sicherlich etwas geändert, oder? Wenn dz das Schweigen gebrochen hättest, meine ich?
Wäre etwas anders gewesen, hättest du mir von deiner Erkrankung erzählt?
Dachtest du, es würde mich zu sehr belasten? Verdammt, es wäre nicht 'zu viel' gewesen!

Oder...
Oder?

Hätten wir uns dann vielleicht voneinander getrennt, weil ein weiteres Problem noch schwerer gewesen wäre?
Zu schwer? Um Dimensionen zu schwer?

Und vor allem:
Wärst du dann noch hier?

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